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Veröffentlicht am 27.06.2024

Mythen, Meer und Mord

Bretonische Sehnsucht
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Wie wäre es mit einem Kurzurlaub in der Bretagne? An einem Ort, wo die seit Jahrhunderten überlieferten Legenden und Traditionen zum Alltag gehören? Dann nicht wie hin, auf die Île d‘Oeussant. On y va!

Auf ...


Wie wäre es mit einem Kurzurlaub in der Bretagne? An einem Ort, wo die seit Jahrhunderten überlieferten Legenden und Traditionen zum Alltag gehören? Dann nicht wie hin, auf die Île d‘Oeussant. On y va!

Auf diese kleine, von Stürmen umtoste Insel im Nordwesten der Bretagne verschlägt es Georges Dupin, wo er auf Anweisung von oben in einem ungeklärten Todesfall ermitteln soll. „Oben“ ist in diesem Fall der wie immer nervige Präfekt Locmariaque, dessen Nichte dort lebt und zu den „Sirenen“ gehört, fünf Frauen, die das musikalische Erbe der keltischen Vergangenheit bewahren. Und jede von ihnen hatte zu Lionel Saux, dem Toten, regelmäßig Kontakt.

Und wir ahnen es schon, Saux ist keines natürlichen Todes gestorben. Er war ein Mann mit großen Plänen, ist er damit vielleicht jemandem auf die Füße getreten? Dupin ist ratlos, weiß nicht, wo er ansetzen soll. Doch dann gibt es zwei weitere Todesopfer, und bei allen finden sie die gleiche rituelle Beigabe…

Die Dupin-Reihe lese ich nicht wegen der Krimi-Elemente, sondern wegen des bretonischen Flairs, die ihr eigen ist und von Jean-Luc Bannalec so gekonnt transportiert wird. Das habe ich in den letzten Bänden allerdings sehr vermisst. Umso mehr konnte mich „Bretonische Sehnsucht“ begeistern, denn hier bekommen wir eine geballte Ladung an wunderbar atmosphärischen Landschaftsbeschreibungen, die zum Kofferpacken animieren. Damit aber nicht genug, denn wir werden, wie Dupin, von Madame Jaouen, einer Conteuse (Bewahrerin des alten Wissens), ergänzt durch die „Vorträge“ von Dupins Assistent Riwal in das Brauchtum, die Legenden sowie die mystischen Wesen, kurz in das keltisch-druidische Erbe der aus der Zeit gefallenen Île d‘Oeussant eingeweiht.

Die perfekte Urlaubslektüre, im Idealfall in der Bretagne lesen, aber zuhause geht natürlich auch!

Veröffentlicht am 22.06.2024

Keine skandinavische Massenware

Wenn die Nacht endet
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Es ist kurz vor dem Jahrtausendwechsel, eine strukturschwache Region im Niedergang. Null Perspektiven für Jugendliche. Sie kennen sich seit Kindertagen, hängen miteinander ab, langweilen sich. Manche sind ...

Es ist kurz vor dem Jahrtausendwechsel, eine strukturschwache Region im Niedergang. Null Perspektiven für Jugendliche. Sie kennen sich seit Kindertagen, hängen miteinander ab, langweilen sich. Manche sind auf dem Sprung, andere wie festgenagelt. Freundschaften werden auf die Probe gestellt. Ablenkung bieten einzig die kollektiven Treffen aka Besäufnisse an den Wochenenden, bei denen sich mehr oder weniger regelmäßig die Frustration in Prügeleien entlädt.

Als der 18-jährige Mikael an dem Morgen nach einer solchen Party tot aufgefunden wird, stellt sich für die Polizei natürlich die Frage, ob der Täter in der Clique zu finden ist. Sie machen zwar zwei Verdächtige aus, können ihnen aber nichts nachweisen.

Zwanzig Jahre später wird Mikaels Bruder ermordet. Vidar Jörgensson ermittelt und stößt natürlich auf den ungeklärten Mord an Mikael.

„Wenn die Nacht endet“ ist der abschließende Band der Halland-Trilogie des Schweden Christoffer Carlsson (nicht nur Schriftsteller, sondern auch promovierter Kriminologe), der für diesen Roman sowohl mit dem Schwedischen als auch mit dem Skandinavischen Krimipreis ausgezeichnet wurde.

In seinen Romanen gibt es zwar immer Gewaltverbrechen, aber im Gegensatz zu den meisten Krimiautoren legt Carlsson wenig Wert auf die detaillierte Beschreibung der Ermittlungsarbeit. Vielmehr versucht er aufzuschlüsseln, weshalb jemand zum Täter wird und welche Auswirkungen die Tat schlussendlich sowohl für dessen persönliches Umfeld als auch für Familie und Freunde des Opfers hat. Er stellt die alte Frage nach Schuld, nach persönlicher Moral, aber auch nach dem Versagen einer Gesellschaft, die sich ihrer Verantwortung nicht stellt.

Zwar nicht ganz so herausragend wie der Vorgänger, aber mit seinem feingezeichneten Figurenensemble sowie dem hohen sprachlichen Niveau des Autors, hebt sich auch dieser Roman von der üblichen skandinavischen Massenware ab und wird allen empfohlen, die auch in Kriminalromanen literarische Qualität zu schätzen wissen.

Veröffentlicht am 20.06.2024

Der Pirat und die Bienenzüchterin

In den Farben des Dunkels
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Bei Chris Whitaker bin ich Ersttäterin, kenne weder „Von hier bis zum Anfang“ noch „Was auf das Ende folgt“, aber die unzähligen sehr guten Bewertungen dieser beiden Bücher haben mich dann doch neugierig ...

Bei Chris Whitaker bin ich Ersttäterin, kenne weder „Von hier bis zum Anfang“ noch „Was auf das Ende folgt“, aber die unzähligen sehr guten Bewertungen dieser beiden Bücher haben mich dann doch neugierig gemacht.

Spoiler möchte ich vermeiden, weshalb ich mich zum Inhalt kurz fassen werde. Handlungsort ist ein fiktives Städtchen in den Ozarks, Missouri. Dort leben die beiden Dreizehnjährigen Joseph "Patch" Macauley und Saint Brown, beide Außenseiter. Patch, weil er nur ein Auge hat und Saint, das Mädchen mit dem seltsamen Hobby, das viel zu schlau für ihre Altersgenossen ist. Mit ihrer Außenseiterrolle haben sie sich abgefunden, sind sie sich doch sicher, dass sie aufeinander bauen können. Egal, wann, wie und weshalb. Eine Gewissheit, die auf eine schwere Probe gestellt werden wird, als etwas geschieht, das traumatische Konsequenzen haben wird.

Wir begleiten Patch und Saint über einen Zeitraum von annähernd dreißig Jahren, teilen ihr Leben, lernen die Menschen kenne, die ihre Wege kreuzen, sehen, wie nicht nur sie selbst wachsen, sondern auch ihre Freundschaft sich allmählich verändert. All das unter dem Einfluss eines Verbrechens.

Wer nun glaubt, wir hätten es hier „bloß“ mit einem Krimi zu tun, irrt sich, denn dieses Buch ist mehr. Eine Geschichte vom Erwachsenwerden, einer tiefen Freundschaft, einer großen Liebe, einer traumatischen Erfahrung, einer besessenen Suche und der Liebe zur Kunst, vernachlässigt aber trotz allem nicht den Blick auf gesellschaftlich relevante Themen. Und ja, natürlich ist auch die Suche nach dem Mörder ein Thema, steht aber nicht im Mittelpunkt.

Natürlich gibt es in 261 Kapiteln bei annähernd 600 Seiten auch die eine oder andere Länge, aber die Handlung ist spannend und stimmig geplottet, überrascht mit unvorhersehbaren Wendungen, schönen Landschaftsbeschreibungen sowie last but not least sympathischen und detailliert ausgearbeiteten Personen.

Veröffentlicht am 17.06.2024

Reihenauftakt mit Luft nach oben

Die Sehenden und die Toten
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Sia Piontek ist das Pseudonym einer ehemaligen Leiterin eines namhaften Verlags, die unter ihrem realen Namen bereits zahlreiche Romane, aber auch ein Selbsthilfebuch über Human Design veröffentlicht hat. ...

Sia Piontek ist das Pseudonym einer ehemaligen Leiterin eines namhaften Verlags, die unter ihrem realen Namen bereits zahlreiche Romane, aber auch ein Selbsthilfebuch über Human Design veröffentlicht hat. Ein Thema, das ihr offenbar sehr am Herzen liegt und auch in ihrem ersten Kriminalroman präsent ist.

Die Hamburger Kommissarin Carla Seidel hat nicht nur einer toxischen Beziehung sondern auch der Großstadt den Rücken gekehrt und sich ins Wendland versetzen lassen. Die ländlich-idyllische Gegend hat eine niedrige Kriminalitätsrate, sodass die ehemalige Mordermittlerin vorrangig Bagatelldelikte zu bearbeiten hat. Ein Umstand, der ihr und ihrer introvertierten, hochsensiblen Tochter bei der Verarbeitung der Vergangenheit hilft und die Heilung unterstützt. Doch das Idyll bekommt Risse, als die Leiche eines toten Neunzehnjährigen gefunden wird, der mit ausgestochenen Augen vor ihr liegt. Nur gut, dass sie als verantwortliche Ermittlerin (mit einem Alkoholproblem) auf die Unterstützung ihrer Tochter zählen kann, deren Fähigkeit, ihre Mitmenschen zu durchschauen, ihr wertvolle Hinweise liefert, denn der Ermordete war alles, nur kein unbeschriebenes Blatt.

Ein gelungener Reihenauftakt, zumindest dann, wenn man die formalen Aspekte betrachtet. Die mittlerweile in Krimis üblichen kurzen Kapitel bringen Tempo, die eingestreuten Hinweise erhöhen die Spannung, wecken Interesse und animieren zum Weiterblättern. Aber ab einem gewissen Punkt waren mir die angeschnittenen Themen, die sich im Laufe der Befragungen ergaben und wohl repräsentativ für die Probleme stehen sollen, mit denen jugendliche Heranwachsende heutzutage konfrontiert sind, einfach zu viel. Insbesondere, weil diese in ihrer Vielfalt doch recht oberflächlich abgehandelt wurden.

Bleibt zu hoffen, dass Piontek diese Probleme in den Griff bekommt und erkennt, dass Weniger oft mehr ist. Der Cliffhanger am Ende des Buches weckt zumindest das Interesse an der Fortsetzung und wandert deshalb auf meine Merkliste.

(3,5 von 5)

Veröffentlicht am 16.06.2024

Kein Lobgesang

Krähentage
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Benjamin Cors war für mich bisher ein unbeschriebenes Blatt, obwohl ich seit Jahrzehnten Spannungsliteratur lese. Ich wusste, dass er Kriminalromane schreibt, in deren Zentrum ein Personenschützer steht ...

Benjamin Cors war für mich bisher ein unbeschriebenes Blatt, obwohl ich seit Jahrzehnten Spannungsliteratur lese. Ich wusste, dass er Kriminalromane schreibt, in deren Zentrum ein Personenschützer steht und die in der Normandie verortet sind. Nun also hat er sich an einem Thriller versucht, der mit „düster, geheimnisvoll und atemberaubend spannend“ beworben wird, für den es, wohin man auch schaut, positive Bewertungen hagelt.

Leider kann ich mich diesen nicht uneingeschränkt anschließen, und das hat seine Gründe. Es ist offensichtlich, dass es für Cors‘ „Krähentage“ Vorbilder gibt, und als erstes fällt mir hier insbesondere Arne Dahl mit seiner A-Gruppe ein. Hier ist es die „Gruppe 4“, die sich aus sechs Mitgliedern plus einem Externen a.D. zusammensetzt, die gleich zu Beginn mit entsprechenden Attributen versehen werden, die schon unzählige Autoren vor im verwendet haben. Ganz klar, dass da auch der eine oder die andere Leichen im Keller hat. Außergewöhnlich ist das definitiv nicht.

Und dann sind da noch die Beschreibungen der Morde, die schon grenzwertig brutal daherkommen und mich an Autoren aus den Vereinigten Staaten erinnern, hier insbesondere Chris Carter, die der Meinung sind, dass man mangelnde Schwächen im Plot mit größtmöglich abstoßenden Schilderungen wettmachen kann. Nix für mich.

Mit etwas mehr Fingerspitzengefühl und Zurückhaltung hätte das durchaus etwas werden können, denn die atmosphärischen Beschreibungen kann man durchaus als gelungen bezeichnen. Und dazu tragen in erster Linie natürlich die Krähen hierzu ihren Teil bei. Aber aus den obengenannten Gründen werde ich die Fälle der Gruppe 4, die als Reihe geplant sind, nicht weiterverfolgen.

(2,5 von 5)