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Veröffentlicht am 14.05.2023

Verschenktes Potenzial

So weit der Fluss uns trägt
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In den amerikanischen Kulturredaktionen wurde im vergangenen Jahr kaum ein anderes Buch so sehr gehypt wie „Go as a river“, Debüt der in Colorado lebenden Autorin Shelley Read, der unter dem Titel „So ...

In den amerikanischen Kulturredaktionen wurde im vergangenen Jahr kaum ein anderes Buch so sehr gehypt wie „Go as a river“, Debüt der in Colorado lebenden Autorin Shelley Read, der unter dem Titel „So weit der Fluss uns trägt“ demnächst in deutscher Übersetzung erscheint. Und auch hierzulande gibt es fast ausnahmslos 5-Sterne-Bewertungen für das Leseexemplar.

Über einen Zeitraum von annähernd dreißig Jahren begleiten wir Victoria „Torie“ auf ihren verschlungenen Lebenswegen. Sie lebt außerhalb von Iola, einer Kleinstadt am Gunnison River in Colorado. Ihr Vater bewirtschaftet eine Pfirsichplantage, ihre Mutter, Tante und Cousin kamen bei einem Verkehrsunfall ums Leben als sie gerade einmal elf Jahre alt war. Seither führt sie den Haushalt, zu dem noch ihr Bruder Seth, ein aggressiver Trinker, und ihre Onkel, ein mürrischer Kriegsveteran im Rollstuhl, gehören. Ihr Leben ist eintönig, bestimmt von den täglichen Pflichten, bis sie Wilson Moon begegnet. Aber Indigene sind in Iola nicht gern gesehen, und so kann sie sich nur heimlich mit ihm treffen. Und so beginnt eine zarte Liebesgeschichte mit unausweichlichen Konsequenzen, die Tories Leben für immer verändern wird…

Spätestens der Vergleich mit „Der Gesang der Flusskrebse“ hätte mich misstrauisch stimmen sollen, denn schon dieses Buch konnte mich nicht überzeugen.

Keine Frage, die Landschaftsbeschreibungen sind gut gelungen, aber das ist auch schon fast alles, was „So weit der Fluss uns trägt“ zu bieten hat. Handlung gibt es kaum, und wenn doch, plätschert sie dahin wie der Gunnison River in seinem breiten Flussbett. Kein Wort über die dysfunktionale Familie und die traumatischen Auswirkungen des Unfalls auf die einzelnen Familienmitglieder. Das bleierne Schweigen, das über deren Zusammenleben liegt und zu keinem Zeitpunkt durchbrochen wird. Die Charakterisierung der Personen – und das betrifft ausnahmslos alle, selbst die Protagonistin – kratzt bestenfalls an der Oberfläche. Heimatliebe, Familie, Verlust, Rassismus, jede Menge Themen, die es wert gewesen wären, in die Tiefe zu gehen. Stattdessen langatmige und sich wiederholende Beschreibungen, die meine Geduld über die Maßen strapaziert haben.

Ein langatmig erzählter Roman, der außer jeder Menge verpasster Chancen und verschenktem Potenzial kaum etwas zu bieten hat. Schade.

Veröffentlicht am 12.05.2023

Politthriller mit leichten Schwächen

Die Macht der Wölfe
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„Die Macht der Wölfe“ beginnt relativ unspektakulär. Melia Adans Vater bittet sie um ein Treffen mit der Bundeskanzlerin, die ihre Hilfe benötigt. Diese ist Opfer einer Erpressung, denn ein von ihr verursachter ...

„Die Macht der Wölfe“ beginnt relativ unspektakulär. Melia Adans Vater bittet sie um ein Treffen mit der Bundeskanzlerin, die ihre Hilfe benötigt. Diese ist Opfer einer Erpressung, denn ein von ihr verursachter Unfall mit Todesfolge droht ihr nun auf die Füße zu fallen. Um ihre politische Karriere nicht zu gefährden, hatte sie sich der Verantwortung nicht gestellt, sondern die Eltern des Opfers mit einem großen Geldbetrag zum Schweigen gebracht. Staatssekretär Bovert, den wir bereits aus den Vorgängerbänden kennen, hat Kenntnis von diesem Vorfall und möchte dies zum Vorteil eines rechtskonservativen Netzwerks (ebenfalls aus den Vorgängern bekannt) nutzen, das politische System im Land umbauen und die Macht übernehmen will. Vincent Veih hingegen hat es mit einem kniffligen Fall zu tun. Auf einer Großbaustelle wurde Leichenteile gefunden, aber leider ist es anhand der Teile nicht möglich, die Identität des Toten festzustellen. Und natürlich wird sich im Laufe der Ermittlungen zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Fällen gibt. Stellt sich die Frage, wer der Puppenspieler im Hintergrund ist…

Kurze Kapitel aus wechselnden Perspektiven generieren nicht nur hohes Tempo, sondern halten auch das Interesse der Leser hoch. Keine Frage, Eckert schreibt spannende, realitätsnahe und thematisch brisante Politthriller, aber dass sowohl Melia als auch Vincent mit rechtskonservativen Vätern geschlagen sind…come on. Das ist dann doch schon etwas zu sehr gewollt. Was die Macht der Bilder sowie die politische Einflussnahme mit Hilfe der Medien angeht, das erleben wir tagtäglich, hier bleibt die Handlung nahe an der Realität, auch wenn ich mir hier einen differenzierteren Blick gewünscht hätte, gerade weil die Rollen von Gut und Böse zu offensichtlich verteilt sind. Und zu guter Letzt die Rollen, die Bovert, Osterkamp und Konsorten in dieser Reihe spielen. Das ist mittlerweile hinreichen bekannt, ebenso die Ziele, die sie haben. So ist auch dieser Fall lediglich eine Variation des Themas. Vielleicht sollte der Autor sie endlich aufs Abstellgleis schieben, um Platz für neue Handlungsimpulse zu schaffen.

Veröffentlicht am 11.05.2023

Die Zeit ist reif

Der letzte Sessellift
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In „Der letzte Sessellift“ begleiten wir die Brewsters: Rachel Brewster, Skilehrerin, abwesende Mutter von Adam, in einer lebenslangen Beziehung mit Molly, später Ehefrau des Englischlehrers Elliot Barlow, ...

In „Der letzte Sessellift“ begleiten wir die Brewsters: Rachel Brewster, Skilehrerin, abwesende Mutter von Adam, in einer lebenslangen Beziehung mit Molly, später Ehefrau des Englischlehrers Elliot Barlow, der im Lauf der Zeit vom Mann zur Frau wird. Adam, der außereheliche Sohn Rachels, quasi elternlos, zeitlebens auf der Suche nach seinem Vater, aufgewachsen bei seiner Großmutter, die in ihm die Liebe zum geschriebenen Wort weckt. Dazu der demente Großvater plus weitere Familienmitglieder, die sich allesamt gesellschaftlichen Konventionen verweigern und deshalb zu Außenseitern abgestempelt werden.

Auch wenn John Irving sich, wie in all seinen Romanen zu unkonventionellen Lebensentwürfen bekennt und für Toleranz wirbt, bleibt er in seinen Beschreibungen distanziert, kratzt weitgehend an der Oberfläche und taucht nicht, wie wir es von ihm erwarten, in das Innerste der Personen ein. Dafür nervt er mit endlosen Wiederholungen (Alter, Beruf, Namen) und einem Drehbuch, dessen Sinn sich mir nicht erschließen konnte. Einzig die Auseinandersetzung bzw. das zu Recht Anprangern der amerikanischen Politik bietet neue Aspekte, hier insbesondere das Anprangern der Versäumnisse der Reagan-Ära. Aber auch das kann diesen Roman nicht retten.

Die Zeit ist reif. In einem Interview hat der mittlerweile 81jährige Autor geäußert, dass „Der letzte Sessellift“ sein letzter langer Roman sein wird. Und das ist auch gut so. Irving, aus dessen Feder so herausragende Werke wie „Owen Meany“ oder „Gottes Werk und Teufels Beitrag“, zwei Bücher, die seit gefühlten Ewigkeiten einen Spitzenplatz auf meiner Liste der Lieblingsbücher einnehmen, hat hier ein Werk abgeliefert, das sich zwar auf vertrautem Irving-Terrain bewegt und stellenweise durchaus unterhält, aber dennoch über weite Strecken ermüdend ist und den Erwartungen nicht gerecht wird, da es mit bekannten Versatzstücken arbeitet, die wir in seinen früheren Werken schon wesentlich besser gelesen haben.

Veröffentlicht am 04.05.2023

Eine Verbeugung vor den Klassikern des Genres

Neun Leben
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Die Ähnlichkeiten mit Agatha Christies „And then there were none“ (1939) sind in Peter Swansons neuem Roman offensichtlich: Neun Menschen (zehn bei Christie), verteilt über die gesamten Vereinigten Staaten ...

Die Ähnlichkeiten mit Agatha Christies „And then there were none“ (1939) sind in Peter Swansons neuem Roman offensichtlich: Neun Menschen (zehn bei Christie), verteilt über die gesamten Vereinigten Staaten (eine Insel bei Christie) bekommen Post. Keine E-Mail oder WhatsApp, sondern ganz altmodisch per Brief eine identische Liste mit neun Namen zugeschickt, ihren eigenen eingeschlossen. Sie kennen sich nicht, sind sich nie begegnet, haben unterschiedliche Jobs, wohnen noch nicht einmal in der gleichen Gegend. Ein dummer Scherz? Ein Versehen? Oder doch einen Warnung? Die einen ignorieren die Liste, andere hingegen sind beunruhigt. Als der erste Tote auftaucht, beginnt Jessica Wilson, die FBI-Agentin, deren Name ebenfalls auf der Liste steht, zu ermitteln, denn offenbar ist dieser Tote lediglich der Anfang einer Serie. Denn mit jedem zusätzlichen Leichenfund ist allmählich ein Muster erkennbar. Aber wo ist die Verbindung? Die Zeit ist drängt, kann dem Mörder noch rechtzeitig Einhalt geboten werden?

„Neun Leben“ ist eine Verbeugung vor dem klassisch-traditionellen Krimis, die wir insbesondere von britischen Autoren/Autorinnen kennen, in denen die Frage nach dem Whodunit in Zentrum der Handlung steht. Aber Swanson baut hier noch einen sehr geschickten Kniff ein. Er lässt die möglichen Opfer in abwechselnden Kapiteln zu Wort kommen und thematisiert deren biografischen Hintergründe. Zum einen lernen wir dadurch die möglichen Opfer besser kennen, zum anderen ist wird das Interesse des Lesers/der Leserin auch auf das mögliche Tatmotiv gerichtet, das in einer der Biografien verborgen sein könnte. Und natürlich hält sich der Autor hierbei auch an die ungeschriebenen Gesetze der Klassiker. Es gibt von Beginn an klare Hinweise im Text, die beim aufmerksamen Lesen ins Auge fallen und mit fortschreitender Handlung entsprechend eingeordnet werden können, was allerdings nicht zu Lasten der Spannung geht.

Ein unterhaltsamer, lesenswerter Kriminalroman für all diejenigen, die es trotz der vielen Toten eher soft und unblutig mögen.

Veröffentlicht am 30.04.2023

Unerfüllte Liebe

Der Gärtner von Wimbledon
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„Der Gärtner von Wimbledon“ ist die bittersüße Geschichte einer unerfüllten Liebe über Klassenschranken hinweg. Emotional und berührend, voller Gefühl, aber nie kitschig, sondern zurückhaltend formuliert. ...

„Der Gärtner von Wimbledon“ ist die bittersüße Geschichte einer unerfüllten Liebe über Klassenschranken hinweg. Emotional und berührend, voller Gefühl, aber nie kitschig, sondern zurückhaltend formuliert. Und mit der gleichen Zurückhaltung werden auch die Klassengegensätze beschrieben, wobei die Andeutungen mehr als ausreichend sind, um sich eine eigene Vorstellung zu dem „Upstairs / Downstairs“ Leben in und um Blake Hall zu bilden. Eine kleine, feine Lektüre für zwischedurch.

Allerdings hege ich leise Zweifel daran, dass diese Geschichte einer unerfüllten Liebe tatsächlich von einer Engländerin geschrieben wurde, denn es gibt weder eine veröffentlichte bzw. geplante englische Originalausgabe noch englischsprachige Informationen zur Autorin, was mir doch einigermaßen seltsam erscheint. Sei’s drum…

Rose und Henry lernen sich 1938 auf dem Landsitz Blake Hall kennen, wo Henrys Vater nach dem Tod seiner Frau eine Stelle als Gärtner angenommen hat. Sie freunden sich an, auch wenn das von Rose‘ Familie nicht gerne gesehen wird, denn in der englischen Klassengesellschaft hat jeder seinen vorgegebene Platz in der Hierarchie. Doch die Standesunterschiede können nicht verhindern, dass zwischen den beiden eine zarte Freundschaft aufblüht. Das verbindende Element ist Rose‘ Leidenschaft für Tennis, ihr großer Traum, in Wimbledon ein Turnier zu gewinnen. Dafür trainiert sie täglich und wird von Henry unterstützt, der nicht nur den Trainingsplatz von Blake Hall tiptop in Ordnung hält, sondern auch als Balljunge fungiert und sogar als Trainingspartner in die Bresche springt, wenn sonst niemand verfügbar ist. Sie verlieben sich, träumen von einer gemeinsamen Zukunft, aber Henry ist sich der Konsequenzen durchaus bewusst, die es nach sich ziehen könnte, sollte Rose‘ Familie je von seinen Gefühlen erfahren. Sein Vater könnte seine Stelle verlieren und sie müssten Blake Hall verlassen.

Doch es ist der Zweite Weltkrieg, der das Leben auf dem Landsitz tiefgreifend verändert. Der Tennisplatz wird zum Kartoffelacker und Rose muss ihre Träume begraben, distanziert sich von Henry und verkehrt nunmehr nur noch mit ihresgleichen. Henry hingegen kümmert sich bis zu seiner Einberufung um die Pferde, doch an seinen Gefühlen für Rose ändert sich nichts. Als der Krieg vorbei ist, hat er keinen Ort mehr, zu dem er zurückkehren könnte und nimmt die Stelle als Gärtner in Wimbledon an. Ob es wohl zu einem Wiedersehen mit Rose kommen wird?