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Veröffentlicht am 08.11.2022

Der Anfang ist gemacht

Felix Blom. Der Häftling aus Moabit
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Alex Beer ist eine der ersten Adressen, wenn es um historische Kriminalromane geht, die die jeweilige Zeitgeschichte stimmig in die Handlung einarbeiten, was sie bereits mit den beiden vorliegenden Reihen ...

Alex Beer ist eine der ersten Adressen, wenn es um historische Kriminalromane geht, die die jeweilige Zeitgeschichte stimmig in die Handlung einarbeiten, was sie bereits mit den beiden vorliegenden Reihen um Inspektor August Emmerich (Handlungsort: Wien / Handlungszeitraum: nach dem Ersten Weltkrieg) und Antiquar Issak Rubinstein (Handlungsort: Nürnberg / Handlungszeitraum: 1942) bewiesen hat. Dritter im Bunde ist nun Felix Blom, der Meisterdieb, der für einen Einbruch, den er nicht begangen hat, drei Jahre Haft abgesessen und nun in die Freiheit entlassen wird. Die Inspiration zu diesem Protagonisten liefert, wie die Autorin im Nachwort mitteilt, Eugène François Vidocq, einstmals Krimineller, später Begründer und erster Direktor der Sûreté nationale und gemeinhin als Vater der modernen Kriminalistik bezeichnet.

Berlin 1878, „Felix Blom. Der Häftling aus Moabit muss sich gezwungenermaßen recht schnell mit seinen neuen Lebensumständen arrangieren. Er braucht eine Unterkunft und, noch wichtiger, eine Arbeitsstelle. Wenn er beides nicht vorweisen kann, werden sich in kürzester Zeit die Tore der Haftanstalt wieder hinter ihm schließen. Doch wie es der Zufall will, kommt ihm ein alter Bekannter zur Hilfe, was zumindest das Wohnungsproblem löst. Und dann ist da noch Mathilde Voss, eine ehemalige Prostituierte, die in der Nachbarwohnung wenig erfolgreich eine Detektei betreibt. Vielleicht könnte ein männlicher Kompagnon sie endlich auf die Erfolgsspur bringen? Zähneknirschend stimmt sie Bloms Vorschlag zu und stellt ihn als Mitarbeiter ein. Allerdings hat dieser aber mittlerweile ganz andere Sorgen. Nicht nur, dass er endlich seine Unschuld beweisen möchte, da ist auch noch diese Nachricht, die er anonym erhalten hat und in der sein Tod angekündigt wird…

Keine Frage, die Autorin versteht es, nicht zuletzt durch gründliche Recherchearbeit, Zeit und Umgebung, in denen ihre historischen Kriminalromane spielen, detailliert und darum auch überzeugend zu präsentieren. Reale historische Ereignisse werden mit dem Alltagsleben der Menschen verbunden und schaffen so eine stimmige Atmosphäre. Aber dennoch, im Vergleich mit der Emmerich-Reihe zieht Felix Blom eindeutig den Kürzeren, was mit Sicherheit dem Umstand geschuldet ist, dass Ersterer von Beginn an mit diversen Handicaps sowohl physischer als auch psychischer Natur, zu kämpfen hat, die die Sympathien des Lesers wecken. Blom hingegen konnte mich bisher nicht überzeugen, und das gilt in gleichem Maß für Mathilde. Beide wirken noch zu glatt, sind kaum zu greifen, wecken keine Emotionen, weder Mitgefühl noch Abneigung. Bleibt zu hoffen, dass sich das im Laufe der Reihe ändern wird.

Veröffentlicht am 06.11.2022

Ein Gesellschaftsroman, der gerne eine Kriminalgeschichte wäre. Oder doch umgekehrt?

Unschuld
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Im Zentrum von Takis Würgers neuem Roman „Unschuld“ steht Molly Carver, dreiundzwanzig, an Angststörungen und Panikattacken leidend und deshalb medikamentenabhängig. Sie lebt mit ihrem Onkel Mick in einer ...

Im Zentrum von Takis Würgers neuem Roman „Unschuld“ steht Molly Carver, dreiundzwanzig, an Angststörungen und Panikattacken leidend und deshalb medikamentenabhängig. Sie lebt mit ihrem Onkel Mick in einer kleinen Kellerwohnung in Queens, in der sämtliche Freiflächen mit Zeitungsartikeln über ihren Vater Florentin beklebt sind. Dieser hat sich des Mordes am Sohn der vermögenden Rosendales aus dem Hudson Valley schuldig bekannt und sitzt nun seit zehn Jahren in der Todeszelle. Nun steht der Termin für seine Hinrichtung fest und Molly, überzeugt von seiner Unschuld, bleiben nur 35 Tage, um diese zu beweisen. Dafür muss sie aber in die Vergangenheit eintauchen, und wo könnte das besser gelingen als auf dem Anwesen der Rosendales?

Ein Plot, der vertraut klingt und den wir aus zahlreichen Justizthrillern kennen. Allerdings sind es dort in der Regel die Profis, die sich dieser Herausforderung annehmen und seltener bis nie eine junge Frau mit zahlreichen Handicaps. Dieser Thriller-Aspekt tritt aber relativ schnell in den Hintergrund und macht Platz für jede Menge gesellschaftspolitischer Themen, die sich dem Autor bei seinen Aufenthalten in den Vereinigten Staaten offenbar aufgedrängt haben. Allerdings liegen diese, auch wenn man die amerikanischen Verhältnisse nur auch der Ferne betrachtet, so glasklar auf der Hand, dass man darüber kaum noch sprechen muss: Soziale Ungerechtigkeit, Superreiche, die über dem Gesetz stehen, Arme, die ihre Seele verkaufen, die Macht der Waffenlobby, tief verankert durch den zweiten Zusatzartikel zur Verfassung, Medikamentenmissbrauch, Todesstrafe und seltene Krankheit. Wenig überraschen, thematisch überfrachtet, aber genauso oberflächlich abgehandelt wie die Beschreibungen der persönlichen Beziehungen.

Ein Gesellschaftsroman, der gerne eine Kriminalgeschichte wäre? Oder doch umgekehrt? Funktioniert leider auf beiden Ebenen nicht zufriedenstellend.

Veröffentlicht am 28.10.2022

Rezepte und mehr...

Neues Backen
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Seit 2011 betreibt die Amerikanerin Laura Kratochvila die Bäckerei „Fine Bagels“, die auf jüdische Backwaren spezialisiert ist. Ihr Knowhow hat die aufgeschlossene Wahleuropäerin im Rahmen einer klassischen ...

Seit 2011 betreibt die Amerikanerin Laura Kratochvila die Bäckerei „Fine Bagels“, die auf jüdische Backwaren spezialisiert ist. Ihr Knowhow hat die aufgeschlossene Wahleuropäerin im Rahmen einer klassischen Ausbildung in Frankreich erworben und auf den verschiedenen Stationen ihres Lebensweges perfektioniert. Und nun lässt sie uns mit ihrem gerade veröffentlichten Buch „Neues Backen“ an ihren Fähigkeiten teilhaben, wobei sie sich aber nicht nur auf Rezepte beschränkt, sondern auch kulturhistorische Hintergründe und deren Auswirkungen auf das Bäckerhandwerk erläutert.

Und hier sind wir auch schon an dem Punkt, der „Neues Backen“ ausmacht. Nachdem die professionelle Bäckerzunft jahrhundertelang fest in männlicher Hand war und sich hin zu industrialisierten Produkten entwickelt hat, hat man in den vergangenen Jahren die Begeisterung für regionale und saisonale Backwaren entdeckt und damit Rezepte reaktiviert, die von Generation zu Generation von Müttern und Großmüttern zwar weitergegeben, aber auch individuell und kreativ weiterentwickelt wurden.

Laura Kratochvila nimmt uns mit 99 Backrezepten, aufgeschlüsselt in 5 Kapitel, auf eine Reise durch Europas Backstuben mit und stellt uns gleichzeitig die Visionen und Rezepte von herausragenden Bäckerinnen und Bäcker vor. Von Brot und Brötchen (inklusive einer detaillierten Beschreibung für die Herstellung von Sauerteig), über Brioches und angereicherte Teige, Plunderteil und Blätterteig, Tartes und Plätzchen, bis hin zu Konfitüren, Füllungen Toppings und Cremes, ist alles vertreten, was man über die Herstellung süßer und herzhafter Backwaren wissen muss. Alle Arbeitsschritte werden ausführlich und mit Zeitangaben beschrieben, so dass auch weniger Geübte mit den Rezepten zurechtkommen sollten. Aber gleichzeitig bieten die jedem Kapitel vorangestellten Grundrezepte genügend Spielraum, damit auch Hobbybäcker*innen ihre Kreativität ausleben können.

Eine empfehlenswerte Rezeptsammlung, für Anfänger und Fortgeschrittene gleichermaßen geeignet.

Veröffentlicht am 20.10.2022

Ein literarischer Krimi, der überzeugt

Was ans Licht kommt
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Mein Interesse an Kriminalromanen, speziell an solchen, die neben einer spannenden Story auch Innenansichten der Gesellschaft bieten, wurde vor Jahrzehnten von dem schwedischen Autorenpaar Maj Sjöwall ...

Mein Interesse an Kriminalromanen, speziell an solchen, die neben einer spannenden Story auch Innenansichten der Gesellschaft bieten, wurde vor Jahrzehnten von dem schwedischen Autorenpaar Maj Sjöwall und Per Wahlöö geweckt. Skandinavische Krimis waren damals auf dem deutschen Markt nicht wirklich präsent, geändert hat dies Henning Mankell, der mit seiner Wallander-Reihe den Geist aus der Flasche entließ. Seither wird/wurde der deutsche Buchmarkt von einer wahren Flut „Schweden-Krimis“ überschwemmt, deren Inhalte und Präsentationen in der Regel keine Alleinstellungsmerkmale bieten und sich lediglich um die Entlarvung des Täters kümmern.

Aber glücklicherweise gibt es auch die eine oder andere Ausnahme wie den Schweden Christoffer Carlsson (von Haus aus promovierter Kriminologe), dessen Kriminalromane sich weniger durch eine ausgeklügelte Story sondern durch die feinen Charakterisierungen der Personen und den Umgang des Autors mit Sprache von der Massenware unterscheiden.

„Was ans Licht kommt“ ist in seiner Schwere und Melancholie einerseits ein sehr skandinavischer Roman, zeigt andererseits aber auch die Momentaufnahme einer Gesellschaft in den achtziger Jahren, in der durch ein einzelnes Ereignis die Grundwerte an Bedeutung verlieren, in Frage gestellt werden und zutiefst verunsicherte Menschen zurücklassen.

In der Rahmenhandlung ist hier zum einen das Attentat auf Olof Palme zu finden, ein Fall, in dem bis heute der Täter nicht zweifelsfrei ermittelt werden konnte, zum anderen aber auch, und das ist hier wesentlich wichtiger, eine Mordserie in der schwedischen Provinz. In beiden Fällen war die Polizei überfordert und kam bei der Suche nach dem Täter nicht voran.

Dreißig Jahre später kehrt ein Schriftsteller in die Kleinstadt zurück, um ein Buch in Angriff zu nehmen. Er ist dort aufgewachsen, hat Interesse an dem alten Fall und rollt diesen Cold Case für seinen neuen Roman wieder auf. Zahllose Gespräche mit den Einwohnern führen ihn schließlich auf die richtige Spur, und so entlarvt er ganz nebenbei den Täter, letzteres ist allerdings für die Qualität von Carlssons Roman eher nebensächlich. Was für ihn und uns Leser von Interesse ist, sind die Auswirkungen, die diese Taten und die nachfolgenden Ermittlungen nicht nur für die Bewohner der Kleinstadt sondern auch für die ermittelnden Polizisten hatten. Hier schaut Carlsson ganz genau hin, entlarvt komplizierte Familienbande und Beziehungen, stellt die Frage nach der Wahrheit, aber auch nach Schuld und Sühne. Ein literarischer Kriminalroman, der zu überzeugen weiss.

Veröffentlicht am 19.10.2022

Informatives über das indigene Volk der Sámi

Das Leuchten der Rentiere
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Ann-Helén Laestadius kennt man in Schweden als Autorin von Kinder- und Jugendbüchern. Mit „Das Leuchten der Rentiere“ hat sie nun ihren ersten Roman für Erwachsene geschrieben, der 2021 als Buch des Jahres ...

Ann-Helén Laestadius kennt man in Schweden als Autorin von Kinder- und Jugendbüchern. Mit „Das Leuchten der Rentiere“ hat sie nun ihren ersten Roman für Erwachsene geschrieben, der 2021 als Buch des Jahres ausgezeichnet wurde. Zu Recht!

Ausgangspunkt ist der Mord an Nástegallu, dem Rentierkalb der neunjährigen Elsa aus dem nordschwedischen Sápmi, Heimat ihrer samischen Rentierzüchterfamilie. Sie beobachtet die Tat, wird aber mit eindeutigen Gesten von dem Täter bedroht. Trauer und Angst sorgen dafür, dass sie schweigt, auch wenn immer wieder in den Herden abgeschlachtete und grausam verstümmelte Tiere auftauchen. Die Polizei geht diesen Vorfällen nicht nach und behandelt die Anzeigen lediglich als minderschwere Diebstahlsfälle.

Elsa wird erwachsen, ihre Schuldgefühle machen der Wut Platz. Natürlich richtet diese sich in erster Linie gegen die angeblich tolerante schwedische Gesellschaft, die die Sámi diskriminiert und als Menschen zweiter Klasse behandelt, im konkreten Fall die Augen vor der Tatsache verschließt, dass die Rentierzucht für diese ethnische Volksgruppe nicht nur Existenzgrundlage sondern auch Ausdruck ihrer kulturellen Identität ist. Aber sie schaut auch kritisch auf die patriarchalisch geprägte Lebensweise ihrer Herkunftsfamilie, in der jede/r seinen Platz hat und bei Problemen auf Hilfe von außen verzichtet. Dieser Kampf an den verschiedenen Fronten geht nicht ohne Blessuren ab und bringt Elsa immer wieder in gefährliche Situationen.

Laestadius demaskiert die angeblich so tolerante schwedische Gesellschaft, zeigt den Rassismus und die tagtäglichen Diskriminierungen innerhalb der Gesellschaft, mit denen die samischen Rentierzüchter und ihre Familien tagtäglich zu kämpfen haben. Gleichzeitig thematisiert sie aber auch die Gefahren des Klimawandels für den Fortbestand dieser indigenen Volksgruppe. All das verbindet sie in einer ruhigen, sensiblen Erzählweise zu einer runden Geschichte, die nicht nur berührt sondern auch tiefgehend über das Leben der Sámi informiert. Nachdrückliche Leseempfehlung!