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Veröffentlicht am 19.02.2020

Unterhaltsames für zwischendurch

Exekution
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David Baldaccis Thriller sind eine sichere Bank, wenn man eine unterhaltsame Lektüre für zwischendurch sucht. Diverse Reihen und eine größere Anzahl von „Stand alones“ mit unterschiedlichen Hauptfiguren ...

David Baldaccis Thriller sind eine sichere Bank, wenn man eine unterhaltsame Lektüre für zwischendurch sucht. Diverse Reihen und eine größere Anzahl von „Stand alones“ mit unterschiedlichen Hauptfiguren und thematischen Schwerpunkten bieten eine breite Auswahl für jeden Lesegeschmack.

In „Exekution“, dem dritten Band der Memory-Man-Reihe, steht Amos Decker, der FBI-Agent mit den besonderen Fähigkeiten, im Zentrum der Handlung. Eine Sportverletzung ist dafür verantwortlich, dass er einmal Gesehenes nie mehr vergessen kann sowie eine besondere Form der Synästhesie entwickelt hat. Er wird Zeuge eines Mordes vor dem Hoover-Building, bei dem eine Passantin zielgerichtet von einem Mann erschossen wird, der sich anschließend mit einem Kopfschuss selbst tötet. Stellt sich natürlich die Frage nach den Hintergründen der Tat, denn auf den ersten Blick besteht keine Verbindung zwischen den Opfern. Beide unbescholten, er erfolgreicher Inhaber einer Sicherheitsfirma, sie eine unbedeutende Aushilfslehrerin. Die Ermittlungen gestalten sich schwierig, jede Antwort wirft gleichzeitig neue Fragen auf. Und, man ahnt es schon, natürlich war es eine geplante Tat.

Außergewöhnliches darf man hier nicht erwarten, denn Baldacci folgt den bekannten Mustern der amerikanischen Thrillerautoren. Natürlich steht die Sicherheit des Landes auf dem Spiel, natürlich ist der Ursprung des Bösen im Osten zu finden. Bis dahin ist es aber ein langer Weg von über 500 Seiten. Wie Deckers Kollegin Jamison einmal bemerkt, für jeden Schritt nach vorne geht es zwei Schritte zurück. Und das ist speziell im Mittelteil dann doch recht ermüdend für den Leser, da wiederholt Ermittlungsergebnisse rekapituliert werden, bevor neue Erkenntnisse den Fall nach vorne bringen.

Keine Frage, der Autor kann spannende Szenarien kreieren. Es ist allerdings weniger der Verlauf der Ermittlung, die Interesse weckt. Das hat man schon oft gelesen. Vielmehr sind es die involvierten Personen (wobei ich allerdings die Rückblenden zu Deckers persönlicher Geschichte eher überflüssig weil nichtssagend fand) und ihre Beziehungen, wobei es der eine mag, der andere nicht. Und auf dem Weg zur Auflösung gibt es dann glücklicherweise doch noch die eine oder andere unvorhergesehene Überraschung.

Veröffentlicht am 06.02.2020

Was wäre geschehen, wenn...?

Feindesland
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Wie hätte sich die Historie entwickelt, wenn Nazi-Deutschland den Krieg gewonnen hätte? Diese Frage scheint im englischsprachigen Raum so manchen Autor zu beschäftigen, man denke nur an Robert Harris‘ ...

Wie hätte sich die Historie entwickelt, wenn Nazi-Deutschland den Krieg gewonnen hätte? Diese Frage scheint im englischsprachigen Raum so manchen Autor zu beschäftigen, man denke nur an Robert Harris‘ „Vaterland“. Nun also auch C.J. Sansom, den Lesern hierzulande vor allem durch seine Tudor-Krimis mit Matthew-Shardlake bekannt.

„Feindesland“ spielt in England Anfang der fünfziger Jahre. Noch ist die Welt nicht aufgeteilt, Russland befindet sich noch immer im Krieg mit Deutschland. England hingegen hat kapituliert und steht unter deutscher Besatzung. Deren Kontrolle ist allgegenwärtig, die Repressalien nehmen zu, nicht nur gegenüber der jüdischen Bevölkerung. Die Regierung hat keinerlei Entscheidungsbefugnis mehr, ihre Vertreter verkommen zu Marionetten der Nationalsozialisten. Einzig Winston Churchill will sich mit diesen Umständen nicht abfinden. Er ergreift die Initiative und organisiert im Geheimen den Widerstand. Immer mehr Menschen scharen sich um ihn, auch ein Beamter der Regierung, nicht wissend, dass ihnen bereits die Häscher der Nazis auf den Fersen sind.

Sansoms Romane, sowohl die Shardlake-Reihe als auch „Winter in Madrid“, zeichnen sich immer wieder durch die atmosphärischen Beschreibungen aus, und bereits nach wenigen Seiten fühlt man sich an den jeweiligen Handlungsort versetzt. So auch hier, zumal der Autor auch reale Ereignisse wie z.B. den Londoner „Todesnebel“ von 1952 einbezieht, wodurch die Schilderungen wesentlich anschaulicher erlebt werden.

Auch die verschiedenen Protagonisten und ihre Motivationen sind allesamt sehr gut und detailliert ausgearbeitet, jeder mit seiner besonderen Geschichte und Funktion in diesem Roman. Ob das nun der desillusionierte Beamte ist, der zum Spion wird, seine Frau, die um jeden Preis ein Geheimnis bewahren muss, der in der Psychiatrie festgehaltene Freund, dessen Wissen, so es denn in falsche Hände gerät, verheerende Folgen haben könnte, oder der Menschenjäger der Gestapo, der sie aufspüren soll.

Die Geschichte ist nicht linear erzählt, sondern wechselt zwischen einzelnen Personen, Ereignissen und Zeit hin und her. Zum einen erfordert das die erhöhte Konzentration des Lesers, zum anderen hemmt es leider auch immer wieder den Erzählfluss. Aber das ist Mäkeln auf hohem Niveau, denn alles in allem ist „Feindesland“ ein spannender und interessanter Roman darüber, inwieweit bestimmte Entscheidungen den Lauf der Historie beeinflussen und gegebenenfalls ins Gegenteil hätten verkehren können.

Veröffentlicht am 03.02.2020

Eine gewöhnliche Frau in einer außergewöhnlichen Situation

Was sie nicht wusste
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Eine Frau hat eine Affäre, wird per SMS von ihrem Liebhaber in dessen Wohnung gebeten, findet ihn dort tot in einer Blutlache vor. Polizei informieren ist keine Option, denn überall in der Wohnung gibt ...

Eine Frau hat eine Affäre, wird per SMS von ihrem Liebhaber in dessen Wohnung gebeten, findet ihn dort tot in einer Blutlache vor. Polizei informieren ist keine Option, denn überall in der Wohnung gibt es Hinweise auf ihre Anwesenheit. Was macht sie? Schnappt sich den Eimer und die Bleiche und fängt an zu putzen. Beseitigt Fingerabdrücke, verstaut ihre dort deponierten Klamotten und Toilettenartikel in einer Mülltüte, damit keine Verbindung zu ihr hergestellt werden kann. Aber natürlich entwickelt sich die gesamte Aktion völlig anders als beabsichtigt.

Soweit, so bekannt. Schon zigmal gelesen. Auf den ersten Blick nichts Neues. Aber was Nicci Gerard und Sean French aus diesem Ausgangsszenario machen, verdient in der Tat einen zweiten Blick, und das liegt vor allem an der Hauptfigur Neve. Eine ganz normale Frau, Ende vierzig, doppelt belastet durch Beruf und Familie, quasi Alleinverdienerin, verheiratet mit einem mäßig erfolgreichen Illustrator, drei pubertierende Kinder, deren geregeltes Leben durch den Tod des Liebhabers und ihre nachfolgende Vertuschungsaktion gehörig auf den Kopf gestellt wird, denn eine Lüge zieht die nächste nach sich. Die Situation gerät außer Kontrolle, und ihr altes Leben steht auf der Kippe. Wusste vielleicht doch jemand aus ihrem nahen Umfeld Bescheid? Familienmitglieder? Freunde?

Ein wesentliches Kennzeichen der Thriller des Autorenduos ist zum einen die detaillierte und glaubwürdige Charakterisierung der Personen, zum anderen der sezierende Blick auf das Verhalten derselben in Extremsituationen. Dazu dann noch, wie bereits aus anderen Büchern der beiden bekannt und erwartet, das Versprechen, gänzlich unerwartete Wendungen zu beschreiben, die zusätzlich Spannung generieren. Das lösen sie ohne Frage ein, und zwar so gekonnt, dass selbst eine Vielleserin ziemlich lange braucht, um die Zusammenhänge zu erkennen. Gut gemacht!

Veröffentlicht am 01.02.2020

Blick zurück ohne Zorn

Wie Frau Krause die DDR erfand
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Isabella Krause ist vom Fach. Nein, sie betreibt keine Casting-Agentur, sie ist eine eher erfolglose Schauspielerin, aufgewachsen in der ehemaligen DDR, die sich mit kleinen Rollen über Wasser hält. Die ...

Isabella Krause ist vom Fach. Nein, sie betreibt keine Casting-Agentur, sie ist eine eher erfolglose Schauspielerin, aufgewachsen in der ehemaligen DDR, die sich mit kleinen Rollen über Wasser hält. Die Rolle der fürsorglichen Mutter bekommt sie bei einem Vorsprechen nicht, dafür überträgt ihr der Produktionsleiter eine Aufgabe, die so schwer nicht sein kann. Im Rahmen einer Dokumentation anlässlich des dreißigsten Jahrestages der Wiedervereinigung hätte er gerne Statements von Zeitzeugen aus dem Osten, und Frau Krause soll diese ausfindig machen. Nur dumm, dass die Menschen, die sie in ihrer ehemaligen Heimat findet, so gar nicht dem Klischee der Westdeutschen entsprechen. Keine Berichte über Mangel und Indoktrination, sondern eher wehmütige Rückblicke auf den Alltag vor dem Mauerbau.

Kathrin Aehnlich ist eine versierte Autorin, die mit viel Empathie und Augenzwinkern die Klischees, die noch immer in den Köpfen existieren, aufs Korn nimmt. Kommentare von Unten zu individuellen Lebensläufen, zu einem normalen Alltag, der sich dann doch nicht so gravierend von dem der Menschen im Westen unterschieden hat. Ein kleiner Roman, der für das bessere Verstehen auf beiden Seiten wirbt.

Veröffentlicht am 23.01.2020

Kalte Herzen

Der Mongole - Kälter als der Tod
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Winter in der Mongolei. Eisige Winde, meterhohe Schneewehen, Temperaturen unter minus 20 Grad. Herausforderungen, mit denen Yeruldelgger und sein Team, die Polizisten aus der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar, ...

Winter in der Mongolei. Eisige Winde, meterhohe Schneewehen, Temperaturen unter minus 20 Grad. Herausforderungen, mit denen Yeruldelgger und sein Team, die Polizisten aus der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar, in ihrem neuesten Fall zu kämpfen haben, der wesentlich komplexer ist, als es auf den ersten Blick scheint.

Einmal mehr lässt Ian Manook (hinter diesem Pseudonym verbirgt sich der französische Journalist Patrick Manoukian) seine Leser am privaten und beruflichen Leben dieser Truppe teilhaben. Und ganz nebenbei vermittelt er sowohl Einblicke in die mongolische Kultur als auch in die Probleme, mit denen dieses Land, nicht zuletzt wegen seiner geografischen Lage zwischen China und Russland, zu kämpfen hat. Ein Land zwischen Tradition und Moderne, in dem die schamanische Vergangenheit allmählich von westlichen Einflüssen überlagert wird. Die Jungen begrüßen es, die Alten sehen es mit Wehmut. Ein Land mit vielen Wunden, unglaublich reich an Bodenschätzen, in dem Städte für 50.000 Menschen wegen eines Uran-Vorkommens aus dem Boden gestampft werden. Orte, die verfallen, wenn die Minen erschöpft sind. Schamlos ausgebeutet, nicht nur von ausländischen Geschäftemachern sondern auch von den Einheimischen, die ihr Stück vom Kuchen abhaben wollen.

Fast alle bekannten Gesichter des ersten Bandes sind wieder mit an Bord: Kommissar Yeruldelgger, Solongo, die Gerichtsmedizinerin, Oyun und Billy, die Assistenten sowie Gantulga, der ehemalige Straßenjunge, dessen spurloses Verschwinden das Team in Atem hält. Eine interessante Ergänzung ist der Armenier Zarzavadjian, genannt „Zarza“, ein Kommissar oder Bahnpolizist oder doch Geheimagent in Le Havre, quasi ein Yeruldelgger 2.0 und natürlich jede Menge korrupte Gestalten, oft verborgen unter dem Mantel der Rechtschaffenheit sowie ein Oberschurke, den der Leser bereits aus dem ersten Band kennt.

Die Story ist spannend, aber komplex, es geht um Menschenhandel und Korruption, um Rache, sehr verschachtelt durch zahllose Handlungsorte, die von der Hauptstadt über postsowjetische Geisterstädte bis ins französische Le Havre führen. Die Landschaftsbeschreibungen sind wie immer intensiv, aber im Gegensatz zu dem Vorgänger nehmen diesmal leider testosterongesättigte Action und Gewaltszenen wesentlich mehr Raum ein als die Schilderung schamanischer Riten und mongolischer Traditionen. Schade, denn gerade dieses Alleinstellungsmerkmal hatte mich bei dem ersten Band der Reihe begeistert.

Natürlich ist es kein Muss, aber zum besseren Verständnis sollte man „Der Mongole“ gelesen haben, weil doch immer wieder auf die dortige Handlung Bezug genommen wird.