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Veröffentlicht am 26.06.2019

...und niemand ist ohne Schuld

Das Dorf der toten Herzen
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Spanien, im Süden. Das Hinterland von Almeria. Karg, kein Grün, rote Erde, viel Staub. Kleine Dörfer, verfallene Häuser. Dort ist Irene aufgewachsen und kehrt mit Mann und Tochter, Jacobo und Miriam, zurück, ...

Spanien, im Süden. Das Hinterland von Almeria. Karg, kein Grün, rote Erde, viel Staub. Kleine Dörfer, verfallene Häuser. Dort ist Irene aufgewachsen und kehrt mit Mann und Tochter, Jacobo und Miriam, zurück, nachdem ihr Mann seine Arbeit verloren hat und die Ersparnisse aufgebraucht sind. Doch die erhoffte Hilfe der Verwandten bleibt aus, sie werden mit Almosen abgespeist, was insbesondere bei der 14jährigen Tochter Hass gegen ihre Eltern wachsen lässt, die sie in dieses ärmliche Leben verschleppt haben. Sie wünscht ihnen den Tod. Dann wird ihre Mutter erschossen, der Vater schwer verletzt. Chatprotokolle tauchen auf, in denen sie die Mordpläne mit Freunden bespricht, einen Killer anheuern will. Eine 14jährige? Für die Dörfler ist sie schuldig, ebenso für die Polizei. Einzig Nora, eine Anwältin, sowie Miriams Vater hegen Zweifel…

Das Dorf der toten Herzen, dieser Titel beschreibt sehr treffend, was den Leser erwartet. Ein spanischer Country Noir, verortet in einer Umgebung, in der die Dürre bereits Besitz von den Menschen ergriffen und dabei sämtliche Emotionen ausgelöscht hat. Die Beziehungen sind allesamt toxisch, werden von Gleichgültigkeit und Hass dominiert. Lügen, Geheimnisse, Betrügereien sind an der Tagesordnung. Konfliktlösungsstrategien? Niente.

In Verbindung mit den stimmigen Landschaftsbeschreibungen kreiert Martinez eine dunkle Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit, die sich über die eher langatmig erzählte Story legt. Die Personen bleiben blass, definieren sich nur über ihr Verhalten. Viele Rückblenden und Perspektivwechsel gehen auf Kosten der Dynamik, man hat vielmehr den Eindruck, langsam im Treibsand zu versinken. Und niemand ist ohne Schuld.

Veröffentlicht am 25.06.2019

Superwoman rettet die Welt

Ausgezählt
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„Ausgezählt“ ist der Auftaktband einer neuen Thriller-Reihe des Autors David Baldacci. Hauptfigur ist die FBI-Agentin Atlee Pine, eine amerikanische Super Woman, wie sie im Buche steht. Draufgängerisch, ...

„Ausgezählt“ ist der Auftaktband einer neuen Thriller-Reihe des Autors David Baldacci. Hauptfigur ist die FBI-Agentin Atlee Pine, eine amerikanische Super Woman, wie sie im Buche steht. Draufgängerisch, durchtrainiert und unkaputtbar, aber – natürlich – auch traumatisiert durch ein Ereignis aus ihrer persönlichen Vergangenheit. Ihre Zwillingsschwester Mercy wurde als Kind entführt und ist seither spurlos verschwunden. Pine vermutet, dass der Serienmörder Daniel James Tor dafür verantwortlich ist. Um die quälende Ungewissheit los zu werden, befragt sie ihn im Hochsicherheitsgefängnis, aber er hüllt sich in Schweigen. So, das ist das Motiv, das sich wohl durch die gesamte Reihe ziehen wird.

Pine betreibt ein Ein-Frau-Büro in Shattered Rock nahe des Grand Canyon, unterstützt von Carol Blum, einer älteren Dame, die die Büroarbeit erledigt.Ihr tägliches Geschäft ist üblicherweise Kleinkram und dient der Sicherheit der Touristenattraktion, bis zu dem Tag, als ein totes Maultier in einer Schlucht im Canyon gefunden wird. Bauch aufgeschlitzt mit zwei eingeschnittenen Buchstaben im Balg, auf die sich niemand einen Reim machen kann. Atlee verbeißt sich in den Fall, der weitaus mehr ist, als es zunächst scheint, denn höchste Regierungskreise sind darin verwickelt. Und unterstützt von Carol und einem Ranger wendet sie im letzten Moment eine schreckliche Katastrophe ab und rettet die Welt.

Soweit die Superheldinnenstory, die alles hat, was man von einem Popcorn-Thriller erwartet. Eine strahlende Heldin, die sich über Anordnungen hinwegsetzt, böse, ganz böse Schurken, eine liebenswerte Oma-Assistentin mit ungeahnten Fähigkeiten und natürlich auch einen muskelbepackten Naturburschen, der alle Herausforderungen auf sich nimmt, um die geliebte Superwoman zu unterstützen. To be continued…

Nette Unterhaltung für zwischendurch, die allerdings sehr konstruiert daherkommt und sämtliche Klischees bedient. Daran ändert auch die weibliche Hauptfigur nichts.

Veröffentlicht am 09.06.2019

Alex Beer setzt Maßstäbe

Der dunkle Bote
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Wien, wir schreiben das Jahr 1920, Oktober/November. Der Erste Weltkrieg ist zu Ende, der Versailler Vertrag kennt kein Pardon mit den Verlierern. Chaos und Elend wo man hinschaut. Kriegsheimkehrer bevölkern ...

Wien, wir schreiben das Jahr 1920, Oktober/November. Der Erste Weltkrieg ist zu Ende, der Versailler Vertrag kennt kein Pardon mit den Verlierern. Chaos und Elend wo man hinschaut. Kriegsheimkehrer bevölkern die Straßen, alles ist knapp. Keine Arbeit, kein Geld. Der Schleichhandel blüht, und wer noch Reserven hat, versorgt sich auf dem Schwarzmarkt. Alle anderen frieren und hungern, leben von der Hand in den Mund. Die Rattenfänger aus dem rechten, linken und antisemitischen Lager haben Hochkonjunktur. Die Jugendlichen organisieren sich in Banden, genannt „Platten“, und ringen um die Vorherrschaft. Das Verbrechen blüht. Waffenhandel, Valutenschmugel, Mord, alles da.

Kriminalinspektor August Emmerich und sein Assistent Ferdinand Winter von der Abteilung „Leib und Leben“ geht die Beschäftigung nicht aus, denn ein Serienmörder treibt in den Gassen der Metropole sein Unwesen, von der Presse als der „dunkle Bote“ bezeichnet. Immer wieder tauchen Leichen auf, die zwei Gemeinsamkeiten haben. Zum einen fehlt ihnen die Zunge, zum anderen taucht zum jeweiligen Mordfall ein mysteriöses Bekennerschreiben mit römischer Zahl auf, das die beiden ratlos zurück lässt. Die Zeit drängt, ist doch der Ermittlungserfolg an den Umzug in ein größeres Büro gekoppelt. Nur gut, dass sie von der „Hühnerarmee“, den Frauen aus dem Schreibbüro, unterstützt werden.

Aber es sind nicht nur die Morde, die Emmerich umtreiben. Noch immer sucht er nach seiner entführten Luise und den Kindern, aber seine verzweifelten Bemühungen bleiben ohne Ergebnis, laufen ins Leere.

Auch der dritte Kriminalroman mit August Emmerich zeichnet sich durch die gelungene Verbindung zwischen spannendem Kriminalfall und einer sehr gut recherchierten, atmosphärisch starken Schilderung der Lebensbedingungen in der österreichischen Metropole nach dem Krieg aus. Die historischen Details sind korrekt wiedergegeben und fügen sich nahtlos und unterstützend in die Geschichte ein.

Für mich ist „Der dunkle Bote“ definitiv der beste Band der Reihe, und man darf sich schon auf die am Ende des Buches angedeutete Fortsetzung freuen. Alex Beer setzt im Genre des historischen Kriminalromans mit dieser Reihe Maßstäbe, und ich bin fest davon überzeugt davon, dass sie dieses Niveau auch in den Nachfolgern nicht nur halten kann sondern auch halten wird.

Veröffentlicht am 08.06.2019

Rassismus in Amerika

Die Nickel Boys
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Wie bereits in „Underground Railroad“ widmet sich Colson Whitehead in seiner neuesten Veröffentlichung „Die Nickel Boys“ einem weiteren Kapitel des amerikanischen Rassismus und hält sich dabei eng an verbriefte ...

Wie bereits in „Underground Railroad“ widmet sich Colson Whitehead in seiner neuesten Veröffentlichung „Die Nickel Boys“ einem weiteren Kapitel des amerikanischen Rassismus und hält sich dabei eng an verbriefte Tatsachen. Ich scheue mich, dieses Buch einen Roman zu nennen, fusst die Geschichte doch auf realen Ereignissen: Die Florida School for Boys (später bekannt geworden als die Dozier School), zwischen 1900 und 2011 (Schließung), eine Anstalt für schwer erziehbare Jugendliche, bildet den Hintergrund für die menschenunwürdige Behandlung und die abscheulichen Verbrechen, die den in deren Obhut gegebenen Kindern und Jugendlichen durch das „pädagogische Personal“ angetan wurden.

Stellvertretend schildert Whitehead das Schicksal von Elwood, einem intelligenten Jungen, aufgewachsen bei seiner Großmutter, der sich früh für die Ideen von Dr. Martin Luther King begeistert und dem Irrglauben anhängt, das eines Tages auch Afroamerikaner die gleichen Rechte wie Weißen haben könnten. Weit gefehlt, denn er ist zur falschen Zeit am falschen Ort und gerät so in die Mühlen eines Systems, das geprägt ist von Diskriminierung, Verachtung und Brutalität gegenüber der schwarzen Bevölkerung. Er muss unglaubliche Grausamkeiten erdulden, mitansehen, wie Freunde zu Tode geprügelt und verscharrt werden. Erkennen, dass er sich in einem rechtsfreien Raum befindet, in dem ein schwarzes Leben nichts gilt.

„Die Nickel Boys“ ist ein wichtiges Buch, ein dokumentarischer Roman, der das Leben in der Dozier-Anstalt unaufgeregt und deshalb umso eindrücklicher und zu Herzen gehend schildert. Der den Blick auf ein Amerika richtet, in dem bis heute trotz „Black lives matter“ ein schwarzes Leben nichts gilt. In dem das Rechts-, Ordnungs- und Strafvollzugswesen noch immer von einem tief sitzenden Rassismus dominiert wird. In dem jeder Dritte Häftling Afroamerikaner in Haft ist, obwohl deren Anteil an der Bevölkerung nur 13 % beträgt (Zahlen von 2013). In dem die Alt Right Bewegung auf dem Vormarsch ist. In dem der amtierende Präsident aktiv die Spaltung der Gesellschaft vorantreibt und Rassismus wieder gesellschaftsfähig gemacht hat.

Veröffentlicht am 06.06.2019

Wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen

Eine Handvoll Asche
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Auch im dritten Band der Reihe mit Captain Sam Wyndham, dem Ex-Detective von Scotland Yard, und seinem Assistenten Sergeant Surrender-not Banerjee bleibt der Autor Abir Mukherjee seinem außergewöhnlichen ...

Auch im dritten Band der Reihe mit Captain Sam Wyndham, dem Ex-Detective von Scotland Yard, und seinem Assistenten Sergeant Surrender-not Banerjee bleibt der Autor Abir Mukherjee seinem außergewöhnlichen Setting treu und verarbeitet einmal mehr ein Stück britischer Kolonialgeschichte in einer spannenden Krimi-Story. Handlungsort ist wieder Kalkutta, wir schreiben das Jahr 1921. Indien erwacht allmählich aus seinem Dämmerschlaf, will nicht länger unter dem Joch der Kolonialmacht leben. Die Bestrebungen nach Unabhängigkeit nehmen zu. Indische Gruppen organisieren sich, Unruhen kündigen sich an, die eine Gefahr für den bevorstehenden Besuch des Prince of Wales darstellen. Man fürchtet um dessen Leib und Leben, muss die Aufständischen in Schach halten

Doch das ist nicht das einzige Problem, mit dem sich Wyndham herumschlagen muss. Sein Rauschmittelkonsum bringt ihn in eine prekäre Lage. Nichts mit seligem dahindämmern, sondern Flucht vor den eigenen Kollegen bei der Razzia in einer Opiumhöhle, wobei er über eine brutal verstümmelte Leiche stolpert. Noch ahnt er nicht, dass dies nur der Auftakt einer Reihe grausamer Ritualmorde ist, bei deren Aufklärung dem Ermittlergespann von offizieller Seite jede Menge Steine in den Weg gelegt werden.

Ein historischer Kriminalroman vom Feinsten. Auf der einen Seite ist es natürlich die „exotische“ Kulisse mit all ihren politischen, ethnischen und gesellschaftlichen Spannungen, der Pracht und dem Elend dicht nebeneinander, die Mukherjees Roman zu etwas besonderem macht, nicht zu vergessen die liebevoll gezeichneten Charaktere mit ihren Stärken und Schwächen. Zum anderen hält sich der Autor eng an die historisch verbrieften Fakten und setzt diese gekonnt in seiner Story ein. Und vielleicht weckt er so auch bei dem einen oder anderen Leser Interesse, sich – gerade in Zeiten des Brexit scheint mir das wichtig - über die Krimihandlung hinaus mit der Thematik des britischen Empire zu beschäftigen. Denn nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen.