Vom untergehen – und Luft zum Atmen finden
A Study in DrowningDieses Buch ist ein kleines Kunstwerk. Die gestalterischen Entscheidungen von Ava Reid greifen nahtlos ineinander, schaffen zusammen etwas, was größer ist als die Summe seiner Teile.
Da wären die Charaktere. ...
Dieses Buch ist ein kleines Kunstwerk. Die gestalterischen Entscheidungen von Ava Reid greifen nahtlos ineinander, schaffen zusammen etwas, was größer ist als die Summe seiner Teile.
Da wären die Charaktere. Natürlich, die Hauptperson, Effy. Eine junge Frau, Architekturstudentin, obwohl ihr nichts mehr bedeutet als das Hauptwerk ihres Lieblingsautors, Myrddin, erfüllt von Sehnsucht danach dieses in Literatur studieren zu dürfen. Effy, die in ihrem Leben gelernt hat sich selber zu misstrauen und sich trotzdem versucht zu weigern genau das zu tun. Als sie eingeladen wird, den Bauplan für das Haus des Nachlasses ihres Lieblingsautors zu erstellen trifft sie Preston, unsere zweite Hauptperson, einen Literaturstudenten, der seine ganz eigene Vermutung über Myrddin untersuchen will. Die Zahl der Charaktere ist insgesamt sehr aufs Wesentliche reduziert, der Fokus liegt auf der Qualität, nicht der Quantität, denn diese Charaktere haben Tiefe und Vielschichtigkeit und eine ungewöhnliche Realität. Der Gedanke sie als Archetypen zu lesen verbietet sich an ihrer Menschlichkeit, die wiederum die ultimative Einladung ist sich selber in ihnen zu finden.
Wie eine Einladung, oder eher, eine neckende Herausforderung, lasen sich für mich manche der Stilistischen Mittel. Ein Buch über ein Buch. Mit der Zeit verschwammen für mich das eine Buch und das andere, verwob sich die Welt um mich herum mit der in „a study in drowning“, spiegelte mein Leseerlebnis den Rechercheprozess von Effy und Preston. Die wortgewaltigen, poetischen Beschreibungen des Meers imitieren in ihrer Funktion das Meer selber und tragen diese Erzählung. Die magisch-mythischen Elemente und das Ringen um Wahrheit haben für mich einen großen Reiz an diesem Buch ausgemacht. In der dritten Person, aber dennoch aus Effys Sicht, lernen wir diese Welt kennen. Werden mit dem konfrontiert, was für sie wichtig ist und dem, was sich an Gewohnheit in ihr Leben geschlichen hat und vielleicht jetzt erst wichtig für sie wird.
Es ist ein feministisches Buch, ja. Es ist ein Buch über unsere Natur, über Naturgewalt. Es ist ein Buch über Verrücktheit. Es ist ein Buch, in dem es auf allen Ebenen und in allen nur möglichen Arten ums „Ertrinken“ geht, der Titel ist wunderbar treffend. Es ist aber gleichzeitig nicht ein Buch nur über etwas. Es ist ein Buch, dass Nuancen mitnimmt und, bei aller Aussagenstärke, offen bleibt für jede einzelne lesende Person. Ein Buch das uns mitnimmt, mitunter wohl auch mitreißt. Ein Buch, dass alles in seiner Macht stehende tut um uns zu helfen am Ende auch wieder aufzutauchen. Es ist nicht so, dass Preston mit Effys Wunden alles richtig macht, immer das Richtige sagt. Er sagt mitunter genau die Sätze, die sicherlich auch für viele Lesende Wunden sind. Aber Ava Reid schafft es, dass es am Ende doch Balsam ist, dass all das schmerzhafte der Heilung dient. Vielleicht sind manche Szenen gerade in dieser Unperfektion zu Perfekt, die Reflexionsfähigkeit von Effy und Preston und ihr Umgang miteinander unglaubwürdig schön. Aber es ist eben schön und warm, in einem Buch, was sich nicht scheut bis in die dunkelsten und kältesten Winkel dessen zu gehen, was nunmal, nunja, nicht schön ist, wie soll ich diesem Buch das also vorhalten?
Ich werde dieses Buch, glaube ich, noch öfter lesen. Ich habe ein Stück von mir darin gefunden und auch ein Stück von mir darin verloren. Bücher wie dieses bleiben lange lebendig.