Eigenständig lesbar; Spannungskurve und Hauptfiguren flach; Kenntniszuwachs zu 1880ern
Der weiße AhornWarnung vorab: Das Verzeichnis zu den wichtigsten Figuren sollte aufgrund von Spoilern nicht gelesen werden. Dies ist auch nicht nötig, weil die Anzahl der Figuren überschaubar bleibt.
Dargestellt werden ...
Warnung vorab: Das Verzeichnis zu den wichtigsten Figuren sollte aufgrund von Spoilern nicht gelesen werden. Dies ist auch nicht nötig, weil die Anzahl der Figuren überschaubar bleibt.
Dargestellt werden - kapitelweise wechselnd - von 1881 bis 1883 die Perspektiven von Hermann, Leitung eines erfolgreichen Schuhfertigungsfamilienbetriebs in Berlin, sowie seinen Kindern, den jungen Erwachsenen Theodor, Georg und Rosa.
Wirkt stimmig recherchiert, ohne Wow-Effekte auszulösen (z. B. hat mich die Hansen-Saga von Ellin Carsta mehr fasziniert): Leben der „gehobenen“ arbeitenden Bürger in den 1880ern in Berlin, Geschlechterrollen, Ozeanüberquerung und weiterer Weg gen Westen, Pionierstimmung der Europäer, Natur in den bis dato wenig erschlossenen Teilen der USA.
Emanzipation im Wilden Westen, Gleichbehandlung unterschiedlicher Hautfarben und Religionen, Familientradition und familienübergreifendem Zusammenhalt verleiht die Autorin Mina Baites dabei eine persönliche Note. Es ist spürbar, dass ihr die Vermittlung dieser universell wichtigen Themen viel bedeutet.
Der Roman lässt sich flüssig und ohne Verständnis- und Orientierungsschwierigkeiten lesen. Für meinen Geschmack allerdings stilistisch zu seicht geraten. In Bezug auf Emotionen und Spannung wollte der Funke bei mir nicht überspringen. Die Fährten zur Auflösung von Rätseln sind plakativ. Dementsprechend wurde ich nie überrascht oder beeindruckt.
Einige Figuren machen eine charakterliche Entwicklung durch. Das empfand ich manchmal als sprunghaft bzw. fühlte mich vor vollendete Tatsachen gestellt, weil mir die Gedanken- und Gefühlswelt auf dem Weg dahin zu kurz kam. Oder sprachlich zu melodramatisch oder gekünstelt war, z. B. Ausdrücke wie „Das Herz wurde ihr schwer.“ „das Brennen in ihrem Inneren wollte nicht verebben“, „ihr Blut in Wallung" (alles Zitate aus Kapitel 2). Die Autorin scheint Taten für sich sprechen lassen zu wollen. Dabei fallen Unstimmigkeiten umso mehr auf. Beispielsweise gibt sich Rosa freiheitsliebend, ist aber auch auf ihre äußerliche Erscheinung bedacht und sucht regelmäßig Schutz und Unterstützung ihrer männlichen Begleiter.
Die Hauptfiguren sind als tolerante und herzensgute Menschen skizziert. Eigentlich Garant, um Sympathien zu gewinnen (vgl. z. B. Harry und Maisie Clifton in der bekannten Saga von Jeffrey Archer). Hier nahm das aber manchmal Formen an, die bei mir Kopfschütteln verursachten, das Mitfühlen erschwerten und das Identifikationspotenzial minderten. Beispielsweise Beinahe-Vergewaltiger ungeschoren davonkommen lassen zu wollen. Innere Konflikte klingen an, kommen insgesamt aber zu kurz.
Die Perspektive von Georg ist mein Favorit. Allerdings aufgrund des exotischen Umfelds, nicht wegen eines außergewöhnlichen Charakters, denn mir blieb über weite Strecken schleierhaft, was er fühlt und welche Vorstellungen er vom persönlichen Glück hat.
Die Nebenfiguren sind weniger bieder, stattdessen individuell und greifbar.
Ab der Mitte, wenn es über den Klappentext hinausgeht, wird es interessanter.
Da mich der Auftakt zur Saga nicht vom Weiterlesen überzeugen konnte, freue ich mich umso mehr, dass es ein zufriedenstellendes und stimmiges Ende gibt, welches alle aufgeworfenen Fragestellungen beantwortet. Gefreut habe ich mich außerdem über das Nachwort, in dem die Autorin darauf eingeht, welche Figuren historischen Persönlichkeiten nachempfunden sind. Wer besonders wissbegierig ist, kann obendrein auf ein Quellenverzeichnis zurückgreifen.
Diese Transparenz und faires Marketing lässt mich den Roman mit positivem Gefühl abschließen.