Profilbild von Karin1910

Karin1910

Lesejury Star
offline

Karin1910 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Karin1910 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.07.2022

Wichtiges Thema langatmig dargestellt

Noise
0

Das Thema, dem sich dieses Buch widmet, ist sicherlich interessant und hat vor allem einen breiten Anwendungsbereich und damit einhergehend einige Relevanz.
Es geht darum, wie Entscheidungen von Personen ...

Das Thema, dem sich dieses Buch widmet, ist sicherlich interessant und hat vor allem einen breiten Anwendungsbereich und damit einhergehend einige Relevanz.
Es geht darum, wie Entscheidungen von Personen sowie Organisationen durch Noise = „Rauschen“ beeinträchtigt werden. Im Gegensatz zu Bias sind hierunter keine systematischen Fehler oder Vorurteile zu verstehen, sondern es handelt sich um den „Faktor Zufall“ bei der Urteils- und Entscheidungsfindung. Dieser kann diverse Ursachen haben, von Unterschieden in der individuellen Grundeinstellung bis hin zur Tagesform des Entscheidenden.
Insgesamt führt dies alles beispielsweise dazu, dass vergleichbare Straftaten von verschiedenen Richtern mit sehr unterschiedlichen Strafen bedacht werden, Ärzte für denselben Patienten unterschiedliche Diagnosen stellen oder sogar die Ergebnisse der Analyse von Fingerabdrücken voneinander abweichen.

Diese und allerlei weitere Beispiele stellen die Autoren in (teilweise zu) großer Ausführlichkeit vor. Immerhin wird so deutlich, dass es sich um ein wichtiges Problem handelt, welches für diverse negative Folgen wie Ungerechtigkeiten, finanzielle Verluste oder sogar Gesundheitsschäden verantwortlich ist. Dennoch war mir die Aufzählung von gefühlt hunderten Studienergebnissen doch etwas zu viel.
Auch sonst sind die Ausführungen oft zu langatmig. Zwar werden zahlreiche interessante Punkte angesprochen: Neben Erklärungen dazu, wie Noise entsteht und wie es gemessen werden kann, geben die Autoren auch Ratschläge, welche Vorgehensweisen es verhindern oder zumindest deutlich reduzieren können, überlegen abschließend aber auch, ob es nicht gute Argumente dafür geben kann, ein gewisses Maß an Noise zu tolerieren. Abgerundet wird das Ganze durch Leitfäden für die praktische Umsetzung.
All dies wird jedoch lang und breit und vor allem sehr technisch dargestellt, sodass die tatsächlich spannenden Passagen beinahe untergehen. Wenn schon Beispiele gegeben werden, hätten diese lebendiger beschrieben werden sollen. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass trotz allen Bemühens um wissenschaftliche Strenge Bias und Noise nicht immer klar voneinander getrennt, sondern bisweilen alle möglichen Formen von Abweichungen und Fehlern in einen Topf geworfen werden. Ebenfalls störend fand ich, dass sich manche Aussagen ständig wiederholen.

Dennoch kann die Lektüre dieses Werkes lohnend sein, insbesondere für Personen, welche die Qualität der in ihren Organisationen getroffenen Entscheidungen verbessern möchten. Es regt an, bisherige Vorgehensweisen zu hinterfragen und gibt Tipps für Verbesserungsmöglichkeiten– auch wenn sicher nicht jeder davon in jedem Umfeld umgesetzt werden kann. Man muss sich aber eben auch durch langweiligere Passagen quälen und darf keinen großen Unterhaltungswert erwarten.

Veröffentlicht am 10.07.2022

Wer ist Martin Guerre?

Die Frau, die liebte
0

Ich habe dieses Buch zufällig in der Bibliothek entdeckt und spontan mitgenommen. Dass der Inhalt von einem realen Strafrechtsfall aus dem Frankreich des 16. Jahrhunderts inspiriert ist, macht die Sache ...

Ich habe dieses Buch zufällig in der Bibliothek entdeckt und spontan mitgenommen. Dass der Inhalt von einem realen Strafrechtsfall aus dem Frankreich des 16. Jahrhunderts inspiriert ist, macht die Sache schon mal interessant, wobei ich natürlich nicht beurteilen kann, wie weit sich die Autorin an die überlieferten Fakten gehalten hat bzw wie viele Fakten überhaupt überliefert wurden. Herausgekommen ist jedenfalls folgende Geschichte:
Bertrande war erst elf, als sie mit dem in etwa gleichaltrigen Martin Guerre verheiratet wurde. Eine arrangierte Ehe im großbäuerlichen Milieu. Mit der Zeit entwickeln die beiden aber doch Gefühle füreinander und führen eine einigermaßen glückliche Beziehung, bis Martin eines Tages seine Familie verlässt. Er wollte nur für ein paar Tage fortbleiben, doch seine Abwesenheit zieht sich immer länger hin.
Bis er nach Jahren plötzlich wieder auftaucht. Jedenfalls sind alle aus Familie und Gesinde überzeugt davon, dass es sich bei dem Mann, der schnell in seine Rolle als Haushaltsvorstand hineinfindet, um Martin handelt. Lediglich Bertrande beschleichen zunehmend stärkere Zweifel.

Obwohl die eigentliche Romanhandlung nur ca 120 Seiten umfasst, werden hier doch einige interessante Themen angesprochen. In erster Linie natürlich die Frage, wie jemand seine Identität beweisen kann bzw wie man umgekehrt beweisen kann, dass jemand trotz aller Ähnlichkeit nicht derjenige ist als der er sich ausgibt. Auch die Familien- und Gesellschaftsstrukturen der damaligen Zeit werden portraitiert. Es ist bezeichnend, dass Bertrande den neuen Martin gerade deshalb verdächtigt ein anderer zu sein, weil er um vieles umgänglicher ist als es ihr Ehemann früher war und nicht die Härte seines Vaters besitzt.
Erzählt wird überwiegend aus Bertrandes Perspektive, zu der ich aber dennoch keine richtige Beziehung aufbauen konnte. Dies ist nicht nur der Kürze des Textes, sondern vor allem dem abstrakten Stil geschuldet. Es gibt zwar sehrwohl einige beeindruckende Szenen und ich fand es auch ganz spannend, was bei dem Prozess wohl rauskommen wird, wirklich packend ist die Handlung allerdings nicht.

Die Einschätzung, dass „dieser Roman mit zum Besten gehört, was die amerikanische Literatur zu bieten hat“ kann ich daher nicht ganz nachvollziehen.
Dennoch ist die Geschichte immerhin ungewöhnlich und regt zum Nachdenken an. Es wundert mich, dass dieses im Original bereits 1941 erschienene Buch erst 2018 ins Deutsche übersetzt wurde.

Veröffentlicht am 10.07.2022

30 Episoden aus dem Berufsleben eines Strafrichters

In allen Punkten
0

Der Strafrichter (und frühere Exekutivbeamte) Helmut Wlasak berichtet hier von 30 Fällen aus seiner Berufslaufbahn. Das hört sich schon mal interessant an und tatsächlich wird eine bunte Mischung an Sachverhalten ...

Der Strafrichter (und frühere Exekutivbeamte) Helmut Wlasak berichtet hier von 30 Fällen aus seiner Berufslaufbahn. Das hört sich schon mal interessant an und tatsächlich wird eine bunte Mischung an Sachverhalten und Straftaten geschildert.
Teilweise werden amüsante Begebenheiten beschrieben, wenn beispielsweise der Angeklagte halb nackt vor Gericht erscheint oder jemand so gar nicht einsehen will, wieso er eine Prüfung ablegen muss, um einen legalen Führerschein zu bekommen. Aber auch schlimmere Verbrechen werden thematisiert, etwa Terrorismus oder (mehr oder weniger erfolgreiche) Drogengeschäfte. Dennoch sind die Texte immer wieder mit einigem Humor gewürzt.
Der Stil hat mir gut gefallen. Das Buch liest sich wie ein Roman, die meisten Vorfälle werden aus unterschiedlichen Perspektiven geschildert und es wird einige Spannung aufgebaut.
Für meinen Geschmack sind die Kapitel nur etwas zu kurz. Außerdem hätte ich mir ein paar mehr (juristische) Hintergrundinformationen gewünscht.
Ebenfalls gefehlt hat mir eine Art Einleitung oder ein Schlusswort, wo der Autor mehr über seinen Werdegang erzählt und vielleicht ein bisschen was dazu sagt, wie es zu diesem Buch gekommen ist, wie genau er in die jeweiligen Fälle involviert war oder nach welchen Kriterien die Geschichten ausgewählt wurden. Auch Angaben zur zeitlichen Einordnung der Geschehnisse wären schön gewesen, wobei hier aber wahrscheinlich der Datenschutz entgegenstand.

Veröffentlicht am 10.07.2022

Genetische (und umweltbedingte) Ursachen für Krankheiten

Der unangepasste Mensch
0

Martin Brüne, Professor für Psychiatrie, lotet hier aus, wie unser evolutionäres Erbe noch heute unsere Gesundheit und unser Verhalten beeinflusst. Im Gegensatz zu den meisten anderen Werken zu diesem ...

Martin Brüne, Professor für Psychiatrie, lotet hier aus, wie unser evolutionäres Erbe noch heute unsere Gesundheit und unser Verhalten beeinflusst. Im Gegensatz zu den meisten anderen Werken zu diesem Thema konzentriert er sich dabei nicht nur auf körperliche Folgen, sondern räumt auch der menschlichen Psyche viel Raum ein, spürt etwa den Ursachen für psychische Erkrankungen nach. Dabei zeigt sich, dass wir Angehörige der Spezies Homo sapiens auch in diesem Bereich weitaus mehr unseren Genen bzw einem Zusammenspiel zwischen Genen und Umwelt unterworfen sind, als wir gerne glauben würden.
Er überlegt beispielsweise, wie besonders frühe oder späte Mutterschaft durch unterschiedliche Fortpflanzungsstrategien erklärt werden kann, welche Folgen Vernachlässigung oder traumatische Erfahrungen in der Kindheit je nach genetischer Prädisposition haben können, wie die Darmflora den ganzen Körper beeinflusst oder welche Auswirkungen Stress hat.

Der Inhalt ist großteils interessant, regt zum Nachdenken an und ließ mich einige Dinge aus einer anderen Perspektive betrachten.
Bisweilen sind die Ausführungen und die hergestellten Zusammenhänge jedoch sehr spekulativ, was der Autor immerhin meist auch eingesteht. Außerdem neigt er zu Abschweifungen. Nicht nur, dass sich manchmal ganze Abschnitte vom eigentlichen Thema entfernen und es etwa im letzten Kapitel hauptsächlich um die Mängel des heutigen Medizinsystems geht. Es fließen auch sonst zu häufig diverse kritische bis polemische Bemerkungen ein, die der Sache nicht unbedingt dienen, da sie von den eigentlichen Aussagen ablenken. So ist es beispielsweise sicher gerechtfertigt zu konstatieren, dass die meisten Menschen mit ihrem Auto sorgsamer umgehen als mit ihrem Körper. Sich dann aber noch darüber auszulassen, dass Zigarettenkippen auf die Straße statt in den Aschenbecher geworfen werden, ist entbehrlich. Ebenso wie regelmäßige Anspielungen auf die Flüchtlingskrise.

Dennoch ein lesenswertes Buch, das erhellende Einsichten darüber bietet, wie die Evolution arbeitet und welche Schlüsse wir daraus für unser Leben und unsere Gesellschaft ziehen können.

Veröffentlicht am 10.07.2022

Auf der Spur des William Wallace

Die Runen der Freiheit
0

Spätestens seit „Braveheart“ ihn bildgewaltig in Szene gesetzt hat, ist der Freiheitskampf der Schotten eine gern genutzte Kulisse für spannende Geschichten. Michael Peinkofers Roman ist mindestens ebenso ...

Spätestens seit „Braveheart“ ihn bildgewaltig in Szene gesetzt hat, ist der Freiheitskampf der Schotten eine gern genutzte Kulisse für spannende Geschichten. Michael Peinkofers Roman ist mindestens ebenso dramatisch wie die Verfilmung und doch deutlich näher an der Realität.
Im Mittelpunkt steht Eadric, der in Schottland als Bastard eines Burgherren geboren wurde und dessen Kindheit vom Desinteresse seines Vaters und den Gehässigkeiten seines Halbbruders geprägt war. Immerhin findet er als geschickter Bogenschütze in der Armee des englischen Königs sein Auslangen. Da erhält er ein überraschendes Angebot: Den Ritterschlag und ein Lehen kann er erringen - wenn es ihm gelingt, William Wallace zu töten, den Anführer des schottischen Widerstands.
Eadrics Mission nimmt einen unerwarteten Verlauf und bald erkennt er, dass er bei Wallace und seinen Verbündeten zum ersten Mal so etwas wie eine Heimat findet und das Gefühl hat, für eine gerechte Sache zu kämpfen.

Diese Geschichte wird in einem mitreißenden Stil erzählt und besticht vor allem durch die geschickt gezeichneten Charaktere. So ist Eadric kein typischer Held, sondern ein Mensch mit Unsicherheiten und Schwächen, der letztlich doch über sich hinauswächst. Ich konnte seine Zweifel und seine Zerrissenheit zwischen verschiedenen Loyalitäten und Zielen gut nachfühlen. Auch William Wallace wird nicht glorifiziert. Er kann unbeherrscht und grausam sein, wirkt aber ehrlich in seinem Bestreben, die Lebensbedingungen der einfachen Leute zu verbessern. Viele Nebendarsteller sind ebenso facettenreich. Selbst manch verwerfliche Handlungen sind auf eine gewisse Weise verständlich.
Beim historischen Hintergrund wurde zwar sicher einiges vereinfacht oder gestrafft. Die Darstellung dürfte sich aber doch weitgehend an den tatsächlichen Gegebenheiten orientieren.

Fazit: Wer Braveheart mochte, wird dieses Buch lieben. Aber auch allen anderen Fans von historischen Romanen kann ich es nur weiterempfehlen. Hier wird eine interessante Epoche portraitiert, in der gegen Unterdrückung gekämpft wurde, die aber auch von Intrigen und Verrat geprägt war.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere