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Veröffentlicht am 15.03.2023

Über eine interessante Frau

Vor Frauen wird gewarnt
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Heidi Rehn widmet sich in ihrem Roman “Vor Frauen wird gewarnt” dem Leben und Werk Vicki Baums. Beginnend mit ihrer Anstellung als Redakteurin beim Ullsteinverlag, zeichnet sie die Berliner Jahre der Autorin ...

Heidi Rehn widmet sich in ihrem Roman “Vor Frauen wird gewarnt” dem Leben und Werk Vicki Baums. Beginnend mit ihrer Anstellung als Redakteurin beim Ullsteinverlag, zeichnet sie die Berliner Jahre der Autorin nach: Von ihren ersten Tagen im Verlagshaus bis zu ihren nationalen Erfolgen als Schriftstellerin, der Verfilmung ihrer Romane und schließlich ihres internationalen Ruhms. Vicki Baum tritt dabei stets als willensstarke, selbstständige und freiheitsliebende Frau in Erscheinung. Sie verkörpert das Ideal der Neuen Frau, die modern sein will und sich nicht Regeln und Einschränkungen unterwerfen will. Sie genießt das Berliner Nachtleben, führt eine offene Ehe und stellt ihr berufliches Weiterkommen über alles andere.

Der Roman beschwört die Zwanziger Jahre auf lebendige Weise herauf und lässt ihre Leser an der Atmosphäre dieser Zeit teilhaben. Vickis Beziehungen, ihre Freundschaften, ihr Alltag, ihre Gedankenwelt und auch die Kämpfe, die sie als Frau auszutragen hat, fügen sich zu einem Bild zusammen, das durch seine Vielschichtigkeit besticht.

“Vor Frauen wird gewarnt” gibt Einblicke in das Leben einer beeindruckenden Persönlichkeit und macht Lust darauf, sich Vicki Baums Werk intensiv zu widmen und es der Vergessenheit zu entreißen. Denn mit dem Wissen über die Entstehungs- und Editionsgeschichten sowie über die Reaktionen der Zeitgenossen zu ihren Romane, entsteht ein neuer Bezug zu Vicki Baums Werk, der vertieft werden will. “Vor Frauen wird gewarnt” ist daher ein gelungener Einstieg und eine Hommage an eine Autorin, über deren Leben zu Unrecht wenig bekannt ist.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Ein Autor, den man entdecken sollte

The Hills
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Mit “The Hills” hat der norwegische Autor Matias Faldbakken einen ironischen Roman über ein traditionsreiches Osloer Restaurant geschrieben, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Der Protagonist ...

Mit “The Hills” hat der norwegische Autor Matias Faldbakken einen ironischen Roman über ein traditionsreiches Osloer Restaurant geschrieben, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Der Protagonist des Romans ist der Kellner, der sich selbst als hochsensibel bezeichnet, seine Arbeit sehr ernst nimmt, von den festsitzenden Handgriffen und Umgangsformen nie abweicht und die Gewohnheiten seiner Stammgäste bis ins kleinste Detail kennt. Doch die so fest verankerte Ordnung des Restaurants fällt dem Chaos anheim, als eine junge Frau durch die Tür tritt.

Mit der Ankunft der jungen Frau gerät alles, wofür das Restaurant steht, plötzlich ins Wanken. Der Kellner beginnt, grobe Fehler zu machen, er vergisst sich. Hierarchien und Strukturen lösen sich auf und kehren sich ins Gegenteil um. Da wird plötzlich die Käseplatte vor dem Hauptgericht verzehrt und Handys halten Einzug in das von Zeitungen geprägte Erscheinungsbild des Restaurants.

Die Geschichte bewegt sich am Abgrund. Auf der einen Seite ist die Ordnung, das Alte, das Festhalten an einer Zeit, die schon längst vergangen scheint und nur noch innerhalb der Wände von The Hills existiert. Das Restaurant steht für ein altes Europa, an das man sich mit aller Gewalt klammern muss, um es noch aufrecht erhalten zu können, das in Form des Restaurants bereits abgenutzt wirkt, in dem sich der Ruß und der Dreck der Zeit festgesetzt haben: “Stellen Sie sich vor, wie schön es im alten Europa war, das ist gar nicht einmal so lange her. […] Jetzt gibt es überall Dönerstände und Reparaturläden für kaputte Handybildschirme. Armes Europa.”
Auf der anderen Seite steht das totale Chaos, ein unbekanntes, noch unerforschtes Neues, das nicht mit der Nostalgie, die The Hills auszeichnet, in Einklang zu bringen ist.
Es ist grandios, wie Faldbakken seine Geschichte stets am Abgrund entlanggleiten lässt. Das Geschehen wird zu einem Balanceakt, zu einem Seiltanz und als Leser rechnet man stets mit dem Schlimmsten, mit dem unsichtbaren Stoß, der die Tänzer vom Seil fallen lässt.

Doch nicht nur diese Ungewissheit und untergründige Spannung zeichnen den Roman aus. Er ist außerdem ein Kammerspiel, das sich aus sehr feinen und tiefgründigen Charakterstudien zusammensetzt. Der Kellner, die Barfrau, der Maitre D’ und die Gäste werden in ihrem Verhalten während der gesamten Erzählung unter die Lupe genommen. Nichts bleibt dabei verborgen. Gleichzeitig werden die Figuren jedoch nie ins Lächerliche gezogen und nehmen keine zu starken karikaturartigen Konturen an. Denn Faldbakken gelingt es meisterhaft, seine Figuren auf dieser Bühne, die das Restaurant darstellt, auftreten zu lassen, ihnen den Raum zu geben, sich zu entfalten und Tiefe zu entwickeln und sie dem Leser gleichzeitig durch eine scharfsinnige und ironische Linse blickend zu präsentieren.

“The Hills” ist Zeugnis des erzählerischen Talents seines Autoren und eine Freude für jeden Leser.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Radikal und gewagt

Power
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Der Schauplatz des Romans ist ein kleines Dorf. Kerze, die elfjährige Protagonistin des Romans, erhält von einer Nachbarin den Auftrag, deren verlorenen Hund Power zu finden. Gewissenhaft macht sich Kerze ...

Der Schauplatz des Romans ist ein kleines Dorf. Kerze, die elfjährige Protagonistin des Romans, erhält von einer Nachbarin den Auftrag, deren verlorenen Hund Power zu finden. Gewissenhaft macht sich Kerze jeden Tag auf die Suche, befragt die Dorfbewohner, durchforstet den Wald. Bald schon schließen sich ihr die anderen Kinder des Dorfes an. Doch als die Kinder zu bellen anfangen, auf allen Vieren krabbeln, das Duschen verweigern, nur noch aus Schalen auf dem Boden essen und schließlich ganz im Wald verschwinden, nimmt die Suche ungeahnte Ausmaße an.

​Kerze steht im Zentrum der Geschichte. Sie brennt für die Suche, ist Feuer und Flamme und sie führt das Rudel an, ist das Licht, von dem sich die anderen Kinder wie Motten angezogen fühlen. Keines der Kinder will ausgeschlossen sein. Sie wollen zur Gemeinschaft dazugehören, gehorchen deshalb Kerzes Befehlen und begehren auch nicht auf, wenn sie zur Bestrafung Tannenzapfen essen müssen.

Durch ihre selbstgewählte Verwilderung entziehen sie sich gleichzeitig der Kontrolle der Erwachsenen, die hilflos abends am Waldrand stehen und nach ihren Kindern rufen. Sie vermögen nicht, die Waldgrenze zu überschreiten und ihre Kinder der Wildnis zu entreißen.

Der Roman kann als eine Coming-of-Age-Geschichte gelesen werden. Viele der Kinder um Kerze befinden sich in der Übergangsphase zur Jugend. Sie geben sich dem Animalischen in sich hin, lassen den Trieben freien Lauf. Sie legen alles Menschliche ab, ihre Sprache und auch ihre Verhaltensweisen. Ihre Rückentwicklung ist eine Art Verweigerung, gleichzeitig ein Sich-Festklammern an das, was bereits im Auflösen begriffen ist, nämlich die Kindheit.

Noch deutlicher und offensichtlicher ist jedoch die Gesellschaftskritik, die der Roman übt. Sich anreihend an Werke wie „Herr der Fliegen“ oder „Die Welle“ erschafft Güntner eine düstere und dystopisch anmutende Welt, in der die Gruppenbildung der Kinder als Kommentar über Radikalisierung sowie Macht- und Herrschaftsstrukturen gelesen werden kann. Der Roman legt dar, wie schnell etwas scheinbar Harmloses große Ausmaße annehmen kann, wie es als Nährboden für Fanatismus dienen und eine Vielzahl von Menschen - im Übrigen auch Erwachsene, die sich den Kindern anschließen möchten - radikalisieren kann.

Gleichzeitig nimmt die Autorin das Dorfleben unter die Lupe und zeigt, wie gewaltbereit, unnachgiebig und niederträchtig auch die Erwachsenen sein können.

Verena Güntner schafft es, den Leser in die finstere Welt ihres Romans hineinzuziehen. Bis zum Ende bleibt die Geschichte nicht ganz greifbar und entzieht sich dem vollständigen Verständnis des Lesers. Sie ist gesellschaftskritisch, radikal, gewagt und eine Bereicherung für die deutsche Gegenwartsliteratur. Die Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse war daher wohlverdient.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Zu stark fiktionalisiert

Frau Merian und die Wunder der Welt
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Frau Merian und die Wunder der Welt macht den Leser mit dem Leben der Forscherin und Künstlerin Maria Sibylla Merian vertraut. Maria wuchs in Deutschland auf, lebte dann aber in den Niederlanden. Ihre ...

Frau Merian und die Wunder der Welt macht den Leser mit dem Leben der Forscherin und Künstlerin Maria Sibylla Merian vertraut. Maria wuchs in Deutschland auf, lebte dann aber in den Niederlanden. Ihre große Leidenschaften galt den Schmetterlingen, die sie in ihren unterschiedlichen Stadien malte. Der Roman begleitet sie von Amsterdam bis in die niederländische Kolonie Surinam, wo sie die Insekten- und Tierwelt beobachtete und erforschte. Das Ergebnis dieser Reise waren eine Ausstellung und ein Buch, das ihre Funde dokumentierte.

Der Roman setzt dieser beeindruckenden und starken Frau ein Denkmal. Was mich jedoch gestört hat war die Tatsache, dass die fiktiven Elemente sehr viel Raum eingenommen haben. Ganz besonders die Beziehung zu Jan de Jong, einer fiktiven Figur, die es so in Marias Leben nicht gegeben hat, habe ich als überflüssig empfunden. Sie lässt den Roman konstruiert erscheinen und trägt dazu bei, dass er sich an einigen Stellen in Ausschweifungen verliert.

Diese zu starke Fiktionalisierung wird alleine dadurch aufgewogen, dass mich der Roman mit Maria Sybilla Merian überhaupt erst in Kontakt gebracht hat und ich nun Lust bekommen haben, mehr über sie zu erfahren.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Ein lesenswertes Buch, das es nicht zu verpassen gilt!

Wallace
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Anselm Oelzes Roman Wallace zeichnet das Leben von Alfred Russel Wallace nach, dem ewig Zweiten, dem, der nie als Entdecker der Evolutionstheorie in die Geschichte eingegangen ist. Dabei hat Wallace zur ...

Anselm Oelzes Roman Wallace zeichnet das Leben von Alfred Russel Wallace nach, dem ewig Zweiten, dem, der nie als Entdecker der Evolutionstheorie in die Geschichte eingegangen ist. Dabei hat Wallace zur selben Zeit wie Darwin ganz ähnliche Überlegungen zur natürlichen Selektion und zur Entstehung von neuen Arten gemacht. Doch Darwin kommt ihm zuvor, veröffentlicht seine Schriften zuerst und sichert sich so einen Platz in der Geschichte.

Der Roman verleiht Wallace eine Stimme. Er nimmt den Leser mit auf Wallaces Expeditionen in den Regenwald Brasiliens, wo er unermüdlich tausende Käfer und Schmetterlinge sammelt, die ihm die Anerkennung und die Aufmerksamkeit seiner englischen Zeitgenossen zu versprechen scheinen. Doch bei seiner Rückreise nach England fängt das Schiff Feuer und Wallaces kostbare Ladung versinkt im Meer.

Wallace verzagt nicht, macht sich auf die Reise nach Malaysia, entdeckt dort die Trennlinie der Arten zwischen der asiatischen und australischen Region und schreibt Darwin von seinen Überlegungen über die Entstehung neuer Arten.

Anselm Oelze hat einen Roman über das Glück geschrieben, über das Schicksal und seine Wendungen, über das Selbstbewusstsein, den Mut und den Glauben an sich selbst, über Sieger und Verlierer und über Geschichte und Geschichtsschreibung. Er verleiht einer historischen Figur eine Form und Stimme, die es verdient hat, wahrgenommen zu werden. Der Roman setzt Wallace ein wohlverdientes Denkmal, erkämpft ihm nachträglich einen Platz in der Geschichte und macht ihn einem breiten Publikum vertraut.

Ein lesenswertes Buch, das es nicht zu verpassen gilt!

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