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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.03.2023

Großartig!

Der Granatapfelbaum
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Memed, Yusuf, Hösük, Ali der Barde und Klein Memed beschließen eines Tages, ihr Dorf zu verlassen und in der Çukurova Ebene nach Arbeit zu suchen. Sie brechen voller Hoffnung auf, wollen Geld verdienen ...

Memed, Yusuf, Hösük, Ali der Barde und Klein Memed beschließen eines Tages, ihr Dorf zu verlassen und in der Çukurova Ebene nach Arbeit zu suchen. Sie brechen voller Hoffnung auf, wollen Geld verdienen und ihren Familien ein besseres Leben ermöglichen. Was sie in der Ebene erwartet ist jedoch nicht Arbeit, sondern Krankheit, Durst, Hunger, Erschöpfung, Hitze und Demütigungen.

Yaşar Kemal schreibt meisterhaft über Menschen, deren Stimmen in der Literatur sonst kaum berücksichtigt werden. Er lässt Tagelöhner und Landarbeiter zu Wort kommen, gibt ihnen eine Bühne und schafft damit das Abbild einer Welt, in der soziale Ungerechtigkeit und Hierarchien, Armut und Ausbeutung den tagtäglichen Überlebenskampf der Menschen prägen.
Der Granatapfelbaum bedient sich einer klaren, hellen und gleichzeitig tiefgründigen Sprache. Es ist ein Roman, der großartig geschrieben ist und lange nachhallt.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Zeit- und Gesellschaftsportrait

Ein fliehendes Pferd
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Walser lässt in seiner Novelle zwei Ehepaare auftreten, die sich zufällig im Urlaub am Bodensee begegnen. Helmut und Klaus sind ehemalige Schulkameraden und haben sich seit Jahren nicht mehr gesehen. In ...

Walser lässt in seiner Novelle zwei Ehepaare auftreten, die sich zufällig im Urlaub am Bodensee begegnen. Helmut und Klaus sind ehemalige Schulkameraden und haben sich seit Jahren nicht mehr gesehen. In der Schulzeit noch Freunde, könnten sie nun kaum unterschiedlicher sein. Während Helmut introvertiert ist und sich gerne zurückzieht, ist Klaus aufdringlich und voller Energie. Gegen den Willen von Helmut und durch Klaus’ Initiative beginnen die beiden Paare Zeit miteinander zu verbringen.

Im Laufe der Erzählung fangen jedoch die Fassaden zu bröckeln an, Masken fallen und Rollen, die man sich gegenseitig vorgespielt hat, werden als solche entlarvt. Walser gelingt es meisterhaft, menschliche Beziehungen mit all ihren Verlogenheiten bloßzulegen. Er erzählt von gesellschaftlichen Erwartungen, die uns davon abhalten, wir selbst zu sein.

Die Novelle ist ein Zeit- und Gesellschaftsportrait, das durch seine Klarheit und sprachliche Virtuosität hervorsticht.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Abgebrochen!

Mädchenmörder
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Da Die Unglückseligen von Thea Dorn mir gut gefallen hatte, wollte ich Mädchenmörder trotz des abgeschmackten Titels eine Chance geben. Leider wurde ich enttäuscht. Der Roman ist fad, zieht sich, baut ...

Da Die Unglückseligen von Thea Dorn mir gut gefallen hatte, wollte ich Mädchenmörder trotz des abgeschmackten Titels eine Chance geben. Leider wurde ich enttäuscht. Der Roman ist fad, zieht sich, baut keine Spannung auf, hat überhaupt nichts Neues zu bieten und der Wendepunkt ist einfach nur langweilig.

Der Inhalt lässt sich schnell erzählen: Ein Mädchen wird nachts von einem Serienmörder entführt und er nimmt sie mit auf eine Reise über Frankreich nach Spanien, auf der einige weitere Mädchen zu Tode kommen. Im Laufe des Romans stellt sich heraus, dass die Geschichte sich allerdings nicht ganz so abgespielt hat, wie zuerst angenommen.

Meine Empfehlung: Lieber ein gutes Buch von Thea Dorn lesen, z.B. Die Unglückseligen!

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Armut, Prekarität und Trostlosigkeit

Milch und Kohle
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Ralf Rothmann erzählt episodenartig aus dem Leben Simons, der im Ruhrgebiet der sechziger Jahre aufwächst. Simons Vater arbeitet auf der Zeche, hat einen Arbeitsunfall und muss ins Krankenhaus. Seine Mutter ...

Ralf Rothmann erzählt episodenartig aus dem Leben Simons, der im Ruhrgebiet der sechziger Jahre aufwächst. Simons Vater arbeitet auf der Zeche, hat einen Arbeitsunfall und muss ins Krankenhaus. Seine Mutter will leben und sucht, während der Vater seine Verletzungen auskuriert, in den Beziehungen zu anderen Männern nach Erfüllung und nach Freiheit. Simons Bruder ist geistig behindert, leidet unter Anfällen und verletzt sich bei einem Anfall so stark, dass er für längere Zeit ebenfalls ins Krankenhaus muss. Der Protagonist selbst geht auf die Berufsschule, aber scheint nicht wirklich bei der Sache zu sein. Stattdessen zieht er mit seinem Freund Pawel um die Häuser, der jedoch später bei einem Autounfall stirbt.

Rothmann erzählt mit viel schriftstellerischem Talent und Einfühlsamkeit aus dem Leben dieser Menschen. Er wertet nicht, blickt nicht auf sie herab, aber beschönigt auch nicht. Das Erzählte bleibt immer nachvollziehbar, greifbar und authentisch. Er schreibt über Armut, Prekarität, über die Trostlosigkeit und die schwere Arbeit auf der Zeche, aber trotz dieser düsteren Themen wirken seine Ruhrgebietsromane nie erdrückend, denn sie sind aus der Perspektive von Protagonisten erzählt, die nach Freiheit suchen und nach ihrem Platz in der Welt.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Portrait eines Arbeiters

Stellenweise Glatteis
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Der Roman versetzt den Leser in die 70er Jahre ins Ruhrgebiet. Karl Maiwald arbeitet in einem Betrieb, der Industriegase herstellt. Zuerst war er dort als Lastwagenfahrer angestellt, doch Bandscheibenprobleme ...

Der Roman versetzt den Leser in die 70er Jahre ins Ruhrgebiet. Karl Maiwald arbeitet in einem Betrieb, der Industriegase herstellt. Zuerst war er dort als Lastwagenfahrer angestellt, doch Bandscheibenprobleme und Abszesse haben ihm das Fahren bald unmöglich gemacht. Jetzt arbeitet er in der Werkstatt und ist im Betriebsrat. Eines Tages entdeckt er durch Zufall, dass die Betriebsleitung die Arbeiter ohne deren Wissen abhört. Maiwald ist angesichts dieser Verletzung von Vertrauen und Privatsphäre entsetzt. Er findet heraus, dass die Gespräche unter den Arbeitern systematisch aufgeschrieben und in Akten angelegt werden. Zusammen mit seinem Kollegen bricht er in den Betrieb ein und stiehlt die Akten, um die Betriebsleitung bei der Weihnachtsfeier konfrontieren zu können.
Es folgen Streiks, Gerichtsverfahren, Erpressungen, Solidarität, Uneinigkeit und vor allem Enttäuschungen. Maiwald fühlt sich immer wieder missverstanden, ignoriert und alleingelassen. Nicht nur das kriminelle Verhalten der Betriebsleitung enttäuscht ihn, sondern auch die Tatenlosigkeit seiner Arbeitskollegen und sogar die Gewerkschaft, die später einen Teil des Unternehmens kauft und deshalb gar nicht an einer Aufklärung des Skandals interessiert ist.

Max von der Grün erzählt aus dem (Arbeits-)Leben eines Menschen, für den Moral und Gerechtigkeit Werte sind, für die es sich zu kämpfen lohnt, der aber immer wieder erfahren muss, dass er mit seinen Prinzipien alleine dasteht. Er erzählt von sozialer Ungerechtigkeit, die sich in allen Bereichen des Lebens manifestiert, zum Beispiel in der Aufteilung der Straße: Auf der einen Seite stehen die Villen der Ärzte und Anwälte, auf der anderen die Wohnungen der Arbeiter und hinter deren Häusern die Baracken der Gastarbeiter. Soziale Hierarchien und die Macht, bzw. Machtlosigkeit, die mit ihr einhergeht, prägen die Geschichte. Auch die Angst davor, den Job zu verlieren, zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Prekarität ist allgegenwärtig und allein der Gedanke, dass der eigene Körper versagen könnte oder dass man aus anderen Gründen den Job verlieren könnte, ist maßgeblich an allen Entscheidungen, Handlungen und sogar Meinungen des sozialen Umfelds Maiwalds beteiligt.

Stellenweise Glatteis ist ein Roman, der durch seine Thematik überzeugt und durch sein klares Porträt eines Arbeiters, der an der Ungerechtigkeit der Arbeitswelt zu verzweifeln droht, aber trotzdem niemals aufhört, sich zur Wehr zu setzen und für seine Ideale einzustehen.

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