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Veröffentlicht am 31.07.2022

Eine Annäherung an das Leben der Marie de France

Matrix
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Als Marie mit siebzehn Jahren von der Königin in ein Kloster irgendwo in die tiefste englische Provinz geschickt wird, ist sie zunächst verzweifelt. Ihr Leben am Hof und ihre Liebe zur Königin rücken damit ...

Als Marie mit siebzehn Jahren von der Königin in ein Kloster irgendwo in die tiefste englische Provinz geschickt wird, ist sie zunächst verzweifelt. Ihr Leben am Hof und ihre Liebe zur Königin rücken damit in weite Ferne. Stattdessen ist sie umgeben von Armut und Kargheit. Doch bald schon erkennt Marie nicht nur ihre eigenen Stärken und Talente, sondern auch das Potential des Klosters und der Nonnen. Sie gibt sich nicht mit der passiven Rolle zufrieden, die für sie vorgesehen war und geht ihren ganz eigenen Weg.

Bevor man den Roman in die Hand nimmt, sollte man sich bewusst machen, dass er Marie de France und ihr Leben auf eine sehr freie Weise interpretiert. Das Leben der Nonnen im Kloster wird zwar glaubwürdig beschrieben und malt die Lebensbedingungen des 12. Jahrhunderts in kräftigen Farben. Aber Marie selbst wird zu einer Lichtgestalt idealisiert, die nicht nur alle Probleme des Klosters fast mühelos bewältigt, der bald ein Ruf als Heilige anhaftet, die all die kirchlichen Machthaber um ihren Finger zu wickeln weiß, sondern die vor allem nicht religiös ist und sich mir der Rolle, die die Kirche Frauen zur damaligen Zeit zuwies, widersetzt. Manch einer ihrer Texte mag diese feministische Darstellung berechtigen, gleichzeitig scheint manches zu überzogen, um der historischen Wirklichkeit entsprechen zu können.

Ich mochte Groffs Erzählstil und finde es auch mutig, dass sie sich wagt, über das 12. Jahrhundert und über eine Figur zu erzählen, deren Leben fast vollständig im Dunkeln liegt. Im Grunde ist es nämlich nur Marie de Frances Werk, das überliefert ist. Doch auch das muss an dieser Stelle erwähnt werden: Das Verfassen der zahlreichen Texte Marie de Frances spielt im Roman kaum eine Rolle, außer ganz zu Beginn. Dabei ist sie gerade für diese Texte bekannt.

Insgesamt überzeugt der Roman zu großen Teilen thematisch und durch seine Charaktere, hat aber immer wieder auch Längen und verliert sich zuweilen in etwas unglaubwürdigen Episoden. „Matrix“ ist kein perfektes, aber auch kein schlechtes Buch.

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Veröffentlicht am 25.07.2022

Das Schicksal zweier Frauen

Die Wunder
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Elena Medels Roman “Die Wunder” folgt den Schicksalen zweier Frauen, María und Alicia, Großmutter und Enkelin. Beide haben mit gesellschaftlichen und patriarchalen Strukturen zu kämpfen und versuchen, ...

Elena Medels Roman “Die Wunder” folgt den Schicksalen zweier Frauen, María und Alicia, Großmutter und Enkelin. Beide haben mit gesellschaftlichen und patriarchalen Strukturen zu kämpfen und versuchen, sich von Klassenzwängen zu befreien.
María muss nach der Geburt ihrer unehelichen Tochter Carmen ihren Heimatort verlassen und beginnt in Madrid zu arbeiten. Ihre Tochter entgleitet ihr immer mehr, bis sie den Kontakt zu ihr völlig verliert.
Alicia muss als junges Mädchen den Selbstmord ihres Vaters verkraften, der der Familie hohe Schulden hinterlässt. Mit ihrer Großmutter verbindet sie zunächst, dass auch sie ihre Mutter, Carmen, verlässt.

Das Leben beider Frauen gestaltet sich im Folgenden als ein Kampf um Freiheit, nicht zuletzt um finanzielle Unabhängigkeit und um eine Loslösung von gesellschaftlichen und patriarchalen Strukturen sowie von Klassenzwängen.

Wir erfahren aus dem Leben dieser Frauen in Rückblenden, in Form einer Aneinanderreihung von Momenten. Die Autorin gewährt tiefe Einblicke in das Innenleben ihrer Charaktere, indem sie fast ungefiltert, stellenweise einem inneren Monolog ähnlich, denken lässt.
Doch diese Form führt dazu, dass man sich nur schwer in die Geschichte hineinfühlen kann und dass man lange in bestimmten Momenten festgehalten wird. Das ist manchmal etwas ermüdend und vermag nicht so zu fesseln, wie man es sich wünschen würde. Dem Roman mangelt es daher an Bewegung und an Dynamik.

Das ist vor allem deshalb schade, weil er sich so wichtiger Themen annimmt, sie durch die Lebenswege zweier Frauen verkörpern lässt und die Strukturen und Funktionsweisen einer Gesellschaft analysiert, die diesen Frauen zahlreiche Steine auf den Weg legt.

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Veröffentlicht am 22.07.2022

Roadtrip durch Frankreich

Die Paradiese von gestern
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Es ist das Jahr 1990 und Ella und René, ein junges Paar aus Ostdeutschland, befinden sich auf einer Reise durch Frankreich. Sie lassen sich treiben, finden sich auf der Dune du Pilat während eines Gewitters ...

Es ist das Jahr 1990 und Ella und René, ein junges Paar aus Ostdeutschland, befinden sich auf einer Reise durch Frankreich. Sie lassen sich treiben, finden sich auf der Dune du Pilat während eines Gewitters wieder und stoßen nur zufällig auf das Château Violet. Das Schloss ist ein ehemaliges Weingut, an dem die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat und das nur noch von der Besitzerin, Madame de Violet, und einem Diener bewohnt wird.

Der als kurze Übernachtung geplante Aufenthalt verlängert sich schon bald, verknüpft die Figuren miteinander und lässt unterschiedliche Welten aufeinanderprallen: den Osten mit dem Westen, die Vergangenheit mit der Gegenwart. Die Charaktere hängen Welten und Vorstellungen nach, die es nicht mehr gibt oder noch nie gab und die nur in ihnen selbst weiterleben. So träumt Charlotte, die Gräfin, von dem florierenden Schloss aus den alten Tagen, Alain, der Sohn und Erbe träumt von seiner Kindheit und Ella und René projizieren Erwartungen auf den jeweils anderen, die diese(r) nicht zu erfüllen imstande ist. Die Figuren stehen sich damit manchmal selbst im Weg und werden, durch das Annehmen neuer Sichtweisen, dazu gezwungen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.

“[S]ie waren auf der Suche nach einem Frankreich, das es seit über hundert Jahren nicht mehr gab und das sie aus den Romanen von Balzac, Flaubert und Maupassant kannten. Sie fuhren in eine neue Welt, um die alte darin zu finden, und dabei folgten sie ausschließlich ihren romantischen Vorstellungen."

Man muss sich als Leser schon einlassen auf diesen Roman, dessen Figuren nicht immer zu überzeugen vermögen. René und Ella wirken zuweilen melodramatisch und ihre Streitereien scheinen an den Haaren herbeigezogen. Aber diese Schwächen werden wettgemacht durch die Geschichte der Familie der Violets und das Schicksal der Gräfin, die durchaus anschaulich und lebendig erzählt werden. Und dann ist es vor allem die Atmosphäre, die den Roman trägt. Dieser Roadtrip durch Frankreich, der ganz große Lust darauf macht, selbst ins Auto zu steigen und loszufahren. Deshalb lohnen sich die über fünfhundert Seiten dann doch, trotz Schwächen.

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Veröffentlicht am 22.07.2022

Von Missgeschicken, Ausrutschern und dem ganz normalen Familienalltag

Meine kleine Welt
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Mit “Meine kleine Welt” sind Kolumnen von Ewald Arenz bei Ars Vivendi erschienen, die zwischen 2007 und 2009 in den Nürnberger Nachrichten veröffentlicht wurden.

Arenz schildert in ihnen auf geistreiche ...

Mit “Meine kleine Welt” sind Kolumnen von Ewald Arenz bei Ars Vivendi erschienen, die zwischen 2007 und 2009 in den Nürnberger Nachrichten veröffentlicht wurden.

Arenz schildert in ihnen auf geistreiche und humorvolle Weise den Familienalltag seines Alter Egos Heinrich. Dieser muss mal vor der Haustür übernachten, weil Otto, das jüngste Kind, ihn lieber aussperrt, um fernsehen zu können. Oder er muss tatenlos mitansehen, wie die Kinder mit ihrem Verhalten die restlichen Kinobesucher verscheuchen. Schließlich wird auch die geplante Türkeireise zur Katastrophe, als der kleine Otto am Flughafen laut fragt, warum sie denn Terroristen seien, nachdem die Mutter die Kinder mehrmals als solche bezeichnet hatte.

Die Kolumnen sind unterhaltsam, pointiert und eignen sich hervorragend für zwischendurch, wenn man gerade Lust auf einen kurzen leichten Text hat. Selbstverständlich können sie nicht mit “Der große Sommer” und mit “Alte Sorten” mithalten, wie in zahlreichen Kritiken häufig erwähnt wurde, aber das müssen sie auch gar nicht. Sie sind kein Roman, erzählen keine Geschichte, die sich über mehrere hundert Seiten hinweg entfaltet. Sie machen auf ihre ganz eigene Art und Weise Freude. Und auch wenn sie kein Must-Read sind, so können sie in bestimmten Momenten die ideale Lektüre sein.

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Veröffentlicht am 22.07.2022

Ein italienischer Familienepos

Terra di Sicilia. Die Rückkehr des Patriarchen
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In “Terra di Sicilia” erzählt Mario Giordano die Lebensgeschichte seines Urgroßvaters Barnaba Carbonaro, der Ende des 19. Jahrhunderts in ärmlichen Verhältnissen auf Sizilien aufwächst. Sein Vater stirbt ...

In “Terra di Sicilia” erzählt Mario Giordano die Lebensgeschichte seines Urgroßvaters Barnaba Carbonaro, der Ende des 19. Jahrhunderts in ärmlichen Verhältnissen auf Sizilien aufwächst. Sein Vater stirbt früh und Barnaba muss fortan für sich und seine Mutter sorgen. Er arbeitet auf Zitrusplantagen, erregt den Zorn von einflussreichen Männern, muss fliehen, macht sich wiederum andere zu Freunden, verliebt sich und verliert dabei nie sein Ziel aus den Augen: eines Tages selbst ein Geschäftsmann zu werden. Und es gelingt ihm, denn Barnaba kann rechnen. Zahlen nehmen für ihn die Gestalt von Farben an, das Rechnen ist sein großes Talent. Es ist dieses Talent, das ihm schließlich einen Weg bis nach Deutschland ebnet.

“Terra di Sicilia” besticht zunächst durch seine schöne Aufmachung und durch seinen italienischen Titel. Doch die Struktur der Geschichte entpuppt sich schnell als etwas konstruiert und das Buch kommt fast wie ein Hollywood-Film daher, der nach großen Bilder strebt und sich immer wieder um Spannung bemüht. Manchmal überschreitet der Autor dabei die Grenze zum Kitschigen. Auch manche Vergleiche scheinen übertrieben: “Bis Maris gefasst, aber so zornig wieder herauskommt, dass draußen der Schnee taut”.

Der Roman hat somit Schwächen. Doch er hat durchaus auch starke Seiten. Erwähnt werden muss zum Beispiel die Atmosphäre Siziliens um die Jahrhundertwende, die Giordano gekonnt heraufbeschwört. Auch die vielen Details zum Zitrus-Anbau fügen sich nahtlos in die Handlung ein und sind überaus lesenswert.

Empfohlen werden kann der Roman mit Abzügen. Wenn einen als Leser manche Details nicht stören, wenn man mehr über das Leben in Sizilien um 1900 lernen möchte und dabei Konstruktion- und Stilfehler überlesen kann, dann hat dieser Roman das Potential, Freude zu bereiten.

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