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Veröffentlicht am 28.08.2022

Die Geschichte einer Affäre

Ich verliebe mich so leicht
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“Ich verliebe mich so leicht” von Hervé Le Tellier ist wohl eher ein Roman als eine Novelle, der jetzt in deutscher Übersetzung erscheint. Das französische Original ist bereits 2007 erschienen, also lange ...

“Ich verliebe mich so leicht” von Hervé Le Tellier ist wohl eher ein Roman als eine Novelle, der jetzt in deutscher Übersetzung erscheint. Das französische Original ist bereits 2007 erschienen, also lange vor dem großen Erfolg, den der Autor mit “Die Anomalie” hatte.
Es geht um einen Mann um die fünfzig, der sich auf dem Weg nach Schottland befindet, um dort eine Frau zu treffen. Die beiden kennen sich seit zwei Monaten und hatten eine kurze Affäre in Paris. Doch die Frau ist verheiratet und will die Affäre nicht weiterführen und ihn eigentlich auch nicht mehr sehen. Der Protagonist ist sich dessen bewusst und fährt trotzdem hin. Auf einer Hauptstraße in Schottland treffen sie schließlich aufeinander.

Le Tellier erzählt eine Episode aus dem Leben, die nur scheinbar uninteressant ist. Es ist nur ein kurzer Ausbruch im Leben dieses Mannes, der sich dazu entschließt, für zwei Tage nach Schottland zu fliegen und dem es schwer fällt, mit der Affäre abzuschließen. Was an der Novelle heraussticht, ist der Erzähler, der nicht nur sehr präsent ist, sondern auch ein scharfer und vor allem humorvoller Beobachter ist. Trotzdem fehlt es dem Ganzen mitunter etwas an Tiefe und die Charaktere bleiben eher flach.

Insgesamt ist es eine kurzweilige Lektüre, die nicht an “Die Anomalie” heranreicht (und das ja auch gar nicht muss), aber zum Beispiel für die Zeit eines kurzen Fluges gute Unterhaltung bieten kann.

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Veröffentlicht am 22.08.2022

Magisch, lebendig, empfehlenswert

The School for Good and Evil - Es kann nur eine geben
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Roman Chainani entführt uns mit “The School for Good and Evil” als Leser in eine Welt, in der Kinder aus dem Ort Gavaldon entführt werden, um später in Märchen- und Geschichtenbüchern aufzutauchen. Sie ...

Roman Chainani entführt uns mit “The School for Good and Evil” als Leser in eine Welt, in der Kinder aus dem Ort Gavaldon entführt werden, um später in Märchen- und Geschichtenbüchern aufzutauchen. Sie kommen an zwei Arten von Schulen, der für die Guten und der für die Bösen. Die guten Kinder werden dazu erzogen, Helden und Prinzessinnen zu werden, während den Bösen ein Schicksal als Hexen oder gemeinen Trollen bevorsteht.

In Gavaldon macht man sich darauf gefasst, dass dieses Mal die hübsche Belle für die gute Schule und die grummelige Agathe für die Schule der Bösen abgeholt werden. Doch dann ist da noch Sophie und die setzt alles daran, dass man sie für die Schule der Guten holt. Als es so weit ist, holt man sie tatsächlich und Agathe, ihre Freundin, rennt ihr verzweifelt hinterher, um sie zu retten und wird dadurch selbst mitgenommen. Doch entgegen aller Erwartungen ist es Agathe, die bei den Guten landet und Sophie, die zu den Bösen kommt. Beide sind überzeugt, dass es sich nur um einen Fehler handeln kann und fühlen sich fehl am Platz. Sie wollen die Schulen verlassen. Agathe will zurück in ihr Dorf und Sophie will als Prinzessin ausgebildet werden und ihren Prinzen finden.

Manche der spannendsten Bücher meiner Kindheit und Jugend waren gut geschriebene Fantasy-Romane. Und hätte ich “The School for Good and Evil” damals gelesen, so hätte ich sicherlich auf die Fortsetzung hingefiedert. Doch auch als erwachsener Leser vermochte mich der Roman zu fesseln und ich habe ihn gerne gelesen. Die Idee, die der Geschichte zugrunde liegt, finde ich grandios. Die Charaktere sind nahbar und glaubwürdig und die Welt, die der Autor erschaffen hat, erscheint in reichen und lebendigen Bildern. Insgesamt ist es ein stimmiger Roman, den ich jungen, junggebliebenen und auch allen älteren Lesern sehr empfehlen kann. Fantasy- und Märchenvernarrte werden an ihm sicherlich besonders viel Freude haben.

“The School for Good and Evil” ist ein wunderbares magisches Jugendbuch.

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Veröffentlicht am 15.08.2022

Ein leiser und überzeugender Roman

Intimitäten
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Die Protagonistin von Katie Kitamuras Roman “Intimitäten” zieht von New York nach Den Haag, um am Internationalen Gerichtshof als Dolmetscherin zu arbeiten.

“Intimitäten” ist ein Roman, der von Beobachtungen ...

Die Protagonistin von Katie Kitamuras Roman “Intimitäten” zieht von New York nach Den Haag, um am Internationalen Gerichtshof als Dolmetscherin zu arbeiten.

“Intimitäten” ist ein Roman, der von Beobachtungen lebt, von seinen Charakteren und deren Innenleben und nicht von einem strikten Handlungsbogen und Spannungsaufbau. Deshalb macht es meiner Meinung nach auch nur wenig Sinn, seinen Inhalt in wenigen Zeilen zu beschreiben. Es ist ein introspektiver Roman, in dem Menschen aufeinandertreffen, die alle unter ganz unterschiedlichen Umständen in diese Stadt kommen, deren Wege sich kreuzen, die Nähe zueinander aufbauen, um sich im nächsten Moment wieder voneinander zu entfernen. Vor dem Hintergrund der Gerichtsprozesse, von menschlicher Grausamkeit und der Frage nach Recht und Unrecht, wird Intimität mit Entwurzelung, Unverständnis und Unmenschlichkeit parallelisiert.

Gleichzeitig kontempliert der Roman die Rolle von Sprache. Er stellt die Frage, was Übersetzung bedeutet und was sie nicht nur mit dem Übersetzer, sondern auch mit dem Übersetzten und dem Zuhörer macht. Wie bringt Sprache Menschen näher? Wann bringt sie sie auseinander? All diesen Fragen geht der Roman vor dem Hintergrund eines Prozesses am Internationalen Gerichtshof auf kluge Weise nach. "Intimitäten" ist ein Roman, der sich lohnt, für den man sich aber auch öffnen muss und den man erst dann richtig wertschätzen kann.

Ich jedenfalls mag diese Art “leiser” Romane, die sich auf ihre Charaktere konzentrieren und die Literatur als eine Wiedergabe des Lebens verstehen, in dem sich Spannung, Dramatik und Wendepunkte nicht ständig aneinanderreihen. Deshalb: Lest “Intimitäten”!

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Veröffentlicht am 31.07.2022

Eine Annäherung an das Leben der Marie de France

Matrix
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Als Marie mit siebzehn Jahren von der Königin in ein Kloster irgendwo in die tiefste englische Provinz geschickt wird, ist sie zunächst verzweifelt. Ihr Leben am Hof und ihre Liebe zur Königin rücken damit ...

Als Marie mit siebzehn Jahren von der Königin in ein Kloster irgendwo in die tiefste englische Provinz geschickt wird, ist sie zunächst verzweifelt. Ihr Leben am Hof und ihre Liebe zur Königin rücken damit in weite Ferne. Stattdessen ist sie umgeben von Armut und Kargheit. Doch bald schon erkennt Marie nicht nur ihre eigenen Stärken und Talente, sondern auch das Potential des Klosters und der Nonnen. Sie gibt sich nicht mit der passiven Rolle zufrieden, die für sie vorgesehen war und geht ihren ganz eigenen Weg.

Bevor man den Roman in die Hand nimmt, sollte man sich bewusst machen, dass er Marie de France und ihr Leben auf eine sehr freie Weise interpretiert. Das Leben der Nonnen im Kloster wird zwar glaubwürdig beschrieben und malt die Lebensbedingungen des 12. Jahrhunderts in kräftigen Farben. Aber Marie selbst wird zu einer Lichtgestalt idealisiert, die nicht nur alle Probleme des Klosters fast mühelos bewältigt, der bald ein Ruf als Heilige anhaftet, die all die kirchlichen Machthaber um ihren Finger zu wickeln weiß, sondern die vor allem nicht religiös ist und sich mir der Rolle, die die Kirche Frauen zur damaligen Zeit zuwies, widersetzt. Manch einer ihrer Texte mag diese feministische Darstellung berechtigen, gleichzeitig scheint manches zu überzogen, um der historischen Wirklichkeit entsprechen zu können.

Ich mochte Groffs Erzählstil und finde es auch mutig, dass sie sich wagt, über das 12. Jahrhundert und über eine Figur zu erzählen, deren Leben fast vollständig im Dunkeln liegt. Im Grunde ist es nämlich nur Marie de Frances Werk, das überliefert ist. Doch auch das muss an dieser Stelle erwähnt werden: Das Verfassen der zahlreichen Texte Marie de Frances spielt im Roman kaum eine Rolle, außer ganz zu Beginn. Dabei ist sie gerade für diese Texte bekannt.

Insgesamt überzeugt der Roman zu großen Teilen thematisch und durch seine Charaktere, hat aber immer wieder auch Längen und verliert sich zuweilen in etwas unglaubwürdigen Episoden. „Matrix“ ist kein perfektes, aber auch kein schlechtes Buch.

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Veröffentlicht am 25.07.2022

Porträt der Arbeitswelt im digitalen Zeitalter

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Dieser Beitrag wurde entfernt. Das ist ein Satz, dem jeder von uns im Internet schon begegnet ist. Aber wissen wir auch, was dahinter steht und wer da was entfernt hat?

Ich bin den „digitalen Aufräumarbeitern“ ...

Dieser Beitrag wurde entfernt. Das ist ein Satz, dem jeder von uns im Internet schon begegnet ist. Aber wissen wir auch, was dahinter steht und wer da was entfernt hat?

Ich bin den „digitalen Aufräumarbeitern“ zum ersten Mal in Form eines Theaterstücks begegnet, das gezeigt hat, was es mit einem Menschen macht, wenn er tagtäglich in die Abgründe des Internets starren muss. Um diese Art der Arbeit wird natürlich ein Mantel des Schweigens gehüllt. Denn das, was darunter zum Vorschein kommt, ist so unmenschlich, dass es nur fassungslos machen kann.

Hanna Bervoets bricht dieses Schweigen in ihrem neuen Roman. Ihre Protagonistin arbeitet für eine Firma, die Beiträge für eine große Plattform prüft. Mindestens fünfhundert Beiträge müssen pro Tag gesichtet werden, Pausen gibt es im Grunde keine und wenn die Genauigkeitsrate eines Mitarbeiters unter 90% Prozent liegt, steigt der Druck auf ihn. Doch diese Arbeitsbedingungen sind nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist der Content, die Videos von Kindern und Teenagern, die sich selbst verletzten, die Tiere, die getötet werden und die ganze Bandbreite der Verschwörungstheorien.

Der Protagonistin des Romans scheint die Arbeit jedoch nichts auszumachen. Während ihre Kollegen psychisch immer mehr leiden und nicht zuletzt beginnen, den Verschwörungstheorien selbst Glauben zu schenken, bleibt Kayleigh scheinbar unbeeindruckt. Oder?

Bervoets Roman ist ein Porträt der Arbeitswelt im digitalen Zeitalter und stellt dabei diejenigen in den Mittelpunkt, die nicht im Silicon Valley arbeiten, die nicht vom Boom des Internets und des Digitalen profitieren, sondern die ganz im Gegenteil in deren Schatten stehen und die Drecksarbeit machen müssen. Dieses Thema ist so wichtig, dass das Buch meines Erachtens nach ruhig hätte länger sein können. Aber auch so bietet es einen starken und eindrücklichen Ausgangspunkt für weitere Gedanken und hoffentlich für eine gesellschaftliche Debatte.

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