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Veröffentlicht am 21.09.2023

Das Leben offline

Zeiten der Langeweile
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Wie wäre es, wenn man alle seine Social Media-Profile löschen würde? Oder noch radikaler: Sich vom Internet abwenden würde? Genau das tut die Protagonistin in Jennifer Beckers Roman "Zeiten der Langeweile". ...

Wie wäre es, wenn man alle seine Social Media-Profile löschen würde? Oder noch radikaler: Sich vom Internet abwenden würde? Genau das tut die Protagonistin in Jennifer Beckers Roman "Zeiten der Langeweile". Aus der Angst davor, dass sie gecancellt werden könnte oder dass man sie aufgrund alter Artikel und Beiträge bloßstellen könnte, löscht sie allmählich alles über sich aus dem Internet.

Was sich zunächst als spektakulär anhört, entpuppt sich in der Realität eher als unaufregend und langwierig. Auf ihre Abschiedsnachricht reagiert kaum jemand, ihre Einladung, Signal runterzuladen, nimmt nur eine Freundin an und der Prozess, einen alten Blogeintrag aus der Google Suchergebnisliste zu löschen, dauert viel länger als gedacht.

Was als impulsive Aktion beginnt, nimmt plötzlich immer größere Ausmaße an. Während die Protagonistin zu Beginn noch die Streamingdienste nutzt, sich Youtube-Videos ansieht, auf Signal chattet und Wikipedia-Artikel liest, wird sie mit der Zeit immer radikaler in ihrer Abkehr von der digitalen Welt.

Und plötzlich ist da Zeit für die Dinge, die sie seit Jahren nicht mehr gemacht hat: Bücher in einem richtigen Buchladen kaufen zum Beispiel, Zeitungen lesen und jeden Tag Sport machen.

Gleichzeitig leidet ihr Sozialleben, ihre Integration ins Alltagsleben. Immer öfter fällt ihr auf, dass sie ausgegrenzt wird, von Personen ebenso wie von Strukturen. Sie versteht Witze nicht mehr, ist nicht mehr up to date, ist in mancherlei Hinsicht nicht mehr Teil der Welt.

Der Roman hat mir als Leserin vor Augen geführt, wie abhängig wir vom Internet sind. Und das in jeder Hinsicht, sei es Fernsehen, Musik, Banking, Wissen, Dating, Kommunikation, usw. Sich davon vereinnahmen zu lassen ist mehr als leicht, sich davon loszulösen überhaupt nicht. Becker stellt das mit ihrem Roman auf anschauliche Weise dar.

Gleichzeitig habe ich den Roman nicht als ein Plädoyer für eine komplette Abwendung vom Internet verstanden. Er verherrlicht keine Extreme. Stattdessen zeigt er, wie schnell auch der digital Detox krankhafte Formen annehmen kann.

Für mich ein gelungenes Debüt und ich bin gespannt auf mehr von Jenifer Becker!

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Veröffentlicht am 14.09.2023

Ein großartiger Roman

Die weite Wildnis
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Die amerikanische Wildnis zu Zeiten der ersten Siedler. Ein Mädchen flieht. Vor was, das weiß man zunächst nicht. Sie ist alleine im Wald, hat Angst vor Männern, die man sicher auf sie gehetzt hat, friert ...

Die amerikanische Wildnis zu Zeiten der ersten Siedler. Ein Mädchen flieht. Vor was, das weiß man zunächst nicht. Sie ist alleine im Wald, hat Angst vor Männern, die man sicher auf sie gehetzt hat, friert und hungert. Und doch schlägt sie sich in dieser unwirtlichen und feindseligen Wildnis durch. Immer mit der Hoffnung, dorthin zu kommen, wo die Franzosen ihre Siedlungen haben. In der Hoffnung also auf ein besseres Leben.

Es scheint ja ein bisschen so, als wäre das ein literarischer Trend: Mädchen in der Wildnis, die sich alleine durchschlagen. Aber mit diesem Roman setzt sich Lauren Groff von der Masse ab. Denn sie hat eine Geschichte geschrieben, die zwar ein Mädchen auf ihrer Flucht durch die Wildnis begleitet und die doch so viel mehr ist als nur das.

Zunächst bricht der Roman mit jeglicher Romanitisierung des Lebens der ersten Siedler. Der amerikanische Traum, der hier seine Anfänge nahm, das Leben in Freiheit und Reichtum und die "City upon a Hill" wird als elendes, von Krankheiten, Siechtum, Armut und Hunger geplagtes Leben entlarvt.

Die Ankunft in der neuen Welt liest sich beispielsweise so: "...und trafen schließlich mit letzter Kraft am Ort ihrer Bestimmung ein, der Siedlung am James River, benannt nach ihrem König. Dort jedoch lag ein dichter, widerliche Rauch über dem Fort, und die Männer, die herauskamen und sie anstarrten, standen wie bleiche Skelette am Ufer. Aus ihren Mündern stieg noch mehr Rauch auf, Tabakrauch, der den beißenden Hunger lindern sollte, denn es herrschte bereits Mangel, wohin man blickte."

Der Fokus liegt dabei auf dem Leben der Frauen, die es besonders schlimm trifft, die keinerlei Freiheiten haben und die nicht selten ein Leben als Sklavinnen unter den Natives einem Leben unter den Siedlern vorziehen. Gleichzeitig ist die Angst vor den Männern ein roter Faden. Vor Vergewaltigung, vor Schmerz. "Die weite Wildnis" ist auch ein Buch darüber, was es hieß und was es heißt, in patriarchalen Strukturen als Frau zu (über-)leben.

Und schließlich lässt sich der Roman als ein Kommentar über unseren Umgang mit der Natur lesen. Dafür bricht trennt er zunächst Natur von Religion und mit Dogmen, die die Siedler in die neue Welt getragen haben und die fundamentaler Bestandteil der Besiedlung waren. ("Macht euch die Erde untertan" usw.).

"Keine Erlösung, denn Gott, den Erlöser, gab es nicht"

Der Roman ist für mich eine Absage an Gott, aber nicht an den religionsfreien Glauben. Er ist eine Ode an das Leben, an den Respekt vor der Natur und gleichzeitig keine Verherrlichung an das Leben des Menschen in der Natur.

Unbedingt hervorgehoben werden muss auch die Sprache, die so gewandt ist und in die man mit Freude eintaucht. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst der Übersetzerin Stefanie Jacobs.

Ein unglaubliches Buch. Unbedingt lesen!

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Veröffentlicht am 14.09.2023

Nicht vollständig überzeugend

Hinter der Hecke die Welt
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Ein Dorf schrumpft. Pina und Lobo, die beiden Dorfkinder, sind die einzige Hoffnung der Bewohner. Doch auch sie wachsen beide nicht weiter. Und dann sind da noch die anderen Probleme: Die leere Dorfkasse ...

Ein Dorf schrumpft. Pina und Lobo, die beiden Dorfkinder, sind die einzige Hoffnung der Bewohner. Doch auch sie wachsen beide nicht weiter. Und dann sind da noch die anderen Probleme: Die leere Dorfkasse zum Beispiel oder die Schule, die schließen musste. Jetzt gibt es nur noch die Hecke, das Herzstück des Dorfes, die von allen gepflegt wird und sogar Touristen anlockt.

Während die Dorfbewohner gegen das Verschwinden ihres Dorfes kämpfen, ist Dora in der Arktis und beschäftigt sich dort mit dem Schmelzen der Eisberge.

Leider konnte mich der Roman nicht vollständig überzeugen. Das Erzählte kam mir zu lose aneinandergereiht vor. Auch der Erzählstil war für mich etwas zu langatmig, hat sich zu sehr im Kreis gedreht. Mir hat Handlung und Substanz gefehlt.

Das war deshalb so schade, weil der Roman Themen behandelt, die eigentlich viel Potenzial haben und die von der Literatur unbedingt aufgegriffen werden sollten. Hier ist dieses Potenzial jedoch leider nicht vollständig ausgeschöpft worden.

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Veröffentlicht am 15.08.2023

Reise in die Tiefen des Meeres

Weil da war etwas im Wasser
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Irgendwo in den Tiefen des atlantischen Ozeans berührt ein Riesenkalmar ein Unterwasserkabel. Und plötzlich fangen seine Arme an zu reden. Sie erzählen vom Leben in der Tiefsee, davon, was es bedeutet, ...

Irgendwo in den Tiefen des atlantischen Ozeans berührt ein Riesenkalmar ein Unterwasserkabel. Und plötzlich fangen seine Arme an zu reden. Sie erzählen vom Leben in der Tiefsee, davon, was es bedeutet, ein Kalmar zu sein. Sie erzählen aber auch von menschlichen Schicksalen, widmen sich Jules Verne ebenso wie einer Praktikantin auf einem Frosttrawler. Was dabei entsteht ist ein Mosaik an Lebensformen und an Verknüpfungen zwischen Lebewesen.

Eins zunächst mal vornweg: Erzählende Tentakel, das kann auch schnell schief gehen. Nicht selten liest man Bücher aus der Perspektive von Tieren, die einfach nicht gelungen sind. Bei Luca Kieser ist das glücklicherweise nicht der Fall. Der Anfang des Romans hat mich in seinen Bann gezogen und ich fand die Reise in die Tiefen des Meeres und in das Bewusstseins eines Lebewesens, über dessen Denken und Fühlen wir so wenig wissen, faszinierend.

Aber im Mittelteil leidet der Roman dann unter einem Zuviel an Figuren und Perspektiven. Er ist überfrachtet mit Erzählsträngen, Zeitensprüngen und Informationen. Es entsteht ein Gewirr, in dem sich vieles verliert. Vor allem leider das Potential dieses eigentlich so vielversprechenden Debüts.

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Veröffentlicht am 15.08.2023

Zuhause in einem fremden Land

Terafik
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Die erste Reise in den Iran, zur unbekannten Familie. Nilufar Karkhiran Khozani ist als Tochter einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters in Deutschland aufgewachsen. Der Vater verließ die Familie ...

Die erste Reise in den Iran, zur unbekannten Familie. Nilufar Karkhiran Khozani ist als Tochter einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters in Deutschland aufgewachsen. Der Vater verließ die Familie als sie noch ein Kind war und kehrte in den Iran zurück. Nun drängt er zu einer Reise. Sie soll ihn besuchen, die neue Ehefrau und die Verwandten kennenlernen. Eine gleichzeitig Einblicke in ein Land der Gegensätze erhalten.

Die Autorin verbindet in diesem autobiographischen Romane unterschiedliche Elemente und Erfahrungen miteinander. Ausgehend von der Reise in den Iran dringt sie zu ihren eigenen Erinnerungen die Kindheit und Jugend in Deutschland, aber auch an die Erlebnisse des Vaters vor.

Darüber hinaus ist der Roman die Geschichte einer Vater-Tochter-Beziehung. Die Frage nach Schuld und nach Verantwortung steht im Raum, das Unausgesprochene: „Warum bist du gegangen?“.

Am eindringlichsten waren für mich jedoch die Erfahrungen von Ausgrenzung, die sowohl der Vater als auch Nilufar Jahrzehnte später erleben und die sich wie ein leuchtend roter Faden durch den Roman ziehen. Es fängt mit dem Namen an: Den Vater nennen sie im hessischen Dorf einfach Karl anstatt Khosrow. Und in den Behörden weiß man nicht recht, wie man seinen Nachnamen ins lateinische Alphabet übertragen soll. Er und sein Bruder müssen so später ihre Nachnamen unterschiedlich schreiben. In der Hochschule will man ihn um seinen Abschluss bringen und er muss dafür kämpfen, dass er ihn überhaupt bekommt.

"Warum nicht bei Siemens bleibe. Arbeiten, etwas Wohlstand vielleicht, ein guter zuverlässiger Angestellter sein. Rentenversicherung. Erfolg haben, gerade so viel wie vorgesehen. Geliehenes Glück, gegönnt von Menschen, die den Hörer auflegen, wenn sie einen Akzent am Telefon hörten."

All das setzt sich fort, wenn Nilufars Lateinlehrein fragt, woher sie so gut Deutsch könne, wenn Vermieter auflegen, wenn sie den ausländischen Namen hören und wenn sie in Behördenbriefen mit „Herr“ angesprochen wird.

Von all dem erzählt Khozani in klaren, einprägsamen Bildern. Der Roman ist Zeugnis ihrer Beobachtungsgabe und ihres Talent, Zeiten, Menschen und ihre Erlebnisse so miteinander zu verbinden, dass sie ein eindrucksvolles Gesamtbild ergeben. Für mich ein lesenswertes Buch!

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