Profilbild von Maesli

Maesli

Lesejury Profi
offline

Maesli ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Maesli über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.01.2022

Es hat etwas sehr ergreifendes, wenn man über eine persönliche Vater-Sohn-Beziehung liest.

Der alte König in seinem Exil
0

In diesem sehr persönlichen Buch erzählt Arno Geiger von seinem Vater, der an Alzheimer erkrankt und somit im Alltag alleine nicht mehr zurechtkommt. Die Krankheit ist heimtückisch und es dauert sehr lange, ...

In diesem sehr persönlichen Buch erzählt Arno Geiger von seinem Vater, der an Alzheimer erkrankt und somit im Alltag alleine nicht mehr zurechtkommt. Die Krankheit ist heimtückisch und es dauert sehr lange, bis die Familienmitglieder merken, dass mit dem Vater etwas nicht stimmen kann.
August Geiger ist ein Mensch mit Vitalität und Klugheit, den der 2. Weltkrieg stark geprägt hat. Mit der Geschichte seines Vaters beginnt Arno Geiger sich seiner eigenen Kindheit und Jugendzeit zu erinnern. Die Zeit der Pflege, die zwischen den Familienmitgliedern und der Zusammenarbeit mit vielen Betreuerinnen viele Jahre hindurch gelingt, gibt ihm die Chance noch einmal emotionalen Zugang zu ihm zu finden.
Dabei entdeckt er einen Mann mit Charme, Selbstbewusstsein und Witz.

Meine persönlichen Leseeindrücke
Es hat etwas sehr ergreifendes, wenn man über eine persönliche Vater-Sohn-Beziehung liest. Und so trete ich vorsichtig an diesen Roman heran, der schon lange auf meinen Stapel der zu lesenden Bücher liegt. Ich kenne von Arno Geiger bereits „Alles über Sally“ und „Unter der Drachenwand“ und mag sein sanftes Erzählen.
Das Buch ist absolut nicht deprimierend. Es ist stellenweise humorvoll geschrieben, hier und da gibt es natürlich tief traurige Episoden besonders wenn der Vater „nach Hause“ will, ein Zustand der sehr häufig auftritt.
Die Suche nach Geborgenheit, nach einem Zuhause als Heilmittel gegen ein erschreckendes, nicht zu enträtselndes Leben, in dem der Kranke feststeckt, ist das zentrale Thema des Buches und der Krankheit. Die Krankheit katapultiert den Demenzkranken in eine gänzlich andere Welt und wer ihm nach herkömmlichen Regeln sachlich korrekte Antworten auf seine viele Fragen gibt, ohne Rücksicht darauf, wo er sich nun befindet, zwingt ihm eine Welt auf, die nicht die seine ist. Es ist was ihm immer mehr misslingt: den Gesprächen zu folgen oder Gesichter zu entziffern und der Vater fühlt sich wie im Exil.
Arno Geiger hat seinen Roman „Der alte König in seinem Exil“ noch zu Lebzeiten seines Vaters geschrieben. Er hat „sechs Jahre darauf gespart“, lautet einer seiner letzten Romansätze. Er wollte nicht nach seinem Tod von ihm zu erzählen und das macht dieses Buch so wertvoll, so lesenswert und innig.

Fazit
„Der alte König in seinem Exil“ ist ein Familienroman, in dem Arno Geiger über seinen an Demenz erkrankten Vater schreibt. Er erzählt in sanfter und ruhiger Sprache wie die Krankheit seinen Vater verändert hat und wie er dadurch nochmals die Gelegenheit bekommt, einen emotionalen Zugang zu ihm zu finden. Es ist dabei ein Buch über eine Krankheit, die den tägliche Umgang mit ihm immer öfter in ein Leben in der Fiktion verwandelt, das nicht nur traurig stimmt sondern auch einige heitere Augenblicke bietet.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.12.2021

Das Buch ist ein kleines Juwel.

Junischnee
0

Es ist das Jahr 1934 und nach dem blutigen Bürgerkriegs-Februar wird Karl, der 9 Jahre alt ist, zusammen mit seinem 3 Jahre älteren Bruder Slavko und mehreren anderen Kindern von der Mutter zu ihrem Schutz ...

Es ist das Jahr 1934 und nach dem blutigen Bürgerkriegs-Februar wird Karl, der 9 Jahre alt ist, zusammen mit seinem 3 Jahre älteren Bruder Slavko und mehreren anderen Kindern von der Mutter zu ihrem Schutz mithilfe von tschechischen Genossen nach Moskau ins vermeintlich rettende Exil geschickt. Als „Kinder der internationalen Helden im Kampf für den Kommunismus“ sind sie herzlich willkommen und werden im „Kinderheim Nr. 6 für österreichische Schutzbundkinder“, das in einem wunderbaren Palais eines Adeligen im Stadtzentrum liegt, untergebracht. Karl, sein Bruder und die anderen Kinder erleben wunderbare Jahre, in denen es an nichts mangelt. Sie sind gut genährt und erhalten eine gute Schulausbildung; ihnen stehen alle Türen offen. Doch das ändert sich mit Kriegsbeginn 1939. Die Kinder werden getrennt und in verschiedene Kinderheime untergebracht, in denen Kälte und militärische Disziplin herrscht. Die Schulausbildung bricht abrupt ab und es geht nur mehr ums nackte Überleben. Viele verschwinden über Nacht, viele werden angeklagt, gefoltert, ohne Gerichtsverfahren zu jahrelanger Schwerstarbeit in GU Lags in Sibirien verurteilt. Es fehlt an Arbeitskräften und das Land braucht jede Hand. Und Stalin weiß sein Volk im Zaume zu halten.
"Wie vor und während des Krieges weiß der Herrscher sich an seinem Volk zu bedienen, man muss es nur gründlich in Angst halten."
So muss auch Karl 10 Jahre seines jungen Lebens einbüßen, eine Zeit, die körperliche und seelische Narben hinterlässt und aus ihm einen anderen Menschen macht.
"Die Lager haben einen anderen aus ihm gemacht. Sein Humor ist jetzt Zynismus. Seine Spontaneität steht unter Kontrolle. Sein Händedruck ist hart, sein Blick oft kalt."
Diese Härte wird seine erste Frau Nina und die Töchter aus dieser Ehe zu spüren bekommen. Aus Karl scheint alles Liebevolle verschwunden zu sein.

Meine persönlichen Leseeindrücke
Die Handlung hat wirklich stattgefunden und wird mich durch diesen Roman fortan begleiten. Im Geschichtsunterricht haben wir über die österreichisch-russischen Beziehungen in der Vor- und Nachkriegszeit nichts gelernt und die schlimmen Kriegsjahre in Russland kenne ich fast nur aus Geschichtsbüchern. Die Generation, die diese dunkle Zeit miterleben musste, stirbt langsam aus. Umso wichtiger finde ich es deshalb, dass Zeitzeugnisse aufgearbeitet werden und dieses Büchlein leistet einen wichtigen Beitrag. Es ist ein kleines Juwel.
Die Geschichte hat mich sehr schnell eingenommen. Zu einem faszinieren mich die russischen Sitten und Gebräuche, zum anderen verabscheue ich die Grausamkeit der Stalinzeit. Zauber und Brutalität liegen sehr nah beieinander. Das ist schon sehr bedrückend zu lesen und für mich kaum vorstellbar.
Bis Anfang der 50ger Jahre fühle, leide, kämpfe und hoffe ich mit Karl. Doch dann kehrt er nach Wien zurück und verändert sich stark. Das habe ich in dieser Härte überhaupt nicht erwartet. Ich reagiere sehr verstört auf Karls Verhalten und verstehe nicht, wie er so kalt und herzlos, so verwegen und verlogen sein kann. Er hält nicht nur seine erste Frau Nina, sondern auch die beiden Töchter und seine zweite Frau Erika in seinen bösen Klauen. Es dauert lange bis sich Nina und ihre Töchter daraus befreien können.
"Das Kind sehnt sich nach seiner russischen Großmutter, Baba Anastasia."

Fazit
Junischnee von Ljuba Arnautovic ist ein feines, kleines Büchlein, das an einem ruhigen Nachmittag gelesen werden kann. Die Autorin erzählt die Geschichte ihres Vaters und mit ihm die Geschichte ihrer Familie. Es ist eine bewegende, anrührende und erschütternde Erzählung über menschliche Schicksale, als Teil der österreichisch-russischen Geschichte des letzten Jahrhunderts.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.12.2021

Für mich ist es ein Jugendbuch

Im Winter Schnee, nachts Sterne. Geschichte einer Heimkehr
0

Enaiatollah Akbari ist als Kind von seiner Mutter nach Quetta (Pakistan) gebracht worden, damit er eine Chance auf ein Leben, weit ab von Hunger und Terror, hat. Im Buch wird diese traumatische Erinnerung ...

Enaiatollah Akbari ist als Kind von seiner Mutter nach Quetta (Pakistan) gebracht worden, damit er eine Chance auf ein Leben, weit ab von Hunger und Terror, hat. Im Buch wird diese traumatische Erinnerung nochmals erwähnt und die Flucht, über die das erfolgreiche Buch „Im Meer schwimmen Krokodile“ erzählt, kurz aufgegriffen.
Enaiatollah ist nun seit einigen Jahren in Italien. Er lernt und arbeitet nebenbei in verschiedenen Berufen, er studiert und findet Arbeit in einer Universitätsfakultät. Die Sehnsucht nach seiner Mutter und seinen Geschwistern, die Erinnerungen und inneren Schmerzen vergehen auch nach vielen Jahren nicht und so versucht er von Italien aus, seine Familie wiederzufinden.

"Dieser unendlichen Leere hilflos ausgeliefert, konnte ich mich nur noch an eine vorgegebene Routine klammern: Uni – Zuhause – Arbeit, Arbeit – Uni – Zuhause. Zuhause – Arbeit – Uni."

Er darf dabei auf die Unterstützung eines Onkels zählen, der durch seine Hartnäckigkeit aber auch sein Gespür schlussendlich die Familie findet. Enaiat ist überglücklich und unterstützt Mutter und Geschwister so gut er kann. Doch dann geschehen einige Familienereignisse und er begibt sich auf eine Reise in seine Vergangenheit und gleichzeitig in seine Zukunft.

Meine persönlichen Leseeindrücke
Ich kenne das erste Buch „Im Meer schwimmen Krokodile“ nicht, an welches dieses anschließt. Dennoch kann ich problemlos der Geschichte von Enaiatollah Akbari folgen und vieles über ihn und Afghanistan erfahren. Die kurze Einführung in die afghanische Geschichte finde ich sehr gelungen, denn sie verschafft einen ganz guten Überblick über das Land.
Der Schreibstil des Buches ist sehr einfach. Enaiat äußert folgenden Wunsch:
"Es wäre schön, wenn es auch junge Menschen lesen könnten. Und wenn e nicht nur meine Geschichte wäre, sondern auch die von allen anderen, denen es ebenso ergeht."
So gesehen, kann die verwendete Sprache durchaus gerechtfertigt erscheinen.
Was mich während des Lesens doch sehr erstaunt hat, ist die beschriebene Korruption, die nicht nur in Afghanistan herrscht, sondern auch in den Nachbarstaaten, sowie die menschenverachtenden Umstände, denen Menschen dort alltäglich schutzlos ausgeliefert sind. Das ist mir schon sehr nahe gegangen.

Fazit
„Im Winter Schnee, nachts Sterne“ ist ein Buch, das es leicht macht, mit Flüchtlingen mitzufühlen und Verständnis für sie aufzubringen. Ich klassifiziere es als Jugendbuch, da mir der Schreibstil ein wenig zu simpel für einen Erwachsenenroman erscheint. Doch die Empathie, die die Worte hervorzurufen vermögen, machen vieles wett.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.12.2021

Eine absurde, unglaubwürdige Geschichte

Nastjas Tränen
0

Als Natascha Wodin 1992 nach Berlin kommt, sucht sie jemanden, der ihr beim Putzen hilft. Sie gibt eine Annonce auf, und am Ende fällt die Wahl auf eine Frau aus der Ukraine, dem Herkunftsland ihrer Mutter, ...

Als Natascha Wodin 1992 nach Berlin kommt, sucht sie jemanden, der ihr beim Putzen hilft. Sie gibt eine Annonce auf, und am Ende fällt die Wahl auf eine Frau aus der Ukraine, dem Herkunftsland ihrer Mutter, die im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiterin nach Deutschland verschleppt wurde. Nastja, eine Tiefbauingenieurin, konnte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im wirtschaftlichen Chaos ihrer Heimat nicht mehr überleben − ihr letztes Gehalt bekam sie in Form eines Säckchens Reis ausgezahlt. Da sie ihren kleinen Enkelsohn und sich selbst nicht länger ernähren kann, steigt sie, auf etwas Einkommen hoffend, in einen Zug von Kiew nach Berlin.
Meine persönlichen Leseeindrücke
Über die Lebensumstände in der Ukraine und in Kiew kann ich nichts sagen und muss annehmen, dass stimmt, was hier geschrieben steht. Was Nastjas Leben in Deutschland angeht, wenn auch am Anfang vielleicht noch irgendwie nachvollziehbar, verstrickt sich ihr Aufenthalt in immer absurdere Handlungen und ich zweifle und verzweifle nicht nur an Nastja, sondern auch an Natascha.. Als studierte Tiefbauingenieurin hat es Nastja zu einer verantwortungsvollen leitenden Stelle in Kiew gebracht. Davon ist in Deutschland nichts mehr übrig. Wie kann es sein, dass eine integre, clevere Ukrainerin sich so ausnützen lässt? Wie ist es möglich, dass sich eine gebildete, intelligente Frau so der deutschen Sprache und Kultur verschließt, sie sogar ablehnt? Und welch naive Rolle spielt Natascha? Die ganze Geschichte wirkt auf mich so unglaubwürdig, dass ich für Nastja am Ende überhaupt nichts mehr empfinde.
Fazit
Ich kann diesem Roman nichts abgewinnen und ich kann ihn nicht empfehlen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.12.2021

Wie ein Sohn am Vater zerschellt

Mitgift
0

„Mitgift“ von Henning Ahrens erzählt eine Familiengeschichte über mehrere Generationen und nimmt den Leser mit in die bäuerliche Tradition in Niedersachsen.

Der Leebsche Hof ist seit vielen Generationen ...

„Mitgift“ von Henning Ahrens erzählt eine Familiengeschichte über mehrere Generationen und nimmt den Leser mit in die bäuerliche Tradition in Niedersachsen.

Der Leebsche Hof ist seit vielen Generationen in Familienbesitz. Wilhelm Leeb, ein Narzisist, ein Hitleranhänger und Opportunist mit Visionen, sieht im Krieg seine Chancen. Er verlässt freiwillig Familie und Hof und erhofft sich eine bedeutende Karriere als Landwirtschaftsführer in der Ukraine. Der erst 14jährige alte und älteste Sohn Wilhelm, von Mutter und Großeltern liebevoll Willem genannt, muss in seiner Abwesenheit die Verantwortung für den Besitz übernehmen. Als der Vater nach 4jähriger Kriegsgefangenschaft 1949 zurückkehrt, ist Willem 19 Jahre alt. Es steht ein Fremder vor ihm, der mit Selbstverständlichkeit, Selbstgefälligkeit und Herablassung seinen Platz als Familienoberhaupt einnimmt und die Führung des Hofes an sich reißt. Es ist der Beginn einer viele Jahre dauernden tagtäglichen Erniedrigung und Demütigung, die schlussendlich in einer Katastrophe endet.

Meine persönlichen Leseeindrücke
Das Buch hat mich ins Herz getroffen – ich muss es so schreiben und kann es nicht anders beschreiben. Ahrens baut geschickt in diesem Familiendrama ein Geflecht aus Abhängigkeit und Zuneigung auf, aus dem sich kaum eine Romanfigur entflechten mag. Dabei zeigt er besonders die verschiedenen Familienverbindungen auf, die zwischen Mutter und Sohn, Ehemann und Ehefrau, Vater und Sohn über mehrere Generationen bestehen, erklärt Familienerbe, Tradition, verbindet Härte und Liebe, Herrschen und Beherrschen. Die zentrale Romanfigur ist Willem, der gute Jungen, der im Alter von 14 Jahren die Verantwortung für den Hof übernehmen muss um mit 19 als unfähig vom eigenen Vater deklassiert zu werden. Aber er fügt sich all den Demütigungen, auch seiner Mutter zuliebe, die er vor dem herrschsüchtigen Patriarchen schützen will. Und in dieser Großherzigkeit, in dieser Güte und Umsicht, in der Ehre, die er für die Familie und Tradition empfindet, liegt sein Untergang.
Zu sensibel für die Härte und Doktrin seines Vaters, kann er am Ende nicht bestehen. Er ist ohne Halt und hat nicht mehr die Kraft, für sein Leben zu kämpfen.

Fazit
„Mitgift“ von Henning Ahrens ist ein Familiendrama, dessen zentrale Romanfiguren der Großbauer Wilhelm Leeb und dessen Sohn Wilhelm „Willem“ sind. In ernüchternder, klarer Sprache wird der Konflikt zwischen dem patriarchalisch-selbstherrlichen Vater und seinem sensiblen Hoferben dargelegt, der Haupthandlungsstrang dieses starken, beklemmenden Romans.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere