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Veröffentlicht am 29.05.2021

Ein überzeugender Roman über die Terrorjahre der Brigate Rosse

Tod eines glücklichen Menschen
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Es sind die Jahre der „Brigate Rosse“, einer linksextremen Terrorgruppe, die auch in der Lombardei Angst und Schrecken verbreitet. Der junge Staatsanwalt Colnaghi, Katholik und politisch der Democrazia ...

Es sind die Jahre der „Brigate Rosse“, einer linksextremen Terrorgruppe, die auch in der Lombardei Angst und Schrecken verbreitet. Der junge Staatsanwalt Colnaghi, Katholik und politisch der Democrazia cristiana zuzuordnen, soll den Mörder eines Politikers finden und ihm den Prozess machen.
Die berufliche Karriere bringt das Familienleben durcheinander, worunter seine Familie, am meisten aber sein älterer sensibler Sohn, leidet.
Mit der Verhaftung des jungen Topterroristen Gianni Meraviglia ändert sich sein Leben. In den Gesprächen mit Meraviglia versucht er zu verstehen, warum es diese große und ungebrochene Gewaltbereitschaft gibt. Zugleich sieht er die Justiz am Scheideweg, die nicht nur einfach verurteilen soll sondern sich aktiv der Lösung des Problems stellen muss.

Meine persönlichen Eindrücke
Es ist dies durchaus kein unterhaltender Roman und ein paar Kenntnisse der jüngeren italienischen Geschichte unabdingbar, um ihn zu verstehen. Die Beschreibung der Lebensverhältnisse in der Lombardei, der Einfluss der katholischen Kirche auf Gesellschaft und Familie und der Stellenwert der Familie selbst lassen den Leser, der sich mit der Thematik Partisanen und Entwicklung der Republik nach dem 2. Weltkrieg nicht beschäftigt (hat), schwer verständlich erscheinen. Zu groß ist der Unterschied zur heutigen Zeit.
Die Romanfigur des Staatsanwalts wird geteilt in zwei Welten.
In einer ist er Vater seines sensiblen Sohnes, Sohn seiner Mutter und Ehemann seiner Ehefrau. In der anderen steht er einem kleinen Team vor, steht vor einer großen Karriere, ist gezeichnet von seinem unerschütterlichen Glauben. Die beiden Welten treffen sich in einem filigranen Zusammenspiel, das der junge Schriftsteller mit sehr großem Einfühlvermögen beschreibt. Begleitet wird die Geschichte von Lebensabschnitten des Vaters, die immer wieder eingeblendet werden und das Gesamtbild vervollständigen. Fontana schreibt über ein Zeitfenster, das gezeichnet war von Terror, Toten und dem Verlangen nach Vergeltung.

Fazit
Giorgio Fontanas Roman „Tod eines glücklichen Menschen“ ist ein überzeugender Roman über die Terrorjahre der Brigate Rosse, erzählt am Leben des Staatsanwaltes Colnaghi, der verstehen will und damit eine Lösung herbeizuführen versucht. Die Beschreibung der letzten Lebensaugenblicke haben mich ins Knochenmark getroffen.

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Veröffentlicht am 22.05.2021

Wenn junge italienische Autoren über Gefühle schreiben, entstehen kleine Meisterwerke.

Der Name seiner Mutter
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Ettore ist Vater geworden. Seine Frau hat ihm einen Sohn, Pietro, geboren. Doch das junge Familienglück währt nicht lange. Nach einigen Monaten verlässt sie Sohn und Mann und verschwindet aus ihrem Leben. ...

Ettore ist Vater geworden. Seine Frau hat ihm einen Sohn, Pietro, geboren. Doch das junge Familienglück währt nicht lange. Nach einigen Monaten verlässt sie Sohn und Mann und verschwindet aus ihrem Leben. So wächst Pietro bei seinem Vater in dem kleinen Ort Fabbrico in der Emilia Romagna auf. Es ist ein ruhiges stilles Zusammenleben, unterbrochen durch Aufenthalte bei den Großeltern mütterlicherseits.
Zu einem Geburtstag bekommt Pietro von seinem Vater einen Hund geschenkt, Bricciola.
Die Trennung des jungen Hundes von seiner Mutter bewegt Pietro sehr und das erste Mal stellt er sich die Frage, ob es bei seiner Mutter auch so war.
Dann wird Pietro groß, macht Matura und zieht in die Stadt zum Studieren. Als seine Jugendliebe zu ihm zieht und schwanger wird, erkennt er, dass Fabbrico sein zuhause ist und kehrt mit Miriam zu seinem Vater zurück. Erst am Ende des Buches wird er etwas über seine Mutter erfahren.
Meine persönlichen Eindrücke
Der Roman liest sich flüssig, ist aber bei Weitem keine einfache Lektüre. Teilweise möchte ich meinen, diese distanzierte Sprache des Erzählens, besonders in der ersten Hälfte des Buches, ist bewusst unpersönlich gehalten. Nur wenig erfahre ich von Pietros inneren Vorgängen, seinen Wünschen, Sehnsüchten oder Zweifeln. Erst im letzten Drittel öffnet Pietro seinen Panzer und lässt Gefühle an die Mutter gerichtet, erkennen. Dann merke ich, wie tief der Schmerz ist, der sich bis jetzt nicht direkt geäußert hat und vielleicht nicht mal ein Schmerz ist, sondern ein Phantom – etwas was fehlt und da sein sollte.
Pietro weiß ja nicht, was genau fehlt.
Es fehlt die Vorstellung der Mutter, aber was bedeutet das? Wir stellen uns immer eine ideale Mutterfigur vor – aber hätte Anna diese Rolle einnehmen können und was, wenn nicht?
Trotz der Thematik habe ich das Buch nicht als trist oder traurig empfunden. Da ist zum einen die Zuneigung des Vaters seinem Sohn gegenüber, die mehrmals äußerst sensibel beschrieben ist. Zum anderen kann man auch Pietros Liebe zu seinem Vater zwischen den Zeilen lesen. Es gibt eine Vertrautheit, die Ruhe ausstrahlt, in all der Stille.
Fazit
Camurris Roman „Der Name seiner Mutter“ stimmt nachdenklich, beschäftigt mich auch nachdem ich ihn gelesen habe und wird mir als sensibles Bekenntnis eines jungen Mannes, der seine Mutter vermisst, in Erinnerung bleiben.
In den letzten Jahren hat sich ein neuer italienischer Literaturstil entwickelt. Junge Schriftsteller schreiben sehr gefühlvoll und sensibel über ihre Kindheit, ihre Jugend, ihr Verhältnis zu den Eltern und zu ihrem Umfeld. Hier möchte ich Giorgio Fontanas Roman „Tod eines glücklichen Menschen“ oder Paolo Cognettis „Acht Berge“ nennen, zwei, wie ich finde, hervorragende Romane. Camurris Roman gesellt sich dazu.

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Veröffentlicht am 14.05.2021

Es hat Spaß gemacht, den Roman zu lesen

Laudatio auf eine kaukasische Kuh
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Olgas Familie stammt aus einem kleinen Land im südlichen Kaukasus, das nach der Auflösung der sowjetischen Republik der kleine Staat Georgien wurde. Sie sind Griechen und ihre Muttersprache ist Pontisch. ...

Olgas Familie stammt aus einem kleinen Land im südlichen Kaukasus, das nach der Auflösung der sowjetischen Republik der kleine Staat Georgien wurde. Sie sind Griechen und ihre Muttersprache ist Pontisch. Mit 11 Jahren kommen Olga und ihre Familie nach München. Hier wächst sie mit ihren Eltern, ihrem jüngeren Bruder Fotis und ihrer Großmutter auf.

Die Geschichte beginnt in Bonn, wo Olga ihr PJ als angehende Ärztin absolviert. Felix van Saan, ein gutaussehender Sprössling aus einer Kieler Arztfamilie, verliebt sich in sie und es scheint, dass das Leben ihr ein erfolgreiches Dasein an der Seite dieses aufstrebenden Arztes bereithält. Doch Olgas familiäre Abstammung macht ihr manchmal zu schaffen, besonders ihre Mutter, die auf ihre griechisch-georgische Kultur beharrt und es als ihre oberste Pflicht ansieht, die bockige Tochter endlich an den Mann zu bringen.
Doch ganz so ruhig scheint es dann doch nicht abzulaufen.
Plötzlich taucht in Olgas Leben Jack auf. Ein junger Mann, aus allen Lebensbahnen geworfen, verliebt sich in sie und bricht alle gesellschaftlichen Benimmregeln, um sie für sich zu gewinnen.
Unerwartet wird Olgas Mutter krank und will noch einmal in ihrem Leben Georgien sehen. So tritt die Familie eine Reise in ihre Heimat, Kultur und Herkunft an. Dass dann zuerst Jack und später auch noch Felix auftauchen, ist nicht geplant, und es kommt wie es kommen muss.

Meine persönlichen Eindrücke
Das Buch hat mir gut gefallen und ich habe mich während des Lesens köstlich amüsiert. Schon allein das kreative Buchcover und der Buchtitel lassen auf einen lustigen, nicht gar so ernsten Roman schließen. Die Autorin erzählt auf eine sehr unterhaltsam-humoristische Weise eine Geschichte, die ich als schöne Abwechslung zu meiner sonstigen Lektüre genieße.
Die Leichtigkeit, mit der Angelika Jodl über verschiedene Kulturen erzählt, ist sprachlich gekonnt und fließend zu lesen.
Sie hält Abstand von tiefgründige und schwermütige Migrationsinterpretationen und verpackt die Geschichte in einen lebhaften und bunten Roman. Und genauso habe ich ihn auch gelesen. Fröhliche Szenen folgen in raschem Wechsel auf Kurioses und Bedrückendes und lassen keine Langeweile aufkommen.

Fazit
„Laudatio auf eine kaukasische Kuh“ ist ein überaus ansprechender, amüsanter Roman. Es hat Spaß gemacht, ihn zu lesen.

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Veröffentlicht am 08.05.2021

Camorra und Mafia in Südtirol

Das dunkle Dorf
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In Wolkenstein wird ein Gemeindepolizist getötet und in der leeren dritten Etage der Villa Wolkenstein aufgefunden. Es ist Hochsaison und freie Zimmer kaum zu finden. Eine gesamte Etage unbelegt, da werden ...

In Wolkenstein wird ein Gemeindepolizist getötet und in der leeren dritten Etage der Villa Wolkenstein aufgefunden. Es ist Hochsaison und freie Zimmer kaum zu finden. Eine gesamte Etage unbelegt, da werden Grauner und Saltapepe hellhörig. Grauner hat aber noch andere Sorgen. Seine Tochter Sara ist verschwunden und in ihrem Zimmer findet Alba, Saras Mutter, die neue gefährliche synthetische Droge Carfentanyl.
Relativ schnell steht fest, dass der Tote und die Drogen zusammenhängen.
Saltapepe, der sich mit seiner Kollegin im Hotel einquartiert um verdeckt zu ermitteln, muss unerwartet untertauchen. Die Camorra hat ihn nicht vergessen und sein Leben ist in tödlicher Gefahr.
Meine persönlichen Eindrücke
Es ist der 6. Fall mit Commissario Grauner und Ispettore Saltapepe. Außerordentliche Umstände lassen das Team diesmal nicht zusammen ermitteln: Saltapepe muss untertauchen und Grauner seine Tochter retten.
Der Krimi war sehr spannend zu lesen. Gekonnt baut Koppelstätter eine, wenn auch für Südtirol ungewöhnliche Mafiastory auf, die ich als Leserin besorgt gebannt mitverfolge. Erst am Ende klärt sich alles auf und ein kleiner Einblick in die Welt der neapolitanischen Camorra gewährt. Zwar ist der alte Grauner nicht zurück, den ich in den ersten drei Büchern „Der Tote am Gletscher“, „Nachts am Brenner“ und „Die Stille der Lärchen“ lieben gelernt habe, aber der tolle Krimistil von Koppelstätter ist wieder da.
Fazit
Wenn auch der Fall für Südtirol sehr ungewöhnlich ist, kann Lenz Koppelstätter damit an seine ersten drei Bücher der Buchreihe anschließen, die ich immer noch für die besten halte.

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Veröffentlicht am 20.04.2021

Die Suche nach dem Tatmotiv steht im Mittelpunkt

Der Fall Collini - Filmausgabe
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Caspar Leiner ist ein junger Anwalt und hat sich, wie viele andere auch, in die Liste für den Notdienst der Strafverteidigervereinigung eintragen lassen. Es erreicht ihn der Anruft des Amtsgereicht Tiergarten, ...

Caspar Leiner ist ein junger Anwalt und hat sich, wie viele andere auch, in die Liste für den Notdienst der Strafverteidigervereinigung eintragen lassen. Es erreicht ihn der Anruft des Amtsgereicht Tiergarten, dass es einen Beschuldigten ohne Verteidiger gibt und dass gegen ihn Haftbefehl wegen Mordes beantragt wird. Fabrizio Collini hat Hans Meyer durch 4 Schüsse in den Kopf getötet und danach mit seinen Schuhabsätzen so auf das Gesicht getreten, dass vom Kopf nicht mehr viel übrig ist. Kurz nach der Tat hat er sich persönlich der Polizei gestellt. Trotz genauester Untersuchungen gelingt es nicht das Tatmotiv herauszufinden. Der Angeklagte selbst schweigt dazu. Was kann ihn zu diesem brutalen Mord bewogen haben? Nirgends scheint das Motiv zu liegen. Es braucht den berühmten Zufall und Leiner findet eine Spur.

Meine persönlichen Eindrücke
Das Buch ist gut geschrieben. Die Sprache ist klar, deutlich und ohne viele Ausschmückungen. Der Roman wirkt sehr verständlich für jedermann und ist von Beginn an spannend. Er bleibt es auch ohne Schwachstellen bis zum Ende. Die Hauptfiguren sind treffend charakterisiert und die Verbindungen untereinander gut ausgearbeitet. Die kleinen Liebesabstecher nehmen der Romanhandlung etwas von ihrer Härte und geben dem Ganzen eine gefühlvolle Note. Der Fall entwickelt sich zum Ende hin unerwartet. Ich will gar nicht aufhören mit dem Lesen.

Fazit

Mit dem Roman „Der Fall Collini“ hat Ferdinand von Schirach das Thema von Recht und Gerechtigkeit aufgeworfen. Die Frage nach dem Tatmotiv ist unumgänglich, wenn es gilt ein schweres Verbrechen aufzuklären. Ein Mord muss bestraft werden, aber wenn man die Beweggründe, die dazu geführt haben und auch die Informationen über das Leben des Ermordeten kennt, der selbst Schuld auf sich geladen hat, so regt dies zum Nachdenken an. Von Schirachs Kunst ist es hier, die Handlung systematisch, ordentlich und präzise darzustellen und die Suche nach dem Tatmotiv in den Mittelpunkt des Romans zu stellen.

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