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Veröffentlicht am 08.04.2022

Odsherred – gar nicht so verschlafen, wie es scheint!

Tod im Trödelladen
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Das ehrenamtliche Personal des örtlichen Trödelladens wird erschreckend stark dezimiert – doch die allesamt älteren Leute sterben nicht auf natürliche Art, da ist sich Anne-Mej Mortensen absolut sicher. ...

Das ehrenamtliche Personal des örtlichen Trödelladens wird erschreckend stark dezimiert – doch die allesamt älteren Leute sterben nicht auf natürliche Art, da ist sich Anne-Mej Mortensen absolut sicher. Nur die Polizei will ihr das nicht glauben, und so beginnt die rüstige ältere Dame, einfach die Sache selbst in die Hand zu nehmen und auf eigene Faust zu ermitteln. Dabei hat sie doch so schon so viel um die Ohren!

Es ist ein Cozy Crime in Reinkultur. Sehr gemütlich, sehr ruhig – aber das will nicht heißen, dass der Krimi nicht auch unterhaltsam ist! Es fehlt ihm auf gewisse Weise an Spannung, aber nicht an Unterhaltsamkeit. Man kann nicht unbedingt laut lachen, ist aber immer am Schmunzeln. In gewisser Weise ist die Story einfach nur absolut lebensnah und damit realistisch. Ja, irgendwie ist es im Leben genau so, wie in dieser Geschichte!

Ein wenig sind die „älteren Semester“ momentan gerade in bei Krimis, besonders bei Cozy Crime. Das finde ich auch sehr ansprechend und gefällt mir. Vor allem, weil hier noch dänischer Lebensflair einfließt und die Figuren recht schrullig und außergewöhnlich sind.

Es wird sehr viel von Anne-Maj und ihrem Leben erzählt. Da rückt der eigentliche Kriminalfall teilweise schon weit nach hinten. Da geht es um Diäten und Hundeerziehung, um Beziehungen zu Kindern und Enkeln, Familienessen und Gartenarbeit. Ganz schön viel für eine Vorruheständlerin! Doch am Ende gibt es tatsächlich eine Art Show-Down, der Schwung in das kleine, vermeintlich verschlafene Nest bringt! Sehr schön gemacht!

Mir wäre das alles dann für einen Einzelband ein wenig zu geruhsam und zu viel drum herum, aber da es der Auftakt einer Serie ist, sind all diese zusätzlichen „Baustellen“ schon relativ wichtig. Das Highlight des Jahres wird dies nicht, aber in besonders stressigen Zeiten, wenn man sich nur ein wenig berieseln lassen möchte und es nicht allzu nervenaufreibend sein soll, da passt es prima. Ich gebe vier Sterne.

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Veröffentlicht am 01.04.2022

Mitmach-Buch

Teigliebe
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Anna Röpfl startet mit ein paar Informationen rund ums Backen, Zutaten und Teige. Das Besondere an ihrem Buch ist nämlich, dass es in die vier Grundteige Rührteig, Mürbteig, Hefeteig und Biskuitteig unterteilt ...

Anna Röpfl startet mit ein paar Informationen rund ums Backen, Zutaten und Teige. Das Besondere an ihrem Buch ist nämlich, dass es in die vier Grundteige Rührteig, Mürbteig, Hefeteig und Biskuitteig unterteilt ist. Für die, die unsicher sind, gibt es zu jedem Grundteig einen QR-Code, über den man ein Video abrufen kann und sieht, wie der jeweilige Teig hergestellt wird. Mkkm Dabei gibt es immer die klassische und die vegane Variante. Das ist an sich wirklich super, doch in der Praxis ist es ein bisschen nervig, wenn man als Nichtveganer ein Rezept nachbacken will, das in der veganen Variante abgedruckt ist. Da kann man nicht gleich loslegen, sondern muss nachschlagen, wie man das nun klassisch hinbekommt. Ich gestehe: mir ist das zu aufwändig, da nehme ich (leider) ein anderes Rezept.

Als weiteres Extra gibt es eine Reihe Rezepte, die ohne Backofen, ohne Mehl/Gluten, ohne Waage, ohne Rührgerät oder ohne Backform auskommen. Klingt schräg? Ist es gar nicht! Aber ein wenig getrickst ist hier dann schon – Apfelküchlein aus der Pfanne sind in meinen Augen keine Kuchen im klassischen Sinne, aber nicht umsonst heißt das Buch ja auch „TEIGLIEBE“. Und Teig ist da auf alle Fälle dran!

Neben der Zutatenliste und der darunter aufgeführten Schritt-für-Schritt-Anleitung findet sich genug Platz, dass man Notizen ins Buch schreiben kann. Ja, das kann nicht jeder so einfach, in Bücher schreiben! Aber gerade bei Rezepten ist das meiner Meinung nach wichtig und richtig und es macht jedes Koch- oder Backbuch erst so richtig schön und wertvoll! Genau deshalb hat Anna Röpfl dafür gesorgt, dass hinten im Buch einige Seiten vorhanden sind, auf denen man seine eigenen Rezepte notieren kann. Das ist herrlich bequem und schön!

Die Rezepte kommen fast komplett ohne „exotische“ Zutaten aus. Ich persönlich nutze keinen Vanillezucker, sondern Vanilleextrakt. Auch findet sich bei mir keine gemahlene Vanilleschote. Doch das sind eben Beispiele jener Punkte, die man selbst verändern kann. So backt die Autorin mit dem Standardweizenmehl Typ 405, bei mir wird bei Weißmehl nur Typ 550 verwendet. Doch da kann man ebenso frei austauschen, wie man auch überhaupt das Mehl gegen anderes (Dinkel, Vollkorn) austauschen kann.

Die von mir ausprobierten Kuchen sind alle bei den „Testessern“ gut angekommen. Ich selbst habe zwar die eine oder andere Kritik, doch das liegt einfach am persönlichen Geschmack. Beim Mohn-Streusel-Kuchen beispielsweise finde ich den Mürbteig nicht so traumhaft, wie den, den ich mit dem Rezept meiner Großmutter mache. Aber die Füllung und die Streusel sind traumhaft! Also tausche ich die Zutaten vom Teig so aus, dass es für mich passt. Beim Butter-Mandel-Kuchen mag ich den Zucker obenauf so nicht, da nehme ich Honig. Alles gar kein Problem – Anna Röpfl macht gerade dazu Mut in ihrem Buch!

Ab und an ging wohl beim Erstellen des Buches etwas mit den Angaben schief. Es stimmen nicht immer die Backformen in der Liste mit denen auf dem Bild und/oder der Anleitung überein. Auch bei den Angaben zu den Arbeitszeiten hakt es etwas. Gerade beim Mohnkuchen haut das mit 35 Minuten Zubereitungszeit auf keinen Fall hin. Ich bin kein Anfänger und habe mehr als das Doppelte an Zeit benötigt! Doch diese „Kleinigkeiten“ kann man verkraften, würde ich mal sagen. Dafür finden sich auch ein paar weihnachtliche Rezepte, sodass man mit dem Backbuch rund ums Jahr das passende Rezept zur Hand hat.

Für Backanfänger ganz sicher ein besonders schönes Buch. Für „Fortgeschrittene“ nicht ganz so perfekt, aber dennoch eine Bereicherung im Backbuch-Regal! Man kann problemlos ähnlich eines Baukastensystems Teige und Zutaten verändern, wodurch man dann seinen perfekten Kuchen erhält. Die Autorin weiß es, dem Leser den Mut zu geben, sich nicht strikt an die Vorgaben zu halten, sondern kreativ zu werden. Das finde ich wunderbar! Alles in allem gebe ich vier Sterne.

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Veröffentlicht am 01.04.2022

Zusammenhänge und Zufälle – eben das Leben!

Henry
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Marion Angermeier räumt gerade den Einkauf aus dem Auto ins Haus, als ein Fremder die Gelegenheit nutzt, ihr Auto zu stehlen. Das wäre längst nicht ein so großes Drama, doch auf der Rückbank schläft ihre ...

Marion Angermeier räumt gerade den Einkauf aus dem Auto ins Haus, als ein Fremder die Gelegenheit nutzt, ihr Auto zu stehlen. Das wäre längst nicht ein so großes Drama, doch auf der Rückbank schläft ihre 12-jährige Tochter Henriette, die von allen Henry genannt wird. Während die Polizei mit Marion und Thomas nichts unversucht lässt, den Entführer zu finden, erlebt Henry den großartigsten Ausflug ihres Lebens …

Die ist ein so wunderbares Buch, das mit einer erstaunlichen Leichtigkeit sehr viele und ganz große, schwere Themen aufgreift und dem Leser nahelegt. So schwer es ist, wenn man selbst in die Pubertät kommt, so schwer ist es auch und gerade für die Eltern. Schaut man als Erwachsener zurück, gibt es ganz sicher immer Dinge, die nicht so prickelnd waren, vielleicht auch eine Aufarbeitung benötigen, ob mit oder ohne fachmännische Hilfe. Dieses Buch zeigt, dass es weder schlimm ist, Hilfe in Anspruch zu nehmen, noch irgendjemand das Recht hat, über die Größe der zu bewältigenden Probleme zu urteilen. Nicht alle angeschnittenen Themen werden tiefer ausgearbeitet, aber das ist in meinen Augen auch nicht nötig. Das Anschneiden allein löst schon Gedankengänge aus, die der Leser selbständig allein für sich weiterdenken kann.

Man schwankt immer wieder zwischen Mitgefühl für Marion und Wut auf sie. Doch bleibt immer ein Rest Verständnis und Wissen, dass man es niemals schafft, alles richtig zu machen. Gleiches gilt auch für Thomas und Henry, aber ebenso für Sven und Nadja. Das ist wunderbar, denn es gilt eben einfach für jeden einzelnen Menschen!

Sehr schön ist auch, dass hier tatsächlich jeder Fehler macht. Wie im echten Leben! Und vielleicht machen alle genau deshalb irgendwie am Ende doch alles richtig? So lustig und erfrischend weite Strecken des Buches sind, kommen doch auch sehr ergreifende und bewegende Stellen vor. Das macht es in meinen Augen noch besser! Auf so wenigen Seiten im Grunde das ganze Leben zu erfassen, so viele Probleme im zwischenmenschlichen Bereich aufzuzeigen, so wunderbar das seelische Chaos einer Pubertierenden darzulegen, so sehr das Leben zu feiern und zu lieben – das ist Florian Gottschick unsagbar gut gelungen!

Es gibt insgesamt nicht sehr viele Figuren und das macht das Buch sehr leicht und flott lesbar. Man kann sich dadurch gut auf die jeweilige Figur fokussieren und behält immer den Überblick. Vielleicht ist das Zitat aus einem anderen Buch, das hier eingewoben wurde, die beste Beschreibung überhaupt. Es ist aus „Die juristische Unschärfe einer Ehe“ von Olga Grasova: „Man braucht nicht auf die Midlife-Crisis zu warten, man kann sein Leben auch schon mit Mitte 20 wunderbar gegen die Wand fahren.“ Auch „Aber bei Thomas überschlägt sich nichts, sondern verirrt sich in unbewohnten Hirnwindungen.“ ist so ein Moment, der bei mir in Herz und Seele kleine Glöckchen hat klingen lassen. Ganz großes Kino ist dann die Beschreibung der Szene im Kürbisfeld. Da glaubt man fast nicht mehr, dass es Fiktion ist! Sätze wie „Er schaut zu den Kürbissen, von denen der eine seine interzellulare Struktur schlagartig umdisponiert hat.“ müssen einem erst einmal einfallen! Mich machen sie beim Lesen einfach nur glücklich!

Das ist die Art Bücher, von denen ich nicht genug bekomme, die man aber sehr selten findet. Ich liebe es und gebe fünf Sterne!

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Veröffentlicht am 25.03.2022

Plätschert ziellos vor sich hin – Thrill fehlt völlig

Der Gräber
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Der Verlag droht, in die Insolvenz zu steuern. Ein Bestseller könnte ihn retten. Auf der Suche danach fällt der Lektorin Annika Granlund ein Manuskript in die Hände, das in mehrerlei Hinsicht umwerfend ...

Der Verlag droht, in die Insolvenz zu steuern. Ein Bestseller könnte ihn retten. Auf der Suche danach fällt der Lektorin Annika Granlund ein Manuskript in die Hände, das in mehrerlei Hinsicht umwerfend ist. Es scheint vom seit sechs Jahren verschollenen Autor Jan Apelgren zu stammen! Aber dann stellt sich heraus, dass das Buch der Realität ein wenig zu sehr gleicht …

Hier habe ich meine Erfahrung mit skandinavischen Autoren bestätigt bekommen. Die Grundidee ist immer super, die Ausführung aber gern zäh, düster, depressiv, bedrückend, dunkel. Ein wenig, als würden die kurzen Tage und langen Nächte selbst beim Schreiben aufs Gemüt schlagen! Es finden sich immer wieder Längen und teils unfassbar nervige blumige und extrem ausgeschmückte Be- und Umschreibungen. Mir ist nicht eine einzige Figur nahe gekommen. Sympathie konnte ich selbst für die „schwachen“ Figuren nicht empfinden. Ein Großteil des Buches handelt von den vielen privaten Problemen jeder einzelnen Figur. Das langweilt sehr, zumal es nicht zur Handlung beiträgt. Sehr oft werden unlogische Handlungen bedingungslos durchgezogen. Zurückrudern, wenn eine Figur ihren Fehler erkennt? Nein, das wäre ja zu einfach! Diese Dinge ärgern mich aber auch bei Büchern, nicht nur im wahren Leben.

Im Grunde hat jede Figur im Buch gewissermaßen Leichen im Keller. Auch und gerade Annika. Dass sie dann auch noch ausgerechnet das Haus von Jan Apelgren kauft und darin wohnt, ist einfach zu viel des Guten. Hier spätestens fängt es an, sehr „drüber“ zu sein.

Die Einschübe des Gräbers sind kurz und extrem düster und ergeben anfangs nur sehr wenig Sinn. Dazu kommt ein Strang im Jetzt. Dieser plätschert recht seicht dahin. Spannung kommt nur ganz selten auf und verläuft sich dann auch wieder. Die Szenen aus der Zeit von vor sechs Jahren halten meist mehr auf, als dass sie zum Verständnis der Story beitragen.

Der Gräber selbst, der jedes Jahr am selben Tag in ein Haus eindringt und durch den Keller sein Opfer entführt, bietet jede Menge Spannungspotenzial. Aber genau dies wird vernachlässigt. Immer wieder wird von der Angst vor dem Keller erzählt, die Polizei fürchtet sich vor dem „Stichtag“, aber das war es dann auch schon. Ich gebe zu, es hat mich viel Willenskraft gekostet, bis zum Ende durchzuhalten. Ich hatte darauf gehofft, dass mich das Ende versöhnlich stimmt, mich überzeugen kann und alles rund macht. Doch leider wurde ich auch hier enttäuscht. Einen Effekt, wie die Knaller-Enden bei Horrorromanen von Stephen King bleibt aus. Ein Teil war sehr früh zu erahnen, ein anderer Teil bleibt unaufgelöst. Das ist sehr unbefriedigend.

Ich mag Horror. Ich komme auch gut mit unrealistischen Szenarien klar, mit „Wesen“ jedweder Art. Aber dieses Buch war leider ein Fehlgriff. Zwei Sterne, mehr ist leider nicht drin.

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Veröffentlicht am 22.03.2022

Die Wahrheit aus den Akten und die Wahrheit aus dem Leben

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
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Michael Hartung lebt im Grunde so vor sich hin. Recht ziellos, von einem Tag auf den anderen, nicht wirklich erfolgreich und ein bisschen verloren. Irgendwie klappt nie etwas, das er anfängt. Kein Wunder ...

Michael Hartung lebt im Grunde so vor sich hin. Recht ziellos, von einem Tag auf den anderen, nicht wirklich erfolgreich und ein bisschen verloren. Irgendwie klappt nie etwas, das er anfängt. Kein Wunder also, dass er noch immer an seiner Videothek festhält, obwohl längst kaum Umsatz damit zu machen ist, weil alle Welt Filme streamt. Auch kein Wunder, dass er die Miete nicht zusammenbekommt. Und wenn dann ein Journalist auf der Suche nach einer guten Story zum 30. Jahrestag des Mauerfalls Michael quasi die Lösung all seiner Probleme aufdrängt, dann, ja dann … ergreift Michael diese Chance. Dass das nicht wirklich gutgehen kann, ist ihm klar, aber was hat er schon zu verlieren?

Michael Hartung ist das, was man bei uns eine „verkrachte Existenz“ nennt. Super sympathisch im Grunde, aber auch an seiner Lage selbst schuld. Wer es sich immer bequem macht, der kommt eben zu nix. Aber dennoch mag man ihn irgendwie. Und ganz ehrlich, wenn es einem so leicht gemacht wird, einige Probleme auf einmal loszuwerden, ein bisschen zu glänzen und der erwachsenen Tochter die Chance zu geben, stolz auf sich zu sein, dann, ja dann … nutzt man das!

Ich hätte unseren Helden öfter mal gern geschüttelt, aber gleichzeitig auch wie ein kleines Kind schützen wollen und ihm helfen, endlich in die Puschen zu kommen. Nach und nach erfährt man nicht nur, was 1983 passiert ist – laut Akten und der Wahrheit -, sondern auch, wie Michael wurde, wie er ist. Böse sein kann man ihm nicht wirklich!

Die Story entwickelt sich wunderschön bildhaft. Viele kleine Ursachen, die sich auswachsen und kleine, mittlere und große Lawinen auslösen, sind nicht nur amüsant, sondern regen auch zum Nachdenken an. Der Mensch sieht eben, was er gern sehen möchte. Die Wahrheit dahinter sieht fast immer völlig anders aus. Genau das stellt man hier fest – und zwar in ganz großem Maße. Aber auch, dass alles seinen Weg geht, ganz gleich, was passiert. Hartungs große Liebe, der er irgendwie sein ganzes Leben lang nachhing, hat sein Leben auf völlig andere Weise verändert, als er selbst zunächst und lange Jahre dachte.

Die Folgen, die der Zeitungsartikel hatte, sind nicht nur für Hartung größer, als erwartet. Auch der Journalist erkennt, wohin ihn sein Eifer und sein Wunsch, groß herauszukommen, hingebracht haben. Für beide geht es irgendwann darum, dass die Wahrheit nicht ans Licht kommen darf und sie ihr Konstrukt aufrecht erhalten müssen. Immerhin ist ein Teil davon ja wahr! Und nicht nur die beiden sind darauf bedacht. Köstlich, wie nach und nach alles weite Kreise zieht, wie bei einem Stein, den man ins Wasser wirft und der das Wasser immer mehr nach allen Seiten verdrängt.

Für Moralapostel dürfte diese Story eine Katastrophe sein. Für Menschen, die feinen Humor lieben, ist sie großartig. Durchzogen wird die Geschichte aber auch mit ganz vielen goldenen Fädchen der Liebe. Da ist die verflossene Liebe, die unter keinem guten Stern stand. Da ist die Liebe zum eigenen Kind. Da ist die Liebe zum Leben. Und da ist die wahre Liebe, die zarte Liebe, die aufkeimende Liebe. Und sogar die Liebe zur Wahrheit.

Sehr schön hier ist auch, dass man selbst erkennt, wie leicht man sich ein falsches Bild macht. Und wie schwer es ist, das zuzugeben und dann zur neuen Sicht zu stehen. Die Figuren sind allesamt nicht makellos, nicht fehlerfrei, nicht perfekt. Gerade das macht sie allesamt liebenswert. Vor allem entwickelt man sich selbst quasi mit ihnen zusammen weiter. Wow!

Ich bin kein Fan der immer wieder aufflackernden Ost-West-Geschichten. Aber diese hier hat mich komplett abgeholt, denn sie ist einfach anders. Sie handelt nicht nur von der DDR, der Stasi, den Fluchthelfern, sondern ist Sinnbild für so viele andere Momente in jedem Leben. Es kommen viele Dinge zusammen, um jemanden zum Helden zu machen. So auch hier. Und ja, Hartung ist ein Held. Aber auf so völlig andere Art, wie er selbst dachte und wie der Rest der Welt dachte. Klischees und Gerüchte – das Leben ist voll davon. Das ist so herrlich schön herausgearbeitet, dass es fünf Sterne verdient!

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