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Veröffentlicht am 19.06.2024

Einbildung oder Wirklichkeit?

Das Loch
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Als Asas Mann versetzt wird, beschließen die beiden, von der Großstadt aufs Land zu ziehen. Dort leben sie im Haus neben den Schwiegereltern und Asa muss aufgrund der Entfernung ihren Job aufgeben. Nun ...

Als Asas Mann versetzt wird, beschließen die beiden, von der Großstadt aufs Land zu ziehen. Dort leben sie im Haus neben den Schwiegereltern und Asa muss aufgrund der Entfernung ihren Job aufgeben. Nun verbringt sie ihre Tage allein, kommt ihren Pflichten als Hausfrau nach und hilft manchmal ihrer Schwiegermutter aus. Als sie für diese einen Botengang erledigen soll, fällt sie wortwörtlich in ein Loch. Eine Frau hilft ihr hinaus und fortan scheint alles um sie herum so seltsam und anders.

„Das Loch“ ist der zweite Roman der japanischen Autorin Hiroko Oyamada, für welchen sie mit dem renommierten Akutagawa Prize ausgezeichnet wurde. Die Übersetzung stammt von Nora Bierich, die auch Autoren wie Kenzaburō Ōe und Yukio Mishima ins Deutsche überträgt. Die Handlung erzählt Protagonistin Asa selbst, so als würde sie einer Freundin berichten, was in ihrem Leben in den letzten Wochen vorgefallen ist. Das bedeutet allerdings auch, dass wir uns auf ihre Wahrnehmung verlassen müssen und diese scheint sich nach dem Vorfall mit dem Loch zu verschieben.

Zunächst könnte der Roman als reine Sozialkritik an der Rolle der Frau in der Gesellschaft verstanden werden, für die stets die Karriere des Manns im Vordergrund stehen soll – egal, wie sich das auf das eigene Selbstwertgefühl auswirkt. Doch bald ereignen sich Szenen, die mich stark an Haruki Murakami erinnert haben. Asa begegnet einem bizarren schwarzen Tier, fällt in ein Loch, das extra für sie gegraben zu sein scheint und trifft auf den Bruder ihres Mannes, dessen Existenz ihr gegenüber noch nie jemand erwähnt hat. Auch die Natur scheint ein bedrohendes Eigenleben zu entwickeln, mit Regengüssen und Massen von Zikaden.

Irgendwann im Verlauf der Handlung verwischen die Grenzen zwischen dem, was wirklich passiert und dem, was Asa sich möglicherweise nur einbildet. Das Ende des Romans kam für mich dann sehr abrupt und lässt mich mit zahlreichen Fragen zurück, auf die es vermutlich keine klaren Antworten gibt.

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Veröffentlicht am 17.06.2024

Schöner Roman über Zusammenhalt

Forgotten Garden
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Seit Luisa vor einigen Jahren ihren Mann verloren hat, zieht sie sich von allem zurück. Ihr einziger Fixpunkt ist die Arbeit für eine unerträgliche Chefin, die sie und ihre Kreativität ausnutzt. Doch dann ...

Seit Luisa vor einigen Jahren ihren Mann verloren hat, zieht sie sich von allem zurück. Ihr einziger Fixpunkt ist die Arbeit für eine unerträgliche Chefin, die sie und ihre Kreativität ausnutzt. Doch dann erhält sie ein verlockendes Angebot: In Collaton, einem Küstenort, soll sie ein verwildertes Grundstück in einen Gemeinschaftsgarten verwandeln. Luisa nimmt an, doch die Anwohner scheinen sich nicht für ihr Vorhaben zu interessieren oder legen ihr sogar Steine in den Weg. Nur Cas, Lehrer und Betreuer eines Boxprojekts, unterstützt sie und bald muss Luisa sich fragen, ob sie überhaupt bereit für einen Neuanfang ist.

„Forgotten Garden“ ist der dritte Roman der britischen Journalistin und Schriftstellerin Sharon Gosling. Zuvor hatte ich von ihr bereits „Lighthouse Bookshop“ gelesen, was mir gut gefallen hat. Erzählt wird die Handlung aus der Sicht dreier Charaktere, jeweils in der dritten Person und Vergangenheitsform: Protagonistin Luisa, Lehrer Cas und Harper, eine der Jugendlichen aus seinem Boxprojekt. So ist es uns als Leser*innen möglich, die Geschichte von allen Seiten und aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten.

Seit dem Tod ihres Mannes hat Luisa Schwierigkeiten, sich auf andere einzulassen und eigentlich nur ihre Schwester Jo um sich. Im Garten beginnt sie jedoch, sich an die alte Luisa zurückzuerinnern, die es liebte, Landschaften zu gestalten und gemeinsam mit ihrem Mann an Umweltprojekten zu tüfteln. In Harper entdeckt sie eine begabte junge Frau, die jedoch ganz andere Prioritäten im Leben hat, kümmert sie sich doch allein um ihren jüngeren autistischen Bruder. Cas hingegen macht gerade eine schwierige Phase in seiner Beziehung durch und wird außerdem von einem Vorfall in seiner Vergangenheit eingeholt.

Es gefällt mir gut, dass Sharon Gosling sich hier nicht einfach in eine Romanze zwischen Luisa und Cas stürzt, sondern zum Ausdruck bringt, dass manches sich nicht so einfach überwinden lässt. Auch die Idee des Gartens ist schön und bringt die unterschiedlichsten Menschen zusammen; für meinen Geschmack macht die Autorin jedoch zu viele Themen auf einmal auf.

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Veröffentlicht am 12.06.2024

Ein eindringlicher Roman über Freundschaft, weibliches Leiden und Solidarität

Malnata
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Italien, 1935. Francesca ist die Tochter eines Hutfabrikanten und verbringt ihre Zeit nur zuhause. Doch dann trifft sie zum ersten Mal auf Maddalena, die von allen nur „Malnata“ („die Unheilbringende“) ...

Italien, 1935. Francesca ist die Tochter eines Hutfabrikanten und verbringt ihre Zeit nur zuhause. Doch dann trifft sie zum ersten Mal auf Maddalena, die von allen nur „Malnata“ („die Unheilbringende“) genannt wird und ist sofort fasziniert. Deren Kleidung ist stets schmutzig, sie läuft barfuss herum und hat vor nichts und niemandem Angst. Die beiden ungleichen Mädchen freunden sich an, doch schon bald muss Francesca feststellen, welchen Preis ihre Freundin für ihre Freiheit und ihr Anderssein bezahlen muss.

„Malnata“ ist der Debütroman der Autorin Beatrice Salvioni; ins Deutsche übersetzte Anja Nattefort, die beispielsweise auch einige Romane von Elena Ferrante übertrug. Die Geschichte beginnt mit einem Prolog, der eine Schlüsselszene für die Handlung und die Freundschaft der beiden Mädchen darstellt, und endet mit einem Epilog, der sich zeitlich direkt an die Geschehnisse des Prologs anschließt. Dazwischen wird in insgesamt vier Teilen erzählt, wie Francesca und Maddalena sich kennenlernen und sich von diesen Punkt aus die Ereignisse entfalten.

Die Kulisse des Romans bildet das faschistische Italien und der Beginn des Abessinienkriegs. Der Autorin gelingt es sehr eindrücklich zu schildern, wie auch gute Menschen zu Mitläufern werden – sei es, um sich finanziell abzusichern oder ihre Familie zu schützen. In diesem Chaos blüht die Freundschaft zwischen den beiden Mädchen auf. Von Maddalena lernt Francesca zum ersten Mal, dass es nicht unbedingt erstrebenswert ist, in der Masse unterzugehen. Ihre Andersartigkeit wird jedoch hart bestraft, denn es halten sich nicht nur alle von Maddalena fern, sie wird auch bezichtigt, verflucht zu sein und anderen den Tod zu bringen – ein Vorwurf, den das arme Mädchen nicht abschütteln kann, fühlt sie sich doch wirklich für den Tod des Vaters und ihres kleinen Bruders verantwortlich.

„Malnata“ ist ein eindringlicher Roman über Freundschaft, weibliches Leiden und Solidarität, der an Elena Ferrantes „Meine geniale Freundin“ erinnert, mir jedoch wesentlich besser gefallen hat. Einziger Kritikpunkt: Ich hätte Francesca und Maddalena gerne noch länger begleitet.

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Veröffentlicht am 06.06.2024

Einer der besten Bände bisher

Dorf unter Verdacht
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September 1939. Gerade ist der Zweite Weltkrieg ausgebrochen und tausende verzweifelte Eltern schicken ihre Kinder zum Schutz aufs Land. Schriftstellerin Josephine Tey befindet sich mit ihrer Lebensgefährtin ...

September 1939. Gerade ist der Zweite Weltkrieg ausgebrochen und tausende verzweifelte Eltern schicken ihre Kinder zum Schutz aufs Land. Schriftstellerin Josephine Tey befindet sich mit ihrer Lebensgefährtin Marta in ihrem Cottage in Polstead, Suffolk, als auch dort eine Gruppe ankommt. Spontan nehmen sie einen Jungen bei sich auf und als Inspektor Archie Penrose einige Tage später anreist, scheint die Situation im Dorf zu eskalieren. Ein kleines Mädchen ist verschwunden und alle bezichtigen sich gegenseitig. Außerdem scheint ein in London geschehener Mord irgendwie mit den Vorkommnissen in Polstead in Verbindung zu stehen.

„Dorf unter Verdacht“ ist bereits der 10. Band der Reihe von Nicola Upson rund um Josephine Tey und ihren Freund Archie Penrose. Die nicht vollkommen chronologische Veröffentlichung erschwert die Lektüre ein wenig, da ich aber bereits Band 9 kenne, schließt sich dieser aktuelle gut an. Erzählt wird, wie üblich, hauptsächlich aus der Perspektive von Josephine, manchmal wechselt sie jedoch auch zu Archie oder Marta, wenn diese etwas Relevantes erleben, während Josephine sich anderswo aufhält.

Zentrales Element der Handlung ist der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und die Folgen für die Charaktere. Archie, der bereits im Esten Weltkrieg gedient und Furchtbares erlebt hat, ist inzwischen zu alt, um eingezogen zu werden – was ihm nicht nur positive Gefühle beschert. Josephine steht wiederum kurz davor, von Marta getrennt zu werden, da diese in die USA reisen und dort mit Alfred Hitchcock an einem Film arbeiten soll. Ob und wann sie sich wiedersehen werden, scheint unsicher.

Sehr bewegend ist auch die Situation, in der sich die Eltern befinden, die ihre Kinder aufs Land schicken. Auch sie wissen nicht, wann sie sich wiedersehen und als nacheinander sogar mehrere Kinder verschwinden, wird deutlich, welche unmögliche Entscheidung hier getroffen werden musste. In dieser Thematik wird der Roman auch sehr düster, was diejenigen berücksichtigen sollten, die empfindlich reagieren, sobald Kinder in einem Krimi involviert sind. Für mich jedoch einer der besten Bände bisher.

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Veröffentlicht am 05.06.2024

Eine grandiose Reihe

Der Profi
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Kabuto ist schon seit über 20 Jahren Auftragskiller, doch nun möchte er endlich aussteigen. Sein Kontaktmann, ein Mafiaboss, der nur „der Doktor“ genannt wird, ist davon nicht begeistert. Er fordert vom ...

Kabuto ist schon seit über 20 Jahren Auftragskiller, doch nun möchte er endlich aussteigen. Sein Kontaktmann, ein Mafiaboss, der nur „der Doktor“ genannt wird, ist davon nicht begeistert. Er fordert vom ihm daher einige letzte, schwierige Aufträge ein, in denen er andere Killer töten soll. So muss Kabuto einerseits den Alltag mit seiner Frau und seinem Sohn Katsumi bewältigen und gleichzeitig versuchen, die beiden zu beschützen. Von seinem wahren Beruf dürfen sie natürlich nichts wissen. Doch hat der Doktor wirklich vor, Kabuto gehen zu lassen?

„Der Profi“ ist der dritte Band der Reihe des japanischen Schriftstellers Kōtarō Isaka rund um die verschiedensten Auftragsmörder aus Tokios Unterwelt; ein vierter erschien bisher nur im Original. Auch dieser Roman wurde wieder von Sabine Mangold übersetzt, die zum Beispiel auch die Werke von Yoko Ogawa ins Deutsche überträgt. Erzählt wird die Handlung hauptsächlich aus der Sicht des Protagonisten Kabuto in der Ich- und Vergangenheitsform, sie wechselt gegen Ende aber auch immer wieder zu seinem Sohn Katsumi.

Diese Reihe besticht für mich durch einen unvergleichlichen Mix aus Thrillerelementen, humorvollen, fast schon slapstickartigen Szenen und Gedanken über das Leben und wie man sich dieses erträumt. Kabutos Berufsleben, in dem er stets kühl abwägt und die Oberhand behält, steht in starken Kontrast zu seinem Privatleben. Vor seiner Frau ängstigt er sich geradezu und versucht ständig an ihrem Verhalten abzulesen, welche Erwartungen sie an ihn hat – eine Tatsache, die Teenager Katsumi unglaublich witzig findet und über die man auch als Leser*in unweigerlich schmunzeln muss.

Als das Tempo der Handlung zunimmt und Kabuto um sein Leben und das seiner Familie fürchten muss, hält „Der Profi“ einige überraschende Wendungen bereit. Besonders spannend ist hier auch die Perspektive des Sohnes auf das Familienleben und die Person seines Vaters, den er liebt, aber vielleicht nicht immer versteht. Durch einen Zeitsprung sehen wir den Jungen nun selbst als Vater, der versucht, durch die Schwierigkeiten des Lebens zu navigieren – mit Kabuto als Vorbild.

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