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Veröffentlicht am 17.04.2017

Das Vermächtnis – Psychologisch gut aufgebaut, spannend und erfrischend anders

Grausames Erbe
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Kansas, USA: Die 21-jährige Petty Moshen lebt mit ihrem einsilbigen Vater ein eintöniges Leben, abseits jeden Trubels. Nur die Arbeit im Kassenhäuschen des Schrottplatzes, gewährt Petty ein wenig Abwechslung, ...

Kansas, USA: Die 21-jährige Petty Moshen lebt mit ihrem einsilbigen Vater ein eintöniges Leben, abseits jeden Trubels. Nur die Arbeit im Kassenhäuschen des Schrottplatzes, gewährt Petty ein wenig Abwechslung, denn sie lebt seit 18 Jahren wie eine Gefangene im eigenen Zuhause.

Nachts ist ihre Zimmertür mit sechs Riegeln verschlossen, das Grundstück wird von zwei scharfen Hunden bewacht und Petty ist stets bewaffnet. Vom Vater ist sie in Reaktionsbereitschaft, Beobachtungsgabe und Orientierung geschult und trainiert, außerdem beherrscht Petty den Nahkampf, doch das Warum bleibt ihr fremd.

Petty träumt von Freiheit und als ihr Vater plötzlich stirbt, sieht sie ihr bereits entgegen. Doch bei der Testamentseröffnung wird deutlich, dass der Vater ein grausames Vermächtnis hinterlässt, das Petty weiterhin kontrollieren und einsperren wird.

Petty kann die unvorstellbaren Bedingungen des Vermächtnisses nicht annehmen und setzt sich diesen mit aller Kraft zur Wehr. Auf der Suche nach der Vergangenheit muss Petty plötzlich flüchten und setzt dem Auslieferungsfahrer Decker eine Waffe an die Schläfe, der sich dann zu ihrer einzigen Hilfe entpuppt, bevor sie in einen Strudel geraten, der ihre Leben in höchste Gefahr bringen.

Die Autorin:

LS Hawker wuchs in einem Vorort von Denver auf, wo sie eine Besorgnis erregende Faszination für True-Crime-Bücher entwickelte und Geschichten über menschenartige Früchte und jugendliche Straftäter schrieb. Ihren ersten Roman verfasste sie mit 14 Jahren.

An der University of Kansas hat sie erfolgreich Journalismus studiert, danach eine Radioshow mit dem Namen „People are so stupid“ moderiert, für ein Fachmagazin korrigiert und als reisende Porträtfotografin fotografiert - bei alldem aber niemals ihre Leidenschaft für das Schreiben verloren.
Sie hat einen urkomischen, verständnisvollen Ehemann, zwei großartige Töchter und eine riesige Musiksammlung. Sie lebt in Colorado, fühlt sich aber in Kansas spirituell zuhause. (Quelle: HarperCollins Verlag)

Reflektionen:

LS Hawker ist ein fesselnder Thriller gelungen, der zwar mit geringem Blutvergießen auskommt, aber trotzdem grausam und brutal ist. Psychologisch geschickt aufgebaut zieht sich die konstant knisternde Spannung wie ein roter Faden durch die Seiten.

Der Einstieg in die Handlung gelingt mühelos, trotz dass man von Anfang an aus dem Staunen nicht mehr herauskommt, da Pettys stark eingeschränktes Leben durch ihre Gefangenschaft so brutal und furchteinflößend erscheint.

Für Petty hingegen ist das Leben mit Überlebenstraining, Disziplin und Waffenausbildung tägliches Brot und normal. Ihre Lebenserfahrung bezieht sie einzig aus einer Krimiserie, die sie abgöttisch liebt und der sie das menschliche Verhalten entnimmt, das ihr Vater sie in Gefangenschaft nicht lehren konnte.

Wortkarg geht er mit ihr um, sodass sie kaum etwas von ihrer Familie und vor allem von ihrer Mutter weiß, die einem Brand zum Opfer gefallen ist und deren Namen sie noch nicht einmal kennt.

Als der Vater plötzlich verstirbt, prallt das wahre Leben mit einer enormen Wucht auf sie ein und gleichzeitig muss sie vor der Polizei und einem grausamen Vermächtnis fliehen. Begleitet wird sie auf der dramatischen Flucht von Decker, der etwa gleichaltrig nicht fassen kann, das Petty Alltägliches nicht kennt und jede Form von Nähe als Bedrohung wahrnimmt, die sie mit Waffengewalt beantwortet. Für Dekker, der sich in Petty verliebt, werden Redensarten, Flunkereien und rhetorische Fragen zum bedrohlichen Spießroutenlauf.

Den Konflikt den Petty in Freiheit mit sich und ihrer Umwelt austragen muss, ist dramatisch in Szene gesetzt. Einerseits ist es durchaus auch amüsant, das Petty viele Dinge fremd sind, aber größtenteils erkennt man den Wahn, mit dem Pettys Vater sie beschützen wollte, und der macht Angst vor dem Ungewissen.

Auf der Flucht vor der Polizei und den dunklen Gestalten die ihnen folgen, lernt Petty Dekkers Familie kennen, die sie fürsorglich und liebevoll aufnehmen. Petty ist es kaum möglich mit ihnen umzugehen, da ihr all das Zwischenmenschliche fremd ist. Diese Situationen sind von der Autorin glaubwürdig dargestellt, sodass der Leser auch emotional gefangen genommen ist.

Die gefährliche und lebensbedrohliche Flucht ist gleichzeitig auch die Suche nach Pettys Vergangenheit, die in actionreichen Szenen durchaus an einen weiblichen Jason Bourne erinnern.

LS Hawks schreibt in einer klaren und ansprechenden literarischen Tonalität, die die beängstigende Stimmung gut einfängt und damit auch die Lesegeschwindigkeit beeinflusst. Nicht immer agiert das Tempo auf einem hohen Niveau, es kommt auch zu kleineren Längen, aber insgesamt darf man einen äußerst spannenden Thriller erwarten, der erfrischend anders eine Thematik einfängt, die andere längst durch eine Art totgeschrieben haben, die nur noch langweilt.

Die Perspektiven, die zwischen Petty und Decker wechseln, können anfangs leicht verwirren, aber einmal eingelesen, kreieren sie eine lebendige Erzählweise, die die Sichtweisen der wohl und interessanten Charaktere gut zeichnen.

Besonders gelungen sind überraschende Wendungen, die hervorgerufen durch Handlungen der Figuren immer wieder Rätsel aufgeben, sodass man bis zur letzten Seite kaum vermuten kann, wer tatsächlich auf Pettys Seite steht.

Tiefgründig beleuchtet LS Hawks mit ihrem Titel auch Zwischenmenschliches, Vertrauen, Verrat und Freundschaft und lässt ihr Werk so zu einem rundherum guten und spannenden Leseerlebnis werden, das spannende Stunden garantiert.

Fazit und Bewertung:

Grausamens Erbe ist ein psychologisch intelligent aufgebauter Thriller, spannend und erfrischend anders. Er erzählt die Geschichte von Petty, die 18 Jahre lang in ihrem Zuhause wie eine Gefangene lebte. Als ihr Vater stirbt und die langersehnte Freiheit zum Greifen nah ist, offenbart man ihr das grausames Vermächtnis des Vaters, das dramatische Folgen nach sich zieht.

Veröffentlicht am 17.04.2017

Ob Liebe immer Dativ ist?

Die Grammatik der Rennpferde
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Salli Sturm ist Deutschlehrerin, ohne akademischen Titel, an einem Institut und unterrichtet ausländische Studenten. Sie ist Single, Anfang fünfzig, führt eine langjährig gute Beziehung zur deutschen Grammatik, ...

Salli Sturm ist Deutschlehrerin, ohne akademischen Titel, an einem Institut und unterrichtet ausländische Studenten. Sie ist Single, Anfang fünfzig, führt eine langjährig gute Beziehung zur deutschen Grammatik, liebt flüsterstille Bibliotheken und ihre linguistischen Endorphine bezieht sie aus Wörtern und Satzbau. Ihre Assistenten sind ein Rudel wilde Tiere, denen sie Wortarten zugeordnet hat. Salli ist pflichtbewusst, friedfertig und glücklich auf ihre Weise. Einsamkeit wischt sie mit Schnulzenfilmen davon, bis sie eines Tages die Idee zu einem sprachwissenschaftlichen Projekt entwickelt.

Eine Anzeige bringt Salli mit dem Russlanddeutschen Sergey zusammen, der Pferdeställe ausmistet. Sergey kennt keine Artikel, bildet Sätze mit Hilfe eines ausgedachten Konjugationssystems und er lässt Verben stets gefährlich taumeln. Für Salli ist der Pferdeknecht ein idealer Proband, dessen Sprache irreparabel defekt erscheint.

Salli unterrichtet Sergey, ohne ihm zu erklären, dass er ihr Proband für das sprachliche Studium ist. Umgekehrt verheimlicht Sergey Salli, dass er sie zum Kauf eines Pferdes und Hofes benötigt. Langsam, ganz langsam nähern sich die beiden einander an und bald wendet sich das Blatt, denn Sergey unterrichtet plötzlich Salli in Sachen Pferd.

Die Autorin:

Angelika Jodl unterrichtet Studenten aus aller Welt in Deutsch. Außerdem schreibt sie Geschichten, hält Vorträge zur deutschen Sprache und reitet ein ausgemustertes Rennpferd. Sie lebt mit Mann, Sohn, Hund und Katzen in München. (quelle: dtv Verlag)

Reflektionen:

Die Grammatik der Pferde ist für mich ein Roman der nicht nur genrefremd ist, sondern auch noch von einer, für mich normalerweise entbehrlichen, Liebesgeschichte erzählt. Aber, bereits nach den ersten Buchseiten, hatte ich diesen herzerwärmenden Roman in mein Leserherz geschlossen, worin er noch sehr lange und angenehm nachklingen wird.

Das Autorin Angelika Jodl Deutsch unterrichtet spürt man als Leser sofort, denn sie schreibt ausdrucksstark, sprachgewaltig und in einer wunderschönen Satzmelodie. Literarisch anspruchsvoll erzählt Angelika Jodl die rührende und amüsante Geschichte zweier Figuren, die menschlich und kulturell unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie zeichnet auch eine Abhandlung darüber, wie missbräuchlich man andere Menschen zu brauchen vermag.

Herzzerreißend amüsant sind vor allem die Dialoge, die Sergey und Salli miteinander führen, denn Sergey spricht nicht nur ein gebrochenes Russlanddeutsch, sondern er akzentuiert seine Sprache mit einem oberbayrischen Dialekt, sodass einem das Herz vor Schmunzeln aufgeht.

Neben der wunderbar warmherzigen Sprache des Romans, hat die Autorin authentische Figuren erschaffen, deren glaubwürdige Charaktere intensiv und fein gezeichnet sind. Dadurch dekoriert sie dem Leser eine emotionale Bühne und erlaubt ein tiefes abtauchen in die Seelen und Herzen der beiden Hauptfiguren, in denen man sich pudelwohl fühlt.

Salli, eher ein graues, unscheinbares Mäuschen, dass außer ihren Dozenten-Kollegen kaum soziale Kontakte pflegt, beginnt Sergeys Sätze als sogenannte Vorhersätze aufzuzeichnen, um diese dann in Mustersätze zu verwandeln, mit denen sie Sergey unterrichten möchte. Doch es kommt ganz anders, denn Sergey, ein ehemals erfolgreicher Jockey, benötigt Salli zum Kauf einer Stute und gibt zunächst nur vor Deutsch lernen zu wollen. Letztendlich unterrichtet Sergey Salli in Sachen Stall und Pferd und ist ursächlich dafür verantwortlich, dass sie pflichtvergessend den Duft des Stalls zu lieben beginnt.

Angelika Jodl gelingt es durch die bildhafte Sprache, dass man sich den etwas einsilbigen, schroff wirkenden Pferdeknecht, und sogar seine selten lächelnde Mimik, gut vorstellen kann. Auch Sallis ständig entgleitende Gesichtszüge, bereiten dem Leser ein angenehmes Kopfkino.

Die Dialoge sind gelungene Schlagabtausche, die dafür sorgen, dass sich die Handlung zwischenmenschlich immer weiter ineinander verstrickt. Letztendlich verknäueln sich die Figuren ineinander und nur das Band der Liebe führt Sergey und Salli zurück zu einem wunderschönen Anfang.

Zitat:

„Gibt Rede bei uns in Russland“, sagt Dyck. „Kamma Ziege Krawatte umbinden. Aber dann bleibt auch Ziege.“ „Aber schlecht is wirklich net. Boxen passen für Viecher. Bloß mit Scheune – weiß i net, ob glangt die Platz. Kamma nix sehen, da drin is dunkel wie in Arsch von Neger. Aber glaub i schon, dass is genug. Also, was machma?“

„Salli“, unterbricht sie Sergey leise lächelnd. „Willst du erklären mir, wie geht Pferd halten?“ „Ich doch nicht! Das steht hier. In diesem Buch!“ Buch – wann geht um Ohren waschen, du schaust auch in Buch rein?“

„Ich weiß überhaupt nicht genug. Ich kann gar nicht reiten! Was mache ich, wenn das Pferd mit mir durchgeht?“ „Sagst du brrr, dann steht gleich.“ „Und wenn nicht?“ Is gute Pferd. Wird sie stehe.“

Mein leben
Als ich Kind, ich hatte schöne leben. Später schwieriger, weil ich muss Geld verdint für ganze familie. Auf Rennbahn ist wider besser worden. Aber jetzt in Deutschland ist alles problem. So man kann sagen: mein Leben ist gestreift.

Fazit und Bewertung:

Die Grammatik der Rennpferde ist ein herzerwärmender Roman, der zwei Figuren aufeinanderprallen lässt, die menschlich und kulturell nicht unterschiedlicher sein könnten. Knackige Dialoge, ein Mischmasch aus Deutsch, Russisch und Oberbayrisch, kreieren einen amüsanten Lesegenuss und eine wunderschöne, überzeugende Liebesgeschichte.

Veröffentlicht am 13.04.2017

Sechs Opfer. Sechs Körperteile. Eine groteske Marionette.

Ragdoll - Dein letzter Tag (Ein New-Scotland-Yard-Thriller 1)
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Rasanter, atemloser Thrill

London: Die Ermittler der Metropoliten Police werden an einen surrealen Tatort gerufen. Eine Leiche, aufgehangen an hunderten, seidenartigen Fäden wie bei einer Marionette, ...

Rasanter, atemloser Thrill

London: Die Ermittler der Metropoliten Police werden an einen surrealen Tatort gerufen. Eine Leiche, aufgehangen an hunderten, seidenartigen Fäden wie bei einer Marionette, in einer fixierten Position. Die Leiche ist grob mit Körperteilen von insgesamt sechs Opfern zusammengeflickt worden. Ein weißer Torso, ein schwarzes Bein, eine Männerhand und eine weibliche Hand ergeben ein Bild bizarrer Proportionen. Ein Zeigefinger der Ragdoll (Lumpenpuppe) zeigt in Richtung Fenster, auf eine gegenüberliegende Wohnung, die des besten Mordermittlers Wolf, Detective Oliver Layton-Fawkes.

Wolf identifiziert den Kopf als den von Naguib Khalid. Der Feuerbestatter. Der produktivste Serienkiller aller Zeiten, der vor vier Jahren von den Geschworenen des hohen Gerichts für nicht schuldig befunden wurde. Bei Urteilsverkündung rastete Wolf aus und tötet Khalid beinahe. Wolf wurde für das Versagen der Polizei zum Sündenbock degradiert und suspendiert, bis er vor kurzem wieder in den Polizeidienst zurückgekehrt ist.

Zeitgleich erhält TV-Journalistin Andrea, Wolfs Exfrau, eine Liste mit sechs Namen und sechs Todeszeitpunkten. Der letzte auf Abschussliste ist Wolf selbst.

Der Autor:

Daniel Cole wurde 1983 geboren. Er hat bisher als Sanitäter, Tierschützer und für die britische Seenotrettung gearbeitet. Sein Drang, Menschen zu retten, entspringt möglicherweise dem schlechten Gewissen wegen der großen Zahl der Figuren, die er beim Schreiben umbringt. Er lebt im sonnigen Bournemouth in Südengland und ist meist am Strand anzutreffen, obwohl er eigentlich an seinem nächsten Buch schreiben sollte. Sein Debüt »Ragdoll« erscheint in 34 Ländern, die Verfilmung ist in Vorbereitung. (Quelle: Ullstein Buchverlage)
Reflektionen:

Ragdoll soll ein Debüt sein? Kaum zu glauben, denn Daniel Cole gelingt es spielend, eine einzigartige und außergewöhnliche Spannung zu erzeugen, die so knistert, dass man glaubt neben einem brennenden Feuer zu lesen.

Der Prolog ist die einzige winzige Hürde, bevor der Sog der Handlung zupackt und nicht mehr loslässt. Als Leser will ich auch nicht mehr losgelassen werden und füge mich dem rasanten Tempo, den unglaublich vielen Wendungen und Verstrickungen, bis endlich wieder genug Atemluft vorhanden ist und die letzte Seite umgeblättert ist.

Dieser Thriller macht eindeutig süchtig. Spannend verschachtelte Kapitel, fesselnd inszenierte Wendungen und eine Überraschung die die nächste jagt, bis erneut ein Spannungshöhepunkt erreicht ist. Racheengel, Geisteskrankheit, unterstellt man dem Täter und mögliche Motive geben viel Raum für Spekulationen, doch bevor man innerlich ermittelt und sich festlegt hat, wenden sich die Ereignisse überraschend erneut.

Wortgewandt und stark im Ausdruck fesseln knackige Dialoge, die in einem flüssig lockeren Schreibstil zu Papier gebracht sind, doch manchmal wird es verwirrend. Einige Kapitel bringen die Lese-Balance aus dem Gleichgewicht und Figuren lassen sich nicht sofort zuordnen, aber der Lesefluss wird nur vorübergehend gebremst und man verzeiht dem Debüt-Autor gern, denn der Rest ist nachvollziehbar und stimmig.

Die Figuren waren sehr beeindruckend erschaffen, wenn auch einige wenige blass blieben. Die Hauptfiguren, versehen mit interessanten Legenden, und deren intelligent in Szene gesetzten Querverbindungen faszinierten und beschleunigten die Lesegeschwindigkeit.

Wolf spielt eine tragende Rolle bei diesen grotesken Verbrechensfällen. Er ist Vollblutpolizist mit ungeschliffenen Kanten und ein kompetenter dazu. Sympathisch, ja, aber auch Trotzkopf, gewaltbereit, dem Alkohol zugeneigt und psychisch angeknackst. Die Kombinationen der Charaktereigenschaften überlassen Wolf auch eine emotionale Bühne, auf der er berührend sinniert und sich als Typ klar definiert und positioniert, allerdings überwiegend gegen den Strom. Er ist der Besessenheit verfallen, den Täter zu überführen und die angekündigten Mordopfer zu beschützen, dabei überschreitet er Grenzen, die ihn unkollegial und illoyal erscheinen lassen und die er auch zwischenmenschlich kaum wieder in Ordnung bringen kann.

Besonders gelungen, zwischendurch auch amüsant dargestellt, ist die Figur Edmunds, der vom Betrugsdezernat zur Mordkommission wechselte. Behandelt wie ein naiver Frischling, entwickelt er sich im Laufe der Handlung zu einem intelligenten Ermittler. Er sieht hoch zu Wolfs Partnerin Detective Sergeant Emily Baxter, die als seine Mentorin und Vorgesetzte zunächst kein gutes Haar an ihm lässt. Edmunds Frau ist schwanger und ihre Beziehung zueinander wird mit seinem ersten Mordfall gleich auf die harte Probe gestellt, da er familiär durch Abwesenheit glänzt.

Äußerlich stets unnahbar und übel gelaunt durchschaut man Emily Baxter und ihre Beziehung zu Wolf zunächst nicht. Erst im Laufe der Handlung gibt diese Figur preis, wie emotional tief sie an Wolfs Leben hängt, der scheinbar leichtfertig und dauerhaft sein Leben aufs Spiel setzt.

Die maßvoll platzierten zwischenmenschlichen Beziehungen schnüren eine harmonische Geschichte und sind der erfrischende Gegenpol zu den sonst so grotesken Verbrechen.

Auch wenn die grob zusammengeflickte Leiche mit einer Blutleere gesegnet ist, muss man sich als Leser auf brutale bis bestialische Verbrechen einstellen und im Kopfkino durchlebt man blitzartig, wie grobe Amputationen von Gliedmaßen erfolgt sein müssen, ohne das sie in diesem Thriller Erwähnung finden mussten. Der Täter, der immer näher an die Ermittlungen heranreicht, besitzt eine blühende Fantasie, wie er die gut beschützen Opfer dennoch erwischen und vernichten kann. Gibt es einen Maulwurf bei der Metropoliten Police, oder warum scheint der Täter den Ermittlungen immer einen Schritt voraus zu sein?

Nebenschauplatz TV-Redaktion. Wolfs Ex-Frau Andrea wünscht sich nichts sehnlicher, als die Abendnachrichten zu moderieren, doch ihr Chef Elijah hält sie an der kurzen Leine. Als Andrea dann selbst in das groteske Verbrechen verwickelt wird, erhält sie den Job, denn der skrupellose Elijah erwartet, dass sie selbst den Zuschauern live die Todesnachricht ihres Ex-Mannes überbringen muss.

Daniel Cole ist es gelungen, den inneren Konflikt der Reporterin kaltschnäuzig und emotional zugleich darzustellen. Andrea zeigt ein Verhalten, das darauf abzielt, Ereignisse zu Sensationen aufzubauschen, ohne Rücksichtnahme auf die laufenden Ermittlungen. Bis sie dann selbst die Sensationsgier ihres Chefs zu spüren bekommt und ernsthaft um Wolfs bedrohtes Leben bangen muss.

Fazit und Bewertung:

Ein überzeugender und hoch spannender Thriller der mühelos überzeugt und erfrischend anders ist. Spannung agiert ganzheitlich auf einem hohen Niveau, da Ereignisse in dieser Story niemals vorhersehbar sind und Wendungen sowie Überraschungen explosionsartig auftreten. Endlich mal wieder ein Thriller, dessen Hype absolut gerechtfertigt ist.

Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 08.04.2017

Die Bestrafung der Sünder – Guter psychologischer Spannungsaufbau

Der Todesprophet
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Journalist Ben Weidner, nach einschneidenden und dramatischen Erlebnissen in Äthiopien psychisch gezeichnet, wird immer wieder von blitzartigen Erinnerungsfetzen heimgesucht, die Panikattacken und Blackouts ...

Journalist Ben Weidner, nach einschneidenden und dramatischen Erlebnissen in Äthiopien psychisch gezeichnet, wird immer wieder von blitzartigen Erinnerungsfetzen heimgesucht, die Panikattacken und Blackouts verursachen. Seine Ehe ist gescheitert und beruflich reduziert, traut man ihm nur noch eine journalistische Tätigkeit bei einer Boulevardzeitung zu.

Eines Abends lernt er Tamara Engel kennen, doch am nächsten Morgen ist diese tot. Erste Hinweise deuten auf ihn als Täter hin, doch Ben hat keinerlei Erinnerungen an den vergangenen Abend. Nicht nur Selbstzweifel treiben ihn an, seine Unschuld zu beweisen, sondern auch die zahlreichen Hinweise die auf ihn als Täter deuten. Ben gerät immer tiefer in ein Netz aus Verstrickungen hinein, die kaum noch zu entwirren sind. Als ihm das ganze Ausmaß bewusst wird, kann er sich nur noch auf den Polizeireporter Freddie verlassen, bevor er erkennen muss, dass er längst der Gejagte in einem grausamen Spiel um Leben und Tod ist.

Der Autor:

Chris Karlden, Jahrgang 1971, hat Rechtswissenschaften studiert und arbeitet derzeit als Jurist in der Gesundheitsbranche. Er lebt mit seiner Familie im Südwesten Deutschlands. Sein erster Psychothriller »Monströs« war bereits ein großer Erfolg. (Quelle: Aufbau Verlag)

Reflektionen:

Chris Karlden hat mich mit seinem Thriller Der Todesprophet angenehm überrascht, denn schon nach den ersten Seiten war ich tief in der spannenden Handlung versunken, die schnörkellos und klar geschrieben ist. Reich an Details und in bildhafter Sprache genießt man seinen Ausdruck, der die Lebendigkeit des Thrillers maßvoll prägt.

Gelungen sind ihm vor allem die Charakterzeichnungen der Hauptfigur Ben und die des Täters. Ben Weidner wird schier verrückt, da er von den Hinweisen, die auf ihn als Täter schließen lassen, erdrückt wird und er immer tiefer in eine Story hineingesogen wird, aus der es kaum einen Ausweg zu geben scheint. Der innere Kampf, der Ben in Selbstzweifel stürzen lässt, da er immer wieder von Blackouts und Flashbacks heimgesucht wird und der psychische Druck, der durch die erdrückenden Beweise seitens der Polizei auf ihm lasten, sind gelungen authentisch dargestellt. Bens Gemütszustand und seine akuten Nöte wecken Emotionen, die den Leser veranlassen mit zu ermitteln und in einem hohen Tempo zu lesen.

Der Täter, der immer mal wieder in kurzen Perspektiven zu Wort kommt, erlaubt einen Blick in dessen Psyche und Motivation. Grausam ist vor allem, dass er kleine Kinder bei seinen Taten zusehen lässt und begründet dies für sich schlüssig im Namen Gottes.

Der Spannungsaufbau ist zwar gelungen und ein Spannungshöhepunkt jagt den nächsten, aber für mich persönlich fiel die Spannung immer wieder ab. Vielleicht lese ich zu bewusst, zu sehr auch im Kleinen und zwischen den Zeilen, weshalb mich unglaublich viele Wiederholungen in meinem Lesefluss gestört haben. Es waren nicht nur die zahlriechen Wiederholungen die mir missfielen, sondern auch, teilweise ganze Kapitel lang, Rechtfertigungen von Verhaltensweisen und Handlungen der Figuren. Solche ständigen Wiederholungen und Rechtfertigungen ärgern mich, denn als Leser darf man mir schon zutrauen, dass ich Inhalte behalte, verstehe und in der Lage bin zu schlussfolgern.

Trotzdem hat mir der Todesprophet gut gefallen, denn die Idee der Geschichte wurde ansonsten sehr gut umgesetzt und sie zeigt in ihrer kompakten Struktur, ein anspruchsvolles Werk in einem sehr angenehmen, literarischen Stil.

Fazit und Bewertung:

Psychologisch spannender und aufwendig gezeichneter Thriller über einen scheinbar religiös motivierten Täter, der die Sünder zur Rechenschaft zieht, um die Gesellschaft von ihnen zu erlösen. Wohlgeformte Charaktere und eine reich an Details geschriebene Story, aber mit zahlreichen Wiederholungen, die das Lesevergnügen etwas schmälern.

Veröffentlicht am 06.04.2017

Eskalierende Pläne - 7. Fall Sonderdezernat Q

Selfies
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Kommissar Carl Mørk und sein Assistent Assad ermitteln weiter an Fällen, die vor Jahren von den Kollegen der Mordkommission, jenseits des Kellerbüros, nicht abschließend aufgeklärt werden konnten. Dabei ...

Kommissar Carl Mørk und sein Assistent Assad ermitteln weiter an Fällen, die vor Jahren von den Kollegen der Mordkommission, jenseits des Kellerbüros, nicht abschließend aufgeklärt werden konnten. Dabei entdeckt Carl Mørk Verbindungen zu einem aktuellen Fall, der durch zahlreiche Verstrickungen die Ermittlungen erschwert und intern zu einem erneuten Konkurrenzkampf unter den Kollegen führt und eskaliert.

Zeitgleich erkrankt die psychisch angeschlagene Assistentin Rose, die an den düsteren Erinnerungen ihrer Vergangenheit seelisch zu zerbrechen droht. Als Carl und seine Kollegen das ganze Ausmaß überschauen, wird Ihnen bewusst, wie sehr sie ihre Kollegin schätzen, doch diese Erkenntnis kommt fast zu spät, denn Rose will ihrem Leben ein Ende setzten.

Parallel erhält Sozialarbeiterin Anneli eine fatale Diagnose und wiedersetzt sich den bürokratischen Mühlen des Sozialsystems. Die ihr anvertrauten jungen Frauen Michelle, Jasmin und Denise kann sie auf Grund ihrer Schickimicki-Verhaltensweisen und Lebenseinstellungen einfach nicht mehr ertragen. Sie will ausbrechen aus dem System und plant ein Verbrechen nach dem anderen

Der Autor:

Jussi Adler-Olsen wurde am 2. August 1950 unter dem bürgerlichen Namen Carl Valdemar Jussi Henry Adler-Olsen in Kopenhagen geboren. Er studierte Medizin, Soziologie, Politische Geschichte und Film. Bevor er 1995 mit dem Schreiben begann, arbeitete er in verschiedensten Berufen: als Redakteur für Magazine und Comics, als Koordinator der dänischen Friedensbewegung, war Verlagschef im Bonnier-Wochenblatt TV Guiden und Aufsichtsratsvorsitzender bei verschiedenen Energiekonzernen. Sein Hobby: Das Renovieren alter Häuser. Er ist verheiratet und Vater eines Sohnes. (Quelle: dtv Verlag)

Reflektionen:

Jussi Adler Olsen braucht für mich einfach nur schreiben, ich akzeptiere Längen, unlogische Zusammenhänge, Offengelassenes und weithergeholte Ermittlungsmethoden. Ich bin diesem Autor einfach verfallen, denn er versteht sein Handwerk und er erreicht mich damit immer wieder aufs Neue.

Butterweich, klar und deutlich ist sein Schreibstil. Sein Ausdruck ist nüchtern und ehrlich, manchmal salopp. Er schreibt scheinbar mühelos mehr als 500 Seiten starke Thriller und am Ende fließen alle Perspektiven und Erzählstränge ineinander und kreieren eine äußerst harmonisch kompakt gezeichnete Geschichte, die mit einigen Blutstropfen einhergeht.

Zugegebenermaßen gelingt Jussi Adler Olsen der Spannungsaufbau in diesem 7. Teil des Sonderdezernats Q nicht zuverlässig. Die Spannungskurve reißt immer mal wieder ab und es kommt zu Längen, aber wenn man das akzeptiert hat und seine verwöhnten Erwartungen an diesen Thriller etwas zurückgeschraubt hat, dann liest man einen wirklich guten Thriller.

Besonders gelungen sind Jussi Adler Olsen die Querverbindungen und die Verstrickungen der Figuren. Erst sehr spät erkennt man als Leser, welche Figuren mit welchem Verbrechen in Einklang und Zusammenhang zu bringen sind und der Weg dorthin produziert Lesespaß, da man selbst im Ermittlungsfieber ist.

Die Figuren, allen voran Carl Mørk und Assad, sind außergewöhnliche und interessante Charaktere, doch in diesem 7. Fall hätte ich mir noch mehr von den gewohnt erfrischenden Anekdoten gewünscht, die insbesondere die Figur Assads so lebendig macht.

Assistentin Rose übernimmt in diesem Thriller eine tragende Rolle. Psychisch stark angeschlagen und gewollt abgekapselt von ihrem Umfeld, zeichnet Jussi Adler Olsen eine Figur, die sehr emotional unterhält. Nicht alle psychologischen Verhaltensweisen sind nachvollziehbar und authentisch dargestellt, aber sie erzeugt eine große Empathie. Wie die Kollegen plötzlich um ihre Kollegin Rose kämpfen berührt sehr, niemals hätte ich Carl und Assad die Fähigkeit zugesprochen, so große Emotionalitäten empfinden zu können.

Sozialarbeiterin Anneli, ebenso ein großer Charakter, der aber nur zunächst überzeugt. Sie ist es leid Sozialschmarotzer zu betreuen, sie will sich gegen die bürokratischen Richtlinien im Sozialamt aufbäumen und nach dem sie eine fatale Diagnose gestellt bekommen hat, sind ihr alle möglichen Konsequenzen gleichgültig.

Den Part, wie sich Anneli selbst hochschaukelt, während sie drei junge Frauen betreut fand ich richtig gut und authentisch. Die drei legen nur Wert auf ihr Äußeres, wollen nicht arbeiten und sind nicht bereit sich in die Gesellschaft zu integrieren. Eine der jungen Frauen geht dabei so weit, dass sie sich schwängern lässt, die Babys nach der Geburt zur Adoption frei gibt, um Jobvorschläge ablehnen zu können und Sozialhilfe zu erhalten. All das ist gut inszeniert, doch als dann die Nerven bei Anneli blank liegen, überspitzt die Story recht maßlos. Ein Weniger wäre in diesem Zusammenhang ein bereicherndes Mehr gewesen.

Trotz meiner kritischen Anmerkungen hat mich Selfies gut und spannend unterhalten. Jussi Adler Olsens Schreibstil liegt mir sehr, sodass ich sehr zügig durch die Seiten gelesen habe, auch wenn er seine Erzählkunst diesmal nicht voll ausgeschöpft hat.

Fazit und Bewertung:

Selfies, der 7. Fall des Sonderdezernats Q, ist erneut ein spannender Thriller Jussi Adler Olsens, doch dieses Mal überzeugt er nicht auf ganzer Linie. Vielleicht lag es an meiner etwas überschätzten Erwartungshaltung, aber trotzdem habe ich diesen Thriller wieder einmal sehr gern gelesen.