Im mittlerweile siebten Fall für das in Kopenhagen beheimatete Sonderdezernat Q unter der Leitung von Carl Morck geht es auch um „Selfies“ wie der gleichnamige Titel schon sagt, aber nur am Rande. Einen wesentlich größeren Platz im Buch nehmen diesmal die Väter ein. Ihr Verhalten kann ihre Kinder in bedeutender Weise mit nachhaltigen Folgen beeinflussen. Wenn die Söhne oder Töchter keinen Ausweg mehr sehen, sich dem Einfluss zu entziehen, wenn also alle Stricke reißen wie es auf dem Cover angedeutet wird, dann sind ungeahnte Handlungen überaus wahrscheinlich. Doch dazu möchte ich nicht zu viel verraten.
Bevor die Ermittlungen des Sonderdezernats Q im Mai 2016 zum aktuellen Fall beginnen, nimmt Jussi Adler Olsen im Prolog den Leser mit ins Jahr 1995 und ich lernte Dorrit, ihre Mutter, ihre Oma und den nationalsozialistisch eingestellten Großvater kennen, die später eine große Rolle spielen werden. In 2016 begegnete ich Dorrit wieder, war aber verwundert, dass sie sich inzwischen in Denise umbenannt hat. Sie lebt von der Sozialhilfe und lernt auf dem Sozialamt Michelle und Jazmine kennen, die etwa so alt sind wie sie selbst und sich ebenso gerne wie Denise aufbrezeln und von Männern aushalten lassen. Ihr Ziel ist es, talentlos berühmt zu werden. Doch die Sachbearbeiterin des Amts meint es nicht gut mit ihnen. Die Antipathie ist auf beiden Seiten gleich groß.
Im Moment versuchen Carl Morck und sein Team einen länger zurückliegenden Fall zu lösen, bei dem eine junge Lehrerin hinterrücks erschlagen wurde. Der Fall hat große Ähnlichkeit mit einem aktuellen bei dem eine ältere Frau, die Großmutter von Denise, auf die gleiche Weise ums Leben gekommen ist. Rose geht es zu dieser Zeit nicht gut. Ein Rüffel von Carl bringt einen Widerstand gegen Autorität in ihr zum Klingen, der sie aus der Bahn wirft. Erst wünscht sie sich wieder wie eine ihrer Schwestern zu sein, doch die Depression wächst sich weiter aus und nimmt verstörende Züge an, die das Team des Sonderdezernats veranlassen, sich auf die Suche nach Roses Vergangenheit zu begeben. Dann wird Michelle, inzwischen eine Freundin von Denise, von einem Auto überfahren und es sieht so aus, als ob es sich um eine vorsätzliche Tat handelt.
„Selfies“ hat mir sehr gut gefallen, besser als die letzten beiden Serienteile. Warum ist das so? Einerseits liegt es sicher an meiner Neugier mehr über die Vergangenheit der dubiosen Charaktere aus dem Team von Carl Morck zu erfahren, die der Autor über die letzten Fälle hinweg aufgebaut hat und die nun in wenigstens einem Fall befriedigt wurde. Andererseits sind die Täter und Opfer diesmal Personen, die jeder aus dem Alltag kennt, vielleicht etwas überzeichnet, aber durchaus realistisch.
Außerdem verbindet der Thriller wieder einen Fall aus der Vergangenheit mit der Gegenwart, es sind Ähnlichkeiten und Unterschiede heraus zu arbeiten. Auf der Dienststelle gibt es für das Q-Team eine neue Variante durch die ihre Ermittlungsarbeit gestört wird. Vor allem aber verwebt Jussi Adler Olsen wieder mehrere Fälle in einer sehr interessanten komplexen Weise, die einfach Spaß zu lesen macht. Mit Denise und ihren Freundinnen sowie der Sachbearbeiterin vom Sozialamt schafft der Autor Charaktere, die man eigentlich nicht mögen will, die einem aber auch irgendwie leid tun. Ich konnte mich diesem Spiel mit Gut und Böse nicht entziehen.
Die Spannung kommt bei diesem Thriller eher leise daher, nimmt dann an Fahrt zu und hält bis zum Ende seinen Spannungsbogen. Die Geschichte spielt zwei Jahre nach dem sechsten Ermittlungsfall. Das Buch ist auch diesmal wieder in sich abgeschlossen, eine Kenntnis der vorherigen Fälle ist nicht nötig. Allerdings wird aus dem bisherigen Privatleben der Ermittler wenig wiederholt und die Relevanz der Kenntnis von Roses Vergangenheit kann nicht so gut eingeschätzt werden.
In den Dialogen mit Carls Assistenten Assad kommt es wieder zu dem besonderen Wortwitz aufgrund der Auslegung bestimmter Wörter. Doch die Reaktion von Assad auf die Korrekturen durch Carl deuten wie auch einige andere kurze Einwürfe an, dass es in seinem Leben noch einiges Unbekanntes gibt, der Stoff im nächsten Serienteil sein wird, wird schon zu erfahren war. Darauf freue ich mich schon.
Der siebte Fall für das Sonderdezernat Q hat mich spannungsmäßig gefesselt und vom Aufbau her überzeugt. „Selfies“ isst definitiv eine Empfehlung wert und für Carl Morck Fans ein absolutes „Must-Read“.