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Pantoffeltier

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.03.2021

Hut ab

Wie alle, nur anders
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1973 zieht Eckert, damals noch als schwuler Mann, nach Berlin und wagt bald ihre ersten Schritte als Transperson. Sie arbeitet an der Gaderobe im Chez Romy Haag, einem bekannten Travestieclub und ist begeistert ...

1973 zieht Eckert, damals noch als schwuler Mann, nach Berlin und wagt bald ihre ersten Schritte als Transperson. Sie arbeitet an der Gaderobe im Chez Romy Haag, einem bekannten Travestieclub und ist begeistert vom Nachtleben und der Gemeinschaft von Travestiekünstlerinnen.

Fast 10 Jahre später erlaubt ihr das Transsexuellengesetz den Schritt ins Tagleben. Um eine sozialversicherungspflichtige Arbeit ausüben zu können, ohne Diskriminierung und schräge Blicke zu riskieren, verschweigt Eckert ihre Transidentität und lebt fortan als Frau. Sie tauscht die Männer gegen Kunst, stürzt sich in die Berliner Hochkultur und wird eine bekannte Opern-/Theaterkritikerin und Autorin.

Nora Eckert hat ein beeindruckendes Leben hinter sich und erzählt uneitel und mit präszisem Blick. Sie bringt sich selbst bei, was sie braucht und verharrt nicht bei Problemen. Sie ist pragmatisch und dramatisiert nicht. Eindringlich berichtet sie vom aufregenden, schwierigen, aber auch befreienden Weg zum Frausein. Es ist sehr interessant zu lesen, wie subtil institutionelle Diskriminierung wirkt und wie viel Kraft es braucht, sich selbstbewusst den Institutionen zu stellen.

Die Autorin ist selbst überrascht von ihrer stabilen Psyche und dankbar für die Menschen in ihrem Umfeld, die ihr Verständnis entgegenbringen. Das Buch ist auch eine große Liebeserklärung an die Stadt Berlin, die es Nora möglich machte sich neu zu erfinden. Man muss zunächst reinfinden in ihre eher intelektuelle Schreibweise und die häufigen Gedankensprünge. Eckert schreibt sehr reflektiert und man merkt, wie viel sie gelesen hat und wie leidenschaftlich sie sich mit Literatur und Kunst beschäftigt.

Ehrlich gesagt hatte ich automatisch etwas ganz anderes erwartet, da alles, was ich bisher zu dem Thema gelesen habe, eher sehr persönliche Erfahrungsberichte waren und oft das Happy End eine geschlechtsangleichende Operation ist. Auch diese Geschichten haben ihre Berechtigung, Nora Eckert schafft es aber zudem, über ihren Tellerrand hinauszusehen und ihre persönliche Geschichte in einen größeren Kontext zu stellen. Hut ab sowohl vor der Person, als auch der interessant erzählten Lebensgeschichte.

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Veröffentlicht am 22.03.2021

unbefriedigend

Genug
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"Ich möchte die Welt spüren, nicht auf Abstand und mit Vernunft; nein, ich möchte mit dem Feuer spielen, bis ich nach Pisse rieche. Das sind natürlich hardcormäßige Vorhaben, schwer anzupacken. ...

"Ich möchte die Welt spüren, nicht auf Abstand und mit Vernunft; nein, ich möchte mit dem Feuer spielen, bis ich nach Pisse rieche. Das sind natürlich hardcormäßige Vorhaben, schwer anzupacken. Also schreibe ich stattdesseneinen diesen kleinen Zettel und hefte ihn an meine Pinnwand. »Ab heute will ich gesund leben, Sport treiben und abnehmen.« Im Laufe von neun Monaten nehme ich vierzig Kilo ab [...] Eine Ärztin weist mich ins Krankenhaus ein, weil sie eine Latenzzeit von mehr als fünfzehn Sekunden zwischen ihrer Frage und meiner Antwort feststellt. Nicht weil ich meine Antwort abwägen müsste, sie fragt mich nur nach meinem Namen, sondern weil mein Gehirn auf Stand-by geschaltet ist." (S. 11f)
Die namenlose Protagonistin rutscht in die Anorexie, ist besessen davon ihren Körper zu kontrollieren.
Manchmal verwirrende, manchmal poetische Gedankenfetzen wechseln sich mit Einträgen aus der Krankenakte ab. Die Familie ist hilflos, kann sich nicht erklären, warum ein junges Mädchen mit guten Noten aus "geordneten Verhältnissen" sich fast zu Tode hungert.
Als LeserIn ist man genauso hiflos. Die Protagonistin bleibt fremd, vieles unklar. Es gibt keine Auflösung und Begründung, man bleibt unzufrieden zurück. Aber vielleicht ist das auch gewollt, denn Anorexie ist keine einfach zu verstehende und heilende Krankheit. Man kann nicht sagen "Aha, das liegt an jenem Blinddarm, den schneidet man raus und alles ist wieder gut.". Insofern verstehe ich die Intention der Autorin kam aber trotzdem der Protagonistin nicht richtig nah und konnte wenig mitfühlen.

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Veröffentlicht am 15.03.2021

Anderes erwartet

Fühlen lernen
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Meine Erwartungen konnte das Buch nicht so recht erfüllen, was aber eher an der Aufmachung als am Inhalt liegt.
Im Klappentext und auch auf den ersten Seiten wird suggeriert, es ginge der Autorin ...

Meine Erwartungen konnte das Buch nicht so recht erfüllen, was aber eher an der Aufmachung als am Inhalt liegt.
Im Klappentext und auch auf den ersten Seiten wird suggeriert, es ginge der Autorin ganz allgemein darum, die Lage der Nation bezüglich Gefühlen und vor allem dem Umgang mit Gefühlen zu beschreiben. Nach einem flammenden Vorwort kommt da aber relativ wenig. Es geht viel um Kinder und wie sie ihre Gefühle zu verstehen bzw. zu unterdrücken lernen. Und dann viel um Gefühlsblindheit, was, wie die Autorin schreibt, aber nur 10% der Menschen betrifft. Am Ende gibt es einen ganz netten Psychotest, dessen Nutzen sich für mich nicht so ganz erschließt. Gut gefallen haben mir die Beispiele von realen Menschen.
Ich persönlich hätte mir mehr Aha-Erlebnisse für normale Menschen erhofft. Sicher, es ist kein Ratgeber, aber so viel mehr habe ich jetzt nicht verstanden und auch das "große Ganze" bleibt sehr nebulös. Vielleicht hatte ich mich auch zu sehr mit dem Thema beschäftigt bisher. Insofern wurden meine Erwartungen nicht erfüllt. Ich fand es trotzdem ganz gut und interessant zu lesen. Wer mehr über Gefühlsblindheit lernen möchte, findet hier auf jeden Fall Informationen. Ich würde 3,5 Sterne vergeben, weil es für mich persönlich weniger interessant war als erhofft.

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Veröffentlicht am 07.03.2021

Vom Dagegensein

Kleine Freiheit
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Hans war immer gegen Familie und Bürgerlichkeit. Doch als sich die Kommune, in der er lebt, auflöst, bleibt er mit seinen beiden Töchtern zurück.

Seine Tochter Saskia versucht als Erwachsene die perfekte ...

Hans war immer gegen Familie und Bürgerlichkeit. Doch als sich die Kommune, in der er lebt, auflöst, bleibt er mit seinen beiden Töchtern zurück.

Seine Tochter Saskia versucht als Erwachsene die perfekte bürgerliche Existenz aufzubauen. Ihre Karriere als Richterin hat sie aufgegeben, um sich um ihre Söhne zu kümmern. Der Vater ist ihr furchtbar peinlich. Bei einer Bürgerinitiative gegen den geplanten Bau von Windrädern rutscht sie unverhofft in eine Rolle als rechtliche Beratung hinein und bald auch in die Konfrontation mit dem Weltbild ihres Vaters.


Abwechselnd wird von Hans uns Saskia erzählt. Die Autorin springt zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her. Das ist sehr gut gemacht und stört den Lesefluss nicht. Die Szenen sind sehr überlegt gewählt, nur etwas über 200 Seiten braucht die Autorin, um schwierige gesellschaftliche Themen unserer Zeit zu verhandeln. Sowohl Hans, als auch Saskia hadern mit dem Konzept von Familie, gesellschaftlichen Werten, der aktuellen politischen Situation. Die Autorin erzählt davon wie einen das Dagegensein plötzlich an Orte bringt, an denen man nie sein wollte. Über Sprachlosigkeit, Hilflosigkeit, Einsamkeit und auch kleine, unverhoffte Momente der Freude. Sehr genau legt die Autorin die Schwächen und Ängste der Figuren auf und hält sich mit moralischem Urteilen zurück. Sie beobachtet nur. Und das sehr gut.

Besonders gut gefallen hat mit die Schreibweise der Autorin. Mühelos schafft sie eine melancholische Atmosphäre, die im Leser noch lange nachhallt. Die Figuren wirken authentisch. Man findet ihre Handlungsweise nicht unbedingt richtig, kann aber Verständnis aufbringen.

Am Ende löst sich für meinen Geschmack alles zu schnell auf, doch das ist nur ein kleiner Wehmutstropfen in einem sehr intensiven, berührenden Leseerlebnis.

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Veröffentlicht am 01.03.2021

poetisch

Der Klang der Wälder
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Der junge Tomura hat während der Schulzeit ein Aha-Erlebnis als er einem Klavierstimmer dabei hilft, in die Sporthalle zu gelangen, damit dieser das Schulklavier stimmen kann. Vom Klang des Klaviers ist ...

Der junge Tomura hat während der Schulzeit ein Aha-Erlebnis als er einem Klavierstimmer dabei hilft, in die Sporthalle zu gelangen, damit dieser das Schulklavier stimmen kann. Vom Klang des Klaviers ist Tomura sofort verzaubert, da es ihn an die Wälder seiner ländlichen Heimat erinnert. Kurz darauf beschließt er selber Klavierstimmer zu werden. Während seiner Ausbildung plagen ihn immer wieder Zweifel, da er sich für ungeeignet hält, doch schließt er die anspruchsvolle Ausbildung trotzdem ab. Danach bekommt Tomura auch gleich eine Anstellung in der Firma des Klavierstimmers Itadori. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten entwickelt Tomura mit der Zeit einen eigenen Klangstil und darf auch bald alleine die Klaviere der Kunden stimmen. Dabei lernt er die Schwestern Kazune und Juni kennen, die beide begnadete Klavierspielerinnen sind. Durch seine Leidenschaft für das Spiel der Schwestern und seine eigenen Fortschritte beim Stimmen verschiedener Klaviere, wird er mit der Zeit unersetzlich für den weiteren Lebensweg der Schwestern.

Natsu Miyashite legt mit „Klang der Wälder“ einen sehr gefühlvollen Roman hin, der durch seine Naturverbundenheit und seine poetische Erzählweise besticht. Gerade der Mikrokosmos, in dem die Handlung spielt ist auf seine besondere Art reich an Eindrücken und Erfahrungen. Für Freunde des entspannten, stilvollen Lesegenusses und Liebhaber klassischer Musik ist dieser Roman sehr zu empfehlen.

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