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Pantoffeltier

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Veröffentlicht am 14.02.2021

Seuchen gestern und heute

Die Macht der Seuche
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„Die Macht der Seuche“ von Volker Reinhardt ist primär ein Werk über das Wüten der Pest in Europa der Jahre 1347-1353. Es erscheint jedoch zu einem Zeitpunkt, an dem wir ebenfalls mit einer Seuche zu kämpfen ...

„Die Macht der Seuche“ von Volker Reinhardt ist primär ein Werk über das Wüten der Pest in Europa der Jahre 1347-1353. Es erscheint jedoch zu einem Zeitpunkt, an dem wir ebenfalls mit einer Seuche zu kämpfen haben und diesen Umstand nutzt Reinhardt um Parallelen zwischen den beiden Ereignissen zu ziehen.
Dabei konzentriert er sich nicht nur auf die nackten Zahlen, die der Forschung über die Pest zugrunde liegen, sondern zeigt auch viele Einzelschicksale und ihren Umgang mit der schwierigen Situation auf. Da es anders als heute zur Corona-Pandemie nur Schätzungen zu den Todeszahlen der Pestepidemie gibt, sind die Schilderungen einzelner Bürger für einen Gesamteindruck umso wichtiger. Aus den Einzelschicksalen stellt Reinhardt ein Gesamtbild her, welches von Angst, Verzweiflung und Wut der Betroffenen zeugt. Interessant hierbei ist, dass die Pest nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner hervorgebracht hat, ähnlich wie es sich heute beobachten lässt. Durch das massenhafte Sterben wurden einerseits lukrative Ämter und Positionen frei, andererseits wurden Ländereien und Güter vererbt. Was zudem alle Schilderungen eint ist die Rat- und Hilflosigkeit aufgrund der plötzlich mit voller Wucht eintreffenden Seuche und ihre Suche nach Erklärungen. Oft wird Gottes Zorn als Grund aufgeführt. Auch versprachen sich viele Chronisten eine Läuterung der Gesellschaft nach der Katastrophe. So bestand die Hoffnung, dass Moral und Tugend mit neuer Stärke hervortreten und Sündhaftigkeit keinen Platz mehr in der Gesellschaft haben würden. Es bleibt abzuwarten, ob dies tatsächlich eintritt.

Reinhardts Quellenanalysen lassen sich durchweg gut und flüssig lesen. Sie sind ansprechend und lebendig. Seine wissenschaftlichen Analysen sind gut verständlich und ebnen auch dem Laien einen Zugang zu der Thematik. So lässt sich abschließend sagen, dass „Die Macht der Seuche“ ein interessantes und wichtiges Werk zur richtigen Zeit ist und uns vor allem vor Augen führt, dass jede Katastrophe auch ein Ende hat.

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Veröffentlicht am 10.02.2021

Nur die Liebe zählt

Ich will kein Hund sein
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Die Ich-Erzählerin leidet stark unter der Trennung von ihrem ehemaligen Freund. Besonders, da er nicht so sehr zu leiden scheint wie sie und ihr Freundeskreis nicht versteht, warum sie so trauert. Da hört ...

Die Ich-Erzählerin leidet stark unter der Trennung von ihrem ehemaligen Freund. Besonders, da er nicht so sehr zu leiden scheint wie sie und ihr Freundeskreis nicht versteht, warum sie so trauert. Da hört sie von einer Agentur, die die Möglichkeit anbietet sich in einen Hund umwandeln zu lassen und dann ohne das Wissen des/der ehemaligen Geliebten mit ihm/ihr zusammengeführt zu werden und fortan zusammen zu leben. Die Frau klammert sich an den Gedanken ihre Zuneigung bald frei von jeglicher menschlicher Scham ausleben zu können und nimmt das Angebot an.


Die Idee ist wirklich gut und die Geschichte durchdenkenswert. Das absurde Szenario wird konsequent durchgezogen und außer diesem kleinen Dreh ins Surreale ist alles andere realistisch. Die Menschen, die sich der Verwandlung unterziehen, riskieren ihre Gesundheit und verkürzen ihr Leben, um dem Menschen den sie lieben immer begleiten zu dürfen, auch wenn der gar nichts von ihrem Opfer weiß. Das, was Gregor Samsa und Bulgakovs Sharik (bzw. Bello in der deutschen Version) noch hilflos erleiden, tun diese verzweifelten Liebenden aus Überzeugung. Hier wird Liebe als Lebenssinn und absolute Treue und Hingabe zum geliebten Menschen auf die Spitze getrieben.
Es scheinen nicht alle Menschen von der Möglichkeit der Verwandlung in einem Hund zu wissen, aber besonders überrascht von der Möglichkeit ist die Protagonistin jedoch nicht. Mir war der Anfang in dem sich die Frau in ihrem Liebeskummer suhlt etwas zu lang. Ja, sie ist völlig fixiert auf ihren Ex und ertrinkt in Liebeskummer, das habe ich als Leserin schnell verstanden. Die Transformation zum Hund, das Lager in dem all die halb verwandelten Hunde ausharren, um zu ihrer geliebten Person zu kommen und schließlich die Hundwerdung und das konsequente Ende (denn da gibt es durchaus noch einen Haken bei der bedingungslosen Liebe) fand ich aber gut gemacht. Sehr schade, dass dieser Verwandlungsteil nicht noch mehr ausgeführt wurde.

Ein recht kurzer Text, gut zu lesen, nur am Anfang etwas mühsam. Die Lektüre lohnt sich.

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Veröffentlicht am 10.02.2021

Erwartungen übertroffen

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
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Hannah weiß nichts so recht mit ihrem Leben anzufangen. Sie hat sich in eine verhängnisvolle Liebschaft mit ihrem Doktorvater verstrickt und kommt mit ihrer Promotion nicht weiter. Bis ein Brief bei ihrer ...

Hannah weiß nichts so recht mit ihrem Leben anzufangen. Sie hat sich in eine verhängnisvolle Liebschaft mit ihrem Doktorvater verstrickt und kommt mit ihrer Promotion nicht weiter. Bis ein Brief bei ihrer 95-jährigen Großmutter Evelyn ihr Interesse weckt. Es handelt sich um die Mitteilung einer Anwaltskanzlei zwecks einer "Restitutionssache geraubter Kunstschätze". Sehr zum Ärger ihrer Großmutter beginnt Hannah nachzuforschen.

Der Klappentext hat mich eher abgeschreckt. Ich hatte einen typischen Roman mit dem obligatorischen dunklen Familiengeheimnis, ein bisschen Grusel über die Judenverfolgung und vielleicht etwas Kitsch erwartet. Vielleicht hat mich das Buch genau deswegen so begeistert. Denn die Autorin kennt diese Klischees und geht ganz offen und reflektiert mit ihnen um. Hannah begegnet Menschen, die sich auf recht ungesunde Weise mit dem Nationalsozialismus befassen und muss sich selbst fragen, was sie sich eigentlich von einer Restitutionssache erhofft, die Menschen betrifft, die sie selbst nicht kannte.

In einem Handlungsstrang in der Vergangenheit lernen wir Evelyns Mutter Senta kennen, deren jüdischer Schwiegervater eine Kunstgalerie besaß und erfahren die Hintergründe.

Die Geschichte wird sehr flott erzählt, es passiert viel in schneller Folge und besonders die Vergangenheit wird auf prägnante Szenen reduziert. Das hat mir gerade bei dieser Thematik sehr gefallen. Die Autorin verzichtet auf Pathos und sattsam bekannte grausame pathetische Szenen. Stattdessen zeigt sie die kalte Grausamkeit der Bürokratie und die Verzweiflung der jüdischen Familie, die ganz plötzlich auch von Freunden ausgegrenzt und gemieden wird.

Die Charakterisierungen der Personen erfolgen mit messerscharfer Beobachtungsgabe und einigem an schwarzem Humor. Manche Nebenfiguren schrappen haarscharf an der Karikatur vorbei. Trotzdem handeln sie logisch und nachvollziehbar, haben Ecken und Kanten und sind selten nur "gut" oder nur "böse".

Trotz des ernsten Themas liest sich der Roman im Nu weg und ist sehr unterhaltsam. Gerade am Ende wird fast schon zu viel hineingestopft und ich hätte mir ein paar mehr Seiten zum Durchatmen gewünscht.

Meine Erwartungen wurden mehr als übertroffen. Ein ernstes Thema, humorvoll, unterhaltsam und trotzdem nicht romantisierend verpackt. Sehr lesenswert.

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