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Veröffentlicht am 30.01.2021

Gelungener Plot, einzelne Längen im Mittelteil, spannendes Ende

Hörig
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Inhalt:
Patrizia ist als junge Frau einem Schwindler aufgesessen und sich in ihn verliebt. Bei seiner Verhaftung hat sie jeglichen Lebensmut verloren und wird anschliessend von ihrem Vater zu Ed, einem ...

Inhalt:
Patrizia ist als junge Frau einem Schwindler aufgesessen und sich in ihn verliebt. Bei seiner Verhaftung hat sie jeglichen Lebensmut verloren und wird anschliessend von ihrem Vater zu Ed, einem erfolgreichen Therapeuten, gebracht. Dieser hilft ihr zu verstehen, was geschehen ist, übt aber ebenfalls viel zu grossen Einfluss auf sie aus und als er sie irgendwann nach der Therapie heiratet, ist sie zu einer gefügigen, hübschen und pflichtbewussten Ehefrau herangezüchtet worden. Deshalb erstaunt es Ed um so mehr, dass Patrizia plötzlich verschwindet und dass dabei alles darauf hindeutet als hätte sie sich mit Heiko Schramm aus dem Staub gemacht. Doch wie hängt das alles zusammen? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

Meine Meinung:
Dieses Buch wollte ich unbedingt lesen, nachdem Julia vom Blog Julias Sammelsurium das Buch Das letzte Opfer von Petra Hammesfahr als eines ihrer Jahreshighlights aus 2020 genannt hat. Und ich wurde nicht enttäuscht. Schon Julia hat nämlich einen ganz eigenen und auch aussergewöhnlichen Schreibstil bemerkt, der mir ebenfalls aufgefallen ist. Ausserdem hat mir der ganze Plot sehr gut gefallen, der eine junge Frau, die eigentlich von zwei Männern gleichzeitig abhängig ist, ins Zentrum rückt. Zuerst verfällt Patrizia nämlich Heiko Schramm und wird dann von ihrem Psychologen und späteren Ehemann Ed abenfalls wie ein Püppchen geformt. Da hätte ich mir noch ein wenig mehr Kritik an diesem zweiten Abhängigkeitsverhältnis, in das Patrizia von ihrem späteren Ehemann gezwängt worden ist, gewünscht. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau.
Ein wenig zu kritisieren habe ich aber den Aufbau. Die Handlung entwickelt sich eigentlich sehr ruhig und langsam und wird erst ganz am Schluss so richtig spannend. Diese Längen erfordern beim Lesen ein wenig Durchhaltevermögen.
Die Figuren hingegen fand ich sehr gelungen gestaltet. Einzig Ed hat mich enttäuscht. Eigentlich hätte er Patrizias Hinweise, die sie ihm nach ihrem Verschwinden mit Heiko unauffällig zu hinterlassen versucht hat, viel besser und schneller verstehen und so der ganzen Sache schneller auf die Schliche kommen müssen. Aber auch ist eine Bemerkung am Rande, schliesslich wäre die Geschichte sonst viel schneller zu Ende gewesen, was definitiv mehr gestört hätte

Sprache:
Julia hat das schon wundervoll geschafft und nun möchte auch ich den Versuch wagen, meine Faszination für Petra Hammesfahrs Schreibstil in Worte zu fassen:
Hammesfahr zeigt gleichzeitig die Innenwelt der Protagonistin und die sich stetig entwickelnde Handlung auf. Das fühlt sich an, als wäre man mitten im Geschehen, zugleich hat man aber auch eine Aussensicht auf die Handlung. Das fesselt ungemein und lässt sowohl Rückblenden, als auch innere Monologe zu und so wird erzählt, wie Heiko Schramm sich Patrizia annähern konnte und wie die Therapiesitzungen bei Ed abgelaufen sind aber auch, welche Gedanken sich Patrizia zu machen beginnt und welche Schlüsse sie daraus zieht, was ungemein faszinierend ist.

Meine Empfehlung:
Die Spannung in diesem unblutigen Thriller baut sich langsam auf und wird gegen Ende stetst verstärkt. Das ganze Setting, die Grundidee, die ambivalente Protagonistin und die flüssige Erzählsprache haben mich überzeugt und ich empfehle euch dieses Buch trotz Längen im Mittelteil sehr gerne weiter.

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Veröffentlicht am 24.01.2021

Fesselnd und abstossend zugleich

Unterwerfung
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Inhalt:
Der Literaturwissenschaftler und Universitätsprofessor François beobachtet in und um Paris beunruhigende Veränderungen, welche die nahende Präsidentschaftswahl begleiten: die Bruderschaft der Muslime ...

Inhalt:
Der Literaturwissenschaftler und Universitätsprofessor François beobachtet in und um Paris beunruhigende Veränderungen, welche die nahende Präsidentschaftswahl begleiten: die Bruderschaft der Muslime erlangt mehr und mehr Stimmen und beginnt, die Macht im Land mit Plünderungen, Ausschreitungen und radikalen Vorschriften an sich zu reissen und zu verteidigen. Gleichzeitig verändert sich auch das Privatleben des Protagonisten und lediglich der Mann einer Arbeitskollegin scheint seine Sorgen um die eigene Heimat, die eigenen Werte und Traditionen zu verstehen. Als François Paris auf gut Glück verlässt, muss er sich bewusst werden, in welche Richtung sich seine persönliche und berufliche Zukunft entwickeln soll, damit er sich selber vor dem privaten Verfall retten kann.

Meine Meinung:
Ein paar Jahre nach dem Erscheinungstag der französischen Originalausgabe (der ausgerechnet auf den Tag des Anschlags auf Charlie Hebdo fiel) habe ich mit ein wenig Abstand zum Geschehen dieses Buch gelesen, weil ich mir endlich selber eine Meinung zum Buch bilden wollte. Ich bin mir sicher, dass dieses Buch hauptsächlich eine sehr provokative Satire ist, die zwar mit teilweise fragwürdigem Humor aufspielt, aber gleichzeitig auch einen fesselnden Sprachsog erzeugt, dem ich mich nicht entziehen konnte. Die Hauptfigur ist ein sexistisches Arschloch, das zwar mit Mitte vierzig im besten Alter sein sollte, aber bereits äusserst verlebt wirkt und sich aufgrund seines Lebenwandels zu recht Sorgen um seine Gesundheit zu machen beginnt. Dabei wird ein fasznierender Einblick in die Innenwelt von François geboten.
"Unterwerfung" ist in meinen Augen kein rassistisches Buch, sondern ein - durchaus an die Grenzen des guten Geschmacks gehendes - intellektuelles Gedankenexperiment, dessen Erscheinungstermin leider unter einem schrecklich schlechten Stern stand. Das Buch ist eine Satire, die mit den Stereotypen sowohl der französischen Kultur (Entenleber, Weisswein und Zigaretten), als auch der Muslimischen Religion (Polygamie, diskriminierte und verhüllte Frauen) spielt und zudem sehr gesellschaftskritisch die französische "Elite" in Presse, Politik und Bildung an den Pranger stellt. Deren Bequemlichkeit, Sexismus und Akeptanz der von der neuen muslimischen Regierung konstruierten Privilegien - die aber natürlich dafür sorgen, dass andere Menschen, respektive vor allem Frauen, stark diskriminiert werden - ist nämlich mitschuldig daran, dass die Bruderschaft der Muslime es so leicht hat, an die Macht zu kommen und Frankreich fast problemlos zu übernehmen. Keine einzige Figur in diesem Buch kommt gut weg und trotzdem ist es faszinierend, diese Geschichte zu lesen, sich eigene Gedanken dazu zu machen, dabei diverse Szenarien durchzuspielen und am Ende wieder in die eigene Realität zurückzukehren und dabei erleichtert aufzuatmen.

Schreibstil:
Der Schreibstil von Michel Houellebecq erinnert mich ein wenig an den Stil von Charles Bukowski, Houellebecqs Sprache wirkt aber ein wenig gewollter (vor allem in Bezug auf die provokative und sexistische Art) und ausserdem weniger schrullig-liebenswert, sondern definitiv kantiger und abweisender als Bukowskis Sprache. Rezensionen zu Bukowskis Bücher und meine Meinung zu seinem Schreibstil findet ihr HIER und HIER.
Houellebecqs Sprache erzeugt ausserdem einen unfassbaren Sog. Sie erzählt eine Geschichte, die fasziniert und gleichzeitig anwidert und ich bin mir sicher, dass dies genau der Effekt ist, den der Autor erreichen will. Sie scheint gleichzeitig intellektuel, fliesst aber auch immer mal wieder ziemlich leicht daher und vor allem die letzten hundert Seiten des Buches habe ich sicher auch deshalb komplett in einem Rutsch verschlungen.

Meine Empfehlung:
Meiner Meinung nach kommt man nicht um diese Lektüre herum, wenn man sich selber eine Meinung bilden, mitreden und sich fesseln, provozieren und auch ein wenig schockieren lassen will. "Unterwerfung" ist ein Buch, das zum Nachdenken anregt, aber auch nach dem passenden Lesezeitpunkt verlangt. Den habe ich definitiv erwischt, weshalb ich eine Leseempfehlung für dieses Buch ausspreche.

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Veröffentlicht am 02.11.2020

Spannend und trotz sprachlichen Schwächen sehr lesenswert

Der Glanz der neuen Zeit
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Inhalt:
Im zweiten Band der Speicherstadt-Sage ist gerade der erste Weltkrieg vorbei und Mina ist mittlerweile mit Frederik verheiratet und Mutter einer kleine Tochter. Obwohl es gerade nichts zu handeln ...

Inhalt:
Im zweiten Band der Speicherstadt-Sage ist gerade der erste Weltkrieg vorbei und Mina ist mittlerweile mit Frederik verheiratet und Mutter einer kleine Tochter. Obwohl es gerade nichts zu handeln gibt, fährt sie täglich ins Kontor, um dort nach dem Rechten zu sehen und wird dort von ihrer kleinen Schwester Agnes, die sie fortan öfter ins Kontor begleitet, auf die Idee gebracht, mit ihrem Schwiegervater Handel zu betreiben. Dieser hat schliesslich eine Kaffeeplantage und wäre somit die perfekte Quelle. Nur schade, dass Frederik, der immer noch als Soldat tätig ist, und sein Vater sich vor Jahren zerstritten haben.
Mina und ihr Schwiegervater werden sich aber handelseinig und die junge Frau beginnt, das Geschäft neu aufzubauen, was ihrem kontrollsüchtigen und verschwenderisch lebenden Ehemann gar nicht gefällt.

Meine Meinung:
Auch der zweite Teil der Speicherstadt-Saga liest sich nur so weg, was sicher an der Sprache liegt (dazu unten mehr), aber auch am Aufbau. Immer wieder kommt Spannung auf, zahlreiche Konflikte innerhalb der Familie entstehen und weitere Figuren kommen hinzu, die zuerst ihren eigenen Platz in der Geschichte finden müssen. Die Geschichte wirkt trotzdem nicht überladen, was mir sehr gut gefallen hat. In Hinblick auf den dritten Teil ist schon einiges angedeutet und einzelne offene Fragen warten noch darauf, beantwortet zu werden. Trotzdem endet der zweite Band nicht komplett verzettelt, sondern mit einem passenden Meilenstein für alle Figuren. Nur leider sind die letzten paar Seiten einen grossen Zeitsprung von der restlichen Handlung entfernt und einige Dinge sind mir und vielen anderen Teilnehmer:innen der Leserunde ein wenig zu schnell aufgelöst worden. Der Weg dahin wäre spannend gewesen und dem Buch hätten einige Seiten mehr gar nicht geschadet.
Ansonsten aber hat mir der zweite Band dieser Reihe wirklich gut gefallen und die Figuren haben es mir angetan. Sie alle sind äusserst liebevoll und einfallsreich beschrieben und haben ihren ganz eigenen Charakter. Allen voran natürlich Mina. Sie steht für sich ein, führt die Geschäfte, ist immer für ihre Freunde und ihre Familie da und muss sich zudem noch gegen ihren unnützen Ehemann behaupten. Aber auch ihre Grossmutter Hiltrud, die in diesem Band eine grosse Entwicklung durchmacht und ihre ein wenig angestaubten Prinzipien auch einmal hintenanstellt oder Minas Pensionatsfreundin Irma, die einen noch wichtigeren Part in Irmas Leben einnimmt, sind äusserst gelungen dargestellt. Minas Schwiegervater Paul, der sich als enorm herzlicher und vernünftiger Mann und somit als komplettes Gegenteil von Frederik herausstellt, sowie zwei alte Bekannte, die ebenfalls mehr und weniger erwartet auftauchen, sorgen für ordentlich Wirbel und einige spannende und herzerwärmende Momente und Minas Schwester Agnes ist zu einer jungen Frau herangewachsen, die ebenfalls beginnt, ihren eigenen Weg zu suchen, was mich sehr gefreut hat.

Sprache:
Auch schon im ersten Band habe ich den Fluss der Sprache gelobt. Das hat mir auch in "Der Glanz der neuen Zeit" sehr gefallen und ausserdem wird auch wieder Spannung erzeugt und die Szenen zwischen Mina und Frederik haben nicht nur mir Bauchschmerzen und grösstes Unwohlsein verursacht. So werden die verschiedensten Stimmungen eingefangen, die bei einzelnen Szenen gekonnt aufflackern gelassen werden. Nur gelingt dies nicht so konstant und andere Ereignisse, Formulierungen und Beschreibungen plätschern ein wenig gar unaufgeregt dahin. Die Sprache wirkt manchmal wie in einem typischen Wohlfühlroman, obwohl so viele nicht ganz einfache Themen behandelt werden.
Einzelne Wiederholungen, wie das omnipräsente Wort "patent" oder auch die oft wiederholte Phrase "ich traue ihm nicht weiter, als ich spucken kann", von Heiko, waren mir ein wenig zu viel des Guten. Ich denke, dass ein paar ausgewähltere Worte und passgenauere Formulierungen nicht nur dem Lesefluss sondern auch der Handlung gut getan hätten.
Ausserdem finden sich im Buch einige Aussagen, die ein wenig ins Nichts führen. Beispielsweise verspricht Mina ihrer Tochter, einen Schneemann zu bauen. Dieser wird dann gar nicht gebaut und die Geschichte geht einfach weiter. Auch geht es um Dinge, die Mina unbedingt hätte erfahren wollen, dazu hätte sie lediglich einige Briefe öffnen müssen, was sie aber nie getan hat. Es sind so kleine Details, die nicht immer etwas mit dem Fortgang der Handlung zu tun haben, aber nicht ganz schlüssig und stimmig wirken und deshalb den Eindruck vermitteln, da wäre nicht immer alles zu Ende gedacht oder ausformuliert worden.

Meine Empfehlung:
Einzelnen Abzügen in der Sprache und dem Aufbau zum Trotz ist dieser zweite Band der Reihe eine gelungene, spannende Fortsetzung, die ich gerne weiterempfehle. Vor allem deshalb, weil eine starke Protagonistin geschildert wird, die für sich einsteht und zahlreiche Hürden überwinden muss. Dies lässt tief in eine ganz andere, spannende Zeit blicken, in denen Frauen vieles vergönnt war, in der aber auch einige Umbrüche stattgefunden haben, die um so neugieriger auf den dritten Band der Reihe blicken lassen.

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Veröffentlicht am 14.10.2020

Spannender Thriller, schwacher Schluss

Die Eistoten
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Inhalt:
Alice ist unglaublich klug, beobachtet gut und stellt die richtigen Fragen. Sie interessiert sich sehr für den Beruf ihres Vaters, der Polizist ist und sie liest Fachliteratur über Serienkiller, ...

Inhalt:
Alice ist unglaublich klug, beobachtet gut und stellt die richtigen Fragen. Sie interessiert sich sehr für den Beruf ihres Vaters, der Polizist ist und sie liest Fachliteratur über Serienkiller, Mordaufklärung und berühmte Verbrecher. Alice ist aber erst elf Jahre alt und nicht nur ihre Familie macht sich grosse Sorgen um sie. Ist es normal, dass sie sich so sehr für Verbrechen interessiert oder hat sie einfach den Unfalltod ihrer Muter, den sie natürlich für einen Mord hält, noch nicht überwunden? Und ist es normal, dass sie philosophische Bücher liest und lange Gespräche mit dem längst verstorbenen Philosophen Wittgenstein führt?
Klar ist, dass im Allgäu seltsame Dinge vor sich gehen. Auf den Kirchenmauern prangt die blutrot hingeschmierte Zahl elf, die Hunde im Dorf verstummen und alte Geschichten kommen ans Tageslicht.
Zusammen mit ihrem besten Freund Tom beginnt Alice ihre eigenen Ermittlungen und stösst dabei auf eine aufrecht im Wald stehende Mädchenleiche. Alice und Tom beschliessen, die Polizei noch nicht zu informieren und statt dessen noch ein wenig weiter zu forschen. Schnell ist klar, dass eigentlich gar nichts so ist, wie es seint sollte. Aber wie hängen die verschiedenen Ereignisse zusammen? Niemand hört Alices Version der Dinge zu. Im Gegenteil, sie wird für verrückt erklärt. Plötzlich befinden sich Alice und Tom in grosser Gefahr. Doch vor wem müssen sie sich in Acht nehmen?

Meine Meinung:
Ich liebe Krimis und Thriller, habe aber schon länger keinen mehr gelesen. Darum freute ich mich um so mehr auf "Die Eistoten" und ich wurde nicht enttäuscht.
Der Einstieg gelang ein wenig zögernd, doch nach dem ersten Teil war ich mitten im Geschehen um die mutige Alice und ihren besten Freund Tom. Teil zwei und drei erwiesen sich als unglaublich packend und grossartig aufgebaut. Vom vierten und letzten Teil hingegen war ich ziemlich enttäuscht. Der Autor betont aber im Nachwort, dass er den Schluss jeweils nur schreibt, um einen Schluss zu haben. Viel mehr interessiert ihn der ganze Anfang und Mittelteil, die Verstrickungen und die Ermittlungsarbeit. Ich finde, dass man das bei diesem Buch sehr gut merkt.
Es ist absolut spannend, welche Überlegungen sich Alice macht und wie sie der Polizei immer wieder einen Schritt voraus ist. Sie ist mir generell sympathisch und auch ihre Gespräche mit Wittgenstein finde ich sehr gut konzipiert. So stellt dieser Thriller auch noch einen intellektuellen Anspruch an seinen Leser und dient nicht einfach "nur" der Unterhaltung, was mir persönlich sehr gefällt.
Die Stimmung des Buches finde ich auch sehr gelungen. Der Winter ist kalt und düster. Menschen und Tiere sterben und die Lebenden sind verstimmt, ängstlich oder einsam. Selten habe ich ein Buch gelesen, in dem der Winter mit so wenigen Worten auf diese Art und Weise düster und hoffnungslos erscheint und man bemerkt hier sehr gut, dass der Autor sich mit dieser trostlosen Beschreibung an seinem grossen Vorbild Friedrich Dürrenmatt orientiert. Dies soll ihm aber auf keinen Fall als Schwäche ausgelegt werden. Er kopiert ja nicht, sondern er lehnt an und macht etwas total Eigenes daraus.

Fazit:
Mit einem überzeugenderen Schluss wäre dieses Buch ein von Anfang bis Ende anspruchsvoll und packend durchkomponierter Thriller. Nun ist es einfach ein anspruchsvoller und packender Thriller mit einem schwachen Schluss.

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Veröffentlicht am 14.10.2020

Leider zu stereotyp und vorhersehbar

Ein ganzes halbes Jahr
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Inhalt:
Louisa ist schrill, bunt und in ihrem Leben fest gefahren. Seit sie auf der Welt ist, lebt sie bei ihren Eltern in einer eingeschlafenen Kleinstadt, die nur im Sommer ein wenig Leben eingehaucht ...

Inhalt:
Louisa ist schrill, bunt und in ihrem Leben fest gefahren. Seit sie auf der Welt ist, lebt sie bei ihren Eltern in einer eingeschlafenen Kleinstadt, die nur im Sommer ein wenig Leben eingehaucht bekommt, weil viele Touristen zur stadteigenen Burg strömen. Sie arbeitet in einem kleinen Café und ist seit sieben Jahren mit ihrem Freund zusammen.
Als sie ihre geliebte Arbeit verliert, muss sie sich von da an mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten und erst einmal jede Arbeit annehmen, die ihr angeboten wird. Ihr Vater steht nämlich kurz vor der Kündigung und seit ihre Schwester unverhofft schwanger geworden ist, ihr Studium abbrechen und ihren Sohn alleine über Wasser halten musste, ist das Familienbudget sehr knapp bemessen und Louisas Eltern sind froh um jeden noch so kleinen Beitrag.
Da wird Louisa eine überaus gut bezahlte Stelle in einer Familie mit einem behinderten Sohn angeboten. Sie nimmt die auf ein halbes Jahr befristete Stelle an und lernt Will kennen, der sie zu hassen scheint. Bald aber stellt sich heraus, dass Will nicht Lou hasst, sondern seinen gelähmten Körper, seinen eintönigen Alltag und sein neues Leben. Und Louisa macht die schreckliche Erkenntnis, dass sie genau dieses halbe Jahr Zeit hat, Will von seinem Vorhaben abzubringen, seinem Leben mit Hilfe einer Sterbehilfeorganisation ein Ende zu setzen.
In diesem halben Jahr realisiert Louisa, dass sie einen Schritt ins Leben hinein machen muss, um sich aus ihrer eigenen eingefrorenen Situation zu befreien und sie verliert ihr Herz an einen Mann, der sich selber schon lange abgeschrieben hat.

Meine Meinung:
Als ich "Ein ganzes halbes Jahr" aufschlug, war mir nicht klar, was mich erwarten würde. Ich kannte nur den Klappentext und tausende von positiven Meinungen zum Buch.
Louisa ist eine wunderbare Protagonistin, mit der ich mich sehr gut identifizieren konnte. Ich finde ihre Starre und auch ihre Entwicklung zum Leben hin als sehr gut dargestellt.
Eigentlich sind Lou und Will in der selben Situation. Lou steckt in ihrem Leben fest und Will im Rollstuhl. Nur merkt sie gar nicht, was sie alles verpassen könnte und er realisiert es um so deutlicher. Lou muss mit einer schmerzhaften Geschichte aus ihrer Vergangenheit klar kommen, um den Schritt ins Leben hinein zu gehen und Will sieht den Freitod als einzige Möglichkeit, aus seinem Gefängnis zu fliehen. Dies finde ich von der Autorin fantastisch dargestellt, diese Ausgangssituation der Protagonisten und die unterschiedlichen Entwicklungen und Gedanken.
Generell gefällt mir der Schreibstil sehr. Ich finde, dass man so richtig merkt, dass man es mit einer schreibverliebten Autorin zu tun hat. Passend gewählte Worte, sanfter Witz, unterschwellige Tragik, viel Humor und traumhaft schöne Momente vereinen sich in einem sehr sanft ineinander verflochtenen Handlungsnetz.
Die Themen Behinderung und Freitod werden mit der nötigen Ernsthaftigkeit und mit einem hohen Informationsgehalt behandelt. Ausserdem finde ich es noch wichtig, Lous zum Teil sehr schwierige Familiensituation zu erwähnen. Auch hier haben wir wieder einen Punkt, indem sich die Protagonisten durch ihre Andersartigkeit sehr ähnlich sind. Während Will nämlich aus einer absolut reichen aber ziemlich unpersönlichen Familie stammt, in der nicht viel miteinander gesprochen wird, hat Lous Familie immer Geldsorgen, ein buntes Haus und immer einen gewissen Lärmpegel. So müssen beide mit ihrer jeweiligen Situation klar kommen und sind dadurch ziemlich auf sich selber gestellt.
Zum Schluss muss ich aber noch anmerken, dass mir persönlich das gewisse Etwas an diesem Buch gefehlt hat. Ich bin ein Mensch, der sich immer sofort berühren lässt, dieses Buch hat mich aber überhaupt nicht berührt. Es ist handwerklich perfekt gearbeitet, aber mir fehlen die Emotionen. Versteht mich nicht falsch, ich bin überhaupt nicht für Kitsch. Wills Wunsch und Lous Reaktion darauf sind für mich aber so verständlich, dass ich mir selber gar nicht so viele Gedanken dazu gemacht habe. Auch die sanft entstehende Liebesgeschichte ist zwar sehr schön, wirkt aber auf mich trotzdem ein wenig stereotyp. Genau so wie die Gegensätze arm-reich, Stubenhockerin-Draufgänger, grosses Haus-kleines Haus, kalt-herzlich, erfolgreich-langweilig, Pflegerin-Patient.
Alles in allem ist mir der Plot zu absehbar, zu wenig tiefschürfend und zu nachvollziehbar.

Fazit:
Ein perfekt gearbeitetes Buch über den Sinn des Lebens, welches mich einfach nicht so richtig berühren konnte. Ich möchte es euch aufgrund seiner brisanten Thematik doch sehr ans Herz legen.

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