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Veröffentlicht am 01.05.2018

Der Seidenweber

Das Haus der Seidenblüten
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Der 3. historische Roman von Liz Trenow "Das Haus der Seidenblüten" (Originaltitel "The Silk Weaver") erschien 2018 als im blanvalet-Verlag.


England, 1760:
"Das Leben der jungen Anna Butterfield ändert ...

Der 3. historische Roman von Liz Trenow "Das Haus der Seidenblüten" (Originaltitel "The Silk Weaver") erschien 2018 als im blanvalet-Verlag.


England, 1760:
"Das Leben der jungen Anna Butterfield ändert sich grundlegend, als sie vom idyllischen Suffolk zur Familie ihres Onkels nach London zieht. Kurz nach ihrer Ankunft begegnet sie dem französischen Seidenweber Henri und wird hineingezogen in die faszinierende Welt des Seidenhandels. Henri arbeitet an seinem Meisterstück, während Anna sich danach sehnt, Künstlerin zu werden, anstatt einen reichen Anwalt zu heiraten wie von ihrer Familie gewünscht. Henri erkennt, dass Annas Blütenzeichnungen ihnen beiden die Chance auf Unabhängigkeit schenken könnten. Doch sein Leben als Einwanderer wird täglich gefährlicher, bis die dramatischen Zeiten ihn und Anna für immer auseinanderzureißen drohen." (Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:

In der Zeit der Aufklärung begegnen sich die 18jährige Pfarrerstochter Anna Butterfield und Henri Vendome, der seine 7jährige Lehre bei dem hochgeachteten Meisterweber Monsieur Lavalle fast beendet hat und das künstlerische Zeichentalent von Anna entdeckt: Die beiden verlieben sich ineinander, obgleich sie aus verschiedenen Standesschichten kommen und eine gemeinsame Zukunft perspektivlos scheint. Anna lebt im Hause ihres Onkels, einem Tuchhändler, und ihrer Tante Sarah, deren größter Wunsch der gesellschaftliche Aufstieg ist. Die Nichte erlebt London, aus Suffolk kommend, wo sie inmitten der prächtigen Natur im Pfarrhaus aufwuchs, als eine Metropole mit solch pulsierendem Leben, das sie zuvor nicht kannte. Jedoch fühlt sie sich eingesperrt und einsam, da der Standesdünkel ihrer Tante, die sich eine gute Partie für sie wünscht, jede Eigeninitiative, das Haus zu verlassen, zum Scheitern verurteilt. Doch Anna findet einen Weg und verlässt mit Korb, Papier und Zeichenstiften das Haus des Onkels...

Der Roman ist flüssig und leicht zu lesen. Liz Trenow gelingt es, eine Atmosphäre des Londons aus dem Jahre 1760 zu schaffen, die mir sehr gut gefallen hat, da sie alles gewohnt bildhaft und detailreich schildert. Jedem Kapitel geht ein Auszug eines Buches über die "Umgangsformen der feinen Dame" (Anna) bzw. ein Auszug des "Handbuch für Lehrjungen und Gesellen oder Wie man zu Reichtum und Ansehen kommt" (Henri) voraus; diese sind zwar mitunter amüsant zu lesen, hätten jedoch m.E. auch weggelassen werden können. Schön und sehr passend fand ich die französischen Dialog-"Einsprengsel", da die zugewanderten Hugenotten natürlich ihre Muttersprache sprachen - und es gab sehr viele französische Seidenweber anno 1760 in London!

Es geht um die Themen Einwanderung, Henri ist als verfolgter Hugenotte mit seiner Mutter aus Frankreich geflohen und diese sehr bedrohte Minderheit der Calvinisten fand in England anfangs eine Willkommenskultur vor, die jedoch abnahm, je mehr weitere Wellen von Einwanderern damals ins Land kamen. Diese politischen bzw. religiösen Bezüge und die Not der Hugenotten hat Liz Trenow sehr gut anhand der Familie Vendome beschrieben. Hauptsächlich geht es jedoch - neben der Liebesgeschichte zwischen Anna und Henri, die sehr anrührend und romantisch erscheint - um das Handwerk der Weber, um ihre Arbeitswelt und die schlechte Entlohnung, die sie erfuhren und die zu Aufständen führte, die teils gewaltsam waren. Die Informationen über die Seidenweberei fand ich äußerst interessant, da es hier um die Übertragung der Skizzen Annas auf die textile Webfläche auf Henris Webstuhl ging: Ein Botaniker und ein bekannter Maler, der vor allem für seine naturnahen Werke geachtet war, und deren Bekanntschaft Anna im Roman machen kann, fließen ebenfalls in den Roman ein und geben ihm damit eine kreativ-künstlerische Note. Manches fand ich sehr informativ, manches inspirierend, jedoch konnte mich dieser Roman nicht ganz so mitreißen wie seine beiden Vorgänger. Die Figurenzeichnung sowohl der beiden Hauptprotagonisten Anna und Henri als auch der Schneiderin Charlotte, Meister Lavalle, dem Cousin William u.a. ist jedoch sehr gelungen und die jeweiligen Charaktere sind feingezeichnet. Besonders der eigenwillige Charakter von Anna, die sich über die vorherrschenden Standesdünkel hinwegsetzte, war mir sehr sympathisch.

Die Anmerkungen der Autorin zur Romanidee, eine Zeittafel und literarische Quellen des gutrecherchierten Romans runden den Roman ab.

Fazit:

Wer sich in die Zeit der Aufklärung ins London des 18. Jahrhunderts, in eine Tuchhändler- und in die Seidenwebergilde begeben möchte, einen sehr informativen und unterhaltsamen Roman lesen möchte, in dem es natürlich um Liebe, aber vorrangig um Kunst, Naturmotive, Mode, edle Stoffe, das Handwerk des Webers geht, ist hier gut beraten, zuzugreifen. Ich fühlte mich gut unterhalten, habe selbst einen Bezug zum Weben und kann den neuen Roman von Liz Trenow weiterempfehlen. 4* und 85° auf der Histo-Couch erhält er von mir.

Veröffentlicht am 11.04.2018

Rätselhaftes Erbe in einem alten Koffer....

Evas Erbe
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"Evas Erbe" von Hans W. Cramer erschien 2018 im Gmeiner-Verlag, München und ist in der Verlagsreihe "Spannung" an gezielt der richtigen Stelle!


"Evas Erbe" ist bereits der 3. Thriller (bzw. Kriminalroman ...

"Evas Erbe" von Hans W. Cramer erschien 2018 im Gmeiner-Verlag, München und ist in der Verlagsreihe "Spannung" an gezielt der richtigen Stelle!


"Evas Erbe" ist bereits der 3. Thriller (bzw. Kriminalroman mit Thrillerelementen, finde ich, doch überaus spannenden!) dieses mir bisher noch unbekannten Autors, der durchaus Lust auf die beiden Vorgänger macht!

Inhalt:

Dr. Michael Beyer, seines Zeichens Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, soll in einem Nachlassgericht erscheinen, da ihm eine 83jährige Patientin, die er im Laufe der Jahre etwas besser kennenlernte, eine Erbschaft hinterließ: Gemeinsam mit der einzigen Verwandten der alten Dame, ihrer Enkelin Eva Maybaum, bildet er eine "Erbengemeinschaft", ohne dass sich die Erbenden zuvor kannten: Während Eva das Haus und allen Besitz der Großmutter Margit Hook erbt, erhält Dr. Beyer alles Bewegliche auf dem Dachboden des Hauses - sowie einen Brief, den die beiden ohne Anwesenheit Dritter öffnen sollen: In diesem Brief findet sich Rätsel über Rätsel und beide beschließen, den Spuren Margit Hooks zu folgen, die Zusammenhänge zwischen einem Banküberfall 1970 und dem Tode von Evas Vater 1985 herstellen...
Doch je mehr beide recherchieren - und sich dabei kennenlernen und merken, dass sie sich anfangen, sehr zu mögen, desto gefährlicher werden die Nachforschungen, da es einen Gegenspieler gibt, der skrupellloses Verhalten zeigt und keine Gnade kennt....

Meine Meinung:

Hans W. Cramer versteht es sehr gut, Spannung aufzubauen und diese während des ganzen Thrillers (für mich eher ein sehr spannender Krimi) zu halten. Zudem stellt er nach und nach Zusammenhänge her und Überlegungen, die den Leser miträtseln lassen: Wovor hatte Margit Hook so große Angst? Welche Spuren legte die rätselbegeisterte nette alte Dame für Beyer und Enkelin Eva, die ein Bild erkennen ließen?

Meisterhaft sind verschiedene Erzählstränge, die aus dem Jahre des Banküberfalls 1970 stammen, aus der Zeit Mitte der 80er Jahre und dem Jahr 2011, als Eva und Michael Beyer gemeinsam zu enträtseln suchen, was hinter den Spuren Margit Hooks stecken mag, um die die "ungeheure alte Sache, die nach dem Willen der Großmutter zu einem guten Ende gebracht werden sollte" - aufdecken zu können. Beide begeben sich auf ihrer Suche in Lebensgefahr. Gegen Ende dieses flüssig und durch gute Figurenzeichnung geprägten Krimis zu lesenden Buches wird man noch nach Lefkas entführt, wo der showdown dann stattfindet: Hier gefiel mir die Exkursion in die interessante Inselgeschichte der Ionischen Insel sehr, da auch ich einige griechische Inseln kenne und wie auch der Autor mich als Griechenlandfan oute.

Eine stimmige Handlung, ein guter Plot und unvorhersehbare Wendungen tragen gemeinsam mit den sympathischen und auch mutigen Protagonisten, die hier auch ins Leben des anderen "stolpern" und eine schöne Liebesgeschichte involviert ist, dazu bei, dass ich von "Evas Erbe" sehr begeistert war und spannende Lesestunden hatte.

Fazit:

Eine rätselhafte Spurensuche mit zwei sehr sympathischen Charakteren und ein spannender Kriminalroman mit Thrillerelementen, der sich durch gute Figurenzeichnung, einer durchdachten Handlung, deren Fäden aus 1970, 1985 und 2011 mehr und mehr zusammenlaufen, auszeichnet. Einen soliden und dennoch überraschenden showdown; einen stimmigen Plot und eine lesenswerte Krimireise voller Rätsel zu den Spuren der Vergangenheit bewerte ich sehr gerne mit einer Leseempfehlung mit 5* und 95° auf der "Krimi-Couch"!

Veröffentlicht am 05.04.2018

Serverland - ein futuristisches IT-Szenario....

Serverland
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"Serverland" von Josefine Rieks erschien als HC, gebunden im Hanser-Verlag, 2018. Es handelt sich um eine fiktive und futuristische Geschichte, die in den nachfolgenden Jahrzehnten spielt, in Berlin und ...

"Serverland" von Josefine Rieks erschien als HC, gebunden im Hanser-Verlag, 2018. Es handelt sich um eine fiktive und futuristische Geschichte, die in den nachfolgenden Jahrzehnten spielt, in Berlin und den Niederlanden verortet ist und seinen LeserInnen eine Post-Internetära beschreibt, da das Internet seit Langem abgeschaltet wurde....


Inhalt:

Reiner, der Mitte 20 ist und bei der Post arbeitet, sammelt alte Laptops und versucht, sie wieder zum Laufen zu bringen. Er lädt sich am liebsten Spiele herunter wie "Grand Theft Auto" (das ich kenne und gräßlich finde), Lara Croft u.a. Jedoch stürzen alle downloads nach einigen Minuten ab und so versucht er, der ein durchaus technisches Geschick aufweist, nach Verbesserungsmöglichkeiten. Ein Freund aus Schulzeiten, Meyer, kommt auf ihn zu und lädt ihn ein, mit nach Holland zu fahren, da es dort wohl in stillgelegten Industriebrachen alte Serverhallen gibt und er Reiner durchaus zutraut, jene wieder zum Laufen zu bringen. Dort angekommen, treffen beide auf einige Jugendliche, die ebenfalls an der Idee interessiert sind, alte Videos von YouTube wieder zum Leben zu erwecken und vor allem eine Welt, in der virtuell alles "geteilt" wird. Es entwickeln sich Gruppen, man schafft ein Plenum und es gibt Konkurrenzdenken und Beziehungen untereinander, die das ganze Vorhaben nicht eben vereinfachen. Jede Menge Haschisch und 6packs werden konsumiert und Reiner nimmt sich eine berufliche Auszeit, um den Servern zuleibe zu rücken und das technische Material aufzutreiben. Er lanciert durch seine Fachkenntnis durchaus zu einem Leader, fühlt sich jedoch im Grunde einsam....

Meine Meinung:

Anfangs hatte ich Mühe, überhaupt in diese skurrile Geschichte hineinzukommen. Vieles ist sehr vage - und bleibt es auch. Auch die Figuren wie Reiner oder Meyer empfand ich als bruchstückhaft, da die nüchterne Sprache nicht darauf angelegt ist, viel von den Protagonisten preiszugeben. Der Ich-Erzähler Reiner spricht im Roman immer von "den Jugendlichen", was ich als sehr distanziert empfand, da er ja im gleichen Alter ist und kaum der Adoleszenz entwachsen sein dürfte. Er und die Gruppe ist auf jeden Fall auf der Suche nach der Idee des Teilens, den Werten einer gerechteren, globalisierten Welt, was als Maxime deklariert wird. Andererseits wird nicht erklärt, weshalb das Internet von der Regierung abgeschaltet wurde - ob es ein Energieproblem gab? In Holland und den USA scheint dieses Problem jedenfalls nicht zu existieren oder nicht in dem Maße, denn dort gibt es Jugendbewegungen, "Rebellen", die das gleiche Interesse haben und sich daher zusammenschließen, um das Internet wieder herzustellen. "Niemand musste sich einsam fühlen" heißt es im Roman: Gab es demzufolge nach dem Abschalgten eine Vereinzelung, ja Vereinsamung der Gesellschaft? All diese Fragen muss man sich als LeserIn selbst beantworten. Der Roman lässt dies offen. Zeitweise hatte ich das Gefühl, dass Reiner emotionale Probleme hatte, sich fürchtete, dass die revolutionäre Idee in der uninteressierten Masse untergeht und unter einem Gefühlschaos litt, das auch seine Beziehung zu Frauen miteinschloss.

Fazit:

Eine faszinierende, interessante Romanidee, die für mich leider viel zu konturlos blieb und viele Fragen offen lässt, die den Leser ratlos zurücklassen. 2,5 Sterne
Interessieren würde mich dennoch, wie Programmierer und Experten aus der IT-Branche diesen Roman lesen - und bewerten. Womöglich ganz anders?

Veröffentlicht am 30.03.2018

Zeiten voller Hoffnung - und die Kraft tiefer Freundschaft

Zeiten voller Hoffnung
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"Zeiten voller Hoffnung" von Lesley Pearse erschien (HC, gebunden) im Weltbild-Verlag (Reihe Premiere) und war für mich der Einstiegsroman dieser sehr gefühlvoll und dennoch nicht trivial schreibenden ...

"Zeiten voller Hoffnung" von Lesley Pearse erschien (HC, gebunden) im Weltbild-Verlag (Reihe Premiere) und war für mich der Einstiegsroman dieser sehr gefühlvoll und dennoch nicht trivial schreibenden englischen Autorin, die in Großbritannien nicht ohne Grund zu den BestsellerautorInnen zählt.


Der neue Roman der Autorin entführt uns ins England der 30er Jahre; zeitlich beginnt er - in der Grafschaft Kent - 1935 und erstreckt sich zeitlich über die Vorkriegs- und auch harten Kriegsjahre des 2. Weltkrieges (1943). Der Kern dieses sehr unterhaltsamen, spannenden, aber nie trivialen Frauenromans besteht aus dem Kennenlernen und der erwachsenden tiefen Freundschaft zwischen Ruby und Verity, die sich 1935 in einem Park kennenlernen, bezieht jedoch immer auch die zeitgeschichtlichen Geschehnisse, der sich immer stärker abzeichnende Aufstieg des Nationalsozialismus im faschistischen Deutschland und den drohenden 2. Weltkrieg aus englischer Sicht- und Erlebensweise mit ein. Dieser historische Teil hat mir zu der Geschichte der wunderbaren, tiefen Freundschaft der beiden Mädchen Ruby und Verity, sehr gut an dem Roman gefallen: Die 13 und 14-jährigen Mädchen freunden sich schnell miteinander an, obgleich sie aus vollkommen verschiedenen sozialen Schichten kommen: Doch Verity merkt sehr schnell, dass Ruby intelligent ist und viel mehr über das Leben weiß als sie, auch wenn sie keinen Penny in der Tasche hat, völlig verarmt als Tochter einer Alkoholikerin und Prostituierten leben muss und sich ihre Mahlzeiten stehlen muss. Verity hingegen besucht eine Privatschule, lebt in einer Villa mit ihren Eltern und es fehlt ihr nichts in ihrem luxuriösen Dasein - das sie jedoch sehr langweilig findet. Einzig ihr Vater ist ein Mensch, der ihr Angst einjagt und der ungebremst zu Misshandlungen und Schlimmerem neigt....

Beide Mädchen machen traumatische Lebenserfahrungen, stehen sich jedoch in jeder Lebenslage bei. Lesley Pearse hat einen sehr angenehmen und schön zu lesenden, ja ergreifenden und berührenden Schreibstil, der nicht nur Ruby und Verity Leben einhaucht, sondern auch den Nebenfiguren wie Archie Wood, Miss Parsons, Eunice Wilberforce, genannt Wilby, eine sehr kluge und sozial eingestellte Witwe, die Kinder bei sich aufnimmt, die es im Leben sehr schwer haben und in deren Haus in Devon Ruby eines Tages landet, wo sie in den nächsten Jahren - den Teenagerjahren - aufblüht und ihre schlechten Erinnerungen und Manieren zugunsten eines sehr guten Sozialverhaltens ablegen kann.

Im Gegensatz zu Rubys sozialem Aufstieg geht es hingegen bei Verity immer mehr bergab: Sie muss mit ihrer Mutter zu ihrer Tante Hazel ziehen, da der Vater Gelder unterschlagen hat und von der Polizei gesucht wird... Während die Mutter immer mehr in Apathie verfällt, findet sich Verity dennoch mit der Situation ab und macht das Beste aus ihr, so dass die vermeintlich grässliche Tante sie dennoch ins Herz schließt. Doch das Leben der Tante endet jäh und eines Tages steht zu Veritys Schrecken ihr inzwischen ziemlich verlumpter Vater vor der Tür: Miller, ihr Untermieter, in den sie sich verliebte, musste nach Schottland, da er zum Kriegsdienst selbst nicht geeignet ist. Archie alias Stephen macht immer wieder Verity für seine missliche Lage - und auch seine Verbrechen - verantwortlich, was dem Roman eine auch bedrückende Note gibt, da Veritys Leben eines Tages in Gefahr ist - wären da nicht ihre Freunde, die ihr zur Seite stehen.

Ein wenig erinnerte mich die Geschichte und auch der Stil an Charles Dickens und auf fast 500 Seiten und in 37 Kapiteln lässt uns Lesley Pearse an den schwierigen und auch schönen Lebensverläufen von Ruby und Verity teilhaben - und erzählt gleichzeitig ein Stück dunkler Zeitgeschichte, die Jahre vor und im 2. Weltkrieg - hier aus englischer Sicht- und Erlebensweise.

Fazit:

Ein sehr unterhaltsamer, dennoch nie ins Triviale abgleitender Roman einer Freundschaft in einer schwierigen Zeit, der sehr gut darstellt, wie sehr Freunde einander helfen können und dazu motivieren, die Hoffnung niemals zu verlieren, dass sich das Blatt des Lebens wieder zum Guten wenden kann! In "Wilby" scheint m.E. eine Menge der Autorin selbst zu stecken: Sehr sympathische Charaktere, Authentizität, geschichtliche Einflüsse - und Spannung! Von mir gibt es daher 5* und eine absolute Leseempfehlung für einen historisch fundierten Frauenroman, den auch Männer gut finden könnten!

Veröffentlicht am 23.03.2018

Aufwühlend, emotional, sehr spannend - eine brisante Zeitreise in die deutsche Nachkriegsgeschichte

Die geliehene Schuld
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"Die geliehene Schuld" von Claire Winter ist bereits ihr drittes Buch, das im Diana-Verlag veröffentlicht wurde: Anders als die Vorgänger, nicht eben ein "Wohlfühlbuch", dafür aber eine absolut spannende ...

"Die geliehene Schuld" von Claire Winter ist bereits ihr drittes Buch, das im Diana-Verlag veröffentlicht wurde: Anders als die Vorgänger, nicht eben ein "Wohlfühlbuch", dafür aber eine absolut spannende und heute noch brisante, immer aktuelle Geschichte um Geheimdienste, kriminelle Machenschaften und Geschehnisse jenseits der Legalität, die man als "Normalbürger" oft gar nicht mitbekommt, sind die Themen des neuen Romans von Claire Winter, auf den ich schon sehnsüchtig wartete - und der meine Erwartungen absolut erfüllen, ja fast übertreffen konnte! Der wundervolle, außergewöhnliche Schreibstil der Autorin macht die thematische Düsterkeit, mit dem der Roman aufwartet (begonnen mit dem Jahr 1945, Übergangsjahre, 1948 und Folgejahre, als die Bundesrepublik Deutschland, wie wir sie heute kennen, aus der Taufe gehoben wurde - nach einem sehr dunklen Kapitel deutscher Zeitgeschichte, wett - und man versinkt wie in einer Zeitreise in den deutschen Nachkriegsjahren....


"Berlin, Sommer 1949:
Die Redakteurin Vera Lessing hat während des Zweiten Weltkrieges ihre Eltern und ihren Mann verloren. Sie will vor allem eines - die traumatischen Erlebnisse für immer hinter sich lassen. Doch als ihr Jugendfreund und Kollege Jonathan auf mysteriöse Weise ums Leben kommt, wird sie unweigerlich in seine Arbeit hineingezogen. Jonathan hat Recherchen über ehemalige Kriegsverbrecher betrieben. Gleichzeitig stand er im persönlichen Kontakt mit einer jungen Frau namens Marie Weißenburg, einer Sekretärin im Stab Adenauers. Vera geht den Spuren nach, die sie bis in die mächtigen Kreise der Geheimdienste führen."
(Quelle: Klappentext, Diana-Verlag)

Meine Meinung:

Ich bin seit über 10 Jahren ein großer Fan der Autorin, die auch hier in "Die geliehene Schuld" wiederum ihr ganzes schriftstellerisches Können zeigt: Zu den Hauptcharakteren zählen Vera Lessing, die seit Kindertagen eng mit Jonathan befreundet ist und ihr später bei der Zeitung "Echo", wo er als Journalist arbeitet, ebenfalls einen Job besorgen kann, wo sie im kulturellen Teil der Zeitung Artikel schreibt. Jonathan begibt sich durch seine Recherchen, die ihn zu Kreisen führen, in denen es ehemaligen Nationalsozialisten gelingt, Wege zu finden, auch nach dem Kriege dort anzuknüpfen, wo sie beruflich bereits im Dritten Reich erfolgreich waren und sich dies zunutze zu machen wissen: Er kommt dabei Männern auf die Spur, die - offiziell verschwunden von allen Listen - ihr Leben, auch ihr berufliches, an einer Stelle weiterführen können, die ihr Wissen für sich zu nutzen versteht. Niemand ist daher daran interessiert, dass die wahren Fakten, die der geradlinige Demokrat und Journalist Jonathan sammelt, jemals veröffentlicht werden: Im Gegenteil, es gilt, dies auf jeden Fall zu verhindern - und sei es, in dem man Leute ausschaltet und es - rein offiziell - wie einen Unfall aussehen lässt....

Claire Winter, die diesen Roman akribisch recherchiert hat und selbst dem Journalismus beruflich entstammt, gelingt es sehr überzeugend, die Nachkriegsjahre und die Zeit des beginnenden "Kalten Krieges", in der Deutschland in die Zonen der 4 Besatzungsmächte aufgeteilt war und die Bevölkerung noch sehr unter den Nachwirkungen des Krieges litt, die früheren Wehrmachtsangehörigen eines Entnazifizierungsprogrammes (zurecht, wie ich meine!) unterzogen wurden, wieder auferstehen zu lassen: Sie webt ein feines Netz zwischen den verschiedenen ProtagonistInnen, die der Leser immer besser kennenlernt und sich mit ihnen gut identifizieren kann; auch die Nebendarsteller wie Leo, andere Informanten, die Vera helfen, die Recherchen ihres Freundes Jonathan fortzusetzen und sie schützen, da sie sich in Lebensgefahr damit begibt, sind sehr authentisch dargestellt.

Rätselt man anfangs, ob dieser oder jener Person zu trauen ist, eben genau so, wie es Vera ergangen sein muss, klärt sich nach und nach auf, wer Freund - und auch, wer Feind ist. Besonders gelungen und den Spannungsbogen von der ersten bis zur letzten Seite haltend, sind dabei die sanften Übergänge der Handlung, die ineinandergreifen und ein Merkmal schriftstellerischer Größe von Claire Winter sind, trotz Zeitsprüngen immer die Authentizität zu wahren. So bewegen sich die Personen, die um Jonathans Recherchen kreisen, immer mehr aufeinander zu - auch Marie Weißenburg, die den Journalisten in Bonn kennenlernt, ist sehr authentisch und exemplarisch dargestellt - man kann ihr nur eine schöne Zukunft mit Jonathan wünschen: Dass sie das Herz am rechten Fleck hat, beweist ihr Verhalten gegenüber Lina, die sie in Nürnberg kennenlernt, wo die Nachkriegsprozesse stattfanden
und beide Frauen sich miteinander anfreunden; mit weittragenden Folgen...

Der Roman transportiert auf sehr eindringliche Weise die Themen Nachkriegszeit, Geheimdienste, Journalismus im "Kalten Krieg", die Rolle der Alliierten und auch der Kirche, die diese beim Untertauchen können einstiger Nazigrößen de facto spielten, Menschen, die skrupellos und kaltblütig vorgehen, um ihre Interessen zu schützen; aber auch von Freundschaft, Liebe, Aufrichtigkeit, Familiengeheimnissen, Loyalität und der veränderten Rolle der Frau, die nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals die Chance bekam, beruflich aktiv zu werden und damit auf eigenen Beinen stehen zu können, sind weitere Inhalte dieses sehr gut umgesetzten zeitgeschichtlichen Romans, den ich sehr gerne gelesen habe und für den ich der Autorin wie auch dem Diana-Verlag für die Publikation meinen Dank als Leserin ausspreche! Ein weiteres Plus empfand ich durch die Karte im Buchdeckel, die die Aufteilung der Zonen - mit Berlin im Sonderstatus - zeigt, das Personenregister und den Anhang der Autorin über Wahrheit und Fiktion mit weiteren Literaturhinweisen, die zu Selbstrecherchen motivieren.

Fazit:

Emotional, spannend, aufwühlend - ein historisches Stück Zeitgeschichte, das noch in die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland hineinweist und zeigt, wie weit Menschen und auch Organisationen, hier die Geheimdienste, gehen, um "so manches nicht publik werden zu lassen". Damit ist es für mich auch ein weiterer "literarischer Stolperstein", der den Leser wachsam entlässt - nach spannenden Lesestunden und einem Einblick in die schwierige Nachkriegszeit. Ich vergebe die volle Punktezahl auf der "Histo-Couch" und 5 Sterne am Bücherfirmament, verbunden mit der Vorfreude auf den nächsten Roman von Claire Winter!