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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.10.2023

Hatte mir mehr erwartet

Unter Wahnsinnigen
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Bisher kannte ich Florian Schroeder vor allem als Kabarettisten und Satiriker, den ich für seine scharfen Analysen schätze. Nun war ich gespannt auf sein Buch "Unter Wahnsinnigen", das mit dem sogenannten ...

Bisher kannte ich Florian Schroeder vor allem als Kabarettisten und Satiriker, den ich für seine scharfen Analysen schätze. Nun war ich gespannt auf sein Buch "Unter Wahnsinnigen", das mit dem sogenannten Bösen, der dunklen Seite in uns, beschäftigt. Schroeder widmet sich in den einzelnen Kapiteln unterschiedlichen Themenbereichen, so besucht er Scharfschützen der Bundeswehr im Baltikum, begleitet einen pädophilen Sexualstraftäter in Sicherungsverwahrung, spricht mit Rechtsextremen, Mitgliedern der Letzten Generation, einem Mann, der jahrelang ein Doppelleben führte, und anderen. Hierbei geht es ihm nicht um den simplen voyeuristischen Blick, sondern darum, sich mit dem Gegenüber auseinanderzusetzen und das vermeintlich Böse, Unmoralische einzuordnen und die eigenen Anteile der dunklen Seite in uns selbst zu erkennen.

Das Buch beginnt sehr persönlich, als Schroeder auch seine familiäre Motivation hierfür darlegt. Man spürt von Anfang an, dass Schroeder studierter Philosoph ist, da er die einzelnen Themenbereiche stets von einer philosophischen Warte aus betrachtet und häufig Zitate von Jünger, Kant, Hegel, Nietzsche und anderen einarbeitet und gegenüberstellt. Dementsprechend ist der Text durchaus anspruchsvoll zu lesen, und ich habe öfter innengehalten, um das Gelesene zu reflektieren. Schroeder gibt einige interessante Denkanstöße, und grundsätzlich teile ich viele seiner Positionen. Doch insgesamt bleibe ich mit einem enttäuschten Gefühl nach der Lektüre zurück. Hinter den gewandten Formulierungen und den philosophischen Ansätzen ist die inhaltlichliche Substanz des Buches doch recht dünn, der Erkenntnisgewinn gering. Schroeder verpackt hinlänglich Bekanntes in teils hochtrabenden Worten, ohne substanziell Neues oder konkrete Lösungsansätze für gesellschaftliche Fragestellungen im Kontext der behandelten Themen zu bieten. Alles in allem hatte ich mir mehr erwartet. 

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Veröffentlicht am 11.10.2023

Surreal

Gute Nacht, Tokio
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Da ich seit einiger Zeit meine Vorliebe für japanische Autoren entdeckt habe, war ich gespannt auf "Gute Nacht, Tokio".

Es sind außergewöhnliche Figuren, die Atsuhiro Yoshida im Buch nachts aufeinander ...

Da ich seit einiger Zeit meine Vorliebe für japanische Autoren entdeckt habe, war ich gespannt auf "Gute Nacht, Tokio".

Es sind außergewöhnliche Figuren, die Atsuhiro Yoshida im Buch nachts aufeinander treffen lässt. Der Nachttaxifahrer Matsui, eine Film-Requisiteurin auf der Suche nach ausgefallenen Gegenständen, eine Bestatterin für Festnetztelefone (!), eine Telefonseelsorgerin, einen Privatdetektiv, eine Bistro-Besitzerin, einen nachtaktiven Händler für kaputtes gebrauchtes Werkzeug, etc. Jede und jeder von Ihnen bringt seine eigene Geschichte, Sehnsüchte und Sorgen mit, und die Begegnungen untereinander bringen neue Impulse.

Das Tokio, das Yoshida zeigt, ist äußerst lebendig bei Nacht, und hat seinen ganz eigenen Reiz. Die Figuren sind aus unterschiedlichsten Gründen nachts wach und unterwegs, mal nachdenklich, mal gehetzt, mal beruflich, mal privat. Und dennoch fehlte mir bei diesem Roman stilistisch, erzählerisch und inhaltlich das gewisse Etwas, ein besonderer Zauber. Die Figuren blieben mir eher fremd, einige empfand ich als blass und oberflächlich gezeichnet, insbesondere mit der Bestatterin für Festnetztelefone konnte ich wenig anfangen, der Privatdetektiv wirkte für einen Meister seines Fachs wenig authentisch und der Händler für kaputtes gebrauchtes Werkzeug war mir doch zu skurril.

Generell gefiel mir die Grundidee des Romans wirklich gut und er war kurzweilig zu lesen, doch schöpfte er für mich sein Potenzial nicht vollständig aus.

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Veröffentlicht am 11.10.2023

Von Trollen und Riesen

Norwegische Märchen
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Die Märchen der Gebrüder Grimm oder von Hans Christian Andersen kennt wohl jeder noch aus seiner Kindheit, doch Märchen aus Norwegen waren mir bisher nicht untergekommen,  so dass ich sehr gespannt auf ...

Die Märchen der Gebrüder Grimm oder von Hans Christian Andersen kennt wohl jeder noch aus seiner Kindheit, doch Märchen aus Norwegen waren mir bisher nicht untergekommen,  so dass ich sehr gespannt auf diese Sammlung klassischer norwegischer Märchen war, die Peter Christian Asbjørnsen und Jørgen Moe im 19. Jahrhundert zusammengetragen haben. Insgesamt enthält das Buch über 50 Geschichten ganz unterschiedlicher Länge. Einige erinnern entfernt an hierzulande ebenfalls bekannte Märchen, so weist etwa "Die Tochter des Mannes und die Tochter der Frau" Parallelen zu "Frau Holle" auf und "Der Herr Peter" hat Ähnlichkeit mit "Der gestiefelte Kater". Die Sprache der Märchen ist altertümlich, und viele Begriffe wie Muhme, Gevatterin, Dirne u.ä. sind heute nicht mehr gebräuchlich. Als Vorlesebuch für Kinder eignet sich das Buch daher auch eher nicht, sondern ist vielmehr eine interessante und empfehlenswerte Sammlung für Erwachsene.





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Veröffentlicht am 11.10.2023

Berührender Roman über Einsamkeit

Oben Erde, unten Himmel
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Suzu ist Mitte zwanzig, Single und lebt zurückgezogen in einer japanischen Großstadt. Sie arbeitet vor sich hin, lässt sich irgendwie durchs Leben treiben und hat Schwierigkeiten, Sozialkontakte zu knüpfen. ...

Suzu ist Mitte zwanzig, Single und lebt zurückgezogen in einer japanischen Großstadt. Sie arbeitet vor sich hin, lässt sich irgendwie durchs Leben treiben und hat Schwierigkeiten, Sozialkontakte zu knüpfen. Als sie ihre Arbeit als Kellnerin verliert und eine neue Stelle als Leichenfundortreinigerin für Kodokusha antritt, einsam Verstorbene, deren Leichen längere Zeit unentdeckt blieben, verändert sich ihr Leben nachhaltig.

Das ungewöhnliche Setting des Romans hat mich neugierig gemacht,  zumal ich erst kürzlich ein Sachbuch über Tatortreiniger gelesen hatte. Auch die Grundthemen des Buches, Einsamkeit, soziale Isolation und Anonymität in der Großstadt, fand ich sehr interessant, da der gesellschaftliche Wandel auch bei uns zu Vereinsamung insbesondere im Alter führt. Nicht nur anhand der Verstorbenen, sondern auch mittels der Figuren im Buch gelingt es der Autorin Milena Michiko Flašar, Einsamkeit in vielen Facetten aufzuzeigen. Da ist nicht nur Suzu, sondern auch ihr junger und stiller Kollege Takada mit dem Gespür für Worte, ihr Chef, der schrullige und doch liebenswerte Herr Sakai und einige weitere, die alle ihre eigene, besondere Geschichte mitbringen. Der klare, leise Schreibstil mit den glaubhaft und eindrücklich ausgearbeiteten Charakteren hat mich von Anfang an berührt, und ich konnte mich gut in die Protagonistin Suzu hineinversetzen. Meine Lieblingsfigur war auf gewisse Weise Herr Sakai, der immer wieder für Überraschungen gut ist und es auf seine ganz eigene Art versteht, Suzus Lebenseinstellung zu beeinflussen. Trotz der ernsten Thematik hat der Roman auch eine gewisse Leichtigkeit und an einzelnen Stellen blitzt auch leiser Humor und eine gewisse Situationskomik durch.

Zudem liefert die Geschichte einige interessante Einblicke in die japanische Lebensart, und ein ausführliches Glossar am Ende des Buches erläutert die wichtigsten Begriffe.

Fazit: Ein runder, nachdenklich stimmender und berührender Roman, der zeigt, dass bereits kleine Gesten im Miteinander einen großen Unterschied machen. Unbedingt lesenswert!





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Veröffentlicht am 09.10.2023

Spannende Dystopie

Memoria
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Memoria beschreibt ein dystopisches Szenario in Deutschland in einer nahen Zukunft. Der Klimawandel sorgt für Extremereignisse, Waldbrände sind an der Tagesordnung, die Gesellschaft spaltet sich weiter ...

Memoria beschreibt ein dystopisches Szenario in Deutschland in einer nahen Zukunft. Der Klimawandel sorgt für Extremereignisse, Waldbrände sind an der Tagesordnung, die Gesellschaft spaltet sich weiter auf. Die Mittelschicht verschwindet, Reiche schotten sich durch Security ab, während Arme in ehemaligen Firmengebäuden hausen.

Die Hauptfigur Harriet rettet bei einem Waldbrand einer alten Frau das Leben, die sie mit Namen anspricht und offenbar zu kennen scheint, doch Harriet ist diese Frau völlig fremd. Diese seltsame Begebenheit beschäftigt Harriet und lässt sie nicht mehr los. Sie versucht mit aller Macht, sich zu erinnern, doch je stärker sie ihr Gedächtnis bemüht, desto weniger greifbarer werden ihre Erinnerungen. Erinnerungen und Träume verschwimmen zusehens miteinander, und Harriet beschließt, nach München an den Ort ihrer Kindheit zurückzukehren, in der Hoffnung, dort Klarheit zu finden.

Der Schreibstil ist flüssig und angenehm zu lesen, aber eher nüchtern, und so blieb ich auch zu Harriet und den weiteren Figuren emotional eher auf Distanz. Da diese erzählerische Kühle in gewissem Sinne aber gut zu der dargestellten Gesellschaft passt, empfand ich dies nicht als störend. Die Geschichte ist spannend erzählt, und auch wenn ich Teile der Auflösung relativ früh ahnte, hat mich der Roman bis zum Schluß gepackt.

Als klassischen Thriller sehe ich Memoria nicht, eher als spannende Klima- und Wissenschaftsdystopie, die zum Nachdenken anregt.


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