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Veröffentlicht am 22.08.2023

Markant und außergewöhnlich

Joe Country
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"Joe Country" ist der 6. Band von Mick Herrons Jackson-Lamb-Reihe um die sogenannten "Slow Horses" aus dem Slough House, der Abteilung für in Ungnade gefallene Agenten des MI5.

Ich hatte aus dieser Reihe ...

"Joe Country" ist der 6. Band von Mick Herrons Jackson-Lamb-Reihe um die sogenannten "Slow Horses" aus dem Slough House, der Abteilung für in Ungnade gefallene Agenten des MI5.

Ich hatte aus dieser Reihe bisher nichts gelesen,  aber schon von den Slow Horses gehört und auch von der erfolgreichen Verfilmung auf Apple TV +. Auch wenn es immer wieder Anspielungen auf frühere Bände gibt, werden alle wichtigen Personen ausreichend eingeführt, so dass ich sehr gut in die Geschichte reingefunden habe. Dennoch ist es empfehlenswert, die Bände in der richtigen Reihenfolge zu lesen.

Mick Herron entwirft eine komplexe Geschichte mit vielen losen Enden, die er nach und nach miteinander verknüpft. Alte Seilschaften und Feindschaften in Geheimdienstkreisen, persönliche Rechnungen, politische Ränkespiele, Erpressung, zweifelhafte Wirtschaftsaktivitäten, der Kampf um Macht in verschiedenster Hinsicht - der Autor verquickt alles zu einem spannenden Thriller, wobei er insgesamt zwischen fünfzehn verschiedenen Perspektiven wechselt.

Die Jackson-Lamb-Thriller sind auf jeden Fall sehr ungewöhnlich und stechen aus der Vielzahl an Krimi- und Thrillerreihen heraus. Das liegt vor allem an den außergewöhnlichen Charakteren der Slow Horses. Jeder von ihnen hat auf irgendeine Art als Agentin versagt oder wurde aus anderen Gründen vom MI5 kaltgestellt. Alle sind ziemlich kaputt und exzentrisch, empathielos, oft zynisch und nicht gerade Sympathieträger, allen voran der Chef Jackson Lamb, ein feister, schmuddeliger, furzender Säufer und Zyniker ohne jedes Mitgefühl. Das macht es tatsächlich schwer, mit den Figuren mitzufiebern. Auch der Humor ist ziemlich speziell, sehr schwarz und sehr britisch, was ich eigentlich sehr mag. Allerdings wurden mir im Laufe des Buches das betont abgebrühte Sprücheklopfen und der Zynismus etwas zu viel. Es erinnerte mich an amerikanische Mafiafilme wie "Good Fellas", die eine große Fangemeinde haben, aber nicht mein Geschmack sind.

Als ich nach der Lektüre die Geschichte noch einmal genau durchdachte, fielen mir bei der Story um Lech Wicinski einzelne Ungereimtheiten auf. Störend fand ich auch die klischeehafte Darstellung der meisten weiblichen Agentinnen - sehr aufs Äußere bedacht, modebewusst, mit einem Faible für Schuhe (etwa: "Das Aufflackern der Erkenntnis in Flytes Augen war für Taverner mehr wert als ein neues Paar Schuhe"). Selbst in einer Gefahrensituation beklagen sie sich zuerst über eine farblich nicht dem persönlichen Stil entsprechende Jacke (Kapitel 13).

Fazit: Insgesamt ein toll geschriebener, abwechslungsreicher, spannender und sehr spezieller Thriller in der Welt der Geheimdienste, den ich sehr gerne gelesen habe. Dennoch sind der raue Stil und die Figuren nicht ganz mein Fall, so dass ich die Reihe wohl nicht weiter verfolgen werde.

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Veröffentlicht am 22.08.2023

Aufwühlend und richtig gut

Sekunden der Gnade
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"Es gibt ein altes Sprichwort: Wenn man jemandem alles nimmt, hat er nichts mehr zu verlieren." (Anhang zum Buch, Interview mit Dennis Lehane)

Die irischstämmige Mary Pat lebt mit ihrer Tochter Jules ...

"Es gibt ein altes Sprichwort: Wenn man jemandem alles nimmt, hat er nichts mehr zu verlieren." (Anhang zum Buch, Interview mit Dennis Lehane)

Die irischstämmige Mary Pat lebt mit ihrer Tochter Jules (17) in South Boston. Es ist Sommer 1974, und die Bustransfers, die der Rassentrennung entgegenwirken und Schüler aus mehrheitlich weißen Stadtteilen in Schulen mit überwiegend farbigen Schülern bringen sollen und umgekehrt, sorgen für Aufregung. Der Widerstand ist groß, auch Mary Pat engagiert sich darin. Eines Abends geht Jules mit Freunden aus und kehrt nicht nach Hause zurück. Mary Pat macht sich auf die Suche nach ihrer Tochter und stößt auf eine Mauer des Schweigens. Nach dem Tod ihres Sohnes Noel ist Jules das einzige, das Mary Pat im Leben geblieben ist, und sie setzt alles daran zu erfahren, was in dieser Nacht passiert ist. Koste es, was es wolle.

Dennis Lehane hätte es sich leicht machen und eine Geschichte aus der Sicht einer farbigen Familie oder einer nicht rassistischen weißen Familie erzählen können, doch er wählt mit Mary Pat und ihrem Umfeld in South Boston eine rassistische Protagonistin mit kurzer Zündschnur, die den Leser/die Leserin herausfordert. Sehr eindrucksvoll beschreibt Lehane die sozialen Strukturen im Stadtteil South Boston, der überwiegend von der ärmeren weißen Arbeiterklasse irischer Abstammung bewohnt wird. Man kennt sich seit Generationen, man hilft sich gegenseitig und hält zusammen. Der Polizei und der Obrigkeit begegnet man mit Misstrauen, für Ordnung sorgen gewachsene Clanstrukturen. Solange man sich an die ungeschriebenen Gesetze der Gemeinschaft hält, ist man auf der sicheren Seite, wer ausbricht, wird geächtet, wer den Clans in die Quere kommt, aus dem Weg geräumt.

Schreibstil und Sprache geben die aufgeheizte, explosive Stimmung im Vorfeld der Bustransfers deutlich wieder und unterstreichen Mary Pats Temperament, die auf ihrem Rachefeldzug vor nichts und niemandem Halt macht. Besonders positiv fand ich die nüchterne, klare Erzählweise, die auf lange Showdowns und Pathos verzichtet.

Mich hat die Geschichte bis zum Schluß gefesselt, und ich habe parallel zum Buch einiges zu den Bustransfers und den damit verbundenen Aufständen nachgelesen. Dass diese Transfers in Boston bis 2013 existierten und über viele Jahre zu Unruhen führten, insbesondere in South Boston, wusste ich bisher nicht. Lehane ist es hervorragend gelungen, die historischen Ereignisse und eigene Erinnerungen mit einer spannenden und aufwühlenden fiktiven Geschichte zu verbinden, die tiefe Einblicke in die zerrissene amerikanische Gesellschaft der 1970er Jahre bietet.

Aufgrund der Thematik, einiger gewalttätiger Szenen und des düsteren Settings ist das Buch sicher keine einfache Kost. Wer sich jedoch hierauf einlässt, kann einen echten Ausnahmeroman entdecken, den ich unbedingt weiterempfehlen möchte.




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Veröffentlicht am 22.08.2023

Typisch "samsig" mit schönen neuen Illustrationen

Das Sams 10. Das Sams und der blaue Drache
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Wer kennt es nicht, das vorwitzige Sams? Heuer feiert die liebenswerte Schöpfung von Paul Maar ihren 50. Geburtstag, und pünktlich zum Jubiläum erscheint der 10. Band, "Das Sams und der blaue Drache", ...

Wer kennt es nicht, das vorwitzige Sams? Heuer feiert die liebenswerte Schöpfung von Paul Maar ihren 50. Geburtstag, und pünktlich zum Jubiläum erscheint der 10. Band, "Das Sams und der blaue Drache", in neuem Gewand. Nina Dulleck hat die Geschichte neu illustriert. Ihre Zeichnungen sind deutlich moderner und frischer als die Originalillustrationen von Paul Maar, und sie gefallen uns richtig gut.

Die Geschichte ist typisch Sams - voller lustiger Einfälle, fröhlicher Reime und kleiner Streiche, denn auch wenn das Sams immer in bester Absicht handelt, geben eben doch meistens irgendetwas schief.

Die Altersangabe ab 7 Jahren empfinde ich als etwas hoch, ich würde das Buch eher zwischen 5 und 9 Jahren empfehlen, da es doch sehr kindlich ist. Mein Sohn hat das Sams in den letzten Jahren sehr gerne gelesen, bevorzugt nun mit 9 aber schon eher Jugendliteratur.

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Veröffentlicht am 20.08.2023

Berührend und warmherzig

Leb wohl, Mister Chips
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"Leb wohl, Mister Chips" von James Hilton kannte ich bisher nicht, war aber sehr neugierig darauf, nachdem ich gelesen hatte, dass das Buch in den 1930er Jahren ein großer Erfolg war.

Der ehemalige Schulmeister ...

"Leb wohl, Mister Chips" von James Hilton kannte ich bisher nicht, war aber sehr neugierig darauf, nachdem ich gelesen hatte, dass das Buch in den 1930er Jahren ein großer Erfolg war.

Der ehemalige Schulmeister und Altphilologe Mr "Chips" Chipping bleibt auch nach seiner Pensionierung "seiner" Schule, dem Knabeninternat Brookfield, eng verbunden und zieht gegenüber als Untermieter bei Mrs Wickett ein. Auch im Alter folgt sein Lebensrhythmus dem Takt des Schulalltags, bleibt er Teil der Schulfamilie und ist in Gedanken bei den Generationen an Schülern, die er hat kommen und gehen sehen. Auf wunderbar warmherzige Weise erzählt Hilton von Mister Chips, seinen liebenswerten Schrullen und Eigenheiten, seinen Überzeugungen und den Höhen und Tiefen in seinem Leben. Chips erinnerte mich frappierend an einen Lehrer, den ich selbst vor vielen Jahren in Latein hatte, und der auch an unserer Schule der dienstälteste Pädagoge war, etwas altmodisch und eigen, aber gutmütig, herzlich und ein echtes Unikat.

Besonders berührt hat mich die Art, wie der Autor Mister Chips von einer Erinnerung zur nächsten treiben lässt, sich Ereignisse der Weltgeschichte mit kleinen Anekdoten aus dem Alltag längst vergangener Schülergenerationen mischen, und Chips bewusst wird, dass er der Letzte in Brookfield ist, der all diese Erinnerungen noch in sich trägt. Hilton gelingt es, melancholische und traurige Momente schwebend leicht mit heiteren und humorvollen zu verweben, Lachen und Weinen miteinander zu verbinden.

Fazit: Ein leiser, sehr berührender Roman über die Erinnerungen eines Lebens, über Vergänglichkeit und das, was von uns bleibt, und auch eine
Hommage an all die Lehrerinnen, die mit viel Hingabe im Kleinen wirken und Generationen von Schülerinnen prägen.

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Veröffentlicht am 20.08.2023

Sehr poetisch

Bis wir Wald werden
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Sehr berührend und einfühlsam erzählt Birgit Mattausch in "Bis wir Wald werden" über das Leben in einem Hochhaus, das von Aussiedlerinnen aus der ehemaligen Sowjetunion bewohnt wird. Das ist umso bemerkenswerter, ...

Sehr berührend und einfühlsam erzählt Birgit Mattausch in "Bis wir Wald werden" über das Leben in einem Hochhaus, das von Aussiedlerinnen aus der ehemaligen Sowjetunion bewohnt wird. Das ist umso bemerkenswerter, da die Autorin keinen entsprechenden familiären Hintergrund hat. Allerdings war sie als Pastorin jahrelang in einer schwäbischen Gemeinde tätig, der viele Aussiedlerinnen angehörten.

Die Protagonistin Nanush, inzwischen erwachsen, kam mit ihrer Urgroßmutter Babulya als Baby nach Deutschland und lebt noch immer mit ihr im selben Haus, aber in einer eigenen Wohnung. Babulyas Küche ist der Treffpunkt für viele Bewohner aller Generationen des Hochhauses, die wie in einer Großfamilie zusammenleben und Wärme in der Gemeinschaft suchen.

In einer sehr poetischen Sprache beschreibt sie die innere Zerrissenheit der Menschen, die in der Sowjetunion als Deutsche und Fascisti galten und hier in Deutschland als Russen wahrgenommen werden. Immer wieder taucht der Wald mit seinen Tieren als Ort der Sehnsucht für die Entwurzelten auf, die Erinnerung an die endlosen Birkenwälder der Sowjetunion lebt in den Träumen weiter.

Hierbei vermischen sich Realität und Phantasie, Erinnerung und Traum. Einige Abschnitte haben geradezu lyrischen Charakter und sind rechtsbündig formatiert in den Text integriert.

Ich muss gestehen, dass mir der poetische Stil mit teils magischen Elementen nicht liegt, ich bevorzuge eher nüchtern-klare Erzählweisen. Wer diesen jedoch mag, wird hier eine sehr lesenswerte und anrührende Lektüre finden.

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