Berührend und meisterhaft erzählt
Der Schatten einer offenen TürBevor ich dieses Buch las, kannte ich Sasha Filipenko nicht und ich erwartete anhand der Kurzbeschreibung eine Art Kriminalroman. Ein klassischer Krimi ist „Der Schatten einer offenen Tür“ jedoch nicht. ...
Bevor ich dieses Buch las, kannte ich Sasha Filipenko nicht und ich erwartete anhand der Kurzbeschreibung eine Art Kriminalroman. Ein klassischer Krimi ist „Der Schatten einer offenen Tür“ jedoch nicht. Dennoch - oder vielleicht gerade deswegen - hat der Roman für mich einen Sog entwickelt, der dafür sorgte, dass ich das Buch nicht mehr weglegen wollte und es auf einen Rutsch gelesen habe.
Filipenko erzählt nicht stringent, sondern fügt die einzelnen Fäden, die er in 24 Gesängen, Prolog, Epilog und Postskriptum spinnt, nach und nach zu einem virtuos komponierten Ganzen. Spannend sind seine Protagonisten: Da ist der Moskauer Ermittler Alexander Koslow, eigentlich erfahren, intelligent und pflichtbewusst, jedoch aufgrund privater Probleme nicht auf der Höhe und depressiv. Er ist auf gewisse Weise ein klassischer tragischer Held. Der Revierinspektor Michail, einst ein Gefängniswärter in Ostrog, ist provinziell, einfach gestrickt, grob. Er hat noch eine alte Rechnung mit Koslow offen und will Koslow keinesfalls die Lösung des Falles überlassen. Die außergewöhnlichste Figur ist Petja, ein ehemaliger Waisenjunge aus dem Ostroger Kinderheim. Er ist ein Außenseiter und komischer Kauz, empfindsam, gutmütig und naiv, und glaubt fest an Recht und Gesetz. Besonders faszinierend fand ich die siamesischen Zwillinge Vera und Ljubow, deren Nebenstrang eine eigene kleine Parabel mit interessanten Interpretationsmöglichkeiten angesichts der gegenwärtigen politischen Lage bietet.
Die Grundstimmung des Romans ist düster und melancholisch, der Humor tiefschwarz, und der Trostlosigkeit und Gleichgültigkeit steht einzig Petjas sanftes, selbstloses und gutgläubiges Wesen entgegen.
Ein Roman, der sehr nachdenklich stimmt und den man noch lange mit sich trägt.