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Veröffentlicht am 02.07.2023

Beeindruckend

Die Postkarte
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Anne Berests Mutter erhält Anfang des Jahres 2003 eine Postkarte ohne Absender, darauf nur 4 Namen: Ephraim, Emma, Noemi, Jacques. Dabei handelt es sich um Annes jüdische Urgroßeltern und deren Kinder, ...

Anne Berests Mutter erhält Anfang des Jahres 2003 eine Postkarte ohne Absender, darauf nur 4 Namen: Ephraim, Emma, Noemi, Jacques. Dabei handelt es sich um Annes jüdische Urgroßeltern und deren Kinder, die 1942 in Ausschwitz ermordet wurden. Anne vergisst die Karte zunächst, doch 10 Jahre später, als sie selbst ein Kind erwartet, erwacht ihr Interesse daran, und sie begibt sich auf Spurensuche, fragt ihre Mutter nach der Familiengeschichte. Diese hat in mühevoller Arbeit über Jahre in Archiven recherchiert, Briefe und Erinnerungsstücke zusammengetragen, so dass die Geschichte der Familie beeindruckend genau und detailliert erzählt werden kann. Zusammen mit ihrer Mutter macht sich Anne weitere Jahre später auf die Suche nach dem Absender der Karte und besucht den Wohnort ihrer Vorfahren, in der Hoffnung, dort weitere Antworten zu finden. Des weiteren thematisiert Anne Berest Antisemitismus im heutigen Frankreich und geht der Frage nach, was es bedeutet, heute als Jüdin in Frankreich zu leben.

Anne Berests Schilderungen sind sehr berührend und bewegend. Da Annes Vorfahren im heutigen Baltikum, in Russland, Polen, Palästina und Frankreich gelebt haben, liefert das Buch ein beeindruckendes Zeugnis jüdischen Lebens in Europa zwischen 1920 und heute. Ich habe zudem viel über die Verfolgung der Juden während des Vichy-Regimes erfahren.

Das Hörbuch wurde von Simone Kabst eingelesen. Ihre tiefe, ruhige Stimme empfand ich als sehr angenehm.

Ein wirklich bemerkenswertes und sehr empfehlenswertes (Hör-)buch.

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Veröffentlicht am 02.07.2023

Tiefgründig mit sehr plötzlichem Ende

Taormina
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Da der Klappentext sehr vielversprechend klang und die Literaturkritiken sehr positiv ausfielen, war ich sehr gespannt auf "Taormina" von Yves Ravey.

In der Ehe von Louisa und Melvil Hammet kriselt es, ...

Da der Klappentext sehr vielversprechend klang und die Literaturkritiken sehr positiv ausfielen, war ich sehr gespannt auf "Taormina" von Yves Ravey.

In der Ehe von Louisa und Melvil Hammet kriselt es, ein romantischer Sizilienurlaub soll die Risse kitten. Doch die Reise steht unter keinem guten Stern. Direkt nach der Ankunft stürmt und regnet es, Melvil verfährt sich nachts mit dem Mietwagen auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel, und plötzlich spüren sie einen heftigen Schlag gegen den Wagen. Sie halten an, steigen aber nicht aus, und verlassen so schnell wie möglich den Unfallort. Es wird schon nichts passiert sein, vielleicht ein Tier, nur weg. Doch am nächsten Tag lesen sie in der Zeitung, dass ein Migrantenkind am fraglichen Ort tot am Straßenrand gefunden wurde. Sie suchen Ausflüchte, um sich nicht ihrer Verantwortung stellen zu müssen, Schuld haben andere, jedenfalls nicht sie, eine Werkstatt soll den Schaden gegen Cash reparieren, niemand von ihrem Unfall erfahren. Doch nun wittern andere die Chance auf schnell verdientes Geld, und die Hammets geraten in einen Strudel aus Erpressung und zwielichtigen Geschäften.

Die Geschichte hat mich zunächst sehr angesprochen, die Figuren sind scharf gezeichnet, Melville als ein verantwortungsloses Weichei, das Louisa vergöttert, und die Schuld für eigenes Versagen stets bei andern sucht, sowohl im Hinblick auf seine Arbeitslosigkeit, als auch in Bezug auf den Unfall. Louisa ist eine gutaussehende, beruflich erfolgreiche, aber noch immer von Papa verwöhnte Frau, die gewohnt ist, ihren Willen zu bekommen. Die Paardynamik ist sehr gut beschrieben, auch das Verhalten der beiden nach dem Unfall, die Ausflüchte, Schuldzuweisungen, Diskussionen der beiden. Leider flacht das Buch in den letzten Kapiteln deutlich ab. Plötzlich versteht Melvil, der zwei italienische Polizisten belauscht, jedes Wort ihrer Unterhaltung, obwohl er kein Italienisch spricht. Der Kellner und zwei Streifenpolizisten geraten zu einer Karikatur italienischer Korruption. Enttäuscht lässt mich dann das doch sehr abrupte Ende zurück. Ich habe nichts gegen einen offenen Schluss, aber dieses Buch endet gefühlt mitten in der Geschichte.

Insgesamt eine zunächst starke Geschichte mit viel Potenzial, dicht und erzählerisch stark, deren plötzliches Ende mich ernüchtert zurückließ.

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Veröffentlicht am 29.06.2023

Vielversprechender Auftakt

Refugium
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Mit "Refugium" startet John Ajvide Lindqvist den Auftakt zu seiner Stormland-Trilogie.

Dieser hat mich durch seinen klaren Schreibstil und die interessanten und vielschichtigen Protagonisten richtig ...

Mit "Refugium" startet John Ajvide Lindqvist den Auftakt zu seiner Stormland-Trilogie.

Dieser hat mich durch seinen klaren Schreibstil und die interessanten und vielschichtigen Protagonisten richtig begeistert. Neben einem großen Spannungsbogen und den für Schwedenkrimis typischen düsteren und auch brutalen Elementen bietet er auch einiges an Action. Aufgelockert wird die Atmosphäre immer wieder durch latent humorvolle Szenen, die einen guten Gegenpart zur teils harten Story bieten.

Insbesondere der Computer-Hacker Kim Ribbing, dessen Parallelen zu Lisbeth Salander unübersehbar sind, ist eine starke Figur, die den Roman trägt. Doch auch mit der Ex-Polizistin und Autorin Julia und dem Ermittler Johnny, der gleichzeitig Julias Exmann ist, hat Lindqvist spannende Figuren geschaffen, die Lust auf eine Fortsetzung machen. Der Roman hat mich bis zum Schluss gefesselt und wartete immer wieder mit Überraschungen auf. Auch wenn es zwei weitere Bände geben wird, ist der Thriller in sich abgeschlossen, und alle wichtigen Fragen werden beantwortet.

Freunde der Millennium-Trilogie können sich auf viele Anspielungen freuen. Ich kann das Buch in jedem Fall weiterempfehlen und freue mich schon auf den nächsten Teil.

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Veröffentlicht am 25.06.2023

Wunderschön und berührend

Die Erinnerungsfotografen
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Da ich mich seit über 30 Jahren für Fotografie begeistere und mich der Klappentext sehr angesprochen hat, wollte ich "Die Erinnerungsfotografen" unbedingt lesen. Vom ersten Moment an hat mich die Geschichte ...

Da ich mich seit über 30 Jahren für Fotografie begeistere und mich der Klappentext sehr angesprochen hat, wollte ich "Die Erinnerungsfotografen" unbedingt lesen. Vom ersten Moment an hat mich die Geschichte um
den geheimnisvollen Hirasaka, der in seinem Fotoatelier der Erinnerungen als Wegbegleiter ins Jenseits fungiert, verzaubert.

Der typisch japanische, leise, leichte und präzise Schreibstil, dem es gelingt, mit wenigen Worten eindrückliche und lebendige Bilder zu schaffen, gefiel mir auf Anhieb. Hirasaka "Kunden" könnten unterschiedlicher kaum sein, und es ist berührend, sie auf ihrem Weg durch die Erinnerung zu begleiten und zu beobachten. Unweigerlich fragt man sich, welche Bilder Hirasaka einem selbst wohl vorlegen würde. Ich möchte hier nichts weiter zum Inhalt verraten, doch die Geschichte ist wunderbar rund erzählt mit einem Schluss, der einem das Herz öffnet.

Nach der Lektüre wünscht man sich beinahe, am Ende des Lebens selbst Hirasaka zu begegnen, einen besonderen Moment festhalten zu dürfen und mit der Drehlaterne aus Bildern des eigenen Lebens die letzte Reise anzutreten.

Fazit: Ein anrührendes, leises und melancholisches Buch, das sehr zum Nachdenken angeregt und ein warmes Gefühl hinterlässt.

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Veröffentlicht am 25.06.2023

Interessant, aber mit Schwächen

Mein Leben als Tatortreiniger
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In "Mein Leben als Tatortreiniger" erzählt Dirk Plähn aus seinem Berufsalltag, unterstützt von der Ghostwriterin Kathrin Hanke. Er schildert, wie er zu diesem Beruf kam, und nimmt den Leser in 18 wahren ...

In "Mein Leben als Tatortreiniger" erzählt Dirk Plähn aus seinem Berufsalltag, unterstützt von der Ghostwriterin Kathrin Hanke. Er schildert, wie er zu diesem Beruf kam, und nimmt den Leser in 18 wahren Geschichten mit an seinen Arbeitsplatz. Ob Entrümpelung eines Messiehaushalts oder fachgerechte Reinigung und Desinfektion von Wohnungen, in denen ein Leichnam oft über Wochen unentdeckt lag, inklusive Ausbau und Entsorgung kontaminierten Materials - schnell wird klar, dass Tatortreiniger ein psychisch und physisch äußerst herausfordernder Beruf ist. Manches war mir vor der Lektüre dieses Buches so nicht bewusst, insbesondere, wie weitreichend die Folgen eines längere Zeit unentdeckt gebliebenen Todesfalls sogar für die Bausubstanz der Wohnung sind. 

Leider ähneln sich die einzelnen Geschichten doch sehr, und Plähn wiederholt sich häufig. Seine Schilderungen bleiben sehr an der Oberfläche, und ich hätte gerne noch tiefergehende, fundierte Details aus seiner Arbeit erfahren, und dafür auf einige abschweifende Passagen verzichtet. Wirklich gestört hat mich der äußerst einfache Schreibstil und die flapsige Ausdrucksweise, die ich als sehr unangebracht empfand. Hier hätte ich doch etwas mehr Niveau erwartet, insbesondere, da eine Ghostwriterin am Buch beteiligt war.

Insgesamt bleibt das Buch leider deutlich hinter meinen Erwartungen zurück, sowohl was den Informationsgehalt als auch Sprache und Stil anbelangt. 

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