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Veröffentlicht am 12.09.2020

Überraschend anderes YA-Buch - mit Tabuthema statt nur High School-Kitsch

Bis du wieder atmen kannst
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Jeremy und seine Klassenkameradin Julia, beide 17, teilen wenig außer einem verbalen Dauerkleinkrieg – den führt sie allerdings auch mit fast allen anderen. Während der Quarterback des Highschool-Teams ...

Jeremy und seine Klassenkameradin Julia, beide 17, teilen wenig außer einem verbalen Dauerkleinkrieg – den führt sie allerdings auch mit fast allen anderen. Während der Quarterback des Highschool-Teams viele Freunde hat und besonders mit seinem besten Freund Max alles teilen kann, von Mädchen umschwärmt wird und trotzdem kein überheblicher Simpel ist, scheint Julia nur ihre einzige Freundin Grace zu haben und gute Schulleistungen. Beide Mädchen sind Außenseiter, vor allem Julia eckt an mit ihrer schroffen Art und damit, sich eher seltsam zu kleiden. Jeremy lebt in einem harmonischen Elternhaus, Julia – in ihrer persönlichen Hölle. Und auch das Leben ihrer besten Freundin verlief nie so, wie es hätte sein müssen.
Jeremy zu Julia: „Zu viel Testosteron in deinem Körper, hm? Erklärt wohl das maskuline Erscheinungsbild.“
„Mhm. Halt diesen Gedanken lieber gut fest, denn es wird schon dunkel, und er sollte nicht allein in deinem Hirn unterwegs sein“, kontert sie und sieht zum dämmernden Himmel hinauf, um ihr Statement zu untermauern. Ich grinse und kratze mir den Nacken, weil ich diese Gespräche mit ihr wirklich immer amüsant finde. Ich mag es, dass sie sich nicht alles gefallen lässt.“ S. 63

Beide Mädchen haben als einziges wichtiges Ziel im Leben, endlich achtzehn zu werden und selbst über ihr Leben entscheiden zu dürfen. Das läuft auch alles so, bis Jeremy eines Nachts beinahe versehentlich Julia angefahren hätte und Julia sich seltsam verhält. Dann trifft Jeremy auf Julia in einer Situation, die sie einmal nicht vollständig unter Kontrolle hat: „Wie viel hat er gesehen, und was davon kann für mich gefährlich werden?“ S. 102

Nein, nicht „noch ein Highschool-Buch“, nicht noch ein cooler Footballstar (der hier gar nicht unbedingt den Football zur Lebensaufgabe machen möchte), der sich in das hässliche Entlein verliebt, das zum schönen Schwan mutiert, Sonnenuntergang, Happy End – nein. Ja, das Buch entspricht eher meiner, sorry, „Gruselkategorie“ Jugend/Young Adult, es gibt die klassichen Highschool-Zickerereien, einige "typische Figuren" (die eifersüchtige Ex-Freundinnen-Zicke beispielsweise), ansonsten beschäftigt sich der Roman aber mit gesellschaftlichen Problemthemen in ziemlich heftig-eindrucksvoller Weise. Es geht, unter anderem, darum, wie oft wir wegsehen, wie schwierig es sein kann zu vertrauen, wie wichtig Freundschaft und eine liebevolle Familie sind, wie sinnvoll ein zweiter Blick hinter die Kulissen sein kann, was Zivilcourage und Mut für ein Leben bedeuten. Dazu geht es um Werte, mal aus der familiären Erziehung, mal aus dem persönlichen Glauben, nichts davon überzogen oder mit der moralischen Keule. Ja, ich war einmal wieder überrascht davon, quasi wider Willen begeistert zu sein.

Das Buch wechselt kapitelweise zwischen den beiden Protagonisten jeweils als Ich-Erzähler, ansonsten ist das Buch zwar teils harter Tobak, aber sprachlich leicht und flüssig zu lesen. Als Teenager hätte mir das auch schon sehr gefallen, allerdings eher nicht für sehr junge Teenager – man sollte vielleicht jemanden haben, mit dem man über das Buch sprechen könnte, mit dem man Lösungsansätze diskutiert. Ich fand das Buch eher emotional denn kitschig, besonders Julias schnodderiger Ton und die große Vorsicht beider Teenager vermeiden da ein Abgleiten.

Die Beschreibungen der Footballspiele im Buch kann man auch problemlos überlesen Einziges Manko: es gibt einen Folgeband, den man für die gesamte Geschichte braucht, denn auch Jeremy hat eine Geschichte und die von Julia ist damit noch nicht zu Ende.


Julia und Jeremy Band 1 ist dieser hier

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Veröffentlicht am 26.08.2020

Origineller Grundplot, dem der Autor leider etwas die Wucht nimmt

Das Verlies
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Herbst 2001
Der erfolgreiche Luxusauto-Händler Rolf Lura verprügelt und vergewaltigt Ehefrau Gabriele. Wieder einmal, nachdem gerade einige Monate „Ruhe“ gewesen war, von den üblichen Kontrollanrufen abgesehen. ...

Herbst 2001
Der erfolgreiche Luxusauto-Händler Rolf Lura verprügelt und vergewaltigt Ehefrau Gabriele. Wieder einmal, nachdem gerade einige Monate „Ruhe“ gewesen war, von den üblichen Kontrollanrufen abgesehen. Soweit man von Ruhe reden kann, wenn der 12jährige Sohn Markus aus dem Nebenzimmer alles mithören kann und vor Angst bereits zittert, wenn der Vater das Haus betritt. Ihn rührt der Vater immerhin nicht an. Am nächsten Tag verlässt Lura wie üblich das Haus, doch er trifft nie im eigenen Autohaus ein. Den Ermittlern Julia Durant und Frank Kullmer erscheint die Frau merkwürdig unbeteiligt – schließlich sollte eine liebende Ehefrau doch besorgt sein wegen eines möglichen Unfalls oder Verbrechens. Bald überstürzen sich die Ereignisse.

Das war doch (endlich) einmal etwas – bislang hatte ich bei diesem Re-Read an meinem Verstand gezweifelt, der mich sehr viele der Bände der Serie hatte kaufen lassen. Der Plot hier ist recht originell – wobei gleich eine Einschränkung kommt. Mir hätte es deutlich besser gefallen, wenn es nicht nach etwas unter der Hälfte der Seiten eine Auflösung gegeben hätte zu Tat und Täter. Das wäre durchaus gegangen und Autor Andreas Franz hätte nicht gleich so viel „Wind aus den Segeln“ der Geschichte genommen. So wurde leider aus einem „Whodunnit“ ein „wird es den Ermittlern gelingen, den mir längst bekannten Täter und sein mir längst bekanntes Motiv zu ermitteln?“. Dieses Konstrukt funktioniert zwar beispielsweise bei den bekannten „Columbo“-Filmen, da sieht aber der Zuschauer gleich zu Beginn Tat und Täter und kann dann Inspektor Columbo mit seinen wunderbaren Manierismen begleiten – hier im Buch ist das mir irgendwie weder Fisch noch Fleisch.

Insgesamt gab es einige Verbesserungen zu den Vorbänden, aber auch ein Beibehalten von Dingen, die mir schon von Beginn an schwer im Magen lagen. Da sind Durant und Hellmer mit dem Bruder des Verschwundenen in dessen Wohnung – und der bittet: „ ‚Macht es Ihnen was aus, wenn ich mir einen Whiskey genehmige? Mein Bruder hat nämlich nur beste Ware.‘
‚Wenn Sie nachher noch Auto fahren können‘, sagte Hellmer.“
Aber ja. Immerhin wird Julia Durant nur an einer Stelle ein Mittagsbierchen zugestanden, weil sie das ja sonst nie tagsüber und nie im Dienst trinke. Wer auch immer in den Vor-Bänden an ihrer Stelle gebechert hatte…
Im Rückblick sind übrigens die „Bösen“ immer die, die Analverkehr bevorzugen. Könnte doch eine interessante Note in die Befragung von Verdächtigen bringen, sozusagen im Ausschlussverfahren die Vorlieben abklären?!

Wie gesagt, den Grundplot fand ich dieses Mal originell und den Einstieg gut. Am Ende fehlt es mir dann ein bisschen, die Person, die einknickt, obwohl sie vorher loyal und hart war, konnte ich nicht so ganz abnehmen, ebensowenig die Art späte Reue inklusive Übertragung des Geldes. Da wollte der Autor meinem Gefühl nach zu schnell zu einem Ende kommen.

Ansonsten, gerade im Vergleich mit den Vorbänden: 4 Sterne. Für die Reihe echt ein Top-Resultat.

Personenverzeichnis:
Melissa Roth, Studentin
Rolf „Rolfi“ Lura, erfolgreicher Autohaus-Besitzer für Luxusfahrzeuge, geb. 26.6.1957
seine Ehefrau Gabriele, früher Konzertpianistin, 11 Jahre jünger
der gemeinsame Sohn Markus, 12
Rolfs jüngerer Bruder Wolfram, arbeitsloser Journalist mit Vorliebe für Alkohol
Wolframs Lebensgefährtin Andrea Lieber, Lektorin bei einem Verlag
Rolfs und Wolframs Eltern: Ursula und Horst Lura

Frau Walter – Sekretärin von Rolf Lura
Mitarbeiterin Judith Klein
Mitarbeiterin Karin Kreutzer
Mitarbeiterin Mandy Preusse
Dr. Werner Becker, Anwalt und Freund von Rolf Lura. Seine Frau Corinna, zwei Kinder.

Julia Durant, 39
Frank Hellmer, ihr Lieblingskollege, dessen Frau Nadine, Tochter Stephanie
Kullmer, Vorname Peter (was man hier wieder nicht nennt) und dessen Lieblingskollegin Doris Seidel, ein Paar mit getrennten Wohnungen
Chef Berger, seit einem Jahr in zweiter Ehe mit Marcia. Erwähnt wird auch wieder seine Tochter Andrea, sie studiere Psychologie und wolle zur Truppe (früher hieß es mal, sie sei an der Polizeiakademie, aber kann ja danach sein?!)
Rechtsmediziner Morbs und Bock.
Der Profiler Prof. Richter wird mal wieder erwähnt

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Veröffentlicht am 26.08.2020

Anscheinend sehr seltsame Theorien des Autors zu lesbischer Liebe und Sex mit Schutzbefohlenen

Kaltes Blut
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„nach und nach hatte man sich daran gewöhnt und es sogar als schön empfunden.“ – nein. Wirklich nein.

Aushilfsweise übernehmen Hauptkommissarin Julia Durant und ihre Kollegen für die Wiesbadener den Fall ...

„nach und nach hatte man sich daran gewöhnt und es sogar als schön empfunden.“ – nein. Wirklich nein.

Aushilfsweise übernehmen Hauptkommissarin Julia Durant und ihre Kollegen für die Wiesbadener den Fall einer verschwundenen 15jährigen, Selina Kautz. Das Mädchen hatte gegenüber den wohlsituierten Eltern angegeben, vom nahen Reitclub aus bei einer Freundin zu übernachten, ihren Freundinnen jedoch erzählt, nach Hause zu radeln. Als die Schülerin tot aufgefunden wird, stellt ihre Leiche die Ermittler vor Rätsel: sie wurde mit einer großen Anzahl von Stichen getötet, nicht missbraucht, und hatte ihren Eltern anscheinend einiges nicht erzählt. Doch die Ermittlungen sollen noch weitere Rätsel zu Tage bringen.


Die Mädchen:

Miriam Tschierke, Mutter Marianne
Katrin Laube
Selina Kautz 15 - Eltern Helga und Peter, Architekt
Natalie Weishaupt

Emily Gerber, Besitzerin des Reitclubs, ihr Mann Andreas.
Helena Malkow, Voltigiertrainerin, 2. Vorsitzende, ihr Mann Werner.
Sohn der beiden Thomas, 19
Sonja Kaufmann, Tierärztin + Reitlehrerin, ihr Mann Achim, Klimaforscher 36
Christian Malkow, Pastor, Bruder von Werner

Mir raucht immer noch der Kopf. Da gibt es zum einen eine eher beliebige Truppe von jungen Mädchen ohne viel eigenen Charakter – austauschbar. Dazu kommt eine weitere Truppe von Frauen vom Reiterhof mit den dazugehörigen Männern, die für mich ähnlich austauschbar blieben. Es war mir daher am Ende auch egal, wer nun der Täter war. „Eigentlich“ wusste es der Leser ja eh von Beginn an, da immer wieder zur Perspektive des Täters gewechselt wurde – er faselt von seinem Vater, der ihn nie ernst nahm (da fällt dann einer der Männer aus der Liste ein), vom Engel (da fällt dann ein anderer ein), und so weiter. Letztlich scheinen diese Einschübe nur der Herleitung von falschen Spuren zu dienen – ich habe irgendwann überlegt, wer denn noch nicht genannt wurde. Hat mich aber nicht interessiert.
Und jetzt zu dem, was mich aufgeregt hat. Da gibt es im Buch diese Gruppe von Mädchen im Alter von 14 und 15 Jahren. Eine hat ein Verhältnis mit einem erwachsenen Mann – die Ermittler kehren das unter den Teppich, weil sie ja freiwillig mit ihm Sex hatte. Die Stellung des Mannes zu ihr erfüllt klar den Status des Missbrauchs Schutzbefohlener. Dann gibt es zunehmend Andeutungen zu sexuellen Handlungen von einer oder mehreren Frauen an einem oder mehreren Mädchen – Zitat aus Sicht der Mädchen „nach und nach hatte man sich daran gewöhnt und es sogar als schön empfunden“. GEWÖHNT? Das sei kein Problem – wieder trotz absolut eindeutigem Missbrauch von Schutzbefohlenen – da keine Gewalt ausgeübt worden sei. Man sei unter die Dusche zu den Mädchen gegangen und habe wieder aufgehört, wenn die nicht begeistert waren. Wo ist das bitte keine Gewalt? Sicher keine rohe Gewalt, aber die Situation – ich würge. Ach ja, vermutlich haben sie Pillen untergeschummelt bekommen zur Enthemmung – ja klar, keine Gewalt. Die Frauen werden nur aufgefordert, doch bitte demnächst anderen Hobbies nachzugehen. Das Buch ist von 2003.

Bei den Frauen aus dieser Gruppe der Täterinnen, die sich dem „Grooming“ verschrieben haben, ist eine laut Autor „echte Lesbe, hat aber auch gelegentlich gerne Sex mit Männern“. Häh? Irgendwie ist da jemandem die Phantasie durchgegangen, wer nun was ist und von wem mit welchen Interessen angesteckt wird. Ich hatte noch nie wirklich das Gefühl, dass mich jemand anstecken musste, um auf Männer zu stehen, aber nun.

Die Ermittler teilen wieder munter ihre Erkenntnisse mit sonstwem, trinken vor der Autofahrt und Julia zickt wie gehabt. Ach, und Dominik Kuhn wird abserviert – hier hatte Franz ja vor zwei Büchern einen Freund von ihm aus dessen wahrem Leben als damals Bild-Reporter, später FFH-Reporter in die Buchwelt gehoben. Die Lebensstationen passen. Keine Ahnung, ob sich die beiden zerstritten haben, aber der Abgang des Buch-Kuhn ist nicht sehr ehrenhaft. https://www.xing.com/profile/Dominik_Kuhn/cv

Grottenschlecht. -5 Sterne. Ich habe die Bücher dastehen und will die nur „um die Ecke bringen“.

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Veröffentlicht am 26.08.2020

Die Weltverschwörung

Das Syndikat der Spinne
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Frankfurt am Main, ab Juni 2000

Hauptkommissarin Julia Durant erfährt von einem Verbrechen. Der Juwelier Andreas Wiesner hat erst die Edel-Prostituierte Irina Puschkin erschossen, allem Anschein nach ...

Frankfurt am Main, ab Juni 2000

Hauptkommissarin Julia Durant erfährt von einem Verbrechen. Der Juwelier Andreas Wiesner hat erst die Edel-Prostituierte Irina Puschkin erschossen, allem Anschein nach seine Geliebte, danach sich selbst. Sie versucht, mit Rechtsmediziner Bock einige Unklarkeiten zu erklären und befragt auch die völlig verstörte Witwe Ramona Wiesner. Bald ist klar, dass hier einiges nicht stimmt, und das Team ermittelt auch bei Wiesners ehemaliger Mitarbeiterin Helena Maric und der Mitbewohnerin der toten Frau, Natascha Olpitz. Durch einen Kollegen von Julias neuem Freund, Reporter Dominik Kuhn, konzentrieren sich die Ermittlungen bald auf organisierte Kriminalität. Doch es wird nicht bei zwei Toten bleiben.

Mir gefiel hier sehr, wie das Vorgehen organisierter Banden erklärt wird; aber auch, wie eindeutig klar gemacht wird, dass das nur über die Gier der eigentlich „guten“ Menschen funktioniert. Vor Jahren habe ich da einmal den Piloten zu einer ansonsten eher uninteressanten Serie gesehen mit dem Kommentar: „Du kannst einen ehrlichen Menschen nicht betrügen“ (Starman) – wenn ein Angebot zu gut ist, um wahr zu sein, ist es nicht wahr.

Mal die weisen Worte beiseite und den weißen Bart abgelegt, missfiel mir wieder einiges. Durant düpiert eine Kollegin vor versammelter Mannschaft (Güttler), die zwar Fehler gemacht hat, aber nicht aus böser Absicht oder allgemeiner Faulheit. Da könnte man auch erst mit der Person unter vier Augen reden und selbst die Möglichkeit geben – aber die Kollegin entschuldigt sich noch, nun ja. Auch der neue Freund wird permanent angezickt. Der Leser erfährt immer so halb viel mehr, das finde ich eigentlich nutzlos: man liest, dass zum Beispiel Frau Maric nach dem Besuch der Polizei sehr nervös ist und jemanden anruft; erfährt aber nicht, wen. Später ermitteln dann die Polizisten die Telefonverbindungen – das hätte eigentlich gereicht, nicht diese „Pseudo-Spannung“ im Halbsatz.

Im Nebensatz erfährt der Leser, dass Chef Berger nicht mehr säuft und dass Kullmer tatsächlich auch einen Vornamen hat – Peter. Die meisten Personen im Buch haben übrigens keinen.

Selbstjustiz und das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen wird hier wieder einmal positiv dargestellt – so sind gleich vier Polizisten Beteiligte oder Mitwissende dabei, einen bestechlichen Kollegen aufzumischen mit verbaler und physischer Gewalt. Man mag das verständlich finden bei gewissen Taten, leider macht man sich damit angreifbar. Wieder spricht Julia recht offen mit ihrem Vater über Interna, inzwischen auch mit ihrem neuen Freund, ausgerechnet einem Reporter der Bild-Zeitung (ich könnte mir in der Realität vorstellen, dass solche Beziehungen ein echtes Karriere-Hindernis sind – ich kenne das bereits als Dauer-Unterstellung bei konkurrierenden Firmen).

Ein wenig befremdlich fand ich, dass bei dem einen Mord ermittelt wurde, dass die Frau während des Orgasmus getötet wurde, was sehr geschickt vom diesen „verursachenden“ Täter gewesen sei – weil das ja jeder Mann auch bei jeder Frau sicher einplanen kann? Da der Trick im durch Erschöpfung verursachten ATP-Mangel liege, könnte vielleicht, ahem, Joggen ein sichererer Trick sein… sehr seltsames Konstrukt. Die 14-jährige Tochter eines Erpressungsopfer wird entführt, vergewaltigt und man schneidet ihr den kleinen Finger ab – entsetzt sind alle nur wegen des Fingers. Hallo, die ist noch dazu erst 14? 14??

Als Randnote zu organisierter Kriminalität lässt Autor Franz über einen Fall berichten, den Chef Berger in den 90er erlebte, bei dem es um Taten der Russenmafia ging. Leider ist Herr Franz da falsch informiert über den realen Fall; man fand sehr sehr schnell heraus, nein, es war NICHT die Russenmafia https://www.fnp.de/frankfurt/frankfurt-sechsfach-mord-kettenhofweg-12913393.html
https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/edelbordell-am-frankfurter-kettenhofweg-verbrechen-in-stilvollem-ambiente-13096937.html?printPagedArticle=true#pageIndex_3

Und ernsthaft, der Mossad oder irgendein anderer Geheimdienst lassen einen Geheimnisträger gehen, ohne zu prüfen, wohin? Ganz sicher – nicht. Und die Diskussion darüber, ob jemand als Jude kritisiert werden kann oder nicht, empfinde ich als sehr unangenehm – so wie sich gerade einige Weiße beschweren, „Black Lives Matter“ sei rassistisch gegenüber Weißen?!

Das ist ein richtig richtig richtig guter Plot. Leider ist sehr viel an der Umsetzung völlig hanebüchen. Und dann läuft es noch darauf hinaus, die These eines Einzelnen über eine „Weltverschwörung“ bestätigt zu sehen, bei der die Politiker nichts zu sagen haben, die Masse Mensch völlig macht- und ahnungslos ist und das Böse immer gewinnt. Wenn man das in der Corona-Pandemie liest – Aluhut-Alarm. Plot 4, Umsetzung 2 Sterne. Also 3.

Pierre Doux, Reisender
Andreas Wiesner, Juwelier
Ramona Wiesner, seine Frau
Irina Puschkin, Edel-Callgirl
Natascha Olpitz, ihre Mitbewohnerin und Kollegin
Daniel Laskin, der Freund von Irina
Dominik Kuhn, Reporter bei Bild am Sonntag und seit 6 Monaten liiert mit Julia Durant
Peter Schulze, Kollege von Dominik. Recherchiert zu OK
Helena Maric, frühere Mitarbeiterin von Andreas Wiesner
Thomas Wiesner, Bruder des toten Andreas Wiesner
Sophia geborene Muti – Ehefrau von Thomas
Igor Andrejew, Arzt

Julia Durant, Hauptkommissarin
Christine Güttler, Polizistin
Frank Hellmer, Polizist
Peter Kullmer, Polizist
Gebhardt, Polizist
Berger, Chef von Durant, Hellmer, Kullmer
Rechtsmediziner Bock
Oberstaatsanwalt Küchler
Staatsanwältin Schneider-Glauka
Generalbundesanwalt Blumenthal

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Veröffentlicht am 26.08.2020

Erst top, dann mir zu viel, zu gewollt, zu viel gewollt

Das Mädchen
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Wie kann man es denn wagen, etwas gegen ein Buch zu sagen, das über die Situation der 2014 in Nigeria durch die djihadistischen Boko Haram entführten Schulmädchen erzählt?

Edna O’Brien schreibt aus ...

Wie kann man es denn wagen, etwas gegen ein Buch zu sagen, das über die Situation der 2014 in Nigeria durch die djihadistischen Boko Haram entführten Schulmädchen erzählt?

Edna O’Brien schreibt aus der Sicht der jungen Ich-Erzählerin Maryam, die als Kind noch mit ihren Mitschülerinnen von den selbsternannten Gotteskriegern verschleppt wird. Auf Angst und Gebetsterror folgt Schlimmeres.

„Er sprach nicht. Seine Macht lag in seinem Schweigen und diesem ekelhaften Stieren. Als er sich auf mich legte, war es, als würde eine schwarze Plane auf mich geworfen, eine Schwärze, die mich unter sich begrub und alles andere aussperrte. Ich wusste, dass er mich umbringen würde, wenn ich etwas falsch machte. Ich versuchte, meinen Körper seinen Bedürfnissen anzupassen, hörte ihm zu, während er rackerte und fluchte, schäumte, ich sei nicht offen genug, nicht gefügig.“

Dieser Teil des Textes ist kaum erträglich und am stärksten dort, wo er wie im vorangestellten Zitat in der Bildhaftigkeit bleibt. Meine Frage an den Beginn der Lektüre war es, wie die Autorin mit dem Horror umgeht, sich ihm nähert. Hier finde ich das Buch stark.

Doch Maryam wird zwangsverheiratet, bekommt ein Kind von dem Sektenmitglied. Es kommt zu einem Angriff auf das Lager, einige Mädchen fliehen, unter ihnen Maryam mit ihrer Tochter Babby. Sie sieht sich dem Misstrauen der Ordnungsbehörden gegenüber, die in ihrer Flucht eine Finte vermuten, um sich getarnt als angebliches Opfer mit den Beamten in die Luft zu sprengen. Aus der Heimkehr wird eine Propaganda-Maßnahme der Politik. Das Leben daheim hat sich verändert, und Maryam sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, an allem Schuld zu sein, Schande auf sich geladen zu haben. Eine Tante bezeichnet die junge Mutter als „Buschfrau“, deren Kind man in einem Findelhaus unterbringen solle – die kleine Babby trage das Böse in sich.

Und hier etwa steige ich aus. Wir leben selbst in einem Land, wo immer noch Vergewaltigungsopfern vorgeworfen wird, selbst schuld zu sein, zu kurze Rücke getragen zu haben, sich zu aufreizend benommen zu haben. Und da stellt sich eine europäische Autorin hin und wirft der Gesellschaft in einem afrikanischen Land die dortige Version von Bigotterie und Misogynie vor? Danke, aber irgendwie nein danke. Das fängt stark an und endet schwach in Betroffenheitsschreibe; das ist mir „zu viel, zu gewollt, zu viel gewollt“. Ich hätte mir eine Fortsetzung des ersten Parts denken können oder alle Bestandteile, dann aber eher als Sachbuch oder Reisebericht. Interessanterweise empfinde ich eine ähnliche Thematik zu Afghanistan als stärker und weniger plakativ: Khaled Hosseini: Tausend strahlende Sonnen

3 Sterne – wegen Beginn und guten Absichten.

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