Profilbild von TochterAlice

TochterAlice

Lesejury Star
offline

TochterAlice ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit TochterAlice über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.01.2018

Allzeit bereit!

Die Herzen der Männer
0


So die Losung der Pfadfinder, deren Grundsatz - in unterschiedlichen Formulierungen dargelegt - Gutes zu tun lautet. In die "Herzen der Männer" werden gleich drei Gerationen von Pfadfindern vorgestellt. ...


So die Losung der Pfadfinder, deren Grundsatz - in unterschiedlichen Formulierungen dargelegt - Gutes zu tun lautet. In die "Herzen der Männer" werden gleich drei Gerationen von Pfadfindern vorgestellt. Die Handlung des Romans findet auf drei zeitlichen Ebenen - in den Jahren 1962, 1996 und 2019 - statt, wobei die Geschicke der Protagonisten Nelson Doughty und Jonathan Quick in allen drei Teilen eine Rolle spielen - wir begleiten diese beiden Männer von ihrer Jugend an durchs Leben, doch stehen sie nicht immer im Mittelpunkt, geben sozusagen die Staffel an die nächste und übernächste Generation weiter.

Und durch all die Generationen hindurch finden sich Verbindungen zur Pfadfinderbewegung, die in jedem Teil einer Rolle spielt, auch wenn diese mit der obengenannten Losung und den Grundsätzen meistenteils recht wenig zu tun hat. Es ist keine harmonische Gesellschaft und es sind auch keine glücklichen Familien, die hier dargestellt werden, nein, schon als junge Pfadfinder haben Nelson und Jonathan wie auch die ihnen folgenden Generationen zu kämpfen und das zieht sich weiter durchs ganze Leben hindurch. Alles andere als eine Idylle also, die der Autor Nickolas Butler hier zeichnet - übrigens stilistisch absolut gekonnt, eindringlich und auch mitreißend.

Auch wenn mir vieles, was ich las - ja, lesen musste - konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen, so hatte mich die Handlung gepackt. Und immer wieder gab es auch Szenen der Wärme, des Zusammenhalts, die aber wieder und wieder von derart schockierenden Ereignissen und Entwicklungen abgelöst wurden, dass es mich beim Lesen förmlich rüttelte. Ja, es ist starker Tobak, der hier serviert wird - doch bleibt zum Ende hin die Hoffnung.

Ein Buch, in dem es auch brutal zugeht und in dem nur selten leise, sensible Töne angeschlagen werden, das aber dennoch in die Tiefe geht. Wer nicht nur Romane lesen will, in denen eine friedliche Stimmung transportiert wird, wer bereit ist, zusammen mit dem großartigen Autor ans Eingemachte zu gehen - für den ist dieses Buch. Für mich war es manchmal ein bisschen "too much", doch das liegt im Auge des Betrachters.

Veröffentlicht am 23.01.2018

1944 war ein schlimmes Jahr

Unter der Drachenwand
0

Für den jungen Soldaten Veit Kolbe ergibt sich im letzten Kriegsjahr eine Zwangspause: nach einer Verletzung wird er auf unbestimmte Zeit in den Krankenstand versetzt und auf Erholungsurlaub nach Wien ...

Für den jungen Soldaten Veit Kolbe ergibt sich im letzten Kriegsjahr eine Zwangspause: nach einer Verletzung wird er auf unbestimmte Zeit in den Krankenstand versetzt und auf Erholungsurlaub nach Wien zu seinen Eltern geschickt, wo er es bald jedoch nicht mehr aushält. Er verzieht sich ins Salzburger Land, an den idyllischen Mondsee, wo er auf andere Gestrandete wie die junge Mutter Margot aus Darmstadt oder auch eine aus Wien verschickte Schulklasse mit 13jährigen Schülerinnen trifft. Dazu kommen die Ansässigen, teilweise durchaus stramme Nazis, dem Regime noch treu ergeben.

Frei nach John Fante: 1944 war (auch) ein schlimmes Jahr. Ein absolut grauenvolles sogar, eines mit wenig Hoffnung. Überall. Auch in Mondsee. Doch Arno Geiger zeigt vor allem durch seinen Protagonisten Veit Kolbe, dass es weitergeht Für ihn persönlich vor allem dadurch, dass ihm völlig unerwartet und zunächst zögerlich in Gestalt von Margot die Liebe begegnet.

Obwohl es eine ausweglose Situation zu sein scheint, schmieden Veit und Margot - und nicht nur sie - Pläne für die Zukunft. Konkrete, so wie die Absprache möglicher Treffpunkte für die Zeit "danach", aber auch solche genereller Art, nämlich für ein gemeinsames Familienleben. Ein Familienleben in friedlicher Zeit, auch wenn der Begriff "Frieden" hier gar nicht genutzt wird. Dazu ist der Krieg auch in Mondsee zu präsent - ständig überfliegen Kriegsflieger, also Luftwaffen auf dem Weg an die letzten Schauplätze des Krieges, den Ort, die ersten Vertriebenen kommen an, junge Mädchen befinden sich in der Verschickung aus ihrer Heimatstadt Wien.

Veit beginnt nicht erst jetzt, an seinem "Dienstherrn"- so bezeichnet er nicht ohne Sarkasmus das nationalsozialistische Regime - zu zweifeln und bringt sich nicht nur durch entsprechende Aussagen mehrfach in Schwierigkeiten. Veit ist unser Auge, er ist derjenige, durch den der Leser die Welt - die im Roman dargestellte - betrachtet.

Mondsee wird zum Mikrokosmos, in dem unterschiedliche Gesinnungen, ja verschiedene Welten, aufeinanderprallen. Der eigentlich idyllische Ort wird von den Schrecken des Krieges und allem, was dieser mit sich bringt, eingeholt - so finden auch Schicksale von Menschen andernorts in Briefform Eingang in die Geschichte, beispielsweise das eines Juden, der mit seiner Familie auf der Suche nach einem Fluchtweg aus Wien ausgerechnet nach Budapest reist, wo er erkennen muss, dass die Nazis ihm einen Schritt voraus sind.

Arno Geiger stellt mit diesem Roman seine Leser vor eine Herausforderung: sein Erzählstil ist sehr speziell, doch wenn man einmal hineingefunden hat, dann erscheint er als der einzig Richtige, um die Situation darzustellen. Ein besonderer Roman auf jeden Fall, auch ein schmerzhafter, dieses Werk, das das (Über)Leben, das Alltägliche im letzten vollständigen Kriegsjahr beschreibt. Und dem Rezipienten deutlich macht, was für ein Glück es ist, im "Danach" geboren zu sein und zu leben. Ein Glück, mit dem man achtsam umgehen sollte.

Ich kann nur empfehlen, diese Herausforderung anzunehmen: dieses Buch ist ein besonderes Geschenk an die Leser - eines, das tatsächlich neue Welten - in diesem Fall neue Sichtweisen, Perspektiven, auch Einsichten - aufzeigt und dazu beiträgt, das Bewusstsein zu erweitern. Man muss es nur zu nehmen - vielmehr zu lesen - wissen. Dann könnte es ein Roman fürs Leben werden.

Veröffentlicht am 21.01.2018

Ein Rückblick aufs ganze Leben

All die Jahre
0

Nora Rafferty, Irin in erster Generation in den Vereinigten Staaten von Amerika, wird mit Anfang siebzig zu einem Rückblick auf ihr bisheriges Leben gezwungen. Aus einem Anlass, der alles andere ...

Nora Rafferty, Irin in erster Generation in den Vereinigten Staaten von Amerika, wird mit Anfang siebzig zu einem Rückblick auf ihr bisheriges Leben gezwungen. Aus einem Anlass, der alles andere als ein beneidenswerter ist: nämlich der Unfalltod ihres ältesten Sohnes, zugleich ihr Liebling.

Nora blickt auf ein intensives und wechselvolles Leben zurück - ein Rückblick, in den der Leser einbezogen wird. Mit Anfang 20 ist sie aus einem kleinen irischen Ort ihrem Verlobten Charlie in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gefolgt und zwar nicht allein. Sie reiste gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Theresa, zu der sie bereits seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr hat.

Doch was sind die Gründe? Nicht nur Nora, inzwischen verwitwet, Mutter von vier - nun, jetzt nur noch drei Kindern - sondern die gesamte erweiterte Familie Rafferty, blickt zurück und zieht eine Bilanz - jeder für sich, wodurch das Bild eines komplexen Gefüges, in dem Geheimnisse eine große Rolle spielen, sichtbar wird.

Die Autorin J. Courtney Sullivan lässt ihre Charaktere sich schonungslos öffnen, ihr tiefstes Inneres preisgeben - wenn auch in vielen Fällen nur dem Leser. Denn in der Familie Rafferty ist ein jeder auf seine Art einsam, der eine mehr, der andere weniger. Bei dem einen betrifft dies nur das Familiengefüge bzw. Teile davon, beim anderes geht es tiefer, durchdringt all seine Lebensbereiche. Dazu kommt im Verlauf der Lektüre die Erkenntnis, dass das Gefüge "Familie" auf verschiedenerlei Art existieren kann, auch innerhalb eines einzigen Familienverbandes. Familie: das kann so vieles sein. Oder eben auch nicht!

Und es gibt Dinge, die sich nicht so einfach aus der Welt schaffen lassen - vor allem nicht, wenn man als Irin in die Staaten kommt und dort eine neue Existenz aufbaut. Nora hat vieles hinter sich gelassen - in jederlei Hinsicht.

Ein Buch, das aus meiner Sicht eine gewisse Ähnlichkeit mit den Romanen von Alison Lurie hat, Teile davon rücken für mich auch in die Nähe der großartigen Anne Tyler. Wobei hier der Aspekt der Einwanderung, die Frage der eigentlichen Heimat zumindest für die Generation Noras, die ältern also, eine große Rolle spielt. Was ist Heimat und wie kann man die Sehnsucht nach ihr befriedigen? J. Courtney Sullivan schreibt sehr mitreißend und eindringlich, kolpotiert das eigentlich schwere Thema mit gekonnter Leichtigkeit, stellenweise auch mit Humor. Das Buch lässt sich leicht weglesen, entbehrt aber durchaus nicht einer gewissen Tiefe, eines wahrhaftig hohen inhaltlichen Anspruchs. Es bleibt ein tiefer Eindruck, der sich nicht so schnell verflüchtigen wird. Gerade deswegen ist es aus meiner Sicht ein richtiger Schmöker - einer mit Niveau, ein Buch, das ich mit Genuss und Gewinn gelesen habe!

Veröffentlicht am 14.01.2018

Ein Traum in Vinyl

Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie
0

1988 in einer eher bescheidenen englischen Stadt: Frank ist Herr der schwarzen Scheiben, nämlich derer, über die Musik erklingt. Der guten alten Schallplatten also, die sich zu der Zeit bereits auf dem ...

1988 in einer eher bescheidenen englischen Stadt: Frank ist Herr der schwarzen Scheiben, nämlich derer, über die Musik erklingt. Der guten alten Schallplatten also, die sich zu der Zeit bereits auf dem Rückzug befinden, denn das Zeitalter der CDs schreitet voran.

Und auch sonst ist so einiges im Wandel im der kleinen, ein bisschen schäbigen Unity Street, in der es die Bewohner doch so nett miteinander haben. Aber wie lange noch? Denn eine Baugesellschaft versucht alles aufzukaufen, was sie in die Finger kriegt.

Aber das ist nicht Franks einzige Sorge, denn ihm begegnet die Liebe - eine Liebe, mit der er sich aufgrund diverser Erfahrungen in seinem bisherigen Leben - und er ist immerhin schon vierzig - schwertut, zumal er zunächst gar nicht weiß, wie die Frau im grünen Mantel die Sache sieht.

Und dann werden die Akteure in der Unity Street vom Leben überrollt und es gibt einen Break. Einen, der ziemlich lange dauert.

Aber es gibt ein danach - und was für eines. Ziehen Sie sich warm an!

Eine Hymne auf die gute alte Schallplatte und mehr noch auf den Zusammenhalt alter Freunde, vor allem aber auf die Liebe! Diese kann nämlich ganz schön seltsame Wege gehen und ist nicht immer so offensichtlich, wie es zu wünschen wäre.

Die Autorin Rachel Joyce hat hier ein modernes Märchen verfasst, allerdings eins mit ganz schön vielen Ecken und Kanten. Und mit ganz viel Augenzwinkern dabei - eben very british! Wenn auch einiges nicht ganz rund ist, ist die ganze Geschichte so originell und warmherzig, dass ich bereit war, mich ganz und gar und vollkommen ohne Einschränkungen darauf einzulassen und mich darin zu verlieren - oder vielmehr wiederzufinden! Denn wer wünscht sich nicht ein wenig Märchenhaftes in seinen Alltag. Frank und die seiniges Leben das - zumindest in diesem Buch!

Ein Märchen in Vinyl also - mit Helden der anderen Art! Ein bisschen wie Du und ich, aber doch etwas ganz Besonderes! Dabei schrullig und sehr, sehr eigen! Engländer eben, die meisten zumindest! Ein Buch, mit dem man sich selbst und diejenigen, die man ganz besonders mag, versorgen sollte!

Veröffentlicht am 12.01.2018

Davon geht die Welt nicht unter

Der Untergang der Habsburgermonarchie
0

ist ein Schlager, der aus meiner Sicht kein Gehalt hat, es wird einfach etwas dahingesagt. Damit stellt er das Gegenteil zum vorliegenden Werk zum Untergang der Habsburgermonarchie dar. Die Welt der Habsburger ...

ist ein Schlager, der aus meiner Sicht kein Gehalt hat, es wird einfach etwas dahingesagt. Damit stellt er das Gegenteil zum vorliegenden Werk zum Untergang der Habsburgermonarchie dar. Die Welt der Habsburger ist nämlich sehr wohl untergegangen und zwar nicht nur aus einem Grund, sondern aus mindestens sieben (hauptsächlichen) Gründen, wie das Fazit am Ende der Ausführungen belegt. Doch es gibt viel "dazwischen", also vieles, das dazu beitrug und überaus lesenswert ist.

Dem Autor Hannes Leidinger fehlt die Leichtigkeit vieler angelsächsischer Autoren, die es fertig bringen, ein historisches Sachbuch wie einen spannenden Roman zu formulieren, den man nicht aus der Hand legen kann. Hier habe ich mich mit der zweifellos sowohl interessanten, auch aufschlussreichen und Neues offenbarenden Lektüre ziemlich schwer getan, denn spannend war sie ganz gewiss nicht. Zumindest nicht aus meiner Sicht.

Und das, obwohl grandiose Ansätze durchaus vorhanden waren, wie zum Beispiel gleich zu Beginn des Buches die Darstellung der realen Ereignisse aus der Sicht von Ulrich, der Hauptfigur in Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften", also einem fiktiven Kind der Zeit. Doch Einflüsse germanischer Gründlichkeit haben eindeutig überwogen und machen das Werk zu einem ausführlichen und überaus fundierten Werk über die Habsburgermonarchie, zu einem modernen Werk, das Ursachen, Einflüsse und Entwicklungen prüft und in Frage stellt.

Ein wirklich wichtiges Werk der neuesten Geschichtsschreibung also, das jeder Historiker, der sich mit diesem Thema beschäftigt zur Hand nehmen sollte. Und nicht nur einmal. Denn es hat das Zeug zu einem Handbuch der österreichischen Geschichte, also zu einem Werk, das Kenner und Schätzer nicht wieder aus dem Regal lassen sollten. Und sicher auch das Zeug dazu, ausgiebig diskutiert zu werden, also ein Werk, das jahrzehntelang nachhallen wird. Mindestens.

Für Laien ist es eher nichts, außer für solche, die sich sehr für die Habsburger und für österreichische Geschichte interessieren und auch schon einige Vorkenntnisse haben. Andere werden sicher enttäuscht sein und das wäre schade angesichts eines so sach- und fachkundigen Werkes.