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Venatrix

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Veröffentlicht am 09.04.2022

Regt zum Nachdenken an

Die Wütenden
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„Ich weiß, dass es falsch ist, aber ich muss immer noch an den Dschihad denken.“

Fabian Reicher ist Sozialarbeiter und Streetworker und hat mit Unterstützung der Journalistin und Gerichtsreporterin Anja ...

„Ich weiß, dass es falsch ist, aber ich muss immer noch an den Dschihad denken.“

Fabian Reicher ist Sozialarbeiter und Streetworker und hat mit Unterstützung der Journalistin und Gerichtsreporterin Anja Melzer dieses interessante Buch geschrieben.

Das Buch berichtet sehr persönlich über seine Erfahrungen mit radikalisierten Jugendlichen. Anhand von fünf Biografien stellt Reicher seinen Zugange und seine Arbeit vor. Dabei werden bisherige Deradikalisierungsprogramme, die häufig nur das Symptom behandeln, kritisch hinterfragt. Was steckt hinter diesem schleichenden Radikalisierungsprozess, den vor allem männliche Jugendliche zwischen 13 und 19 Jahren durchlaufen?

Fabian Reicher gibt zu, dass er und sein Team zu Beginn ihrer Tätigkeit als Streetworker überfordert waren. Er hat sich Hilfe von Experten wie Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands und Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger geholt.

Immer wieder betont Fabian Reicher, dass es notwendig ist, den radikalisierten Jugendlichen das Gemeinsame statt des Trennenden vor Augen zu führen. Also einen „Common Ground“ anzubieten, der in einen „Window of Opportunity“, in einen Zeitpunkt der Veränderung, mündet. Fabian Reicher ortet bei vielen der Jugendlichen ein stark ausgeprägtes Ungerechtigkeitsempfinden (das wir Erwachsene im Laufe der Zeit verloren haben), das von der Propaganda des IS ausgenützt wird, um die Jugendliche zu manipulieren.

„Es gibt ein großes Missverständnis in der Diskussion über die De-Radikalisierung von Jugendlichen. Es reicht nicht, ausschließlich auf der Ebene des Verstandes anzusetzen, denn in dem Prozess, der gemeinhin als Radikalisierung bezeichnet wird, ist vor allem die Ebene der Emotionen entscheidend. Und niemand wusste das besser als der sogenannte Islamische Staat. Die Propagandavideos hatten sich verändert. Das Kalifat war verbrannt, daher spielten sie ihre letzte und beste Karte aus. Sie setzten auf ein dunkles, kaum kontrollierbares Verlangen, das jeden heimsuchen kann: Rache.“

Fabian Reicher verhehlt nicht, dass der Weg extrem mühsam ist. Denn er kämpft nicht gegen die Gespenster des Radikalismus, sondern auch gegen die Trägheit der Politik. Für langfristige Projekte fehlt das Geld, falsch - es wird nur nicht bereitgestellt, weil die Politik nur an schnellen (oft kurzsichtigen) Lösungen interessiert ist. Eine Erkenntnis ist, dass der Prozess, durch den Jugendliche radikalisiert werden, nicht von außen „repariert“ werden kann. Die jungen Menschen müssen, wie Reicher sagt, „sich selbst rausholen“, er könne das nicht, allerdings durfte er sie auf diesem ihren Weg begleiten.

Als gutes Beispiel des Umgangs auf Augenhöhe nennt der Autor jene Rede des damaligen Innenministers Karl Nehammer, in der er jene Männer mit Wurzeln aus der Türkei bzw. Palästina, die beim Terrorüberfall in Wien im November 2020 Verletzte aus der Gefahrenzone in Sicherheit gebracht haben, öffentlich gelobt hat. Leider war das wenig nachhaltig, denn wenig später ist das „Anti-Terror-Maßnahmenpaket“ in der Regierung beschlossen worden.

Meine Meinung:

Durch die „Ich-Form“ als Erzählweise sind wir Leser ziemlich nahe an den Erlebnissen des Autors bzw. an den Jugendlichen dran. Wir lesen Auszüge aus Chats und dürfen an ihren Gedanken teilhaben. Manches habe ich noch nie aus dieser (deren) Sicht betrachtet.

Die Illustrationen passen sehr gut zum Inhalt und wirken empathisch.

Was ist aus den fünf Männern geworden, die hier im Buch zu Wort kommen?
Einer ist tot, einer wurde abgeschoben, zwei verbüßen eine Gefängnisstrafe und werden danach abgeschoben und einer schreibt an einem Buch über seine Erfahrungen, das demnächst erscheinen wird.

Fazit:

Das Buch eignet sich sowohl für Einsteiger als auch für Erfahrene im Umgang mit diesem schwierigen Thema. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 09.04.2022

Fesselnd bis zur letzten Seite

Engel des Todes
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Der dritte Band der Reihe rund um Paul Stainer schließt zeitlich nur wenige Wochen nach dem zweiten an. Diesmal hat Autor Thomas Ziebula jene Tage des März 1920 als Hintergrund gewählt, die als „Kapp-Putsch“ ...

Der dritte Band der Reihe rund um Paul Stainer schließt zeitlich nur wenige Wochen nach dem zweiten an. Diesmal hat Autor Thomas Ziebula jene Tage des März 1920 als Hintergrund gewählt, die als „Kapp-Putsch“ mit dem „Blutsonntag“ in die Geschichte eingegangen sind. Worum geht’s?

Am 13.03.1920 versuchen ehemalige Militärangehörige, die aufgrund des Versailler Friedensvertrags, der eine Beschränkung der deutschen Armee auf 100.000 Mann befiehlt, ihren Job verloren haben, die gewählte Regierung zu stürzen.
Auch in Leipzig kommt es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die zahlreiche zivile Opfer fordern. Parallel dazu treibt ein Serienmörder sein Unwesen, der seine Opfer nicht nur tötet, sondern sie anschließend auch noch köpft und ihrer Zungen beraubt.

Meine Meinung:

Wie Autor Thomas Ziebula in seiner Buchvorstellung erwähnt, tritt die Arbeit als Kriminalbeamte diesmal zugunsten der historischen Ereignisse ein wenig zurück. Mir macht das nicht aus, denn ich beschäftige mich gerne und oft mit Geschichte. Die aufgeheizte Atmosphäre des März 1920 ist sehr gut dargestellt. Die Spaltung der Bürgerschaft macht auch vor der Polizei nicht Halt. Hier Paul Stainer, der eher mit den Sozialisten sympathisiert dort Heinze, von dem ja schon weiß, dass er ein früher Nationalsozialist ist. Als solcher benützt er ein zufällig entdecktes Liebesverhältnis für seine eigenen (miesen) Zwecke.

Wir dürfen den Täter recht bald kennenlernen. Fast muss man mit ihm Mitleid haben. Doch sein eigenes Trauma gibt ihm nicht das Recht, andere zu ermorden.

Neben den bereits bekannten Charakteren wie „Rasputin“ Schilling, Josefine, Rosa Sonntag oder Mona König werden neue Personen eingeführt. Sympathien erwirbt sich August „Gustl“ von Herzberg, der seine Offizierslaufbahn an den Nagel hängen will und zukünftig als Schriftsteller an der Seite von Valerie Schwarz leben will. Valerie ist eine Tänzerin à la Isadora Duncan und polarisiert durch ihren ausdrucksstarken Tanz, bei dem sie auch alle Hüllen fallen lässt. Sie wirkt ziemlich exaltiert und ich-bezogen.

Paul Stainers Privatleben tritt diesmal ein wenig in den Hintergrund, auch wenn eine Eröffnung für Überraschung sorgt. Ich denke, die wird ihn (und uns) in einem nächsten Band noch beschäftigen. Gut gefällt mir, dass Stainer trotz aller Kriegstraumata seine Menschlichkeit behalten durfte.

Der Stadtplan von Leipzig lässt die Leser durch die genannten Straßen eilen und Schutz vor den Kämpfen suchen.

Fazit:

Eine gelungene Fortsetzung, der ich 5 Sterne und eine Leseempfehlung gebe.

Veröffentlicht am 09.04.2022

Fesselnd bis zur letzten Seite

Düsteres Watt
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Dieser Krimi ist der 6. aus der Reihe der „Sylt-Krimis“ rund um die Ermittlerin Liv Lammers.

Karl von Raboisen, der Sohn einer reichen Adelsfamilie wird tot in den Dünen gefunden. Karli, wie er von allen ...

Dieser Krimi ist der 6. aus der Reihe der „Sylt-Krimis“ rund um die Ermittlerin Liv Lammers.

Karl von Raboisen, der Sohn einer reichen Adelsfamilie wird tot in den Dünen gefunden. Karli, wie er von allen gerufen wird, ist ertrunken, doch weit und breit ist kein Wasser zu sehen. Wenig später taucht eine weitere Leiche auf, die obwohl halb im Wasser liegend, verdurstet ist. Hängen die beiden Morde zusammen? Und wenn ja, wie?

Bei den Ermittlungen, die Liv aus dem wohlverdienten Urlaub mit ihrer neuen Liebe Sebastian holt, ist Liv gefordert. Denn das despotische Familienoberhaupt Eduard von Raboisen erinnert sie sehr stark an ihren eigenen Vater Ocke, von dem sie sich losgesagt hat. Als dann herauskommt, dass Eduard und Ocke Konkurrenten um ein Grundstück sind, wird Liv vom Fall abgezogen ...

Meine Meinung:

Dieser 6. Krimi ist wieder gut durchdacht und fesselt bis zur letzten Seite. Dass Geld allein nicht glücklich macht, ist hier deutlich sichtbar. Häusliche Gewalt, ob körperlich oder noch fieser psychologisch, ist kein Phänomen der Unterschicht, sondern auch in der High Society durchaus vertreten. Die Mechanismen der Opfer, die Schuld an den Misshandlungen bei sich zu suchen und sie geschickt zu verbergen sowie der Umwelt allerlei mehr oder weniger glaubwürdige Geschichten über die Herkunft von Verletzungen zu erzählen, sind symptomatisch dafür.

Die Leser werden geschickt auf zahlreiche falsche Fährten gelockt, um dann in der Sackgasse umdrehen zu müssen. Das Team rund um Liv Lammers ist ziemlich gefordert. Dazu kommt noch der rekonvaleszente Kollege Andreas, der eine eigene Strategie fährt. Das wird vermutlich im nächsten Fall noch eine Bedeutung haben, ebenso wie der natürliche (?) Tod von Ocke Lammers. Nachdem Livs Schwester Annika einen recht dramatischen Auftritt hinlegt, wird es bestimmt noch recht spannend werden.

Wie schon in den Vorgängern gibt es auch im Team um Liv Lammers Spannungen bzw. haben auch die Kollegen ihre Ängste und Sorgen. Diesmal trifft es Hennes, der Angst vor dem Ergebnis einer ärztlichen Untersuchung hat.

Mir hat dieser Sylt-Krimi sehr gut gefallen. Nicht nur Glanz und Glamour, sondern auch Abgründe und düstere Atmosphäre erzeugen die Spannung.

Fazit:

Trotz brütender Hitze behält Liv Lammers einen kühlen Kopf und klärt diesen komplexen Fall auf. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 06.04.2022

Köstliches vom Ei

Das österreichische Ei-Kochbuch
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Taliman Sluga, Kulturvermittler in Sachen Lebensmittel, widmet sich in seinem 6. Buch aus der Reihe „Das österreichische Kochbuch“ dem Ei.
In sechs Kapiteln bringt es uns dieses Universallebensmittel näher.

Dabei ...

Taliman Sluga, Kulturvermittler in Sachen Lebensmittel, widmet sich in seinem 6. Buch aus der Reihe „Das österreichische Kochbuch“ dem Ei.
In sechs Kapiteln bringt es uns dieses Universallebensmittel näher.

Dabei erklärt er auch die kulturelle Bedeutung des Eis. In fast allen Kulturen und Religionen der Welt finden sich Legenden eines Schöpfungsmythos. Das Verzieren von Eiern hat in vielen Ländern Tradition. Ob Eierkratzen im Burgenland oder Tschechien oder das kunstvolle Bemalen in der Ukraine - bunte Eier werden gerne hergestellt und verschenkt.
Daneben erzählt der Autor Wissenswertes über Natur und Umwelt, warum es weiße, braune oder grüne Hühnereier gibt.

Meine Oma hat in den 1960er Jahren Eier in Wasserglas (1 Teil Natriumsilikat auf 9 Teile Wasser) konserviert.

Natürlich dürfen Rezepte mit Eiern nicht fehlen. Das Ei ist ja vielfältig in der Küche einsetzbar. Sei es roh oder als Binde- oder Triebmittel in Teigen oder ganz klassisch als weiches, hartes Ei, als Eierspeis. Zahlreiche Fotos lassen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Fazit:

Ein liebevoll gestaltetes Buch des „Eggsperten“, das Lust macht, das eine oder andere Rezept auszuprobieren. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 06.04.2022

Ein gelunger hist. Roman

Der dunkle Himmel
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Man schreibt das Jahr 1816. Seit Monaten spielt das Wetter verrückt. Es schneit im Sommer, regnet ohne Unterlass und die Feldfrüchte verderben auf den Feldern. Was niemand in dem kleinen, fiktiven Ort ...

Man schreibt das Jahr 1816. Seit Monaten spielt das Wetter verrückt. Es schneit im Sommer, regnet ohne Unterlass und die Feldfrüchte verderben auf den Feldern. Was niemand in dem kleinen, fiktiven Ort Hohenstetten bei Stuttgart weiß, ist, dass im fernen Indonesien der Vulkan Tambora ausgebrochen ist, dort für Verwüstungen und hier in Europa für dieses ungewöhnliche Wetter verantwortlich ist. Die meisten Menschen hier sind Kleinbauern und Weber, die nach den Napoleonischen Kriegen ohnehin um ihre Existenzen kämpfen müssen. Sei es, dass ihre Felder verwüstet oder sei es, dass ihre Männer oder Söhne nicht, oder versehrt aus den Feldzügen zurückgekehrt sind. Dass England mit seinen maschinell erzeugten Webwaren den Handwebern starke Konkurrenz macht, lässt zahlreiche Weber buchstäblich verhungern.

Diese tristen Lebensumstände bilden die Kulisse von Astrid Fritz‘ historischen Roman. Rund um drei Familien spinnt die Autorin ihre Geschichte. Da sind Paulina Gutjahr, Tochter des Schultes und Wirtes, dann der Gemeindepfarrer Carl Unterseher und engagierte Schulmeister Friedhelm Lindenthaler. Paulina soll den Metzger heiraten - Geld zu Geld. Der ist der Wirtstochter aber zuwider, zumal sich Paulina und Friedhelm ineinander verliebt haben. Heimlich bereiten die beiden ihre Flucht aus Hohenstetten vor. Friedhelm reist nach Stuttgart, um Arbeit und Unterkunft zu besorgen. Der ein wenig blauäugige Lehrer hat allerdings nicht damit gerechnet, dass diese Idee schon viele andere vor ihm hatten. Während er auf Paulina wartet, durchkreuzen die eiligen Auswanderungspläne ihrer Eltern, Paulinas eigene Fluchtvorbereitungen. Ist also doch etwas an dem Gerücht dran, dass der Vater Getreide aufkaufen und horten ließ?

Meine Meinung:

Wie wir es von Astrid Fritz gewöhnt sind, besticht auch dieser Roman durch atmosphärisch dichte Beschreibungen von Land und Leuten. Man kann sich das Elend dieser Jahre sehr gut vorstellen. Die klamme Kälte durchdringt nicht nur die unzureichenden Wohnmöglichkeiten, sondern auch viele Charaktere. So macht Adam, der totgeglaubte Bruder des Schulmeisters, diesem das Erbe nach der Mutter streitig und nistet sich in dessen Leben. Oder eben der Wirt, der großkotzig seinen Reichtum zur Schau stellt. Wie es dem Metzger gelingt, seine Spielschulden zu begleichen und bei Gutjahr wieder als vermögend zu gelten, bleibt ein wenig im Dunkeln.
Als Gegenspieler dieser fiesen Charaktere sind Pfarrer Unterseher und Friedhelm Lindenthaler zu nennen. Sie bemühen sich nach Kräften die ärgste Not der Dörfler zu lindern. Doch gegen das anhaltend schlechte Wetter und das fehlende Getreide können aus sie wenig ausrichten.

Die Charaktere sind gut ausgearbeitet. Paulina jung und verliebt, entspricht dem Frauenbild jener Zeit. Friedhelm ist trotz seiner höheren Bildung ein wenig blauäugig, doch hält er eisern an seiner Zuneigung zu Paulina fest. Es scheint, als wäre der Pfarrer der Einzige, der in seinem Gottvertrauen fest auf beiden Beinen im Leben steht. Doch seine eigenen Kinder machen es ihm nicht leicht.

Elegant und unterschwellig erklärt Astrid Fritz die historischen Tatsachen ihren Lesern. Wir erfahren einiges über die Schwierigkeiten beim Auswandern, die nicht erst beim Reisen im Zwischendeck beginnen. Die meisten Menschen halten die Wetterkatastrophe für eine Strafe Gottes. Die spärlichen Informationen über den Vulkanausbruch im fernen Indonesien kann kaum jemand glauben. Die Zusammenhänge werden erst knapp 100 Jahre später bekannt.

Fazit:

Ein gelungener historischer Roman, dem ich gerne 5 Sterne gebe.