Das Gestern fließt immer ins Heute
Als wir uns die Welt versprachen"Als wir uns die Welt versprachen" ist eine fiktive Geschichte, wie sie sich zum größten Teil tatsächlich hätte abspielen können. Das traurige Schicksal der Schwabenkinder wurde viele Jahre lang nicht ...
"Als wir uns die Welt versprachen" ist eine fiktive Geschichte, wie sie sich zum größten Teil tatsächlich hätte abspielen können. Das traurige Schicksal der Schwabenkinder wurde viele Jahre lang nicht wahr genommen. Es war zu unrühmlich, als dass man daran erinnert werden wollte.
Die Autorin hat sich dieses Themas angenommen und einen Roman daraus gemacht, der sowohl im Gestern als auch im Heute spielt.
Heute: Die 90jährige Südtirolerin Edna macht sich in Begleitung ihres Papageis auf den Weg, ein vor mehreren Jahrzehnten gegebenes Versprechen einzulösen. Edna entspricht so gar nicht der betagten alten Frau, wie man diese Generation sowohl in TV-Filmen, als auch in den Medien üblicherweise darstellt. Zwar sagen auch die Menschen im Umfeld über Edna, sie sei alt und tatterig, brauchte Pflege usw. - im Grunde um selbst nicht belästigt zu werden und das eigene Gewissen zu beruhigen - doch Edna ist ganz und gar nicht damit einverstanden, in ein Pflegeheim abgeschoben zu werden. Würde ich nicht selbst Senioren dieses Alters kennen, die noch fit genug sind (manchmal fitter als 40jährige) ausgiebige Wanderungen oder im eigenen Camper Urlaub zu machen, ich hätte wohl den Kopf geschüttelt und der Autorin zu viel Phantasie bescheinigt.
Die Autorin nahm sich viel künstlerische Freiheit in ihren Schilderungen. Trotzdem fand ich es erfrischend zu lesen, wie sich Edna diesem Klischee "der Alten" widersetzt.
Gestern: Als kleines Mädchen wurde sie als Schwabenkind zu einem reichen Bauern in Dienst gegeben. Es war eine Möglichkeit armer Eltern einen Esser weniger am Tisch zu haben, wenn sie sich nicht in der Lage sahen, ihre Kinder zu ernähren. Soweit die grobe Kurzfassung.
Mein Tipp wäre, dass sich der Leser schon vor Beginn der Lektüre über das Schicksal der "Schwabenkinder" informiert, damit er die Zusammenhänge und Abläufe besser versteht. Es gibt einen sehr guten Film mit T. Moretti, der auch "Schwabenkinder" heißt und das Schicksal dieser Kinder zum Thema hatte. Dass Ausbeutung durch die wohlhabende Herrschaft, brutale Gewalt und auch sex. Missbrauch Tür und Tor geöffnet wurden, versteht sich von selbst. Doch die Knechte (S. 154/158) waren nicht besser. Hier kam die berühmte Hackordnung zum Tragen. Mitleid war für viele ein Fremdwort. Auch sie wurden ausgebeutet, mussten für geringen Lohn viel arbeiten. Da kamen diese schutzlosen Kinder gerade recht, waren oftmals Freiwild. Es waren "Esser", kosteten also Geld und das mussten sie wieder einbringen. Die Not der Schwächeren wurde schon zu allen Zeiten von den Stärkeren ausgenützt.
Doch Edna war auf dem Hof nicht allein. Sie fand einen Freund, Jacob, der sie beschützte - wenn es ihm möglich war. Gemeinsam schmiedeten sie Pläne, aus diesem unerträglichen Dasein zu fliehen. Zusammen bereiteten sie alles für ihre Flucht vor. Mehr will ich über deren Zeit als Schwabenkinder nicht verraten. Ich glaube, diese eindrücklichen Schilderungen lassen niemanden unberührt. In dem Roman ist es Fiktion, doch so oder so ähnlich hat es sich unzählig oft abgespielt.
Zurück zu der Edna von heute. Natürlich war es eine abenteuerliche Reise, auf die sie sich begab. Nachdem sie ihr Geld verloren hatte, musste sie ihren Weg sogar zu Fuß fortsetzen und traf dabei die skurrilsten Menschen, die ihr weiter halfen. Manchmal verstanden sie sich auf Anhieb.
Natürlich kann man sagen, der Autorin sei die Phantasie durch gegangen und es sei von allem etwas zu viel und zu dick aufgetragen. Doch wer schon mal auf Reisen war - ich meine nicht in einem Pauschalurlaub oder in einer Ferienwohnung, sondern mit einem Campingbus - der weiß, solche kunterbunten Leute wie in dem Roman beschrieben, gibt es tatsächlich. Derart ungeplante Begegnungen können außergewöhnlich und auch spannend sein, wenn man den Mut hat, sich darauf einzulassen. Edna hatte keine Berührungsängste. Sie ist ganz und gar keine alltägliche Person. Sie ist eher der Gattung "unbequeme Alte" zuzuordnen. Ein Hauch von später Freiheit durchweht diesen Roman von Anfang bis Ende.
Wie schon am Anfang erwähnt, mir gefiel dieses Buch mit der alten Dame als Protagonistin. Die Autorin wählte eine angenehm zu lesende Sprache. Flickte in den Text immer wieder Lebensweisheiten ein, wie z B. "Denn Menschen verschwinden nie vollständig". (S. 343) oder ...."Der Junge zuckte mit den Schultern. Keine Ahnung.... Dass jedes Ende irgendwie der Anfang von etwas anderem ist. Wie bei einem Kreis, glaube ich." (S. 439)