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Veröffentlicht am 17.09.2019

Very british indeed!

Das Leben ist kein Gurkensandwich
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Ach ja, was soll ich sagen: ein „Blog-Roman“ einer fiktiven mittelalten englischen Hausfrau der upper middle class, da hat man nicht so viel erwartet. In der Tat war dieser Roman, der in Tagebuchform verfasst ...

Ach ja, was soll ich sagen: ein „Blog-Roman“ einer fiktiven mittelalten englischen Hausfrau der upper middle class, da hat man nicht so viel erwartet. In der Tat war dieser Roman, der in Tagebuchform verfasst ist (Ich-Perspektive, die Kapitel bilden die Datumseinträge, es wird in Erlebnisberichtform zusammengefasst was die Schreiberin erlebt und was sie gedanklich beschäftigt hat), durchaus ein Lesevergnügen-zumindest die ersten 100-200 Seiten. Das lag bzw. liegt an der humorvollen Leichtigkeit, mit der er verfasst ist und auch an der sympathischen Hautfigur Constance Harding, die eigentlich nur will dass alle um sie rum glücklich und zufrieden sind – inkl. sie selbst. Mit einer „Emma“-haften Attitüde will sie alle Singles – allen voran ihre beiden erwachsenen Kinder Sophie (18) und Ruppert (25) – mit adäquaten, anständigen Partner verkuppeln – und tritt dabei in so manches Fettnäpfchen. So übersieht sie dabei natürlich dass die Tochter einfach noch zu jung ist und sich selbst finden muss, bevor sie den richtigen Partner finden kann und natürlich auch, dass der Sohn trotz exzellentem Geschmack auf Männer steht.

Lustig – und so englisch – an dem Roman ist, dass sowohl Constance als auch zum größten Teil ihre Familie und Freunde alles, sei es auch noch so skurril, mit der berühmten britischen Zurückhaltung und Contenance hinnehmen. Vom litauischen Hausmädchen Natalia, die immer für einen Aufreger gut ist über die ungeliebten Avancen eines frisch verlassenen Bekannten Gerald aus dem „Glockenschwingerverein“ bis hin zu der rotzfrechen und sich allen Konventionen widersetzenden Tochter Sophie, die ihr Leben ganz anders lebt als es ihre Mutter für sie geplant hat und der Grundschullehrerin, mit der sie eigentlich ihren Sohn verkuppeln wollte und die sich als Liebeskranke Stalkerin entpuppt spannt sich der Bogen an Herausforderungen, denen Constance in dem einen Jahr ihres Bloggerinnen-Daseins begegnen muss. Dann gibt es noch den erotischen amerikanischen Aushilfsgärtner Randolph, die von ihrem pleite gegangenen Ehemann hin- und wieder verlassene Nachbarin Tanya (die zu allem Überfluss auch noch schwanger ist), Verwandte, deren Kinder glücklich verheiratete Eltern sind, die litauische Zwillingsschwester des Hausmädchens, den ungeliebten russischen Studienfreund ihres Mannes usw. usf. Natürlich ist da auch noch Jeffrey, der Ehemann, der Constance bei „Facebook“ nicht bestätigt und auch sonst zunehmend auf Distanz geht und eigentlich nur noch arbeitet und Whisky trinkt (um schließlich in Argentinien seine Midlife-Crisis auszuleben) und natürlich den Papagei Darcy, der hin und wieder ein Wort oder sich selbst im Garten verliert.

Kurz um: hier werden wir mit dem Innenleben einer Frau konfrontiert, die zwar alles hat, aber dennoch irgendwie im goldenen Käfig nach immer neuen „Sinnen“ für ihr Leben sucht und sie auch irgendwie findet. Dass das Ganze auch noch lustig ist und ein versöhnliches Ende ist natürlich ein Bonus, den man als Liebhaber humorvoller, leichter Romane gerne hinnimmt.

Weil ich das Gefühl hatte dass der Roman ab der Hälfte irgendwie an „Fahrt“ und Biss verloren hat und man an manchen Stellen den Eindruck der gezwungenen Unterhaltung bzw. vor allem im Mittelteil den unnötiger Längen hat gebe ich nur gute 3 Sterne.

Mein Lieblingssatz aus dem Roman: „Mein Leben dreht sich nur um mich selbst, und mir fehlt es, dass ein anderer weiß, ich war einkaufen und habe Milch mitgebracht, oder ich habe Zugfahrkarten für das Wochenende in Bath gekauft.“ (S. 351)

Veröffentlicht am 17.09.2019

Verhaltensforschung

Das Affenhaus
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„Das Affenhaus“ ist ein Roman über das Verhalten von Menschen. Die sprachbegabten Affen, die Isabel Duncan in ihrem Forschungslabor analysiert, sind nur Statisten, der Aufhänger in einem Buch, in dem es ...

„Das Affenhaus“ ist ein Roman über das Verhalten von Menschen. Die sprachbegabten Affen, die Isabel Duncan in ihrem Forschungslabor analysiert, sind nur Statisten, der Aufhänger in einem Buch, in dem es um nichts anderes als um Menschen geht und darum, wie sie in verschiedenen Situationen, gestellt vor bestimmte Entscheidungen, reagieren. Da gibt es den Zeitungsjournalisten John, der in seiner Ehe mit der gescheiterten Schriftstellerin Amanda alles richtig zu machen versucht und sich in Gedanken doch immer wieder bei Isabel Duncan und den Bonobos befindet, die ihn nicht nur wegen der brisanten Story (rund um die Explosion und eine obskure Tierbefreiungsbewegung, die im Untergrund agiert), die er an seine Kollegin Cat abgeben musste, faszinieren.

Isabel Duncan, die eindeutige Hauptfigur, ist ganz klar auf „faszinierende Persönlichkeit“ hin charakterisiert worden, die an berühmte Affenforscherinnen wie Jane Goodall oder Diane Fossey erinnern soll. Sie ist auch in der Tat sehr empathisch, hat Mitleid und großes Einfühlungsvermögen für die Tiere, was sie für den Leser sympathisch macht. Als Frau ist sie uneitel was ihr Äußeres betrifft und gerade das macht sie „im Land der perfekten Zahnstellung“ (S. 182)– u.a. für John – zu etwas Besonderem. Das wird natürlich mit der Tatsache kontrastiert, dass Amanda in L.A. durch die Oberflächlichkeit der Showbranche immer mehr zu einer Karikatur ihrer selbst wird. Isabel hingegen kämpft für das Gute in einer Welt, in der die Menschen für Geld und Ruhm so einiges machen, wie z.B. die armen Bonobos in einer so schrecklichen, „Big-Brother“-artigen Fernsehsendung wie „Affenhaus“ zur Schau zu stellen.

Es geht wie gesagt um Entscheidungen und darum, welchen Weg die handelnden Personen gehen: soll Amanda wegen eines unsicheren Drehbuch- bzw. Serienprojektes nach Los Angeles ziehen und die ohnehin schon am Scheideweg stehende Beziehung zu ihrem Ehemann aufs Spiel setzen? Soll John sich seinem inneren Drang ergeben und sich weiterhin einer Story annehmen, die er offiziell gar nicht mehr bearbeiten darf und so seinen Job riskieren? Wie wird die angeschlagene Isabel reagieren wenn sie erfährt, dass ihr Verlobter nicht nur ihren Fisch verhungern hat lassen und sie mit ihrer Assistentin Celia betrogen hat, während sie im Krankenhaus war, sondern auch, dass er völlig anders ist als er zunächst schien? Kann sie damit umgehen sie in einem Menschen so getäuscht zu haben? Wird sie als Forscherin weitermachen und ihre geliebten Bonobos wiederfinden? Kann sie sie schließlich aus den Zwängen des „Affenhaus“-Produzenten befreien? Usw. usf. All diese Fragen werden im Lauf der Geschichte beantwortet und der Leser erfährt den wahren Charakter und die Handlungsmotive der einzelnen Figuren.

Was ich an dem Roman zu kritisieren habe ist die Tatsache, dass die Story sehr konstruiert und zuweilen gekünstelt wirkt-irgendwie sehr „amerikanisch“. Der Tenor des Buches schwankt zwischen seinem ernsten, anspruchsvollen Thema (es geht um Affen und deren Begabungen, um ethische Fragen, Tierrechte, wie weit darf Wissenschaft, wie weit dürfen Medien gehen, etc.) und einer dramatisch-überladenen Handlung, die zuweilen an schlechte Daily-Soaps gemahnt. Das Buch ist ganz klar in Hinblick auf eine spätere Verfilmung geschrieben, was es sehr Drehbuchartig wirken lässt. Manchmal lässt das Buch auch einen Eindruck zurück, der einem wie ein groteskes Zerrrbild einer degenerierten Gesellschaft vorkommt. Soll man lachen oder weinen, wenn man das liest? Ich glaube hier war sich die Autorin nicht sicher, was sie eigentlich aussagen wollte. Ich denke das hier zuviel gewollt und letztlich nur durchschnittlich ausgeführt wurde.

Veröffentlicht am 17.09.2019

Die Leiden des jungen Schnarchers...

Nachts im Sägewerk
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Das Thema Schnarchen ist originell und scheint für ein humoristisches Buch genau das richtige Sujet zu sein: es liefert schier unendliche Möglichkeiten zur Erzeugung von Situationskomik. Leider hapert ...

Das Thema Schnarchen ist originell und scheint für ein humoristisches Buch genau das richtige Sujet zu sein: es liefert schier unendliche Möglichkeiten zur Erzeugung von Situationskomik. Leider hapert es im konkreten Fall von „Nachts im Sägewerk“ gewaltig an der Umsetzung. Das fängt schon bei den Charakteren an- sie sind allzu stromlinienförmig. Der schnarchende Protagonist Markus ist ein „zuagroaster“ Münchner, Journalist und Schreiberling, der ein rotes Cabrio fährt, nichts im Kühlschrank hat wenn er Single ist und auch sonst einen Lebensstil pflegt, der sich in die Kategorie „Yuppie“ einordnen lässt. Eines Tages läuft er am Altpapiercontainer der hübschen Nachbarin Lena über den Weg – dem klischeehaften Abziehbild einer Superfrau. Sie wird Objekt seiner Begierde und schließlich seine Freundin. Damit beginnt der Spießrutenlauf der Hauptfigur, die anfangs versucht ihr Schnarchen zu vertuschen und später mit allerlei Mittelchen aufwartet, die die nächtlichen Geräusche und die verärgerte Lebensgefährtin besänftigen sollen. Das Potential zur Zeichnung einer tragikomischen Figur, mit der der Leser Mitgefühl hat, bleibt im Großen und Ganzen unausgeschöpft. Markus ist nur in dem Sinne mitleiderregend, weil er eine Freundin hat, die alles andere als sympathisch erscheint. Mit faschistischem Gehabe reagiert sie stets auf die Beschwichtigungsversuche von Markus, anstatt diesen in seinem Kampf gegen sein Problem zu unterstützen. Warum sollte man eine so durch und durch platte und negative Charakterzeichnung in einem Unterhaltungsroman lesen wollen? Man versteht nicht, was er an einer Frau findet, die permanent „dagegen“ ist und dies wo sie geht und steht äußert.

Der Roman ist mehr als weniger autobiographisch, nicht umsonst heißt der Protagonist wie der Autor mit Vornamen, nicht umsonst ist er Journalist. Götting selbst hat bereits einen renommierten Medizinjournalistenpreis für eine Story über sein Schnarcherleiden erhalten, wie der Klappentext und die Anmerkung verraten. Das Selbsterlebte ist somit Programm und man fragt sich, ob man es mit einem Roman oder einem Erlebnis- und Produktbericht zum Thema Schnarchen und die Gegenmittel zu tun hat.



Alles in allem: statt brillanter Komik, die einen selbst vom Schlafen abhält findet man nur die Aneinanderreihung von bemüht witzigen Situationen und Charaktere, die so flach sind, dass man sich wundert wie sie bei aller Plattheit noch ein Schnarchen erzeugen können.



PS: Der namensgebende Protagonist der amerikanischen Sitcom „Seinfeld“ heißt nicht Larry, sondern Jerry (siehe S. 157).

Veröffentlicht am 17.09.2019

Eines meiner absoluten Lieblingsbücher!

Ich, Adrian Mayfield
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Ich stelle heute das Buch „Ich, Adrian Mayfield“ der niederländischen Autorin Floortje Zwingtman von 2005 vor. Zusammen mit den beiden Nachfolgern „Adrian Mayfield – Versuch einer Liebe“ (2009) und dem ...

Ich stelle heute das Buch „Ich, Adrian Mayfield“ der niederländischen Autorin Floortje Zwingtman von 2005 vor. Zusammen mit den beiden Nachfolgern „Adrian Mayfield – Versuch einer Liebe“ (2009) und dem im letzten Jahr erschienen dritten Band „Adrian Mayfield – Auf Leben und Tod“ bildet es eine mittlerweile abgeschlossene Trilogie.

Es ist ein tolles Buch, soviel vorweg. Ich habe es geradezu verschlungen und habe wirklich gedacht ich wandere mit dem guten Adrian durch das Londoner „Fin de siècle“ um 1900. In jedem Fall vom Schmöker- und Interessenfaktor eines meines Jahreshighlights, so viel steht schon fest.

Zum Inhalt:

Der sechzehnjährige Adrian Mayfield ist der Sohn eines gescheiterten Schauspielers, der es durch Glück zum Besitzer einer Schankstube gebracht hat. Nachdem Adrian, seine Schwester Mary Ann und der Angestellte „Gloria“ den Laden eine längere Zeit allein geschmissen haben, verliert ihn der an Alkohol- und Spielproblemen leidende Vater durch seine Misswirtschaft. Adrian kommt als Ladendiener bei einem Herrenschneider namens Procopius unter, wo er den exzentrischen Maler Augustus („Gussy“) Trops kennenlernt. Adrian verliert seine Anstellung durch eine unbedachte Äußerung und kommt zunächst bei dem Dandy Trops unter. Da ihm langsam bewusst wird dass er sexuell gesehen dem eigenen Geschlecht zugeneigt ist, beginnt er mit Trops eine Affäre von der beide profitieren: Adrian bekommt Obdach und Nahrung, während Trops sich sowohl als Maler als auch als Mann an dem schönen jungen Mann labt. Durch Trops wird Adrian in die Welt der exzentrischen Londoner Intellektuellen eingeführt, die sich als Erkennungszeichen die in der Natur so nicht vorkommende „green carnation“ (= grüne Nelke) ausgedacht haben. Hier vermischt sich die Fiktion des Buches mit der Welt des „Fin de siècle“ und ihren Angehörigen, die zum Teil tatsächlich existiert und die Epoche geprägt haben; allen voran der Dichter Oscar Wilde und sein schöner Geliebter „Bosie“ (Lord Alfred Douglas, der mit seinem Vater, dem Marquess of Queensberry auf Kriegsfuß stand), der Zeichner Aubrey Beardsley und vielen anderen mehr.
Adrian fängt an bei dem aus einer reichen Versicherungsfamilie stammenden Maler Vincent Farley Modell zu sitzen, der ihn allerdings nicht als Lustobjekt betrachtet. Doch als die Saison der Neige zugeht und alle reichen Londoner über den Sommer ins Ausland fliehen muss Adrian anderweitig versuchen sein Geld zu verdienen…
Bei dem Eintauchen in die neue Welt wird ihm nach und nach bewusst dass es vor allem eins ist, das ihm nach wie vor fehlt: die Liebe.

Einfach köstlich und lebensecht wie Floortje Zwingtman den jungen Adrian aus der Ich-Perspektive heraus charakterisiert. Die Londoner Cockney-Art von Adrian bringt das Buch in die Nähe des Schelmenromans, obwohl die gesamte Triologie doch eigentlich noch mehr in die klassische Tradition des Bildungsromans zu verorten ist: ein junger Mann entwickelt sich zum Erwachsenen indem ihm allerlei Erlebnisse begegnen, die ihn zu dem machen, was er wird.

Vom Sujet her bekommt man einen ganz besonderen Einblick in die Welt der nachviktorianischen Ära, deren Gesellschaft der Bohème eine war, die es nie zuvor gab und die es wohl in dieser Ausprägung nicht mehr geben wird. Die Künstler (als Portraitmaler oder Schauspieler) sind einerseits gefeierte Stars, andererseits doch Außenseiter (vor allem wenn sie dekadente Sujets malten oder Gedichte schrieben, die diese Themen aufgriffen). Hinzu kommt natürlich die homosexuelle Subkultur, die durch die bestehenden Gesetze und gesellschaftlichen Anfeindungen kriminalisiert wurde und im Untergrund existieren musste. Dem spießbürgerlichen Milieu wurde außerdem die Maske abgezogen, die es sich in der viktorianischen Zeit aufgesetzt hatte.

Schön finde ich dass sich dieses Buch auch an Jugendliche wendet, die zum Lesezeitpunkt im Alter des Protagonisten sind. In diesem Zusammenhang ist es wundervoll, wie unverkrampft Zwingtman mit dem Thema Homosexualität umgeht. Es ist gut dass sie in ihrem Buch bewusstmacht dass die „love that dare not speak its name“ (aus dem Gedicht „Two Loves“ von Lord Alfred Douglas, 1894) heute glücklicherweise sprechen darf.

Das Buch stotzt außerdem vor Intertextualität und Intermedialität und alle, die sich ein wenig mit dieser Zeit beschäftigt haben werden berühmte literarische Werke, die damals geschrieben und rezipiert wurden sowie Gemälde, Zeichnungen etc. wiedererkennen.

Was soll man zu diesem Buch sagen außer: sinnlich, augenzwinkernd, ernsthaft, wahr und unterhaltsam: was will man mehr? Ich freue mich schon auf die nächsten beiden Bände!

Veröffentlicht am 17.09.2019

Anregender Roman zum Nachdenken

Die Schopenhauer-Kur
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„Und Nietzsche weinte“ spielt zur Zeit der Jahrhundertwende 1900 in Wien, zu der Zeit also, in der mit Sigmund Freud die Anfänge der Psychoanalyse wurzeln. Yalom ist selbst anerkannter Psychotherapeut ...

„Und Nietzsche weinte“ spielt zur Zeit der Jahrhundertwende 1900 in Wien, zu der Zeit also, in der mit Sigmund Freud die Anfänge der Psychoanalyse wurzeln. Yalom ist selbst anerkannter Psychotherapeut in Amerika und seine Romane sind nicht selten in eine fiktive Handlung gepackte Fallstudien.
Therapeut ist auch der Protagonist von „Die Schopenhauer Kur“, ein 65jähriger jüdischer Arzt namens Dr. Julius Hertzfeldt, der im San Francisco des späten 20. Jahrhunderts/frühen 21. Jahrhunderts die Diagnose Hautkrebs bekommt und im Zuge seiner nunmehr kurzen Lebenserwartung die „unerledigten“ Fälle seiner Karriere aufarbeiten möchte. Am meisten muss er an den Patienten denken, den er drei Jahre lang wegen dessen Sexsucht erfolglos behandelt hat: Philip Slate. Er kontaktiert ihn und muss feststellen, dass er mittlerweile genesen und selbst Psychotherapeut mit eigener Praxis ist. Er trifft sich mit ihm und konfrontiert den sterbenskranken Arzt mit der merkwürdigen Aussage, dass er von keinem geringeren als dem Philosophen Arthur Schopenhauer geheilt wurde.
„Die Schopenhauer Kur“ ist im Wesentlichen ein Konversationsroman. Der Schlagabtausch zwischen Hertzfeldt und Slate steht im Mittelpunkt der Handlung, die an sich weniger wichtig ist als das, was Gesagt, worüber philosophiert wird. Auch die Gruppentherapie, die Slate im Laufe des Romans mit Julius und seinen Patienten durchmachen muss, ist Teil eines narratologischen Konzepts, das die Gesprächsstruktur als wesentliches Handlungsmoment begünstigt. In diesem Roman wird geredet und sich mit dem Gesagten auseinandergesetzt. Die Teilnehmer der Gruppentherapie entwickeln sich durch die Sitzungen hindurch, der Leser erfährt nach und nach, was ihre jeweilige Geschichte ist und welches Problem sie haben, mit dem sie sich auseinandersetzen müssen. Die Spannung unter den Teilnehmern ist ein wichtiger Katalysator für die Handlung.
Julius Hertzfeldt ist dem Tode geweiht, will ihn aber so gut es geht ignorieren und das Beste aus der Zeit machen, die ihm noch bleibt. Slate hingegen ist es wichtig, den Tod zu akzeptieren und ihn als Abstraktum zu begreifen, zu dem man Position beziehen muss, am besten durch die Brille der Philosophie Schopenhauers hindurch. Nicht der ehemalige Sexsüchtige, der mittlerweile alles von einem rationalen Standpunkt aus betrachtet und soziale Bindungen wo es geht vermeiden möchte ist die tragische Figur des Buches, sondern der Menschenfreund Julius Hertzfeldt, der sich im Angesicht des Todes erst bewusst wird, dass der Augenblick die einzige Zeit ist, die man wirklich besitzen kann und dessen Bewusstsein so etwas wie Glück verheißt. Dieses Auskosten der Gegenwart blieb ihm immer versagt und eben diese Erkenntnis weckt Mitgefühl beim Leser.
Die inhaltliche Mixtur aus Philosophiegeschichte, Psychoanalyse und Intertextualität (es wird oft auf Werke der Weltliteratur rekurriert) fordern einen aufmerksamen Leser, der sich auf das intellektuelle Niveau des Buches einlassen will. Ganz nebenbei wird uns die Biographie Arthur Schopenhauers in Einschüben nähergebracht, die die Gegenwartshandlung in regelmäßigen Abständen unterbrechen. Angenehm sind die relativ kurzen, sehr durchstrukturierten Kapitel, die es einem ermöglichen nach jeder Zäsur das Gelesene zu reflektieren.
Das Buch ist etwas für Leser, die sich gern auf die Gedanken anderer einlassen und nebenbei etwas lernen wollen. Ein „Denkroman“- keine Unterhaltung, aber trotzdem sehr anregend.