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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.05.2025

Der Schein muss gewahrt werden

Bis die Sonne scheint
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1983 steht die Konfirmation des Erzählers Daniel Hormann bevor, außerdem freut er sich auf den anstehenden Schüleraustausch. Doch dann bekommt er zufällig mit, dass seine Eltern kurz vor der Pleite stehen ...

1983 steht die Konfirmation des Erzählers Daniel Hormann bevor, außerdem freut er sich auf den anstehenden Schüleraustausch. Doch dann bekommt er zufällig mit, dass seine Eltern kurz vor der Pleite stehen und seine materiellen Wünsche wohl nicht erfüllbar sind.

Die Atmosphäre der 1980er Jahre in einer Kleinstadt in der BRD wird sehr authentisch anhand vieler kleiner Details vermittelt. Die Musik, Fernsehshows, Autos und Kleidung und natürlich der Wunsch, nach außen den Schein zu wahren. Darin sind Daniels Eltern wahre Meister. Obwohl ihnen buchstäblich das Wasser bis zum Hals steht, ignorieren sie ihre finanzielle Situation hartnäckig. Selbst die Großmütter sollen nicht mitbekommen, wie es wirklich um sie steht. In einem weiten Bogen zurück in die Vergangenheit geht es auch um deren Geschichte, das Kennenlernen der Eltern und schließlich die unaufhaltsame Abwärtsspirale. Fern jeder Realität weigern sich Daniels Eltern aber, sich mit den Gegebenheiten abzufinden.

Anders als die mir bisher bekannten Kriminalromane des Autors handelt es sich hier um eine Familiengeschichte. Trotz der zeitlichen Sprünge lässt sich der autofiktionale Roman sehr gut lesen und weckt Erinnerungen an die 1980er Jahre. Insbesondere, dass um jeden Preis der Schein gewahrt werden musste und Wohlstandssymbole sehr wichtig waren.

„Bis die Sonne scheint“ ist kein Wohlfühlroman, aber eine durchaus realistische Familiengeschichte mit tragischen, aber auch humorvollen Elementen.

Veröffentlicht am 01.05.2025

Der Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit

Dunkle Momente
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Der Roman „Dunkle Momente“ erzählt die fiktive Geschichte der Strafverteidigerin Eva Herbergen, die nach einer langen Karriere ihre Anwaltszulassung zurückgeben will. Vor etlichen Jahren hat sie aus privaten ...

Der Roman „Dunkle Momente“ erzählt die fiktive Geschichte der Strafverteidigerin Eva Herbergen, die nach einer langen Karriere ihre Anwaltszulassung zurückgeben will. Vor etlichen Jahren hat sie aus privaten Gründen einem vermeintlichen Routinefall nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die vielleicht vonnöten gewesen wäre. Für die katastrophalen Folgen trägt sie zwar keine Verantwortung, trotzdem haben Schuldgefühle ihr weiteres Handeln als Strafverteidigerin bestimmt. Um für ihre Mandant:innen die bestmögliche Lösung herbeizuführen, überschreitet sie dabei die Grenzen einer üblichen Mandatswahrnehmung.

In diese Rahmenhandlung eingebettet sind neun Fälle, die auf Basis real stattgefundener Verbrechen und anschließender Strafverfahren konstruiert wurden. Dabei wird weniger die eigentliche Anklage und das anschließende Verfahren dargestellt, das Hauptaugenmerk wird auf die Vorgeschichte und die Motive gelenkt. Was auf den ersten Blick eindeutig scheint, sieht durch einen Twist in der Handlung plötzlich ganz anders aus.

Der Roman ist in einfacher, klarer Sprache verfasst und lässt sich problemlos auch für juristische Laien lesen. Trotzdem vermittelt die Autorin einen guten Einblick in juristische Fragestellungen, die nicht unbedingt allgemein bekannt sind. Dieses neu erworbene Wissen kann dazu beitragen, Unmut und Unverständnis über die Rechtsprechung vorzubeugen.
Opfer und Täter, Schuld und Unschuld, das sind keine Gegensätze mehr, da gibt es Überschneidungen. Und Recht und Gerechtigkeit sind keinesfalls deckungsgleich.
Das ist durchaus spannend zu lesen, das Buch regt zum Nachdenken und Hinterfragen eigener Positionen an und eignet sich damit besonders als Diskussionsgrundlage mit anderen Lesenden.

Die Rahmenhandlung um Eva Herbergen fand ich weniger gelungen, sie wirkte zu konstruiert auf mich. Die Fälle hätten gut für sich alleine stehen können, das hätte auch die Möglichkeit zu längeren Lesepausen eröffnet. Obwohl mir fast alle zugrundeliegenden Straftaten und Verfahren bereits bekannt waren, ist mir die Aneinanderreihung nach dem fünften Fall zu viel geworden.

Trotz dieser Kritikpunkte würde ich den Roman weiterempfehlen, weil mir die Auswahl und Darstellung der Fälle gefallen hat und sich der Roman gut lesen lässt.

Positiv hervorzuheben ist das gelungene Cover, das man aber erst nach Beendigung des Romans richtig zu würdigen weiß.

Veröffentlicht am 01.05.2025

Leben in einer fiktiven Kleinstadt von 1935 -1945. Konnte mich nicht ganz überzeugen.

Ginsterburg
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Der fiktive Ort Ginsterburg und die dort lebenden Menschen stehen exemplarisch für eine nicht sonderlich bemerkenswerte Kleinstadt während der NS-Zeit. Die Handlung wird in Zeitsprüngen erzählt: 1935, ...

Der fiktive Ort Ginsterburg und die dort lebenden Menschen stehen exemplarisch für eine nicht sonderlich bemerkenswerte Kleinstadt während der NS-Zeit. Die Handlung wird in Zeitsprüngen erzählt: 1935, 1940 und 1945. Im Mittelpunkt stehen die verwitwete Buchhändlerin Merle und ihr Sohn Lothar, der Journalist Eugen und dessen Familie und der Blumengroßhändler Otto Gürckel sowie dessen Zwillingssöhne Bruno und Knut.

Der Roman beschreibt den Alltag in Ginsterburg mit den politischen, gesellschaftlichen und ideologischen Veränderungen: Während Merle und Eugen dem neuen Gedankengut durchaus kritisch gegenüberstehen, gehört Otto eindeutig zu den Gewinnern. Schnell ist er in der Partei aufgestiegen, profitiert wirtschaftlich im großen Stil und wird schließlich Kreisleiter. Ohne Otto geht in Ginsterburg gar nichts mehr. Seine beiden Söhne tragen früh und voller Inbrunst die braune Uniform, sie terrorisieren ihre Umgebung. Besonders der sensible Lothar hat unter ihnen zu leiden. Doch auch er findet schließlich Gefallen an den Unternehmungen der Hitlerjugend, kann seinen Traum, Pilot zu werden, verwirklichen und wird für herausragende Verdienste ausgezeichnet.

In Ginsterburg scheinen die Menschen lange Zeit relativ unberührt von den politischen Geschehnissen und dem Krieg zu sein. Es wird ausgeblendet, man laviert sich so durch, passt schon auf, wer was hören darf, aber es lehnt sich niemand auf. Wenn man nicht sowieso begeistert von der neuen Zeit ist oder profitiert.
Jüdische Mitbürger sind zwar plötzlich nicht mehr da, aber das scheint kein großes Thema zu sein. Und schließlich treffen die Bomben auch Ginsterburg.

Die Verfolgung Homosexueller, Euthanasie und Vernichtung sogenannten unwerten Lebens, die Verfolgung von Roma und Sinti – all das fließt unterschwellig in den Roman ein.

Nach Beendigung des Romans bin ich zwiegespalten. Einerseits ist es dem Autor wirklich gut gelungen, diese fiktive Kleinstadt mit ihren Bewohner:innen darzustellen. Gerade diejenigen, die keine Nationalsozialisten waren, haben geschwiegen und nicht Stellung bezogen. Deshalb fällt es schwer, hier Sympathieträger zu finden. Mit dem Wissen von heute sind viele der beiläufig und nur kurz gestreiften Szenen unfassbar grausam und erschreckend.
Auf der anderen Seite gibt es die Nationalsozialist:innen, deren Charakterzeichnung mir etwas zu plakativ war. Berechnend, auf den eigenen Vorteil bedacht, kalt und brutal. Das gilt für beide Geschlechter und jedes Alter.
Insgesamt habe ich zu den Charakteren wenig Zugang gefunden. Berührt hat mich eigentlich nur Uta, die über den fast sicheren Tod ihres jüdischen Ehemannes langsam den Verstand verloren hat.
Und ich habe einen Hinweis vermisst, dass zumindest zwei Charaktere nicht ausschließlich fiktiv sind, sondern zumindest ihre Rolle während des Krieges real ist. Dieser Umstand hat mich irritiert.

Eine uneingeschränkte Empfehlung für dieses Buch auszusprechen fällt mir schwer. Das Thema ist hochaktuell und es lassen sich durchaus Parallelen aufzeigen. Der Roman ist auch gut geschrieben und die Zeitsprünge sind gut gewählt. Trotzdem habe ich mir bei den Charakteren mehr Tiefe und Entwicklung erhofft. Und tatsächlich sind mir die Verbrechen der Nationalsozialisten zu leise und unterschwellig in die Handlung eingeflossen. Gut informierte Leser:innen werden die Hinweise verstehen, aber das sollte nicht vorausgesetzt werden.

Veröffentlicht am 09.04.2025

Unterhaltsamer Einblick in den Alltag der Langzeitpflege

Das Herz kennt keine Demenz
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In leichtem Ton berichtet Jim Ayag von seinem Werdegang und schildert den Alltag im Pflegeheim. Auf Umwegen hat er die Altenpflege als seine Berufung entdeckt, obwohl er genau diesen Berufszweig für sich ...

In leichtem Ton berichtet Jim Ayag von seinem Werdegang und schildert den Alltag im Pflegeheim. Auf Umwegen hat er die Altenpflege als seine Berufung entdeckt, obwohl er genau diesen Berufszweig für sich immer als unvorstellbares Tätigkeitsfeld abgelehnt hat. Damit nicht genug, ausgerechnet die Arbeit mit dementen Menschen liegt ihm besonders am Herzen.

Anhand vieler Einzelbeispiele vermittelt er ein stimmiges Bild von den Menschen und Situationen, mit denen er zu tun hat. Frau Tippelkamp ist der Name, den er für alle Bewohnerinnen verwendet, obwohl es sich nicht um eine einzelne Person handelt.

Jim Ayag verschweigt nicht, dass es auch unangenehme und schwierige Situationen gibt, aber er betont die Anteile, die meist nicht gesehen werden. Altenpflege ist eben nicht nur Körperpflege, es gibt viele berührende Momente, auch wenn der Zeitdruck enorm ist.

Wichtig ist, die Menschen mit ihrer Biografie und in ihrer aktuellen Verfassung ernst zu nehmen und Mitgefühl zu haben. Er gibt etliche Beispiele, die im Umgang mit dementen Menschen aus Unwissenheit zu Problemen führen, die es nicht geben müsste. So ist es nicht notwendig, in Erzählungen Fehler zu korrigieren oder ständig zu widersprechen. Damit verunsichert man einen desorientierten Menschen zusätzlich. Gerade Angehörigen fällt es aber schwer, das zu akzeptieren.

Neben der Schilderung der Arbeit mit den zu Pflegenden wirbt Jim Ayag auch für ein anderes Miteinander der Beschäftigten in der Pflege. Gegenseitige Wertschätzung der unterschiedlichen Professionen sowie der geleisteten Arbeit der Kolleg:innen müssen an die Stelle von Geringschätzung und Abwertung treten.

Die Überalterung der Gesellschaft mit der sicheren Zunahme von pflegebedürftigen und dementen Menschen wird zu einem riesigen Problem in der Betreuung führen, wenn nicht aktiv gegengesteuert wird. Ein anderes Bewusstsein und mehr Wertschätzung für Menschen am Ende des Lebens ist eine zentrale Forderung in diesem Buch.

Mich haben etliche Beispiele und Forderungen in diesem Buch sehr nachdenklich gestimmt, bei anderen musste ich lachen, weil ich ähnliche Situationen erlebt habe.

Als Einstieg in das Thema und für Angehörige, die betroffen sind, kann ich dieses Buch uneingeschränkt empfehlen. Es ist kein wissenschaftliches, trockenes Sachbuch, sondern ein leicht lesbarer Einblick eines Praktikers in den Alltag der Langzeitpflege.

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Veröffentlicht am 11.03.2025

Übersichtlicher, umfassender Ratgeber, besonders für Neueinsteiger:innen

Ordnung für immer
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Der neue Ratgeber von Stiftung Warentest verspricht auf seinem Cover Aufräumroutinen, die glücklich machen und im Titel Ordnung für immer.
Tatsächlich beinhaltet das Buch nicht nur einen kurzen Überblick, ...

Der neue Ratgeber von Stiftung Warentest verspricht auf seinem Cover Aufräumroutinen, die glücklich machen und im Titel Ordnung für immer.
Tatsächlich beinhaltet das Buch nicht nur einen kurzen Überblick, welche positiven Auswirkungen ein ordentlicher, nicht überfrachteter Haushalt auf das ganze Leben hat. Natürlich gibt es die detaillierten Tipps und Anleitungen zum kurzfristigen Ausmisten, Ordnen und langfristigen Aufrechterhalten des gewünschten Zustandes. Darüber hinaus wird aber sehr ausführlich die Psychologie der Ordnung behandelt. Wer sich also intensiver mit dem Thema befassen möchte, kommt hier auf seine Kosten. Allen anderen ist diese Auseinandersetzung vielleicht zu ausführlich. Abschließend gibt es eine Reihe von Tests, Tipps und Tabellen, die in erster Linie helfen sollen, Routinen und langfristige Erfolge sicherzustellen. Dazu gehört auch die Umsetzung in einem Haushalt mit mehreren Personen, insbesondere bei Familien mit kleinen Kindern. Allerdings ist dieser Bereich relativ kurz abgehandelt.

Empfehlen würde ich den sehr übersichtlichen, umfassenden Ratgeber Menschen, die sich intensiv mit dem Thema befassen möchten und dabei eine klare Struktur mit hilfreichen Tabellen und Anleitungen bevorzugen. Allerdings sollte auch ein tiefergehendes Interesse an den Ursachen vorliegen, da diesem Thema viel Raum gewidmet ist. Enttäuscht werden vermutlich Leser:innen sein, die sich wirklich neue Strategien erhoffen, da vieles bereits bekannt ist.

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