Roman | Booker Prize 2024 | »Was für ein himmlischer Roman!« Adam Soboczynski, Die Zeit
Julia Wolf (Übersetzer)
Von oben betrachtet sieht die Welt gleich ganz anders aus
Sechs Astronauten schweben in einer Raumstation durchs All. Den Planeten Erde umkreisen sie in 90 Minuten, sechzehnmal in 24 Stunden. Die zwei Frauen und vier Männer aus ganz unterschiedlichen Nationen arbeiten, essen und schlafen auf engstem Raum – und doch ist alles losgelöst vom Alltag, Schwerkraft und Zeitempfinden sind außer Kraft gesetzt. Was passiert, wenn man seine Heimat nur aus weiter Ferne durch ein kleines Fenster sieht? Wie verändern sich Denken und Fühlen? In dem Zeitraum von nur einem Tag, während die Sonne sechzehnmal auf- und untergeht, betrachtet dieser ungewöhnliche, kraftvoll poetische Roman die großen und kleinen Fragen der Menschheit und bringt uns der Schönheit des Universums ganz nahe.
»Ich wusste nicht, wie sehr mir dieses Buch gefehlt hat, bis ich es gelesen habe. Dieser Roman lässt die schönsten Tränen fließen.« Ruth-Maria Thomas
Ausgezeichnet mit dem Booker Prize 2024 und Hawthornden Prize for Literature 2024, nominiert für den Orwell Prize for Political Fiction 2024 sowie den Ursula K. Le Guin Prize 2024
Samantha Harvey lädt uns in ihrem Roman Umlaufbahn in das Weltall ein.
Vier Astronauten und zwei Kosmonauten fliegen in ihre Raumkapsel um die Welt.
Die Autorin hat das ganz gekonnt geschaffen. Nach ...
Samantha Harvey lädt uns in ihrem Roman Umlaufbahn in das Weltall ein.
Vier Astronauten und zwei Kosmonauten fliegen in ihre Raumkapsel um die Welt.
Die Autorin hat das ganz gekonnt geschaffen. Nach einer kleinen Zeit des Warmwerden konnte ich mich gut mit der Geschichte arrangieren. Es ist ein ruhiges Buch. Es geschehen keine weltbewegenden Dinge. Die Personen lassen uns an ihre Gedanken und Erinnerungen teilnehmen. Es war interessant zu lesen, das die japanische Astronautin gerade in der Zeit, ihre Mutter verliert und wie die Trauerzeremonien in Japan stattfinden. Außerdem erfährt man, wie sich alle fit halten.
Der Roman liest sich gut und ich mag ihn gerne weiter empfehlen.
"Brutal ist das Leben hier, unmenschlich, überwältigend, einsam, außergewöhnlich und großartig.“ Ihre Worte, nicht meine. Samantha Harvey nimmt die Leser in ihrem Roman 16mal mit um die Erde – denn so ...
"Brutal ist das Leben hier, unmenschlich, überwältigend, einsam, außergewöhnlich und großartig.“ Ihre Worte, nicht meine. Samantha Harvey nimmt die Leser in ihrem Roman 16mal mit um die Erde – denn so viele Erdumrundungen schafft die Raumstation in 24 Stunden.
Das was auf der Erde ein Tag und eine Nacht ist – klar strukturiert von Sonnenauf- und -untergang, macht die sechs Astronauten verrückt. Oder vielmehr – sie müssen lernen, sich davon nicht verrückt machen zu lassen. Denn sie erleben 16 Sonnenaufgänge, 16 Sonnenuntergänge innerhalb dieses Zeitraums – und das jeden Tag. Da wird einem schon beim Lesen schummrig…
Nicht nur einmal habe ich mich als Leser gefragt: könnte ich das? Könnte ich mit den Bedingungen umgehen, in die sich die sechs Raumfahrer – vier Männer und zwei Frauen – freiwillig begeben haben? Worin besteht ihr Tagesablauf? Wie kommen sie mit der Schwerelosigkeit zurecht? Woran denken sie, wenn sie aus den Sichtfenstern der Raumstation schauen?
Man muss sich bewusst sein, dass dieser Roman keine actiongeladene Science Fiction-Geschichte erzählt. Ganz im Gegenteil. Als würde man selbst mit in der Schwerelosigkeit schweben, driften die Gedanken durch Zeit und Raum. Mal begleiten wir die Asiatin Chie, die im All gerade die Nachricht vom Tod ihrer Mutter erhalten hat. Mal vermissen wir mit Pietro die italienische Großfamilie. Mal schauen wir mit dem russischen Kosmonauten Anton hinunter auf eine Welt, auf der keine Grenzen erkennbar sind – obwohl es doch da unten auf der Erde politisch permanent darum geht, Landesgrenzen zu erhalten, zu sichern, zu verteidigen.
Dies ist kein Buch zum schnellen Durchlesen. Es ist eins, das man betont langsam lesen sollte, wenn man den Anspruch hat, sich mit den von der Autorin angesprochenen Themen auseinanderzusetzen. Teilweise klingt es wie ein Philosophieren, teilweise werden aber auch die Fakten des (herausfordernden) Alltagslebens in der Raumstation dargestellt.
Samantha Harvey hat für diese Darstellung den Booker Prize 2024 für das beste englischsprachige Buch des Jahres erhalten. Zu Recht? Das muss jeder für sich entscheiden. Die Autorin betrachtet die Erde und ihre Menschen von oben, wirft im wahrsten Sinne des Wortes mit Abstand einen Blick auf den Planeten. Wer für eine gute und inhaltsreiche Lektüre keinen klassischen Plot braucht, sondern seine Gedanken schweifen lassen möchte, ist mit diesem Roman gut beraten.
Wie bisher alle Booker-Prize-Gewinner, die ich gelesen habe (2), war auch Umlaufbahnen von Samantha Harvey zwar sprachlich interessant - aber gleichzeitig ein totaler Reinfall, der Jahresflop 2024 für ...
Wie bisher alle Booker-Prize-Gewinner, die ich gelesen habe (2), war auch Umlaufbahnen von Samantha Harvey zwar sprachlich interessant - aber gleichzeitig ein totaler Reinfall, der Jahresflop 2024 für mich.
Die Prämisse klingt vielversprechend: Sechs Astronautinnen umkreisen in einer Raumstation die Erde, und zwar sechzehnmal am Tag. Wie ist es, seine Heimat - den blauen Planeten - aus einem winzigen Fenster, aus so weiter Ferne zu beobachten? Quasi-Science-Fiction mit einem Nature-Writing-Ansatz, nur dass man hier nicht ganz nah ran geht, sondern ganz weit weg.
Die Idee ist originell, und auch die poetische Sprache, das straffe Editing, und das Cover haben mich angesprochen. Aber, und zwar ein großes: Es ist voll von altbackenen, klischeehaften Hollywoodmotiven und Kalter-Kriegs-artiger Obsession mit Rssland.
Das reiche, weiße amerikanische Ehepaar, das die bitterarme, aber in ihrer Einfachheit glückliche Familie auf einer winzigen Insel im Pazifik anfreundet, nur um sie später aus dem All vor dem Taifun zu warnen, der auf die Inselgruppe zurollt; white saviourism at its best, Verweise darauf, dass die guten Amerikaner zu einem großen Teil Schuld am Klima sind, gab es nicht.
Die zwei rssischen Kosmonauten, die mit an Bord sind, sinnieren vor allem über eins: Rssland.
Wie die Rssen fast den Mond kolonisiert haben, was für tolles Essen sie an Bord haben (Borschtsch, was eigentlich das ukrainische Nationalgericht ist, welch Ironie), wie gastfreundlich sie sind, der großartige, nach Fortschritt strebende Geist der Swjetunion, die “rssische Seele”, hach… und ist da noch das Idol der einen Figur, ein real existierender rssischer Kosmonaut, der heute, in der Realität, ein Vertrauter Ptins ist und Gesicht des rssischen Weltallprogramms.
Die eine Figur referenziert ihn ständig. Ein Beispiel, was für Worte er dieser Person in den Mund legt: “Die Menschheit ist eine Schar Seefahrer, denkt er, eine Bruderschaft von Matrosen auf offener See. Die Menschheit ist nicht diese Nation oder jene, sie besteht aus allen Menschen zusammen, auf immer verbunden, komme, was wolle” - ich hoffe, ich muss euch nicht erklären, warum das Narrativ der “Bruderschaft” im Angesicht des r*ssischen Angriffskrieges auf die Ukraine problematisch ist und es vielleicht etwas ironisch ist, in dem Kontext von Grenzenlosigkeit zu reden (you know, der, Astronaut, der referenziert wird, würde das heute vielleicht wirklich sagen. Und so meinen). Die Ukraine, sowie der Rest Osteuropas, findet übrigens an keiner Stelle im Buch Erwähnung, obwohl ständig irgendwelche Länder genannt werden.
Hätte sie das getan, hätte sie ihr triviales Leitmotiv “wir sind alle Menschen, Frieden ist fragil, aber internationale Zusammenarbeit schützenswert” vielleicht auch mal politisch einordnen müssen - wie unangenehm für die Leserschaft des Bookers, puh!
Vielleicht kann man das mit der Booker Prize Jury vergleichen: Eine Jury, die von ihrer erhabenen Position auf uns “andere” drauf blickt, von ganz weit weg, und sich selbst gut nach dem Lesen fühlt, weil sie ja nie selbst von irgendwas betroffen sein kann, außer vielleicht von ihren eigenen, individualistischen Problemen. Gewollte Zeitlosigkeit durch eine naive, von tatsächlichem Leben auf dieser Erde entkoppelte Sicht der Dinge.
Das Buch, auf dessen Übersetzung ich mich dieses Jahr am Meisten gefreut habe - und das mich am meisten enttäuscht hat. 1,5 Sterne, ein halber Stern für den Schreibstil.
Vielen Dank an Netgalley für das Rezensionsexemplar