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caro_phie

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.12.2024

Mutter-Tochter Spannungsfeld

Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen
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Triggerwarnung: Essstörung

Wanda und Antonia sind Schwestern und doch könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Wanda ist schön, schlank, sportlich, selbstbewusst und in der Schule eine Überfliegerin. ...

Triggerwarnung: Essstörung

Wanda und Antonia sind Schwestern und doch könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Wanda ist schön, schlank, sportlich, selbstbewusst und in der Schule eine Überfliegerin. Antonia zu kurvig, schüchtern und in nichts wirklich begabt. Zumindest ist das die Perspektive von Regina auf ihre beiden Töchter. Kritisch misst sie die beiden an ihren persönlichen unerfüllten Wünschen, ihren eigenen und den gesellschaftlichen Maßstäben - und das durchgängig durch das Buch, das sich mit Zeitsprüngen über eine Zeitspanne von etwa 20 Jahren erstreckt.

Gekonnt verwebt Anne Brüggemann durch die drei Perspektiven von Regina, Wanda und Antonia Innen- und Außenschau und die Brüche dazwischen. Es ist ein gelungenes Psychogramm einer Mutter-Tochter Beziehung, das erschreckend deutlich aufzeigt, wie nachhaltig die Erwartungshaltung unserer Eltern uns in unserer Selbstwahrnehmung prägen.

Zuweilen waren mir Anne Brüggemanns Worte fast zu deutlich, zu wenig subtil die Auseinandersetzung der Charaktere mit ihren Gefühlen. Gerade in jungen Jahren, in denen die Erwartungshaltung der Mutter die eine in die Magersucht stürzt und die andere ihre Schultern immer mehr hochziehen, sich zunehmend verstecken lässt, wirkten Wanda und Antonia für mich auf unglaubwürdige Weise reflektiert.

Dennoch ein Buch, das in seiner, wenn auch wenig unterschwellig formulierten, Message nachhallt.

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Veröffentlicht am 15.12.2024

So unglaublich wichtig in diesen Zeiten

Empathie und Widerstand
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Es ist ein Gefühl, dass mich seit einigen Jahren begleitet und sich über die Zeit verstärkt hat. Das Gefühl, dass sich Fronten verhärten, es schwieriger wird die Meinung anderer zu akzeptieren bzw. sie ...

Es ist ein Gefühl, dass mich seit einigen Jahren begleitet und sich über die Zeit verstärkt hat. Das Gefühl, dass sich Fronten verhärten, es schwieriger wird die Meinung anderer zu akzeptieren bzw. sie zumindest unkommentiert stehen zu lassen. Es ist ein Gefühl, dass sich bei mir einstellt, wenn ich in den sozialen Medien die Kommentare unter Beiträgen lese, aber auch, wenn ich mich selber beobachte, wenn ich merke welche innere Wut sich in mir aufbaut angesichts von Meinungen, die ich so aus meiner Echoblase nicht kenne.

“Empathie und Widerstand” ist ein Buch, dass deshalb sowohl für mich persönlich unheimlich wichtig ist, meines Erachtens aber auch einen generellen Zeitgeist trifft. Könnten wir nicht versuchen Menschen und ihren unterschiedlichen Meinungen mit Empathie zu begegnen, und zwar grundsätzlich erst mal allen Menschen? Könnten wir nicht die eigene Meinung bewusst von ihrem Podest der scheinbar einzig richtigen Meinung heben, und verstehen zu suchen woher die Meinung anderer Menschen kommt, was ihre Lebensrealität ist? Und wo muss die Empathie aufhören, wo sollten wir in den Widerstand gehen und zielgerichtet für unsere Werte einstehen?

Für mich ist “Empathie und Widerstand” ein augenöffnendes Buch. Ein Buch, dass sich schon jetzt in meinem Alltag niederschlägt, in der Art und Weise wie ich in Diskussionen gehe, wann ich entscheide meine Meinung zu äußern und wann ich versuche erst mal zuzuhören. Ein Buch, dass ich jeder Person ans Herz lege, besonders vor den alljährlichen Gesprächen zu Weihnachten mit dem falsch(??), oder vielleicht besser gesagt, anders denkenden Onkel ;).

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Veröffentlicht am 29.11.2024

So ehrlich

Die vorletzte Frau
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Sie sind 19 Jahre zusammen - die Erzählerin, Schriftstellerin und Fußpflegerin und der gefeierte Schweizer Schriftsteller Tosch. Vielleicht wären es auch mehr Jahre geworden, wäre die Erzählerin nicht ...

Sie sind 19 Jahre zusammen - die Erzählerin, Schriftstellerin und Fußpflegerin und der gefeierte Schweizer Schriftsteller Tosch. Vielleicht wären es auch mehr Jahre geworden, wäre die Erzählerin nicht alt und Tosch nicht krank geworden - so mutmaßt sie bereits auf den ersten Seiten.

“Ich hatte bis fast zum Schluss das Gefühl, wir hätten uns gerade erst kennengelernt, würden aber bald, in naher Zukunft, zum Kern vordringen.” (S. 5)

Diese Neugier den Anderen in seiner Ganzheit zu erfassen schwingt auf jeder Seite mit. Von Anfang an muten Tosch und die Erzählerin sich einander zu. Die anfängliche Phase des Kennenlernens, in der man oft noch versucht dem/der Anderen gegenüber ein Trugbild gegenüber aufrechtzuerhalten, scheint bei ihnen wegzufallen.

“Wann immer es möglich war, verabredeten wir uns im Joseph Pub und hörten nicht mehr auf, Geständnisse abzulegen, uns nichts zu ersparen, uns keine Lügen aufzutischen, uns einander auf Gedeih und Verderb zuzumuten. Ich mute mich dir zu. Du mutest dich mir zu. Ich weiß noch, wie das Wort zu uns kam. Nachher, in der Junggesellenbude, fielen wir übereinander her.” (S. 18)

So schonungslos wie die Beziehung der beiden, kommt auch das Buch selbst daher. Ungeschönt zeichnet die Autorin Katja Oskamp ein Porträt von Tosch und das Porträt einer Beziehung. Aber es geschieht beinahe zärtlich, mit großer Akzeptanz für die Toschs Macken und ohne die “Schattenseiten”, die mit Beginn von Toschs Krankheit zunehmend in ihre Beziehung treten, auszublenden.

Ich bewundere sehr mit welcher Natürlichkeit und wie viel Humor Katja Oskamp in ihrem Roman das Thema Endlichkeit verhandelt - Endlichkeit einer Beziehung und Endlichkeit eines Menschen. Noch dazu weil das Romangeschehen sehr große Ähnlichkeit zu ihrem eigenen Leben aufweist.

Hinter Tosch kann man den Schweizer Autor und ihren langjährigen Lebensgefährten Thomas Hürlimann erkennen. Während ihrer Beziehung hauptsächlich abseits des Rampenlichts und des öffentlichen Interesses stehend, findet hier Katja Oskamp ihre eigenen Worte für die gemeinsamen Lebensjahre. Und auch wenn es vornehmlich das Porträt ihres Partners und ihrer Beziehung ist, verschwindet sie nicht hinter dem Text. Auf subtile Weise dringt ihre eigene Identitätssuche und was es in unserer Gesellschaft als Frau, Mutter und Schriftstellerin bestehen zu wollen, immer wieder durch.

“Die vorletzte Frau” ist ein Buch, das ich sehr gerne gelesen habe, das mich an vielen Stellen berührt hat und in dem ich immer wieder gerne blättern werde.

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Veröffentlicht am 21.10.2024

Nicht der richtige Moment?

Das Pfauengemälde
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Maria reist nach Rumänien, um ein enteignetes Gemälde zurückzuerhalten. Es ist eine schmerzliche Reise - die erste, nachdem ihr Vater vor zwei Jahren in Rumänien tot in einer Waldhütte gefunden wurde. ...

Maria reist nach Rumänien, um ein enteignetes Gemälde zurückzuerhalten. Es ist eine schmerzliche Reise - die erste, nachdem ihr Vater vor zwei Jahren in Rumänien tot in einer Waldhütte gefunden wurde. Es war eine von vielen realen und gedanklichen Reisen ihres Vater in das Land, das ihn verstoße hat, das ihn aufgrund seiner oppositioneller Aktivitäten gezwungen hat seine Familie hinter sich zu lassen und sich ins Exil nach Deutschland zu begeben, und das ihn trotzdem nicht loslässt, seine ganze Identität auf dem Schicksal dieses Landes aufbauend.

Hätte Maria ihm mehr zuhören sollen? Hätte sie ihn nicht damals auf seine letzte Reise nach Rumänien begleiten sollen und dadurch seinen Tod verhindern können?

Marias Reise in das Heimatland ihres Vaters wirkt wie der Versuch die vielen Ungerechtigkeiten, die ihrem Vater widerfahren sind, wiedergutzumachen, und ist doch für Maria mit so vielen schmerzlichen Erinnerungen an ihn verknüpft, plötzlich auftauchende bildhafte Erinnerungen an die Zeit in ihrer Kindheit, die sie in Rumänien bei der Familie ihres Vaters verbracht hat. Vergangenheit und Gegenwart greifen hier ineinander, scheinen teilweise miteinander zu verschmelzen, was es bisweilen schwierig gemacht hat für mich die verschiedenen Zeitebenen voneinander zu unterscheiden.

Zudem wirkten manche Konversationen für mich seltsam hölzern manche Charaktere auf bestimmte Charaktereigenschaften hin überzeichnet, sodass ich mich teilweise nur schwer auf die Handlung einlassen konnte, wenig in die Charaktere hinein fühlen konnte.

Dann wieder Szenen, die mich mit ihrer besonderen Stimmung, mit Maria Bidians ganz eigener Sprache komplett einnahmen, lange in mir resonierten.

Und so halte ich das Buch unschlüssig in der Hand. “Vielleicht war es nicht der richtige Zeitpunkt”, möchte ich sagen. “Vielleicht haben äußere Faktoren zu viel meiner Aufmerksamkeit eingefordert und ich konnte mich deshalb nicht richtig auf die Geschichte einlassen.” Und so stelle ich das Buch zurück ins Bücherregal und hoffe, dass irgendwann der Tag kommt, an dem ich mich nochmal und dann voll und ganz auf Maria Bidians Debütroman einlassen kann.

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Veröffentlicht am 26.09.2024

Warum er dort und ich hier?

Als wir Schwäne waren
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“Aber dann sagtest du irgendwann es sei fair, dass es Inseln gibt, denn schließlich gibt es ja auch Seen. Und ich, tausend Ängste älter, sagte: Ja, das ist fair.

Und ich, tausend Lügen klüger, sagte nicht, ...

“Aber dann sagtest du irgendwann es sei fair, dass es Inseln gibt, denn schließlich gibt es ja auch Seen. Und ich, tausend Ängste älter, sagte: Ja, das ist fair.

Und ich, tausend Lügen klüger, sagte nicht, dass fair ein so einfaches Wort ist, und Gerechtigkeit ein so schwieriges.

Und ich, tausend Wunden hoffnungsvoller, sagte dir nicht, dass wir alle an dem längeren Wort gescheitert sind.” (S. 7)

Es sind die ersten eineinhalb Seiten von “Als wir Schwäne waren”. Ein vorangestellter Brief von Behzad Karim Khani an seinen Sohn. Ein paar Sätze, die gleichzeitig leise und poetisch daherkommen und doch mit so wenigen Worten eine solche Kraft entfalten. So wie auch Khanis Buch selbst.

Auf knapp 200 Seiten tauchen wir ein in das Leben von Reza. Seine Kindheit in einer Plattenbausiedlung im Ruhrgebiet der 90er Jahre, wo er nach der Flucht aus dem Iran mit seinen Eltern ankommt. Die Mutter versucht in dem neuen Land Fuß zu fassen, der Vater scheitert schon bald daran und dazwischen Reza, dessen Kindheit - noch von kleinen, zum schmunzeln anregenden Glücksmomenten geprägt - schon bald einer Jugend Platz macht, die ihn in die harte Realität der Plattenbausiedlung wirft.

Eine Realität, die einem nichts schenkt, sondern in der man lernen muss zu schwimmen, den Kopf über Wasser zu halten, um nicht unterzugehen.

“Wir alle strampeln uns ab in dieser Kloake, halten den Kopf aber über Wasser. Nur Serdar schwamm nach unten und vielleicht gehört das zu den Dingen, die passieren, wenn Armut keinen Geruch hat. Sich keine Goldketten umhängt, keine großen Autos fahren will. Nicht die Trikots der Champions-League-Vereine trägt. Vielleicht ist das eines der Dinge, die passieren, wenn Armut Status und Sieg nicht wenigstens vortäuscht. Wenn Armut nicht lügt. Nicht wenigstens so tut, als hätte sie alles im Griff.” (S.103)

Und Reza lernt zu schwimmen. Er erkämpft sich den Respekt der Jungs von seinem Block, lässt sich auf Drogenkriminalität, Gewalt und Diebstahl ein. Er kämpft mit der gleichen Vehemenz, mit der er später kämpft um all das hinter sich zu lassen, ein anderes Leben jenseits der Plattenbausiedlung zu suchen.

Mit unglaublicher Intensität, sprachlich wie inhaltlich, zeichnet Behzad Karim Khani ein ungeschöntes Bild der Lebenslage vieler Migranten in Deutschland, was es heißt am Rande einer Großstadt in einer Plattenbausiedlung aufzuwachsen und wie viel Kraft es kostet diese hinter sich lassen zu können.

Und am Ende bleibt da nur die Frage: Warum? Warum er dort und ich hier? Warum sein Weg so viel steiniger als meiner?

Danke, für dieses wundervolle, aufrüttelnde Buch.

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