So viele ausgebrannte Frauen ...
Unter Dojczen„Unter Dojczen“ von Mia Raben ist ein sehr einfühlsames Buch mit einem wirklich wichtigen und gleichzeitig so „alltäglichen“ Thema. Erzählt wird die Geschichte der etwa fünfzigjährigen Polin Jola, die ...
„Unter Dojczen“ von Mia Raben ist ein sehr einfühlsames Buch mit einem wirklich wichtigen und gleichzeitig so „alltäglichen“ Thema. Erzählt wird die Geschichte der etwa fünfzigjährigen Polin Jola, die seit vielen Jahren als Pflegekraft in Deutschland arbeitet. Nach ihrem letzten Einsatz war sie völlig ausgebrannt und musste sich erholen. Nun geht es wieder zum nächsten Einsatz. Dieses Mal im schicken Hamburg, bei der wohlhabenden Familie von Klewen. Zwischen Jola und ihrer „Seniorki“ Uschi entwickelt sich mit der Zeit eine freundschaftliche Beziehung. Auch das Arbeitsverhältnis ist unerwartet gut, und zum ersten Mal schöpft Jola Hoffnung, dass sie wieder Kontakt zu ihrer inzwischen erwachsenen Tochter aufnehmen könnte. Wird eine Versöhnung gelingen?
Es gab gegen Ende einen Wendepunkt – hier hätte sich die Geschichte auch in eine andere Richtung entwickeln können. Mia Raben hat sich für eine optimistischere Richtung entschieden. Ich fand das gut. Die Realität mag (leider!) größtenteils für die vielen ausländischen Pflegekräfte noch anders aussehen, aber ein bisschen Hoffnung können wir hier brauchen.
Sowohl der Schreibstil auch die berührende Geschichte haben mir sehr gut gefallen.
Ganz klare Leseempfehlung von mir!
„Wenigstens Zigaretten waren in Polen noch billiger als in Deutschland. Und Menschen natürlich. Jola war zu alt für Illusionen. Das war der einzige Grund, warum sie hier erwünscht war: Sie war ein beliebtes, weil billiges Importprodukt. Wer würde dazu schon Nein sagen?“
"Vorauseilen. Gehorchen. Dienen. Erfüllen. Befriedigen. So hatte sie aktiv ihr Leben verkürzt. Sie hatte darüber einen Artikel gelesen. Pflegekräfte in der mitleidsfalle. Das was sie! Eine wie sie verlor ständig Lebensjahre. Wurden einfach hinten abgeschnitten wie ein Zopf."
"Ja, sie putzte immer noch ständig hinter sich her. Sie hinterließ nicht gern Spuren. Spuren waren ihr in der Vergangenheit immer wieder zum Vorwurf gemacht worden. Spuren boten Angriffsfläche. Wie oft war sie dafür kritisiert oder sogar angeschrien worden, irgendwelche Spuren hinterlassen zu haben!"
"Während der ersten Sitzungen hörte sie nur zu. Wie viele Frauen da waren, die an den unterschiedlichsten Orten gedient hatten, in Mistelgau, Königstein, Oberbetten, Mulmigen, Dörzbach und Eschwege, in Eystrup, Clenze und Wustrow. Als ihr das klar wurde, wie viele sie waren, was sie fassungslos. So viele ausgebrannte Frauen!"