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Veröffentlicht am 29.06.2024

Queere Romance ohne Überraschungen

Experienced. Die Liebe bietet unbegrenzte Möglichkeiten
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Eine queere Liebesgeschichte für den Pride Month - das habe ich mir von "Experienced" von Kate Young erwartet, allerdings auch ein bißchen mehr Tiefe für Protagonistin Bette, die mit 30 Jahren ihre erste ...

Eine queere Liebesgeschichte für den Pride Month - das habe ich mir von "Experienced" von Kate Young erwartet, allerdings auch ein bißchen mehr Tiefe für Protagonistin Bette, die mit 30 Jahren ihre erste lesbische Beziehung hat. Ihr Glück wird getrübt, als ihr ihre Freundin Mei eine Beziehungspause vorschlägt, damit Bette Erfahrungen sammeln kann und nicht irgendwann später im Leben bereut, bei der ersten Frau hängengeblieben zu sein, ohne irgendwelche Vergleichsmöglichkeiten zu haben, außer mit den unbefriedigenden Beziehungen mit Männern, die sie zuvor hatte.

So heult sich Bette erst mal bei der einzigen lesbischen Arbeitskollegin aus und versucht ihr Glück bei Online-Dating. Ihr Problem: sie ist einfach keine Frau für one night stands, bei ihr müssen Gefühle ins Spiel kommen, und die hat sie ja nur für Mei. Immerhin wird aus einem ihrer missglückten Dates die Freundschaft mit Rachel, die fortan zum Sounding board ihrer Liebesprobleme wird.

"Experienced" ist im Stil einer romantic comedy geschrieben und ähnlich vorhersehbar wie die heteronormative Variante. Wer die üblichen Strickmuster kennt, weiß schon früh, wie sich die Story entwickeln wird, insofern also keine Überraschungen beim Lesen. Als leichte Sommerlektüre ist das durchaus geeignet. Das Buck ist locker und gefällig geschrieben und die Figuren sind sympathisch.

Schön wäre es allerdings gewesen, wenn Bette auf ihrem Weg durch den Beziehungsdschungel mehr Profil bekommen hätte. Als queere Protagonistin ihres Alters in dieser Zeit kommt sie mir jedenfalls nicht besonders glaubwürdig vor. Dass sie ihr Coming Out mit 30 hatte und da zum ersten Mal eine Frau kennengelernt hatte, bei der es gefunkt hat - das ist das eine. Aber dass sie so lange benötigt hat, um zu erkennen, warum es bei ihr mit Männern einfach nicht klappt? Dass sie Frauen begehrt? Das ist einfach unrealistisch. Es mag ja sein, dass frau über Jahre dem erwarteten Rollenverhalten entspricht, erst recht, wenn gesellschaftliche und familiäre Zwänge eine Rolle spielen. Aber das eigene Empfinden setzt ja schon deutlich früher ein und im 21. Jahrhundert ist es unwahrscheinlich, dass eine Frau mit 30 Jahren völlig überraschend zu der Erkenntnis kommt, dass sie eigentlich Frauen liebt.

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Veröffentlicht am 29.06.2024

Roadtrip ins Familienchaos

Der Hund des Nordens
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"Der Hund des Nordens" von Elizabeth McKenzie klingt erst einmal vage nach Weite und Sternenhimmel. Bei dem Hund des Nordens handelt es sich allerdings nicht um ein Sternbild, sondern um den Van des Steuerberaters ...

"Der Hund des Nordens" von Elizabeth McKenzie klingt erst einmal vage nach Weite und Sternenhimmel. Bei dem Hund des Nordens handelt es sich allerdings nicht um ein Sternbild, sondern um den Van des Steuerberaters von Penny Rushs exzentrischer Großmutter. Penny, die gerade ihren Job gekündigt hat, nahezu pleite und deren Ehe vor dem Aus steht, hat eigentlich genug mit sich selbst zu tun.

Statt dessen ist sie Reisende in Sachen lieber Verwandtschaft: Die Großmutter, noch nie ganz einfach, muss befriedet werden, nachdem sie mit einer Waffe gedroht haben soll. Der Großvater, ein ausgesprochen netter Mann, hat eine zweite Ehefrau, die ihn ins Altersheim abschieben will. Und dann hat Penny auch noch Angst, ihr biologischer Vater könne sie mit einer seiner gefürchteten Kurzbesuche überraschen.

Dass Penny dann auch noch als Florence Nightingale in einer medizinischen Krise des Steuerberaters einspringen muss, war jedenfalls nicht vorgesehen. So kommt sie an den Van, dank dessen sie sich Übernachtungskosten sparen kann, Und schließt die Bekanntschaft mit Dale, dem wesentlich jüngeren Bruder des Steuerberaters, der als Strafverteidiger in San Francisco arbeitet. Eigentlich praktisch, denn als auf dem Grundstück der Großmutter menschliche Knochen gefunden werden, ist juristischer Beistand nötig.

McKenzie nimmt die Leser*innen mit auf einen Roadtrip zu Pennys exzentrischer Verwandtschaft und auf eine Reise nach Australien, wo Mutter und Stiefvater vor Jahren spurlos verschwanden. Eigentlich hat das Buch Potential, doch beim Lesen fehlte mir etwas. Es schien, als sei sich die Autorin nicht klar darüber, ob das nun ein unterhaltsam-verrückter Roadtrip werden sollte oder das Psychogram einer Mittdreißigerin, die aufgrund ihrer steten Verunsicherung, was Beziehungen zu anderen Menschen angeht und mit schwach ausgeprägtem Selbstbewusstsein irgendwie 20 Jahre jünger wirkt.Mehrfach enden Erzählstränge aprupt, was dem Roman etwas Unvollendetes gibt. "Der Hund des Nordens" hat charmante Momente, konnte mich aber nicht wirklich überzeugen.

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Veröffentlicht am 28.06.2024

Auf high heels durch die finnischen Wälder

Weißglut
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"Weißglut" von Tobias Quast spielt zwar im hohen Norden, genauer gesagt in Finnland, ist aber dennoch eher cozy als Scandinavia Noir. Hängt vielleicht auch damit zusammen, dass der Autor Deutscher ist, ...

"Weißglut" von Tobias Quast spielt zwar im hohen Norden, genauer gesagt in Finnland, ist aber dennoch eher cozy als Scandinavia Noir. Hängt vielleicht auch damit zusammen, dass der Autor Deutscher ist, wenn auch mit Finnland als zweiter Heimat. Ein deutsches Element liefert auch die Protagonistin, die Münchner Society Lady Sarah, die mit einer Auszeit in einem "Mökki", einem Ferienhaus an einem finnischen See, allem entkommen will: Dem schlagzeilenträchtigen Ehe-Aus, dem bevorstehenden Scheidungskrieg, den Geldforderungen ihrer Tochter und der Schickeria, die dank Illustrierten-Story weiß, dass sie von ihrem noch-Ehemann zugunsten einen 27-jährigen Schlagersternchens abserviert wurde. Danke, auf die öffentliche Demütigung kann sie verzichten.

In Finnland kennt zwar niemand Sarah, aber Probleme begleiten sie auch in die Idylle am See. Nicht nur, dass sie erst mal im falschen und nicht sonderlich heimeligen Mökki absteigt, sie findet am Morgen auch eine Leiche. Und ist für die Dorfgemeinschaft nicht nur die wahrscheinliche Mörderin, sondern wird auch gleich als heimliche Geliebte des Mannes gelabelt. Andere dagegen halten sie für eine Unterwelt-Russin. Und der ermittelnde Kommissar, der wie ein Klon des früheren Rennfahrers Mika Häkkinen aussieht und ständig Lakritze kaut? Sarah ist überzeugt, dass er nur darauf lauert, ihr Handschellen anzulegen.

Also muss sie selbst rauskriegen, wer den Nachbarn ermordet hat, mit tatkräftiger Hilfe der volltätowierten Anhalterin Ilvi, die trotz hippen Aussehens mit Sprichwörtern der finnischen Tradition um sich wirft. Auf high heels stöckelt Sarah durch finnische Wälder und auf Mittsommerfeste, versucht Tatverdächtige zu ermitteln und kommt hinter so manches Geheimnis der teilweise exzentrischen Dorfgemeinschaft.

"Weißglut" ist durchaus unterhaltsam, stellenweise in Richtung Klamauk, die Spannung hält sich allerdings in Grenzen. Im Grunde lebt das Buch von dem Kontrast der Luxusfrau in der eher kernigen naturnahen Umgebung und den Vorstellungen, die die Dorfbewohner von der Fremden haben. In einem zweiten Strang geht es um einen eher weltfremden und sozial isolierten Nachwuchswissenschaftler und seine Jagd nach einem Gegenstand, der die finnische Mythologie umschreiben könnte. Bis Sarah dahinter kommt, was das mit ihrer Mördersuche zu tun hat, hat der Roman ein paar Längen. Dennoch ein nettes Leseerlebnis mit ordentlich Skandinavien-Flair.

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Veröffentlicht am 24.06.2024

Tod eines Polizisten in einem zerrissenen Land

In einem fremden Land
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Kinny Glass arbeitet zwar bei der Polizei, mit Ermittlungen hat sie allerdings in der Regel wenig zu tun: Als Psychologin ist sie mehr für Supervision zuständig, aber auch Ansprechpartner für Polizeibeamte ...

Kinny Glass arbeitet zwar bei der Polizei, mit Ermittlungen hat sie allerdings in der Regel wenig zu tun: Als Psychologin ist sie mehr für Supervision zuständig, aber auch Ansprechpartner für Polizeibeamte in schwierigen Lebenslagen, nach traumatischen Einsätzen usw. In Alfred Bodenheimers "In einem fremden Land" betätigt sie sich dann aber doch als Detektivin, denn der Chef der Bereitschaftspolizei, der sie noch wenige Tage zuvor aufsuchte und über Schlafstörungen klagte, die auch ein Hinweis auf Depressionen sein könnten, ist tot: Während eines Urlaubs auf Zypern stürzte er in eine Schlucht und sowohl die zypriotischen wie auch die israelische Polizei legen sich schnell auf einen tödlichen Unfall fest.

Nach einem Gespräch mit der Witwe stößt Kinny allerdings auf Auffälligkeiten. Eine junge Polizistin, die einen autistischen jungen Palästinenser erschossen hat, sagt im Gespräch mit Kinny, sie habe den Anweisungen des nun toten Chefs gefolgt, proaktiv zu schießen, um Terrorangriffe zu verhindern - also auch dann, wenn noch keine tödliche Bedrohung vorliegt.

Das fremde Land im Buchtitel ist allerdings nicht Zypern, sondern Israel selbst: Wie viele ihrer Landsleute fühlt sich Kinny angesichts der Regierungskoalition Netanyahus, als sei ihr Land plötzlich ein anderes. Als Polizistin kann sie nicht an den Demonstrationen teilnehmen, doch sie fühlt sich den Menschen nahe, die gegen die Justizreform und die Schwächung der Gerichte auf die Straße gehen.

"In einem fremden Land" ist im Sommer vergangenen Jahres entstanden, als noch niemand ahnen konnte, wie der 7. Oktober und der Gazakrieg, die Sorge um die Geiseln das Land noch mehr zerreißen würden. Doch auch so sind die aktuellen Bezüge groß - die Inflation und die Lebenshaltungskosten, mit denen die Israelis zu kämpfen haben, die innere Zerrissenheit und Sprachlosigkeit zwischen Orthodoxen und Säkularen, rechten Siedlern und Linken, die in der neuen Regierung eine Katastrophe sehen.

Zerrissenheit erlebt Kinny auch in ihrer Familie: Sie hat sich zwar schon lange von der orthodoxen Lebensweise ihrer Eltern abgewandt, nun aber wieder stärker Kontakt mit ihnen. Ihr in New York lebender Bruder dagegen zeigt sich unversöhnlich und verweigert jedes Gespräch mit den Eltern, vor allem mit dem Vater. Immerhin kann sich Kinny darauf freuen, zum ersten Mal Großmutter zu werden. Ihr Freund und Immer-mal-wieder Lover aus der Tübinger Studentenzeit kann sie daher nicht so recht in seine Stuttgarter Praxis locken, die er ihr als Ausweg aus der depremierenden politischen Realität in ihrer Heimat anbietet.

"In einem fremden Land" hat zwar einen Krimi-Plot, vor allem aber ist das Buch eine Bestandsaufnahme des modernen Israels und seiner Einwohner, die um die Zukunft ihres Landes ringen - eine Zukunft, über die allerdings immer weniger Einigkeit herrscht. Wie der Chef der Bereitschaftspolizei nun ums Leben kam, wird zwar geklärt, scheint aber angesichts des Gesamtsettings fast schon nebensächlich.

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Veröffentlicht am 24.06.2024

Sektenthriller aus den Südstaaten

Die gehorsame Tochter
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Abigail ist in einer streng konservativen, isoliert lebenden Baptistengemeinde aufgewachsen, man könnte sie auch als Sekte bezeichnen. Dort werden traditionelle Werte gepflegt: Die Männer sind die Ernährer ...

Abigail ist in einer streng konservativen, isoliert lebenden Baptistengemeinde aufgewachsen, man könnte sie auch als Sekte bezeichnen. Dort werden traditionelle Werte gepflegt: Die Männer sind die Ernährer der Familie, geben auch sonst den Ton an, die Frauen kennen nur die Rolle als Ehefrau und Mutter. Eine Berufstätigkeit von Frauen wird abgelehnt, Abtreibung und Homosexualität sind streng verpönt. Abigail hat nie gegen dieses Leben rebelliert, sie kennt es ja nicht anders.

Ihre Welt gerät in dem Thriller "Die gehorsame Tochter" von Laure van Rensburg ins Wanken, als ihre Eltern beim Brand des Wohnhauses ums Leben kommen. Abigail ist die einzige Überlebende, die drei Jüngeren Geschwister waren zum Zeitpunkt des Unglücks im Haupthaus der Gemeinde. Doch war es ein Unglück? Abigail kann sich an nichts erinnern, hat einen Blackout, der mehrere Wochen zurückgeht. Sie wirkt wie versteinert, kann ihrer Trauer keinen Ausdruck geben. Und dann sind da noch die Flashbacks und Alpträume, in denen Feuer, Blut und ein Messer eine Rolle spielen...

Ist Abigail Zeugin eines Verbrechens gewesen - oder hat sie selbst etwas mit dem Tod der Eltern zu tun? Und welche Rolle spielt Summer, die junge Frau, die ein so ganz anderes Leben als Abigail führt, aber immer wieder Kontakt zu ihr sucht, um für einen Podcast über ihre Glaubensgemeinschaft zu sprechen?

Die Autorin spielt in diesem in den amerikanischen Südstaaten angelegten Thriller mit Suspense und Hinweisen, die in die eine wie auch in die andere Richtung gehen können. Zusammen mit Abigail, die in ihrer Gemeinschaft zunehmend in Isolation gerät, suchen die Leser*innen nach der Wahrheit, die nur ganz langsam ans Licht kommt. Es gibt sowohl äußere Dramatik als auch inneren Aufruhr, während Abigail längst vergessen geglaubten Erinnerungen auf die Spur kommt.

"Die gehorsame Tochter" ist ein spannender Thriller, setzt sich aber auch mit Misogynie und Religion als Mittel der Unterdrückung gerade von Frauen auseinander. Dabei wird auch deutlich, wie sehr das Leben in einer streng reglementierten Gemeinschaft Individuen verbiegen oder brechen kann.

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