Männliche Selbsterkenntnisse und #MeToo
Noch wach?Der Hype um "Noch wach?" von Benjamin von Stuckrad-Barre war schon vor dem Erscheinungsdatum groß. Schließlich stand der Autor schon vor Monaten in der Diskussion um die "Causa Reichelt" als Empfänger ...
Der Hype um "Noch wach?" von Benjamin von Stuckrad-Barre war schon vor dem Erscheinungsdatum groß. Schließlich stand der Autor schon vor Monaten in der Diskussion um die "Causa Reichelt" als Empfänger von Textnachrichten des Springer-Chefs Döpfner. Dass er dann einen Roman schrieb, in dem es um toxische Männlichkeit, Sex mit abhängig Beschäftigten und Karriere gegen Bettgeschichten ging, ließ natürlich an gewisse Vorgänge erinnern, in denen ganz konkrete Vorwürfe gegen eine ganz gewisse Person erhoben wurden. Ein Schlüsselroman also?
Vermutlich nicht zuletzt aus Erwägungen vor womöglich teuren und langwierigen Rechtsstreiten schrieb der Autor vorneweg, es handele sich um eine fiktive Geschichte, die von realen Ereignissen inspiriert worden sei. Immerhin, der Name Harvey Weinstein - ein Teil der Handlung spielt in Los Angeles - steht im Text. Vermutlich, weil der Mann erstens verurteilt ist und zweitens das Buch nicht lesen dürfte. Da steht Anwaltspost eher nicht ins Haus.
Ganz anders, wenn es um den Ich-Erzähler geht, seinen guten Freund, CEO eines Medienunternehmens, und einen gewissen Chefredakteur, von dessen Art und politischer Einstellung der Erzähler noch nie viel gehalten hat, doch als er von einer jungen Journalistin über das toxische Verhältnis zwischen ihr und dem Chefredakteur erfährt, glaubt er, etwas unternehmen zu müssen. Denn (anders als der Erzähler ist frau nicht sonderlich erstaunt, das zu hören): Der Alpha-Mann an der Senderspitze hat schon des öfteren junge Mitarbeiterinnen avancieren lassen. Frauenförderung ist ja löblich, wenn aber Praktikantinnen und Berufsanfängerinnen ohne Erfahrung Moderatorenjobs oder eigene Sendungen bekommen, fällt das auf. Wenn sie allesamt jung, blond, hübsch und vorzugsweise langbeinig sind, erst recht. Ach ja, im Bett lief da auch was, ihnen wurde suggeriert, es sei echte Liebe, nur die jeweilige Favoritin könne ihn verstehen und seine wunde Seele heilen....
Bis es dann eben vorbei war und die steile schnelle Karriere ebenso schnell wieder stockte.
Als der Erzähler von diesen Vorgängen hört, ist er traurig und empört. So etwas darf es doch nicht geben, und das im 21. Jahrhundert! (Wie gesagt, die meisten Frauen, nicht nur in den Medien, wären vermutlich weit weniger überrascht) Wie er versucht, seinen Buddy, den CEO, von der Schändlichkeit des Chefredakteurs zu überzeugen und sich immer mehr für und mit der Gruppe betroffener Frauen engagiert, darum geht es in dem Buch, das also kein Schlüsselroman ist. Wer die Vorgänge um die Causa Reichelt verfolgt hat, wird von der Entwicklung der Handlung dennoch nicht überrascht werden.
Dass sich der Erzähler als Ally versteht und den Frauen helfen will, ist in diesem locker (gewissermaßen für einen Liegestuhlplatz am Pool ideal) geschriebenen Roman mit dem Spagat zwischen Hollywood und Berlin, zwischen Filmindustrie und Medienwelt, durchaus sympathisch. Doch ach, es geht immer nur um die Kerle. Die Frauen, von der Whistleblowerin (in der gleichen Selbsthilfegruppe wie der Erzähler) vielleicht mal abgesehen, bleiben blass. Und der Erzähler leidet mindestens ebenso wegen seiner nun auf die Probe gestellten Freundschaft mit dem CEO, mit dem ihn Gespräche, durchgemachte Nächte und männerbündische Expeditionen verbiden, wie unter der Ausnutzung junger Frauen durch ihren obersten Chef.
Eben jene Freundschaft, die langjährigen Verbindungen zu dem Haus - das bleibt ebenso wenig hinterfragt, wie die übrigen Geschädigten des Systems. Denn ja, die jungen Frauen sind in eine emotionale Achterbahn geraten, ausgenutzt worden in einer ungleichen Beziehung - aber vorübergehend haben sie auch davon profitiert (und deshalb auch nicht klare Kante gegen Schlüpfrigkeiten und Übergriffigkeit gezeigt). Das bedeutete aber auch, dass anderen Frauen (oder auch Männern) trotz beruflicher Qualifikation und Erfahrung die gleichen schnellen Schritte auf der Erfolgsleiter verwehrt blieben.
Wirklich entlarvend ist "Noch wach?" nicht, die ausführliche moralische Empörung des Erzählers ist auch irgendwann ausgereizt. Ja, ist klar, er will einer von den Guten sein. Es hätte ihm (und dem Autor) aber nicht geschadet, die eigene Rolle stärker zu reflektieren und zu hinterfragen. Und den Frauen das Wort zu geben.