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Veröffentlicht am 18.09.2024

Von Freundschaft und Zahlen

Pi mal Daumen
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n ihrem Buch "Pi mal Daumen" schildert Alina Bronsky eine ungewöhnliche Freundschaft von zwei Menschen, die unterschiedlich nicht sein könnten. Oskar ist 16, hochbegabt, aber wenn es um zwischenmenschliche ...

n ihrem Buch "Pi mal Daumen" schildert Alina Bronsky eine ungewöhnliche Freundschaft von zwei Menschen, die unterschiedlich nicht sein könnten. Oskar ist 16, hochbegabt, aber wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen geht ohne jegliche Antennen. Der Junge mit Adelstitel und privilegiertem Elternhaus scheint an einer Form von Autismus zu leiden, hält selbst der eigenen Familie gegenüber eine merkwürdige emotionale Distanz. Räumlich hat sich das Näheproblem schon gelöst - er wurde in einer Altstadtvilla in unmittelbarer Nähe zur Uni einquartiert. WG-Suche ist eher nicht eines seiner Probleme.

Und dann setzt sich in der ersten Vorlesung ausgerechnet Moni neben ihn - 53 Jahre alt, drei Jobs gleichzeitig balancierend, während sie außerdem diverse Familienkrisen und Enkelbetreuung meistert. Mit ihrer Vorliebe für Raubtierprint, high heels und viel Make Up hält Oskar sie zunächst für prollig-peinlich, beschließt aber, ihr unter die Arme zu greifen bei den Übungszetteln, da Monika mit ihren formalen Bildungslücken schließlich nur scheitern kann.

Doch Oskar ist nicht nur zunehmend fasziniert von Moni und ihrer mütterlich-zupackenden Art, er stellt auch fest, dass sie bei allen Unterschieden aus gleichem Holz geschnitzt sind, geeint durch die Liebe zur Mathematik. Die Schönheit mathematischer Formeln bringt Oskar zum Träumen, überhaupt lebt er in einer Traumwelt, die vermutlich nur Mathe-Genies zugänglich ist. Gleichzeitig versucht er, Monis Geheimnissen auf die Spur zu kommen - warum verschweigt sie ihrer Familie, dass sie die Uni besucht? Woher kennt sie den Star-Professor, bei dem er unbedingt seine Abschlussarbeit schreiben will?

Bronsky schildert ähnlich wie in ihren vorangegangenen Büchern Charaktere mit Herz und Chuzpe, die Widrigkeiten trotzen und an ihren Träumen festhalten. Ein bißchen ist dieser Roman ein mathematisches Märchen, liebenswert und mit Humor, ohne seine Protagonisten blosszustellen. Als Nicht-Mathematikerin sind die Besonderheiten algebraischer Gleichungen für mich zwar Perlen vor die Säue, aber diese leicht erzählte Geschichte mit ernsten Untertönen, zugleich ein Appell für Toleranz für Menschen, die ganz anders sind, hat mich in ihren Bann gezogen.

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Veröffentlicht am 18.09.2024

Tod im Teesalon

Ein mysteriöser Gast
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Mit "Ein mysteriöser Gast" von Nita Prose gibt es ein Wiedersehen - in diesem Fall ein Wiederhören - mit Molly Gray und dem fünf Sterne Boutique-Hotel Grand Regency. Und der Genuss ist gleich doppelt, ...

Mit "Ein mysteriöser Gast" von Nita Prose gibt es ein Wiedersehen - in diesem Fall ein Wiederhören - mit Molly Gray und dem fünf Sterne Boutique-Hotel Grand Regency. Und der Genuss ist gleich doppelt, denn in der Hörbuchversion gibt erneut Anna Thalbach Molly ihre Stimme und besticht mit ihrer unverwechselbaren Stimme und großartigen Interpretation der liebenswerten, aber eben auch etwas besonderen Molly.

Seit ihrem ersten Fall hat Molly Karriere gemacht - sie ist jetzt Chefzimmermädchen und nimmt diese Aufgabe wie alles überaus ernst, ist ihr der Zustand allerhöchster Perfektion und Sauberkeit von Kindheit an ans Herz gelegt worden. Ihr zweiter Fall führt sie auch zurück in die eigene Vergangenheit, denn ein gefeierter Kriminalautor stirbt in dem von Molly liebevoll hergerichteten Teesalon des Grand Regency. Diesmal ist es nicht Molly, sondern ihr schüchternes Lehrmädchen, das unter Verdacht gerät, denn der Autor wurde offensichtlich vergiftet.

Es versteht sich, dass die nicht nur nach Sauberkeit, sondern auch nach Gerechtigkeit strebende Molly, deren kriminalistisches Wissen aus dem Konsum von Inspector Columbo-Folgen stammt, nicht untätig bleiben kann. Doch während sie in der Gegenwart ermittelt, führen Rückblenden in die Vergangenheit von Molly zurück: Da ihre Großmutter empört auf den Vorschlag der Schule reagiert, Molly wegen ihrer Probleme in der sozialen Interaktion mit anderen Kindern auf eine Sonderschule zu schicken, nimmt sie das Mädchen kurzerhand mit zu ihrer Arbeit in einem Herrenhaus, in dem Molly mit Hingabe das Silber putzt und der später ermordete Autor mit seiner cholerischen und ungerechten Gattin lebt.

Diese Szenen aus der Vergangenheit geben weiteren Einblick in Mollys Persönlichkeit, die Herausforderungen, die sie schon in jungen Jahren meistern musste und natürlich ein vertieftes Bild der innigen Beziehung zu ihrer Großmutter.

Molly mag als etwa merkwürdig im Umgang mit ihren Mitmenschen wirken, weil sie sich weder verstellen kann noch das Konzept von Ironie versteht, sondern alles wortwörtlich nimmt. Doch selbst die ermittelnde Polizistin beginnt im Laufe der Handlung Mollys besondere Eigenschaften zu würdigen und am Ende stellt sich gar die Frage: Könnte es sein, dass Molly eines Tages den Putzlappen weghängt und eine ganz neue Karriere startet? Überhaupt wartet am Ende eine große Überraschung auf das Zimmermädchen.

"Ein mysteriöser Gast" ist eine würdige Fortsetzung des ersten Bandes um das ermittelnde Zimmermädchen - warmherzig, humorvoll und zugleich respektvoll vor Menschen, die wie Molly mit besonderen Herausforderungen zu kämpfen haben, um durchs Leben zu kommen. Dazu die großartige Interpretation der wunderbaren Anna Thalbach, die allein für mich schon immer ein Grund ist, neugierig auf ein von ihr interpretiertes Hörbuch zu sein.

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Veröffentlicht am 14.09.2024

Von Drachenflüsterern und entschlossenen Prinzessinnen

Ich fürchte, Ihr habt Drachen
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Es ist schon eine seltsame, nicht unliebenswerte Welt, in die Peter S. Beagle mit seinem Roman "Ich fürchte, Ihr habt Drachen" lockt. Denn im Königreich Bellemontagne gelten Drachen als Ungeziefer wie ...

Es ist schon eine seltsame, nicht unliebenswerte Welt, in die Peter S. Beagle mit seinem Roman "Ich fürchte, Ihr habt Drachen" lockt. Denn im Königreich Bellemontagne gelten Drachen als Ungeziefer wie anderswo Ratten oder Kakerlaken. Statt eines Kammerjägers rückt dann der Drachenfänger an, in diesem Fall der junge Robert, der den in der feudalen Gesellschaft nicht sonderlich angesehenen Beruf von seinem Vater geerbt hat und viel lieber Leibdiener eines Aristokraten, am liebsten gar am königlichen Hof wäre. Mal abgesehen davon, dass Robert Drachen mag und es furchtbar findet, sie zu töten. Ein paar Drachlinge - Babydrachen - tummeln sich wie Haustiere im Haus seiner Mutter, vor allem von den jüngeren Schwestern heiß geliebt.

Doch im königlichen Schloss von König Antoine und Königin Helene muss Robert zum Groß-Drachenputz anrücken. Der Schloss muss gefälligst repräsentativ wirken, denn Prinzessin Cerise, bisher schwer angenervt von den Prinzen, die ihr ihre Aufwartung machten, hat sich tatsächlich in einen Prinzen verguckt. Reginald, Erbe eines großen Königreiches, ist ihr zufällig begegnet, als Cerise sich heimlich fortgeschlichen hat, um sich mühselig Lesen und Schreiben beizubringen. In Beagles Fantasywelt sind die Adeligen nämlich Analphabeten, Bildung ist etwas fürs gemeine Volk, wobei die Jungen schon früh die Schule verlassen müssen, um zu arbeiten - Robert beneidet seine Schwestern, die lernen dürfen.

Reginald ist aber auch mit den allgemeinen Bildungslücken seiner Klasse noch einmal besonders tumb geraten. Die aufgeweckte Cerise übersieht das allerdings, denn Reginald sieht aus wie der Inbegriff eines Helden - der soll es sein und kein anderer! Dass Reginald eigentlich ein ruhiges Leben ganz ohne Abenteuer ersehnt und verzweifelt versucht, sich seinem eher hartherzigen Vater zu beweisen, ist der entschlossenen Prinzessin nicht klar. Die Spaziergänge mit Reginald sind so nett und keimfrei, dass mir beim Lesen der Verdacht aufkam, dass der schöne Reginald vielleicht grundsätzlich nichts mit Prinzessinnen oder auch Frauen aus dem Volk anfangen kann.

Sei´s drum - Reginald muss ein Held sein, einen Drachen bezwingen , auch wenn es so ziemlich das Letzte ist, worauf er Wert legt. Auf dem Zug ins Abenteuer soll ihn Drachenexperte Robert begleiten - und auch Cerise lässt es sich nicht nehmen, ihren schönen Prinzen in Aktion zu sehen. Wie diese Quest dann noch ein bißchen mehr ist, als die drei samt ihres Trosses erwartet haben, das erzählt Beagle humorvoll, märchenhaft, mit sowohl düsteren als auch romantischen Szenen. Die bildhafte Sprache, die Protagonisten und nicht zuletzt die Drachenwelt machen diesen gelungenen Fantasyroman zu einem Lesevergnügen.

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Veröffentlicht am 12.09.2024

Kein Heideidyll

Von Norden rollt ein Donner
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Mit "Vom Norden rollt ein Donner" hat Markus Thielemann einen Anti-Heimatroman aus der idyllischen Heidelandschaft zwischen Celle und Uelzen geschrieben. Der 19-jährige Jannes ist Schäfer in der dritten ...

Mit "Vom Norden rollt ein Donner" hat Markus Thielemann einen Anti-Heimatroman aus der idyllischen Heidelandschaft zwischen Celle und Uelzen geschrieben. Der 19-jährige Jannes ist Schäfer in der dritten Generation eines Familienbetriebs, seine Eltern und sein Großvater arbeiten ebenfalls mit den Schafen. Doch die Idylle ist gleich mehrfach getrübt. Da ist zum einen die Angst vor dem Wolf. Gerüchte schwirren, auch wenn ihn noch keiner gesehen hat. Aber alle sind sicher, auf den nahegelegenen Truppenübungsplätzen wachsen Wölfe heran, die eine Bedrohung für die Schafe der Landwirte sind.

Auch Jannes ist immer nervös, wenn er mit der Herde durch die Heide zieht. Doch er spürt auch andere Ängste. Da sind zum einen die Aussetzer seines Vaters, der vergesslich wird oder manches ständig wiederholt. Sind es die gleichen Anzeichen wie bei der dementen Oma, obwohl keine Blutsverwandtschaft besteht und der Vater viel jünger ist?

Und auch Jannes fürchtet um seinen Verstand, denn er hat Visionen von einer verwahrlosten Frau, deren Gegenwart er spürt und die er manchmal sieht, gefolgt von einem Zusammenbruch, den er sich nicht erklären kann. Ist der Wahn ein Familienfluch? Und wieso erwähnt die Unbekannte einen Namen, den er von seiner Oma hörte, wenn diese jemanden suchte, der nicht zu existieren schien? Hat sie etwas zu tun mit der Kriegs- und Nachkriegszeit, mit den Lagern für Zwangsarbeiter? Spuken die Geister gequälter Menschen - auch das Konzentrationslager Bergen-Belsen lag in der Heide-Idylle - nach Jahrzehnten in die Gegenwart? Gibt es womöglich in der eigenen Familie Geheimnisse und dunkle Taten?

Ein Spuk ganz anderer Art kommt scheinbar harmlos daher, der neue Nachbar mit seiner seltsam altmodisch ausstaffierten Rede und Sprüchen über Volk und Heimat, über Wurzeln und Siedelei, Ausgerechnet Jannes´ Vater, dem schon der Schützenverein seines Schwiegervaters mit seinen kernigen Bemerkungen zuwider war, freundet sich mit dem Nachbarn an.

Thielemann schafft zwischen Angst vorm Wolf und wahnhaften Visionen eine düstere Atmosphäre und räumt nebenbei mit dem unkritischen romantisch-verklärten Bild des Heidedichters Hermann Löns auf. Ganz entschieden kein Heideidyll, aber ein faszinierend dunkler Heideroman.

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Veröffentlicht am 05.09.2024

Dialog in einer Zeit der Polarisierung

Muslimisch-jüdisches Abendbrot
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Wenn ich manche aufgeheizten Debatten - oder vielmehr wechselseitige konfrontative Monologe sehe - dann sind Paare wie Saba-Nur Cheema und Meron Mendel für viele Menschen vermutlich personifizierte Provokation. ...

Wenn ich manche aufgeheizten Debatten - oder vielmehr wechselseitige konfrontative Monologe sehe - dann sind Paare wie Saba-Nur Cheema und Meron Mendel für viele Menschen vermutlich personifizierte Provokation. So ein Paar dürfte es aus deren Sicht vermutlich gar nicht geben: Sie ist gebürtige Frankfurterin, Muslima, Tochter pakistanischer Eltern, die vor Verfolgung in ihrer Heimat nach Deutschland geflohen sind. Er ist Israeli, in einem Kibbutz in der Negev-Wüste aufgewachsen, kam zum Studium nach Deutschland und blieb. Beide arbeiteten viele Jahre an der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank zusammen, deren Direktor Mendel bis heute ist, beide sind wissenschaftlich und publizistisch tätig und veröffentlichen seit Jahren eine gemeinsame FAZ-Kolumne, deren Texte nun unter dem Titel "Muslimisch-Jüdisches Abendbrot" als Buch erschienen sind.

Zeitlos sind viele der Texte auch jenseits des Tagesjournalismus, auch wenn, natürlich, die Gesellschaft und die Polarisierung seit dem 7. Oktober 2023 eine große Rolle spielen. Dass die Texte jenseits des Tagesaktuellen so relevant und wichtig sind, liegt auch daran, dass hier zwei kluge, reflektierte, nachdenkliche Menschen das machen, was in den Blasen der Daueraufgeregtheit verloren geht: Auf Augenhöhe, voller Respekt miteinander reden, Unterschiede und Kontraste zulassen, die unterschiedlichen Ansichten von Menschen im Umfeld aushalten und sachlich zu reagieren, anstatt niederzuschreien.

Nun ist es so, dass ich die beiden und die Arbeit der Bildungsstätte seit vielen Jahren kenne und vielleicht als voreingenommen gelten mag. Aber dieser ernsthafte, nachdenkliche, durchaus auch mal ironische und selbstironische Blick auf die Gesellschaft, auf die Themen, die viele Menschen umtreiben, auf Identität und Zugehörigkeit, gesellschaftlichen Dialog und aktivistische Konfrontationen, dieser Blick fehlt mir in vielen Diskussionen, in denen sich beide Seiten voller Selbstgerechtigkeit und Alleinvertretungsanspruch an die Wahrheit beharken.

Das "muslimisch-jüdische Abendbrot" zeigt nicht nur, wie bereichernd unterschiedliche Blickwinkel, Erfahrungen und Ansichten sein können, sondern auch, wie bereichernd die wertschätzenden Auseinandersetzung jenseits von Pauschalisierungen sein kann. Und es macht klar: Miteinander reden ist sehr viel besser als übereinander schimpfen.