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Veröffentlicht am 22.11.2022

Auftragsmörderin im Herbst des Lebens

Frau mit Messer
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Hornclaw wird leicht übersehen - und das ist lebensgefährlich: Denn die zierliche ältere koreanische Dame und Protagonistin in Byeong-mo Gus "Frau mit Messer" ist seit 40 Jahren eine Auftragsmörderin. ...

Hornclaw wird leicht übersehen - und das ist lebensgefährlich: Denn die zierliche ältere koreanische Dame und Protagonistin in Byeong-mo Gus "Frau mit Messer" ist seit 40 Jahren eine Auftragsmörderin. Wer "Die Plotter" gelesen hat, entdeckt einen verwandten Geist, freilich ist Hornclaw, die mit ihrem scharfen Messer tötet, eher eine Killerin des intelligenten Anpirschens und nicht der brachialen Gewalt. Dennoch wird ihre Lage mit zunehmendem Alter und schwindenden körperlichen Kräften allmählich prekär, zumal ein junger, aufstrebender und genussvoll brutaler "Kollege" ihr das Leben schwer macht un alles tut, um innerhalb der die Aufträge vergebenden "Agentur" ihrem Ruf zu schaden.

Hornclaw, früh verwaist und vom Leben nicht gerade gut behandelt, ist eine Frau ohne Wurzeln und Bindungen, selbst ihrer Hündin, die ihr zugelaufen ist, begegnet sie mit Distanz - so kann ein Verlust sie nicht emotional treffen. Dass in ihrem Beruf alles, was als Schwäche ausgelegt werden kann, sehr schnell die eigene Existenz bedroht, versteht sich von selbst. Und so einfach in den Ruhestand verabschieden kann man sich als Auftragsmörderin wohl auch nicht so einfach.

Liegt es am Alter und der Erkenntnis, dass nicht mehr allzu viele Jahre bleiben könnten? Hornclaw merkt, dass sie einerseits verunsichert auf den Spott und die Diffamierung ihres jungen Kollegen reagiert und sich andererseit für einen deutlich jüngeren Mann interessiert. Ein neuer Auftrag wird für sie zu einem unerwarteten Interessenkonflikt und die Jägerin droht zur Gejagten zu werden.

Nachdem ich erst vor kurzem Marcel Huwylers "Frau Morgenstern und die Flucht" ebenfalls über eine angejahrte Killerin gelesen habe, hat es mich gleich gereizt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Frauen zu erkunden.

Vom Stil sind beide Bücher sehr unterschiedlich Byeong-mu Gu beschreibt die Gangsterwelt zwar nicht ganz so brachial wie Un-Su Kim, aber blutig und düster geht es auch in "Frau mit Messer" zu. Krimi, Charakter- und Milieustudie in einem lädt das Buch zur Entdeckung der koreanischen Unterwelt mit ihrem Ehrenkodex und ihren harten Regeln ein. Es bestätigt mich in meiner Meinung, dass es in Korea viel spannende (Kriminal)literatur zu entdecken gibt, die ganz ohne Exotismen den Lesehorizont erweitert. Die lakonische, unsentimentale Schreibweise passt sehr gut zu Inhalt und Protagonstin.

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Veröffentlicht am 01.11.2022

Integrationsdebatten und Alltag

Zusammenwachsen
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Wenn es um die Debatten zu Integration, Assimilierung, Tradition und Eigenständigkeit, Mehrheits- und Parallemgesellschaften geht, kann Musa Deli zweifellos mitreden - zum einen hat er als Sohn türkischer ...

Wenn es um die Debatten zu Integration, Assimilierung, Tradition und Eigenständigkeit, Mehrheits- und Parallemgesellschaften geht, kann Musa Deli zweifellos mitreden - zum einen hat er als Sohn türkischer Migranten, der selbst erst nach Jahren den Eltern nachgezogen ist, viel praktische Lebenserfahrung. Zum anderen kennt er als Leiter des Kölner Gesundheitszentrum für Migrantinnen und Migranten viele Probleme, Reibungspunkte und gegenseitige Missverständnisse aus dem Arbeitsalltag.

Sein Buch "Zusammenwachsen" ist nicht nur ein Plädoyer für gegenseitige Akezeptanz und Dialog, es macht aich deutlich, dass es eben nicht "DEN Migranten" gibt - und dies, obwohl er sich ganz überwiegen auf die türkeistämmige Community stützt. Eine Vielzahl von anderen Gruppen mit ihren jeweiligen Heruasforderungen, Problemen und Besonderheiten ist da noch gar nicht berücksichtigt.

Doch auch die türkische Commuity ist schließlich nicht homogen und nicht so, wie es aus der Perspektive von Stammtischdiskussionen oder soziologischen Hauptseminaren ausehen mag. Deli zeichnet auf, was die erste, zweite und dritte Generation von Migranten unterscheidet, berichtet von Kofferkindern und Heiratsmigration, von Lebensverhältnissen, demütigenden Erfahrungne, von Stolz und Diskriminierung, aber auch vom Verharren in Isolation, sozialem Druck innerhalb der Community und der wachsenden Entfremdung von der "Heimat", die die "Almansi" oder Deutschtürken machen.

Manchmal gerät allerdings auch bei Deli der Blick nicht über den Tellerrand. Die soziale Frage wird (wieder einmal, das fällt mir in Texten zu Migration immer wieder auf) ausgeklammert. Diskriminierung auf dem Wohmumgsmarkt, in der Schule, ungleiche Bildungschancen - das betrifft eben nicht nur Menschen mit einer Migrationsgeschichte. Und umgekehrt flieht nicht jeder Migrant aus der Armut, sondern kommt als Doktorand, Unternehmer, Spezialist usw durchaus mit ganz anderen Erfahrungen, Hintergründen und Perspektiven als diejenigen, die einst als "Gastarbeiter" aus entlegenen Orten in Anatolien geholt wurden.

Veröffentlicht am 01.11.2022

Kunstprofessorin auf Abwegen

Dämmerung. Falsch.
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"Dämmerung.Falsch" ist nicht nur der Buchtitel der schwedischen Autor*innen Tiina Nevala und Henrik Karlsson - es ist auch der Titel eines Gemäldes, Die Frage, ob es sich um ein unbekanntes Werk eines ...

"Dämmerung.Falsch" ist nicht nur der Buchtitel der schwedischen Autor*innen Tiina Nevala und Henrik Karlsson - es ist auch der Titel eines Gemäldes, Die Frage, ob es sich um ein unbekanntes Werk eines russischen Expressionisten handelt oder um eine Fälschung, beschäftigt die Polizei, seit das Bild bei den Ermittlungen zu einem Mordfall aufgetaucht ist. Die Ermittler holen sich professionelle Hilfe von der Kunstdozentin Nea Hallgren, die allerdings selbst Schwierigkeiten hat, sich festzulegen.

Zudem hat Nea gerade reichlich private Sorgen: Ihr spielsüchtiger Ehemann ist rückfällig geworden und hat hohe Schulden bei der Art von Leuten, die nicht lange fackeln, um ihr Geld zurück zu bekommen. Nea kann zwar eine Gnadenfrist erreichen - doch nun ist sie diejenige, die für die Rückzahlung gerade stehen muss. Und nicht nur das, auch Sparmaßnahmen in der Kunstakademie gefährden ihren Job. Ihre begabte Studentin Nadeshda hat eine Idee, wie Nea ihre finanziellen Probleme mit einem Schlag lösen könnte - legal sind die aber nicht.

Spoiler alert: Dass Kunstfälschung existenzrettend sein kann, ist eine Erkenntnis, die nicht nur Nea und Nadeshda teilen. Ein Fiesling von Kaufmann, dessen Beziehung zu Nadeshda Nea zunächst ein Rätsel ist verfolgt da ebenfalls Eigeninteressen und auch der Kommissar, der Nea als Expertin zu seinen Ermittlungen hinzugezogen hat, hat eine Agenda. Erste Eindrücke täuschen in diesem Schwedenkrimi aus der Kunstszene. Nea und Nadeshda sind dabei zwei toughe Frauen, die in einer schwierigen Situation unorthodoxe Wege einschlagen und zunehmend Gefallen an ihnen finden. Zugleich müssen sie aufpassen, dass ihre Aktionen nicht die Menschen gefährden, die ihnen am meisten bedeuten.

Die Grenzen zwischen Gut und Böse, zwischen ethischen Maßstäben und krimineller Energie verschwimmen in diesem Kunstkrimi wie die Farben eines impressionistischen Gemäldes. Gerade diese Ambivalenz gefällt mir allerdings. Die Protagonistinnen sind sympathisch und überzeugend, sorgen für die eine oder andere Überraschung. Das Ende lässt erwarten, dass dies nicht das letzte ist, was man von ihnen hört oder vielmehr liest.

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Veröffentlicht am 01.11.2022

Schuld, Lügen und Wahrheitssuche

Unschuld
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Mit seinem neuen Roman "Unschuld" hat sich Takis Würger weg von Semidokumentarischem und historischen Stoffen bewegt - und das ist gut so. Denn auch wenn der Plot sich relativ vorhersehbar bewegt und ...

Mit seinem neuen Roman "Unschuld" hat sich Takis Würger weg von Semidokumentarischem und historischen Stoffen bewegt - und das ist gut so. Denn auch wenn der Plot sich relativ vorhersehbar bewegt und sich die Überraschungsmomente in Grenzen halten, ist die Geshichte über eine junge Frau, die versucht, ihren Vater aus der Todeszelle zu retten und den Mordverdacht gegen ihn zu entkräften, durchaus unterhaltsam.

Allerdings sind die Protagonisten durch möglichs klaffende Gegensätze doch recht plakativ geraten - hier Molly, die junge Frau aus dem Wohnwagenpark einer amerikanischen Kleinstadt, die schon mit ihrem Namen Rosedale für die Dominanz einer Unternehmerfamilie steht, da eben jene Familie, die ein Beweis dafür ist, dass Reichtum und Einfluss auch nicht glücklich machen.

Mollys Vater sitzt in der Todeszelle, und die Zeit bis zu seiner Hinrichtung tippt. Molly glaubt an die Unschuld ihres Vaters, der als Mechaniker für die Rosedales gearbeitet hat und gestanden hat, deren ältesten Sohn Caspar erschossen zu haben. Um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, geht Molly mit Hilfe einer Journalistin undercover und heuert als Hausmädchen bei den Rosedales an. Rosedale Senior ist sofort misstrauisch und entlarvt sie als Reporterin, lässt sie aber bleiben unter der Bedingung, ihren Artikel freigeben zu dürfen. Sein jüngerer Sohn Joel hat eiin Alkoholproblem, ist hyperaktiv und wird offenbar von seinem Vater geschlagen. Die Mutter schwebt in höheren Sphären in einem Retreat, schätzt Flüstertöne und ruhig stellende Meidkamente. Wie gesagt, Reichtum macht nicht glücklich.

Dass auch Caspar nicht glücklich war, zeigt eine weitere Erzählebene, die einige Ereignisse aus Caspars Leben in den Wochen vor seinem Tod, seine erste Liebe und seine Träume von Flucht und Aufbruch schildern.

Als wäre hier nicht schon viel Schicksal am Werk, sind die Rosedales Vertreter der Waffenlobby und neigen ebenso wie Molly zu Medikamentenmissbrauch, währen Mollys Vater wegen eines Gendefekts an einer tödlich verlaufenden Krankheit leidet. Molly fürchtet, auch bei ihr könne in späteren Jahren Huntington ausbrechen, weigert sich aber konsequent, den Brief des Untersuchungslabors zu öffnen, das bei ihr einen Gentest vorgenommen hat.

Auf ihrer Suche nach der Wahrheit erlebt Molly zunächst zahlreiche Rückschläge, tastet sich aber auch mit Hilfe von Joel immer näher vor. Doch gleichzeitig läuft ihr die Zeit davon... Die Auflösung des wahren Verantwortlichen für den Tod Caspars hat mich nun wirklich nicht überrascht. "Unschuld" wirkt, als sei es bereits mit Gedanken an eine spätere Verfilmung geschrieben. Und bei der Umsetzung fürs Fernsehen oder die Leinwand kann Subtilität ja häifig hinderlich für einen Kassenerfolg sein.

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Veröffentlicht am 28.10.2022

Geplatzte Hochzeit mit Knalleffekt

Todesfalle Hochzeit in St. Peter-Ording
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Schon der Titel "Todesfalle Hochzeit in St. Peter-Ording" suggeriert: Der Start ins Eheglück steht in Stefanie Schreibers Buch um die Kommissarin Charlotte Wiesinger und den Hausmeister und "Hilfssheriff" ...

Schon der Titel "Todesfalle Hochzeit in St. Peter-Ording" suggeriert: Der Start ins Eheglück steht in Stefanie Schreibers Buch um die Kommissarin Charlotte Wiesinger und den Hausmeister und "Hilfssheriff" Torge Trulsen unter keinem guten Stern. Alle Festgäste samt Familie sind für die Hochzeit von Hotelerbin Constanze von Haferkamp erschienen, nur der Bräutigam fehlt. Er hat es sich nicht etwa in letzter Minute anders überlegt, sondern wird tot im Strandkorb gefunden, ausgerechnet von der Schwester der Braut, mit der er früher einmal liiert war.

Hat die Sitzengelassene ein Motiv? Oder der Ex-Freund der Braut, der verdächtig schnell zum Trösten und in der Hoffnung auf eine zweite Chance an ihre Seite eilt? Warum hatte das Brautpaar kurz vor der Hochzeit so erbittert um den Ehevertrag gestritten?

Torgen Trulsen jedenfalls jubiliert - er ist den professionellen Ermittlern in diesem Cozy-Krimi zunächst einen Schritt voraus, schließlich ist er als erster auf den Vermisstenfall gestoßen, weil seine Ehefrau Braut gucken wollte. Da ist es für ihn Ehrensache, weiter zu ermitteln - und praktischerweise wohnen die Hochzeitsgäste und naheliegenden Verdächtigen alle auf der Hotelanlage, die er als Hausmeister bestens kennt.

Die von Haferkamps, das stellt sich schnell heraus, sind nicht gerade eine große glückliche Familie, sondern untereinander ziemlich zerstritten. Doch auch der tote Bräutigam hat ein paar pikante Geheimnisse, die die geplante Ehe in ein ganz neues Licht rücken.

Wie in so manchem Cozy geht es hier eher um die Atmosphäre und die schöne Nordseelandschaft als um einen ausgeklügelten plot und charakterliche Tiefen. Die Schrulligkeit des blondgelockten Hausmeisters, der sich gerne durch polizeiliche Heldentaten hervortun will, wird zur Genüge ausgereizt. Wäre ich hier die ermittelnde Kommissarin, würde mich die Einmischung des Amateurs gewaltig nerven, aber die Autorin ist offenbar "Team Torge" und lässt ihm vieles durchgehen, was im wirklichen Leben no go wäre. Ich vermute aber, dass es den Fans der Serie ohnehin nicht um realistische Ermittlungsabläufe geht. Der Roman kommt eher langsam auf Touren, aber für Freunde des Nordens gibt es genügend Lokalkolorit, um das zu verzeihen.

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