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Veröffentlicht am 04.08.2020

Eine Anklage gegen das Nichts Tun

Terror gegen Juden
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Das vielleicht schlimmste an den Anschlägen von Halle und Hanau, außer dem Verlust von Menschenleben, war vielleicht: Keiner, der schon eine Weile mit dem Problem rechtsextremistischer Gewalt zu tun hatte, ...

Das vielleicht schlimmste an den Anschlägen von Halle und Hanau, außer dem Verlust von Menschenleben, war vielleicht: Keiner, der schon eine Weile mit dem Problem rechtsextremistischer Gewalt zu tun hatte, war überrascht. Die Gewalt, der Terror - sie kamen nicht unerwartet, nicht für viele jüdische oder muslimische Gemeinden, nicht für Migrantenorganisationen, nicht für die Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer oder antisemiticher Gewalt. Sie hatten sich schon seit langem die Frage gestellt, ob solche Taten in Deutschland möglich seien, sondern wo und wann. Dass sie nicht aus dem Nichts kamen, das macht auch Ronen Steinkes Buch "Terror gegen Juden" deutlich, das im Untertitel deutlich macht, was es ist: Eine Anklage.

Denn an den Text schließt sich eine rund 100-seitige Chronik antisemitischer Gewalttaten zwischen 1945 und Anfang 2020 an. Wohlgemerkt - hier geht es um Gewalttaten, um Angriffe auf Menscheb, Synagogen, Gemeindezentrum, nicht um Beleidigungen, Hetze, antisemitische Witze. Dann wäre das Buch deutlich umfangreicher und ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit geraten. Doch selbst der Vergleich über die Jahre zeigt: Es ist mehr geworden, und es ist schlimmer geworden, das verdeutlicht die Zahl körperlicher Angriffe in den vergangenen Jahren.

Für seine Recherchen hat Steinke mit Juristen gesprochen, mit Rabbinern, mit Staatsschützern, mit jüdischen Menschen, die teils im öffentlichen Leben stehen, teils ihr Judentum bewusst "diskret" behandeln.

Anklagend ist der Ton gerade, wenn es um den Anschlag von Halle geht: Wäre die Tür nicht so massiv gewesen, nichts hätte den Täter an dem beabsichtigten Blutbad ausgerechnet an Yom Kippur, also dem höchsten jüdischen Feiertag, verhindert. Einem Tag also, an dem die Synagoge voller ist als sonst, ähnlich wie christliche Kirchen an Weihnachten oder Moscheen zum Ende des Ramadan. Und trotzdem war keine Polizei vor Ort. Und auch vorher hatte es keinen Polizeischutz gegeben, mangels Staatsvertrag zwischen dem Land und den jüdischen Gemeinden. Die Tür war eine Spende einer Organisation aus Israel gewesen.

Wer in Berlin, Frankfurt oder München lebt, kennt die schwer bewaffneten Polizeiposten, die rund um die Uhr Synagogen und Gemeindezentren bewachen, die israelischen Wachleute, die im Inneren Dienst tun, die Betonpoller, die Sprengstoffanschläge mit Autos verhindern sollen. In Halle hat es all das nicht gegben - kein Einzelfall, gerade in kleinen Gemeinden außerhalb der Metropolregionen, die in der Regel zudem nicht das Geld haben, die vom zuständigen LKA empfohlenen Schutzmaßnahmen umzusetzen - und wo sich das jeweilige Bundesland mangels entsprechender Verträge nicht in der Pflicht sieht.

Die "nie wieder"-Reden an den einschlägigen Gedenktagen kosten nichts - bei Maßnahmen zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland fühlen sich die Gemeinden, das zeigt das Buch, vielfach allein gelassen. Das gelte auch dann, wenn Juden angegriffen werden - man solle doch nicht so empfindlich sein, bekommt danach manches Opfer zu hören. Sei doch alles nicht so gemeint. Das erinnert an die Erfahrungen derjenigen, die sich von Rassismus, Sexismus oder Homophobie betroffen fühlen.

Oder der Umgang mit dem Mord an dem Verleger Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin im Jahr 1980, wo bevorzugt persönliche statt antisemitischer Tatgründe untersucht wurden. Erinnert an NSU?

Steinkes Buch ist auch eine Abrechnung mit Verharmlosung, eine Absage an die resignative Grundstimmung, dass der Ausnahmezustand der Normalzustand jüdischen Lebens in Deutschland sei und eine Auflistung all jener Umstände, dass Juden vielleicht nicht gerade auf gepackten Koffern sitzen aber doch, wie einer der Gesprächspartner des Autors sagte, schon einmal auf dem Dachboden nach den Koffern sucht. Eine Zustandsbeschreibung, die bitter ist und nicht nur zum Nachdenken, sondern vor allem zum Handeln anregen sollte.

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Veröffentlicht am 02.08.2020

Ein Ostfriese auf Undercover-Mission

Rupert undercover - Ostfriesische Mission
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n den Küstenkrimis von Klaus-Peter Wolf geht es in der Regel um die ostfriesische Kommissarin Ann Kathrin Klaaasen und ihren Mann, man könnte auch sagen Adlatus, Frank Weller. Spannend, solide und mit ...

n den Küstenkrimis von Klaus-Peter Wolf geht es in der Regel um die ostfriesische Kommissarin Ann Kathrin Klaaasen und ihren Mann, man könnte auch sagen Adlatus, Frank Weller. Spannend, solide und mit friesisch-herbem Charme, allerdings muss ich zugeben, dass mich persönlich die allgemein anerkannte Perfektion der Kommissarin (keiner fasste so viele Serienmörder wie sie) ein wenig nervt. Der Spannung tut es obendrein Abbruch, wenn klar ist: Ann Kathrin Klaasen wird auch diese Herausforderung wuppen, am Ende gepriesen von ihrem persönlichen Hofberichterstatter bei der örtlichen Presse (die personenkultartige Verehrung durch den Lokaljournalisten, der im Auftrag auch mal Falschinformationen zugunsten der Ermittlungen verbreitet, stört mich schon berufsbedingt. So was geht gar nicht.). Und am Ende essen alle Marzipan und Torte von ten Kate.

Die komische, ja Anti-Figur bei so viel Perfektion ist Rupert. Es gibt fleißigere und engagiertere Leute bei der Polizei. Es gibt auch entschieden solche, die mehr politische Korrektheit verinnerlicht haben. Der Rupert ist der ewig Pubertierende, dessen Aufmerksamkeit besonders schnell von kurzen Röcken oder tiefen Ausschnitten abgelenkt wird, während seine new age-beseelte Ehefrau völlig unverständliche Geduld mit ihrem Gatten zeigt. Ruperts Macho-Sprüche können schon ziemlich nerven, doch auch wenn er sich bei der Arbeit selten ein Bein ausreißt, träumt er von künftiger Größe - schon mehrfach hat er sich beim BKA beworben. Allerdings bisher stets vergeblich.

Doch nun ruhen die Hoffnungen einer toughen rothaarigen Sonderermittlerin des BKA, die eigentlich ganz in Ruperts Beuteschema passt, auf dem Ostfriesen-Cop. Denn Rupert weist täuschende Ähnlichkeit mit dem Spross eines deutsch-südamerikanischen Drogenclans auf, der nun als Thronprinz die Geschäfte übernehmen soll. Zufälligerweise ist er wegen einer Überdosis in einem Gefängnis gelandet Beste Voraussetzungen, einen Ausbruch zu inszenieren und Rupert als Double auf Undercover-Mission zu schicken. Kann eigentlich nur schief gehen?

Mit "Rupert Undercover" hat Klaus Peter Wolf erstmals Rupert in den Mittelpunkt der Handlung gestellt. Für Komplikationen ist von Anfang an gesorgt, denn der weitgehend ungebriefte Rupert muss reichlich improvisieren. Getrübt wird seine Rolle als Mafia-Erbe durch die Tatsache, dass Frederico, der echte Drogen-Erbe, abgesehen von seinem Heroin-Problem ein kunstsinniger Weinkenner und Vegetarier ist. Bier und Currywurst können ab sofort nur noch konspirativ genossen werden. Mit Fredericos soziopathischen Gewährsmann Klebowski hat Rupert einen Mann an seiner Seite, vor dem er keine Schwäche zeigen darf - und dann wären da noch diverse konkurrierende Familien, die Frederico an Leib und Leben wollen sowie ein sadistischer Killer, der einen Auftrag durchzuführen hat.

Das ist teils slapstickhaft überdreht und voll überzogener Komik, teils aber auch voll brutaler Härte. Die Kombination dieser Elemente gelingt in "Rupert Undercover" allerdings nicht so gut wie, sagen wir mal, in einem Tarrantino Film. Der Autor scheint sich nicht zwischen Realsatire seiner eigenen Figuren und einem toughen Psychokrimi entscheiden zu können - und das macht die Schwäche von "Rupert undercover" aus. Das Buch ist nicht ohne Charme, aber bei der Umsetzung zwischen Cozy, Komik und Noir wäre eine einheitlichere Linie besser gewesen. Spannend ist es dennoch und am Ende zeichnet sich ab, dass Ruperts Undercover-Leben gerade erst begonnen haben könnte. Jedenfalls nach einer Verschnaufpause bei Marzipan und Torte. Fortsetzung folgt?!

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Veröffentlicht am 02.08.2020

Die dunkle Seite der Ferieninsel

Verschollen in Palma
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Ein Skandinavien Krimi unter der Sonne des Mittelmeers - kann das sein? Ja, und wie, so düster wie im hohen Norden, mediterranean noir, gewissermaßen! Jedenfalls in Mons Kallentofts neuen Beuch "Verschollen ...

Ein Skandinavien Krimi unter der Sonne des Mittelmeers - kann das sein? Ja, und wie, so düster wie im hohen Norden, mediterranean noir, gewissermaßen! Jedenfalls in Mons Kallentofts neuen Beuch "Verschollen in Palma", wo ein auf Privatdetektiv umgesattelter Ex-Polizist seine seit drei Jahren vermisste Tochter sucht. Ihre Spur verliert sich auf der Urlaubsinsel, wo sie zusammen mit zwei Freundinnen zum ersten Mal allein Urlaub machte. Es war Tim, der Vater, den sie von der Reise überzeugen konnte und der dann auch seine zunächst ablehnende Frau Rebekka zu ihrem Einverständnis überredete. Doch nach einer Partynacht verliert sich Emmes Spur, ihre Freundinnen haben die Eltern erst nach einem Tag informiert, weil sie meinten, Emme würde schon zurück ins Hotel kommen nach einer wilden Nacht.



Auch drei Jahre später will Tim nicht glauben, dass Emme tot ist, möglicherweise betrunken schwimmen gegangen und im Meer ertrunken, wie die Polizei meint. Er hat seine Zelte in Schweden abgebrochen, die Ehe ist über der Familientragödie kaputt gegangen. Wo Rebekka sich in ihre Arbeit als Ärztin stürzt, geht Tim neben seiner Arbeit an Untreueermittlungen oder Bootsbetrügern weiter jeder Spur nach, die sich vieleicht doch noch auftun könnte, mit mehr Alkohol und Tabletten, als gut für ihn ist. Der Leser erlebt ihn als einen gebrochenen, kaputten Helden, den eigentlich nur noch die Verzweiflung und seine selbstgesteckte Mission aufrecht halten, einer, der auf der falschen Seite der Avenida lebt und vor allem die Schattenseiten des Urlaubsparadieses kennt.



Das gilt umso mehr für den neuen Fall - ein deutscher Millionär befürchtet Untreue seiner sehr viel jüngeren Ehefrau, was Tim innerhalb einer Woche eindeutig bestätigen kann. Doch dann überstürzen sich die Ereignisse: Der Lover, ein Escort, wird ermordet aufgefunden, Tatwaffe war ein Baseballschläger, wie ihn der gehörnte Ehemann in seiner Villa hatte. Die Ehefrau ist spurlos verschwunden,. Der Deutsche unter dringendem Tatverdacht festgenommen. Doch Tim glaubt nicht, dass es so einfach ist und ermittelt auf eigene Faust.



Schon bald merkt er, dass er in ein Hornissennest gestoßen ist: Korruption, Immobiliengeschäfte, Parties mit sehr jungen Frauen und Prostituierten, bei denen es ausgesprochen hart zur Sache gehen kann. Die feine Gesellschaft von Mallorca hat eine dreckige Seite und etwas dagegen, wenn ein Detektiv sie demaskieren will. Doch als Tim auf ein Foto stößt, auf dem eine rosa Jacke zu sehen ist, wie sie Emme getragen hat, gibt es für ihn kein Halten mehr . Doch er hat sich mit skrupellosen Gegnern eingelassen, die ihre Interessen buchstäblich mit aller Gewalt schützen...



Düster und dramatisch liest sich "Verschollen in Palmen", mitunter auch so wirr wie ein Alkohol- oder Drogenrausch, mit Einsprengseln aus der Gedankenwelt der verschwundenen Emme, als seien nur ihre Erinnerungsfetzen noch vorhanden. Auf ein Licht am Ende des Tunnels zu hoffen ist dabei müßig. Definitiv kein Cozy-Urlaubskrimi, aber für Freunde des Scandinavia noir wärmstens zu empfehlen.

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Veröffentlicht am 31.07.2020

Tödliches Würfelspiel

Die Rückkehr des Würfelmörders (Ein Fabian-Risk-Krimi 5)
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„Reine Bosheit hat noch nie ein Motiv gebraucht und wird auch nie eins brauchen“, heißt es im Prolog von Stefan Ahnhems Thriller „Die Rückkehr des Würfelmörders“ und Bosheit, Menschenverachtung und grausames ...

„Reine Bosheit hat noch nie ein Motiv gebraucht und wird auch nie eins brauchen“, heißt es im Prolog von Stefan Ahnhems Thriller „Die Rückkehr des Würfelmörders“ und Bosheit, Menschenverachtung und grausames Kalkül bietet der schwedische Autor seinen Lesern reichlich. Nachdem der Vorgänger „Zehn Stunden tot“ (dazu mehr hier: https://skandinaviaspannung.blogspot.com/2019/05/nervenzehrende-spannung-und-ein-bichen.html) mit einem Cliffhanger endet, denkt der Serienmörder gar nicht daran, mit seinen Taten zu stoppen. Und auch der andere Täter, gegen den Kommissar Fabian Risk nur heimlich und hinter dem Rücken seiner Kollegen ermitteln kann, mordet weiter.

Immerhin, nachdem die Ermittler im ersten Band – im Gegensatz zu den Lesern – im Dunkeln tappten, erkennen sie nun, dass die völlig unterschiedlichen Morde, für die sie auch schon Täter zu haben glaubten, in einem Zusammenhang stehen. Doch bis sie ahnen, wie der Mörder seine Opfer findet, gibt es weitere Leichen. Auch hier könnten sensible Gemüter wieder an ihre Grenzen stoßen.

„Die Rückkehr des Würfelmörders“, das ist eben auch eine Studie des Bösen, ein Wettlauf gegen die Zeit mit zusätzlichen Komplikationen, privaten Schicksalsschlägen und viel Drama. Das gilt ganz besonders für den nervenzehrenden Showdown.

Vielleicht liegt es auch daran, dass ich die Charaktere schon zu einem Großteil aus dem ersten Band kannte – die „Rückkehr“ las sich jedenfalls leichter als der mitunter recht komplizierte erste Teil, in dem sich manche Zusammenhänge erst recht spät erschlossen. Die Tatsache, dass für diejenigen, die den ersten Band kennen, ein Serienmörder bereits bekannt ist, tut der Spannung keinerlei Abbruch, im Gegenteil. Denn das Katz- und Maus-Spiel zwischen Fabian Risk und seinem Gegner gewinnt noch an zusätzlicher Dramatik und am Ende des Buches stellt sich die Frage, ob für den Kommissar nun wirklich schon alles ausgestanden ist. Denn auch der Kopenhagener Polizeichef hat ihn im Visier…

Überhaupt, die Dänen – Ahnhem bringt auch das nicht immer ungetrübte Verhältnis der skandinavischen Nachbarn mit ins Spiel, was gewissermaßen für die dringend benötigte leichtere Note sorgt zwischen all den Leichen. Da scheint es ja ähnliche Gefühle zu geben wie zwischen Kölnern und Düsseldorfern.

Doch ob Fabian Risk nun auf dieser oder jener Seite des Sunds auf Mörderjagd geht: Spannung und beschleunigter Puls sind garantiert.

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Veröffentlicht am 23.07.2020

Der Traum vom afrikanischen Messi

Spiel des Lebens
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Vom Lifestyle, Geld und vor allem vom Ruhm der Profifußballer sind wohl Kinder und Jugendlicher in aller Welt beeindruckt, die sich für Fußball interessieren. Und nirgends sind die Träume und die Hoffnungen ...

Vom Lifestyle, Geld und vor allem vom Ruhm der Profifußballer sind wohl Kinder und Jugendlicher in aller Welt beeindruckt, die sich für Fußball interessieren. Und nirgends sind die Träume und die Hoffnungen größer als in den Ländern des globalen Südens, wo viele Menschen in Armut leben und die Bildungs- und Aufstiegschancen für die meisten Kids gering sind - und wo gleichzeitig die Liebe zum Fußball enorm ist. Der Straßenfußball, den man in Deutschland ja immer weniger findet, weil der sportbegeisterte Nachwuchs "ordentlich" im Verein angemeldet wird, ist in den Ländern Afrikas allgegenwärtig.

In "Spiel des Lebens" beschreibt Sebastian Abbot ein Scouting-Projekt des Golfstaats Katar und des spanischen Talentsuchers Josep Colomer, der das Projekt "Football Dreams" ins Leben gerufen hat, auf der Suche nach dem neuen, dem afrikanischen Messi. Mit der "Aspire"-Akademie in Doha, mehr noch aber ihrem Ableger in Senegal sollte der talentierteste Nachwuchs auf die mögliche Profi-Laufbahn vorbereitet werden. Und diese Laufbahn, in einem europäischen Club, hatte jedes der jungen Talente, die sich in den Tryouts durchsetzen konnten, als großes Ziel vor Augen.

Im Originaltitel heißt das Buch "Away Game" - und das trifft die Motivation der jungen Fußballer sogar noch besser. Denn ihr Ziel ist es ja, weg zu kommen aus ihren Ländern, aus Afrika, dorthin, wo ihre großen Vorbilder in den Spitzenclubs der Ligen spielen. Abbot hat lange recherchiert, mit Trainern, Scouts und Football Dreams-Mitarbeitern gesprochen, vor allem aber immer wieder mit den jungen Spielern, die er porträtiert und deren Weg er über die entscheidenden Jahre zwischen Straßenfußball und der Suche nach einem Profi-Vertrag verfolgt.

"Spiel des Lebens" zeigt - Träume können an der Realität, an falschen Entscheidungen oder auch an menschlichen Querelen hart scheitern. Die Jungen aus Ghana, Senegal, Nigeria und anderen Ländern, die die Chance durch Football Dreams nutzen wollen, müssen lernen, dass Talent und Ehrgeiz, auch die Spielerfahrung, die sie auf der Straße und Schotter-Bolzplätzen gesammelt haben, nur bis zu einem gewissen Punkt helfen. Denn Profi-Fußball ist vor allem ein Geschäft - und da wollen viele mitmischen. Mal ist es ein falscher Berater, der nur an das schnelle Geld und nicht an das beste für den Schützling denkt, mal ist es die Erwartungshaltung der Familie, die die jungen Spieler unter Druck setzt.

Hinzu kommt Altersbetrug, der wohl auch bei einem erheblichen Teil der Jungen im Spiel war und der angesichts der weit verbreiteten Korruption in ihren Herkunftsländern leichter durchzubringen war als in Europa. Da stellt sich dann auch die Frage, ob die Akademie, ob Football Dreams nicht gleich bei der Entscheidung über die Tryouts viel genauer hätte hinsehen müssen. Manches, was Abbot über Spielintelligenz und Leistungsvermögen schreibt, ist ziemlich langgezogen und wohl nur für diejenigen interessant, die sich genauer mit Fragen von Training und Leistungssteigerung befassen. Persönlich fand ich es viel spannender, über die Wege der jungen Fußballer zu Erfolg oder Scheitern zu lesen.

Ein Problem, das die jungen Spieler mit europäischen Altersgenossen gemeinsam haben dürften, die in den Profi-Fußball wollen: Die wenigsten haben einen Plan B für den Fall, dass es doch nicht klappt mit der Profikarriere. Im Fall der afrikanischen Spieler sind die Konsequenzen angesichts verbreiteter Jugendarbeitslosigkeit noch einmal wesentlich härter, vor allem, da kaum einer der porträtierten Spieler einen Schulabschluss vorweisen konnte, nicht einmal nach den Jahren mit Schulunterrricht in der Akademie. Dass sich das bitter rächen kann, ist wohl nicht überraschend.

Ich habe einen Artikel über "Spiel des Lebens" gelesen, in dem von Neokolonialismus und modernem Sklavenhandel die Rede war. Na ja - Katar hatte nie Kolonien in Afrika, und der Handel mit Fußballtalenten geschieht ja nun wirklich nicht ohne Mitwirkung und Einverständnid der gehandelten. Da würde ich dann eher an das Schicksal der asiatischen und afrikanischen Bauarbeiter und Hausangestellten in Katar und anderen Golfstaaten denken, die oft unter Bedingungen leben und arbeiten, die mehr an Sklaverei als an einen regulären Job erinnern.

Sind die Träume der jungen Fußballer unrealistisch? Wer schon einmal die Begeisterung afrikanischer Kinder erlebt hat, die auf holprigen Böden barfuß oder in Flip flops dribbeln und kicken, ob in Slums, in Flüchtlingslagern oder in Dörfern, die vergessen vom Rest der Welt scheinen, notfalls mit einem aus Lumpen zusammengenähten Ballersatz, weiß: Fußball ist in Afrika viel mehr als nur ein Spiel. Wenn dann noch die Hoffnung keimt, gut genug für eine Laufbahn als Profi zu sein, haben diese Kinder und Jugendlichen viel weniger Ablenkungspotential als ihre europäischen Altersgenossen, einfach schon deshalb, weil die meisten von ihnen so viel weniger zur Verfügung haben. Diesen unbedingten Glauben an sich selbst und die eigenen Fähigkeiten zu haben, kann ja durchaus positiv sein. Nötig wäre sicherlich mehr Ehrlichkeit der Ausbilder gewesen, dass nicht jeder es schaffen kann und ein Plan B nötig ist. Aber ehrlich - welcher talentierte Teenager rechnet schon mit Scheitern?