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Veröffentlicht am 14.07.2024

Tote Ehemänner im Lockdown

Ein Mann zum Vergraben
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Femizide, sogenannte Ehrenmorde, physische und psychische Gewalt oft über Jahre Hinweg - Wenn es um Gewalt in einer Beziehung geht, sind die Täter fast immer männlich, die Opfer ihre Ehefrauen, Partnerinnen, ...

Femizide, sogenannte Ehrenmorde, physische und psychische Gewalt oft über Jahre Hinweg - Wenn es um Gewalt in einer Beziehung geht, sind die Täter fast immer männlich, die Opfer ihre Ehefrauen, Partnerinnen, Töchter. Die Statistiken von Organisationen wie Terre des femmes sind ernüchternd und schockierend. Damit ein so ernstes und hartes Thema Gegenstand eines durchaus humorvollen Kriminalromans ist, braucht es vermutlich den berühmten schwarzen britischen Humor - und genau das funktioniert in "Ein Mann zum Vergraben" von Alexia Casale ziemlich gut.

Es war ein Unfall. Als Ehemann Jim sie in einem seiner Wutanfälle einmal wieder mit kochendheißem Wasser übergießen will, greift die englische Hausfrau Sally, Mutter zweier erwachsener Kinder, zum erstbesten Gegenstand, um ihn abzuwehren. Dass die gusseiserne Pfanne, ein Erbstück ihrer Oma, derart fatale Wirkung hat, merkt sie erst, als Jim tot auf dem Küchenboden liegt.

Nach einem Schaumbad und einer Eis- und Kuchen-Orgie ringt Sally mit sich selbst: Sollte sie nicht die Polizei rufen? Würde ihr Notwehr angerechnet? Doch andererseits findet sie, sie hat jede mögliche Strafe in ihrer mehr als 20 Jahre dauernden Ehe verbüßt. Bleibt die Frage: Wie entsorgt man einen toten Ehemann, ohne eine Festnahme zu riskieren? Dass gerade Corona-Lockdown herrscht, macht es einerseits komplizierter, andererseits einfacher.

Zwischen Schuldgefühlen und Plänen für ein anderes, glücklicheres Leben muss Sally feststellen: Sie ist nicht allein. In ihrer eigentlich überschaubaren Nachbarschaft lernt sie weitere Frauen in ählnicher Situation kennen. Als "Club der heimlichen Witwen" und unter Beachtung der Abstandsregeln planen sie die Entsorgung ihrer toten Ehemänner. Ein Plan muss her, der das Verschwinden der vier Männer so erklärt, dass kein Verdacht auf die Frauen fällt.

Immer haarscharf am Rande eines Nervenzusammenbruchs stellen sich die Frauen Grenzsituationen, erleben aber auch Sisterhood, Solidarität und Zuspruch. Und vor allem: Endlich können sie über das reden, was sie jahrelang aus Scham Freundinnen und Angehörigen verschwiegen haben.

Die Autorin hat sich jahrelang für misshandelte Frauen engagiert und besonders glaubwürdig ist das Buch dort, wo es der Frage nachgeht: Warum beenden so viele Frauen eine toxische Beziehung nicht einfach, die für sie ganz offensichtlich auch tödlich enden könnte? Warum werden Hilfsangebote, so sie denn kommen, abgelehnt und heile Welt vorgespielt? Bei allem Humor und seinen sympathischen Protagonistinnen wird das ernste Thema häuslicher Gewalt nicht heruntergespielt oder verharmlost. Gleichzeitig hilft der britische Humor, mit einem Lächeln durch das Buch zu gehen. Zugleich weckt Casale Sensibilität für ein Thema, das immer noch in der Öffentlichkeit zu sehr verharmlost wird.

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Veröffentlicht am 14.07.2024

Auf der entlegensten Insel der Welt

Willkommen auf Tuga
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Charlotte Walker, introvertierte upper class-Veterinärin aus London, versteht viel von Schildkröten, aber der Umgang mit anderen Menschen war für die zurückhaltende Frau, die auch als Studentin und Nachwuchswissenschaftlerin ...

Charlotte Walker, introvertierte upper class-Veterinärin aus London, versteht viel von Schildkröten, aber der Umgang mit anderen Menschen war für die zurückhaltende Frau, die auch als Studentin und Nachwuchswissenschaftlerin nicht das Haus ihrer Mutter verlassen hat, schon immer eine Herausforderung. Und trotzdem bricht sie gewissermaßen aus ihrem Schneckenhaus aus, trotzt Seekrankheit und Schüchternheit, um für ein Jahr nach Tuga zu reisen, die entlegenste Insel der Welt. Ein Jahr lang will sie eine seltene Schildkrötenart und ihre Bedeutung für das Ökosystem erforschen.

Doch Charlotte hat noch einen zweiten Punkt auf ihrer Agenda. Sie ist ziemlich fest davon überzeugt, dass ihr Vater, den sie nie kennengelernt hat, von Tuga stammen könnte, diesem britischen Überseegebiet, das zwar mittlerweile unabhängig ist, in vielem aber an das Großbritannien der 1950-er Jahre erinnert.

"Willkommen auf Tuga" von Francesca Segal beschreibt Charlottes Inseljahr, die Faszination der farbenfrohen tropischen Pracht, die ganz eigene Inselgesellschaft, in der man nie so wirklich allein sein kann, Freundschaften und Konflikte. Mit ihrer Faszination für Schildkröten ist Charlotte so ziemlich alleine, dagegen sind viele Insulaner an Charlottes Fähigkeiten als ausgebildete Tierärztin interessiert. Also Kaiserschnitt beim Mutterschaf statt Forschungsexkursion, Behandlung von Euterentzündungen statt Brüten über Daten und Statistiken.

Auch Charlottes Gefühlsleben wird auf Tuga ziemlich aufgewühlt. Denn schon auf der Überfahrt fühlte sie sich von dem neuen Inselarzt Dan Zerki durchaus angezogen. Bei der Landung auf Tuga stellt sich dann heraus, dass er ihr seine Verlobte verschwiegen hat, die in einem halben Jahr mit dem nächsten Schiff nach Tuga kommen will. Ziemlich irritierend ist auch ihr Vermieter, der gutaussehende Levi mit seinen Macho-Sprüchen.

Kurz, Charlottes Zeit auf der Insel verläuft ein bißchen anders, als sie sich das vorgestellt hat, während die Suche nach ihrem Erzeuger zu Hinweisen führt, die Charlotte zutiefst erschüttern werden.

"Willkommen auf Tuga" ist mit leichter Hand geschrieben und entführt die Leser*innen in ein tropisches Inselparadies mit so manchen exzentrischen Bewohnern, einem liebenswerten Charme und einem ganz eigenen Lebenstempo. Ein humorvoller, warmherziger Wohlfühlroman, der Fernweh weckt und auch nachdenkliche Momente hat.

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Veröffentlicht am 12.07.2024

Hinter den Masken

Was der See birgt
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Lenz Koppelstätter ist als Autor der Reihe um den Südtiroler Kommissar und Teilzeitbauer Grauner bekannt. Mit "Was der See birgt" startet er eine neue Serie um die ehrgeizige Polizeireporterin Gianna ...

Lenz Koppelstätter ist als Autor der Reihe um den Südtiroler Kommissar und Teilzeitbauer Grauner bekannt. Mit "Was der See birgt" startet er eine neue Serie um die ehrgeizige Polizeireporterin Gianna Pitti. Schauplatz ist nun nicht Südtirol, sondern der Gardasee, wo Pitti bei einer Lokalzeitung arbeitet und für eine gute Story auch schon mal zu unsauberen Methoden greift. Insgeheim strebt sie ihrem von einem Jahr spurlos verschwundenem Vater, einem investigativen Journalisten nach - auch wenn die Fälle, über die sie normalerweise berichtet, nicht unbedingt die ganz große Nummer sind.

Als sie noch vor Dienstbeginn sieht, wie eine Leiche aus dem See geborgen wird, hofft sie auf einen Knüller - und muss feststellen, dass sie den Toten, einen Kollegen aus Mailand, kannte und noch den vergangenen Abend mit ihm verbracht hatte. Der junge Journalist träumte von einer investigativen Karriere - war er einer großen Geschichte auf der Spur?

Giannas Neugier ist geweckt, sie beginnt eigene Ermittlungen , nur um von ihrer Chefredakteurin und ihrem adeligen Onkel gebremst zu werden. Sie wollen keine Geschichte verhindern, sondern verraten Gianna, dass es Zusammenhänge mit ihren eigenen Recherchen nach dem Verschwinden von Giannas Vater geben könnte.

Schon bald ist klar - es gibt geheime Umtriebe am See, die sich auf die Villa des exzentrischen Dichters D´Annunzio zu konzentrieren scheinen. Eine junge Frau berichtet von geheimnisvollen Festen, die zum Exzess ausarten, von Umtrieben, aus denen niemand aussteigen kann und die sich durch einflussreiche Kreise zu ziehen scheinen. Wem können Gianna und ihr Team überhaupt noch trauen? Ist der Staatsanwalt Freund oder Feind? Verflechtungen einer Krake, so zeigt sich, gibt es nicht nur in Sizilien oder Neapel. Spannend geschrieben mit einem Cliffhanger-Ende, das neugierig auf den nächsten Band macht.

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Veröffentlicht am 09.07.2024

Frau. Berge. Freiheit.

Das Flüstern im Eis
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Von wegen Vollblutpolizist: Commissario Grauner ist zwar Mordermittler in Bozen, sein Herz hängt aber am Nebenerwerb als Viechbauer, an seinen 16 Kühen, dem Hof, und dem ruhigen ländlichen Leben. Lieber ...

Von wegen Vollblutpolizist: Commissario Grauner ist zwar Mordermittler in Bozen, sein Herz hängt aber am Nebenerwerb als Viechbauer, an seinen 16 Kühen, dem Hof, und dem ruhigen ländlichen Leben. Lieber früher als später will er in den vorgezogenen Ruhestand gehen, den Hof an die Tochter übergeben und sich mit seiner geliebten Alba auf die Alm verziehen. Doch Grauner kommt gar nicht dazu, dem Staatsanwalt seine diesbezüglichen Wünsche mitzuteilen in Lenz Koppelstätters "Das Flüstern im Eis". Es gilt, einen Mord zu ermitteln, seinen letzten Fall, so hofft Grauner.

Immerhin muss er dazu nicht in die verhasste Stadt, sondern in ein Südtiroler Dörfchen am Fuße des Ortlers. Der Leiter der dortigen Bergwacht ist dort tot aufgefunden worden, und die Mistgabel in der Brust macht es schwer, hier einen natürlichen Todesfall zu vermuten. Um sein Team zusammenzurufen, braucht Grauner nicht lange: Seine Mitarbeiter Tappeiner und Saltapepe sind bereits vor Ort, auf einer Hütte, um den Wettbewerb zweier Eiskletterinnen auf der Ortler-Nordwand zu verfolgen. Schließlich will Südtirolerin Tappeiner ihrem neapolitanischen Freund und Kollegen die Bergwelt schmackhaft machen.

Drama allerdings auch am Gletscher, denn die iranische Kletterin, die sich mit einer italienischen Konkurrentin den Wettkampf geliefert hat, ist zwar als erste am Gipfel, erreicht aber nicht die Talstation. Nur einer ihrer Eispickel wird nahe einer Gletscherspalte gefunden. Und nicht nur das - mit einem weiteren Toten schwillt die dörfliche Mordrate gewaltig an. Immerhin: Grauners landwirtschaftliches Know-How kommt unerwartete gelegen, den Kreis der Verdächtigen einzuengen. Saltapepe muss sich unterdessen Höhenangst, Felsen und ewigem Eis stellen, um Zeugen zu vernehmen. Immerhin kann der Hüttenwirt einen verdammt guten Espresso zubereiten.

Worum es bei dem Plot geht, ließ sich zumindest teilweise früh erahnen. Das machte allerdings gar nichts und tat weder Spannung noch Lesevergnügen Abbruch, denn sowohl der unorthodoxe Grauner als auch der seinem süditalienischen Element enthobene Saltapepe sind sympathische und sehr menschelnde Ermittler. Koppelstätter schreibt flüssig und lebendig und es macht Spaß, seinen Protagonisten buchstäblich durch Berg und Tal zu folgen.

Nicht zuletzt sind es die Naturbeschreibungen und die Faszination Bergsteigen, die in diesem Buch eine Rolle spielen, zusammen mit kernigen Bergführern, Schicksalsgemeinschaften auf sturmumtösten Hütten und Freundschaften, die Raum und Zeit überwinden. Mit dem Blick auf die Situation junger Frauen im Iran und die blutige Unterdrückung der Proteste - zuletzt mit dem Motto "Frau. Frieden. Freiheit" hat "Das Flüstern im Eis" auch einen unerwartet aktuellen Bezug.

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Veröffentlicht am 09.07.2024

Diplomatie und Ermittlungen in Maputo

Der Tote im Pool
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Aurel Timescu ist ein eher untypischer Diplomat. Zum einen steht er trotz rumänischer Herkunft als Konsul im Dienst Frankreichs, zum anderen zeichnet er sich durch den vollkommenen Mangel an Ehrgeiz aus. ...

Aurel Timescu ist ein eher untypischer Diplomat. Zum einen steht er trotz rumänischer Herkunft als Konsul im Dienst Frankreichs, zum anderen zeichnet er sich durch den vollkommenen Mangel an Ehrgeiz aus. Statt Ambitionen auf einen chicen Botschafterposten zu entwickeln, verweigert er sich konsequent und mit viel kreativen Ausreden der Arbeit und ständigen Erreichbarkeit, auf die seine Vorgesetzten Wert legen. Er lebt mehr für weißweinhaltige Nächte am Klavier in seiner Wohnung in Maputo als für das diplomatische Parkett der mosambiquischen Hauptstadt.

Aus der üblichen phlegmatischen Lebensweise erwacht Timescu in Jena-Christophe Rufins Diplomaten-Krimi "Der Tote im Pool" erst, als im Pool eines heruntergekommenen Hotels die Leiche des französischen Ministers gefunden wird und dessen ebenfalls französische Ehefrau wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft landet.

Sich um Landsleute im Gefängnis zu kümmern gehört zu den Aufgaben der Konsularabteilung, doch das allein wäre für Timescu kein Grund, plötzlich Elan zu zeigen. Doch er sieht die Chance, den Mord aufzuklären - und da wird er plötzlich höchst aktiv, setzt auch Intuition und ist gar nicht erfreut, dass auch sein junger Chef Detektiv spielen will. Wie gut, dass der sich auch um eine Umweltdelegation kümmern muss!

Der Tote, das wird schnell klar, war kein besonders netter Mensch und hatte sich bereits in mehreren Ländern Afrikas unbeliebt gemacht. Eine Schwäche hatte er bis zuletzt für Frauen - mit der zweiten, einheimischen Ehefrau lebt er in Scheidung, die 19 Jahre alte Geliebte erwartet ein Kind von ihm. Liegt das Mordmotiv in Eifersucht und Gier? Oder hatte der Tote im Pool noch andere Geheimnisse?

Der Spannungsbogen des Buches ist eher gering, mehr geht es um den an Hercule Poirot erinnernden Hobby-Ermittler, der immer ein wenig lächerlich wirkt, sich aber auf seine weingeschwängerte Intuition verlassen kann. Die Schilderung der postkolonialen Expat-Szene und der diplomatischen Eitelkeiten wie auch afrikanischer Vetternwirtschaft sind amüsant zu lesen. Insofern eher ein Cozy im tropischen Ambiente mit einem Protagonisten, der in seiner Exzentrik für heitere Momente sorgt.

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