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Veröffentlicht am 07.09.2024

Auf der Suche

Taumeln
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Mehrere Jahre sind vergangen seit Luisas ältere Schwester spurlos verschwunden ist. Eine Zeugin hast sie zuletzt in der Nähe des Waldes gesehen. Von den anfänglich großen Suchtrupps aus Freiwilligen, ist ...

Mehrere Jahre sind vergangen seit Luisas ältere Schwester spurlos verschwunden ist. Eine Zeugin hast sie zuletzt in der Nähe des Waldes gesehen. Von den anfänglich großen Suchtrupps aus Freiwilligen, ist nur noch eine Handvoll Menschen übrig, die sich jedes Wochenende trifft, um eben jenen Wald nach Spuren zu durchkämmen. Was treibt diese Leute an? Warum haben sie nach all dieser Zeit noch immer nicht aufgegeben? Und warum - können sie es nicht? Dies ist die zentrale Frage in Sina Scherzants Roman "Taumeln".
Ich lese sehr selten Krimis oder Thriller, dafür immer wieder gerne einen literarischen Spannungsroman. Hier hatte ich auch im Vorfeld "Taumeln" einkategorisiert. Leider hat der Roman nicht diesen Erwartungen entsprochen. Ich mochte den klaren und einfachen Schreibstil, die Empathie des Textes für seine Charaktere, und den beinahe zärtlichen Umgang mit ihren Lebenssituationen. Inhaltlich dreht sich die Geschichte jedoch seitenlang um sich selbst. Die Handlung folgt einzelnen Mitgliedern der Suchtruppe. Ihre Motivation und ihre ganz persönliche Suche wird mehr oder weniger erörtert. Vieles wird angeschnitten und eingeführt, dann aber nicht richtig zu Ende erzählt. So eine richtige Kernhandlung gibt es eigentlich gar nicht. Da sind einige starke Momente, aber die sind eingebettet in ein langes, lakonisches Hin und Her. Nachdem sich ewig kaum etwas bewegt hat, kam das Ende dann wie von Zauberhand. Der unendliche Stillstand löst sich urplötzlich auf.

Eigentlich gefällt mir das Buch. Die Idee dahinter ist toll, die Charaktere sind spannend und authentisch. Viele der inhaltlichen Ansätze waren interessant, haben mich neugierig gemacht. Aber dann führt das alles zu nichts. "Taumeln" hat mich frustriert, weil so viel gut war bzw. hätte sein können. Am Ende ist davon aber das meiste auf der Strecke geblieben.

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Veröffentlicht am 07.09.2024

Parabel

Hinter der Hecke die Welt
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Dass in kleinen Dörfern auf dem Land manchmal die Zeit beinahe stehen zu bleiben scheint, dürfte hinreichend bekannt sein. In dem Dorf aus Gianna Molinaris Roman ist es nicht die Zeit, die stillsteht, ...

Dass in kleinen Dörfern auf dem Land manchmal die Zeit beinahe stehen zu bleiben scheint, dürfte hinreichend bekannt sein. In dem Dorf aus Gianna Molinaris Roman ist es nicht die Zeit, die stillsteht, sondern das Wachstum der einzigen beiden Kinder: Pina und Lobo. Keiner kann sich erklären, aus welchem Grund das so ist. Selbst Wissenschaftlern und Ärzten gelingt es nicht, herauszufinden, was den Kindern fehlt. Während andere darüber nachdenken, was mit ihrer Tochter nicht stimmt, lebt Pinas Mutter in der Arktis und erforscht die Auswirkungen des Klimawandels. Und während die Pina und Lobo einfach nicht mehr wachsen wollen, tut es die berühmte Hecke des Dorfes umso mehr. Die einzige Attraktion zieht Touristen an und hält somit den Stillstand ein Stück weit auf - bis sie es eines Tages nicht mehr tut.

"Hinter der Hecke die Welt" ist ein Buch, das nicht einfach zu erfassen ist. In gewisser Weise ist es eine Parabel, ein Gleichnis, in dem alles für etwas anderes zu stehen scheint, und in dem die wahre Botschaft zum Großteil zwischen den Zeilen versteckt steht. In seiner Bildsprache und in seinem Stil finde ich den Roman außergewöhnlich, wenn auch so verschlüsselt, dass mir seine Kernaussage bis zum Schluss nicht vollständig klar wird. Viele Dinge erschließen sich mir, andere aber auch wieder nicht, sodass das Gesamtbild nicht richtig greifbar wird. Dieses Verschlüsseln der Botschaft hat etwas Kafkaeskes an sich. In Kombination mit der Sozialkritik, welche die Autorin übt, und ihrer eigenwilligen Prosa, entsteht definitiv ein Text der es Wert ist, gelesen zu werden. Auf der Metaebene hat er mich allerdings nicht vollständig erreicht.

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Veröffentlicht am 09.08.2024

Girlhood

Die schönste Version
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"Die schönste Version" von Ruth-Maria Thomas ist die maximal schönste Version eines Romans, der im Großen und Ganzen wenig schöne Themenfelder verhandelt. Es geht um Jella, die sich auf einer Polizeiwache ...

"Die schönste Version" von Ruth-Maria Thomas ist die maximal schönste Version eines Romans, der im Großen und Ganzen wenig schöne Themenfelder verhandelt. Es geht um Jella, die sich auf einer Polizeiwache wiederfindet, nachdem ihr Freund Yannick im Streit ihren Hals zugedrückt hat. Danach steht sie vor den Scherben ihrer Beziehung. Zurück im ehemaligen Kinderzimmer rekapituliert sie ihr bisheriges Leben. Die Kindheit und Jugend, in der ostdeutschen Kleinstadt. Die Freundschaften und Begegnungen, die sie geprägt haben. Zwischen all diesen Erinnerungen sucht sie Antworten auf die eine große Frage: Wie konnte es so weit kommen?

Seit im vergangenen Jahr "Barbie, der Film" so ein großer Hit gewesen ist und Taylor Swift mit ihrer Eras Tour alle Rekorde bricht, ist der "Girlhood" zu einem Modebegriff in den sozialen Medien geworden. Endlich habe ich ein Schlagwort, mit dem ich beschreiben kann, worum es in den meisten meiner literarischen Lieblingswerke geht: Ums Frauwerden und ums Frausein.
Es ist nicht immer eine leichte Art von Girlhood, die Jella da durchlebt. Aber eine, die greifbar und authentisch geschildert wird. Ich habe die Atmosphäre der späten 00er Jahre wiedererkannt. Eine Zeit vor Me Too, als noch niemand wusste, was woke sein bedeutet. Vor diesem Hintergrund wird Jella vom Mädchen zur Frau und vor diesem Hintergrund nimmt die intensive, turbulente und vor allem gefährliche Beziehung, die sie mit Yannick führen wird, ihre Anfänge. Die Autorin beschreibt emphatisch, emotional und manchmal auch derb dieses Aufwachsen. Schreibstil und Inhalt sind fesselnd. Das Buch ist kurz und liest sich schnell. Es ist ein wilder Ritt durch eine Zeit, die gerade erst zur Vergangenheit geworden ist und doch schon fern von der Gegenwart ist.
Besonders gefallen hat mir außerdem, wie die Identitätsbildung durch weibliche Freundschaften besprochen wurde. Neben anderer schwieriger Themen, wie häuslicher Gewalt oder toxischer Beziehungsstrukturen ist das einer der größten Stärken dieser Geschichte.

Fazit:
"Die schönste Version" der besten deutschsprachigen, die ich dieses Jahr gelesen habe.

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Veröffentlicht am 09.08.2024

Die Monster in uns

Kleine Monster
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In "Kleine Monster" setzt sich Autorin Jessica Lind mit der Psyche ihrer Protagonistin auseinander und fordert gleichzeitig unseren Verstand als Lesende heraus.
Pia und Jakob sind Eltern von Luca. Sie ...

In "Kleine Monster" setzt sich Autorin Jessica Lind mit der Psyche ihrer Protagonistin auseinander und fordert gleichzeitig unseren Verstand als Lesende heraus.
Pia und Jakob sind Eltern von Luca. Sie werden in die Schule ihres Sohnes gerufen, weil es einen Vorfall gegeben haben soll. Was genau sich abgespielt hat, das wird nicht gesagt. Aber es wird klar, eine Mitschülerin soll von Luca bedrängt worden sein. Ein ungeheuerlicher Vorwurf für einen Siebenjährigen, mit dem beide Eltern in der Folgezeit unterschiedlich umgehen.
Während Jakob versucht, die Situation möglichst locker anzugehen und ein unerschütterliches Vertrauen in seinen Sohn und die Situation zu haben scheint, kommen Pia Zweifel. Ihre eigene Vergangenheit hat ihr gezeigt, wozu Kinder fähig sein können. Luca ist ihr plötzlich fremd.
Mich hat die Auseinandersetzung mit diesem verzwickten und psychologisch vielschichtigen Thema unglaublich interessiert. Dementsprechend schnell hat mich der Roman in den ersten Kapiteln fesseln können. Der Vorfall mit Luca entwickelt schnell eine gewisse Eigendynamik. Eltern von Klassenkameraden und Bekannte beziehen Stellung und wenden sich von der Familie ab. Auch Pia distanziert sich zunehmend von ihrem Sohn. Dies wird mit ihrer eigenen Vergangenheit begründet, welche immer wieder dazu führt, dass Pia sich in ihre Mutterrolle hineinzwängen muss. Diese Vergangenheit nimmt eine zunehmend große Rolle im Roman ein. Der Fokus verlagert sich zunehmend weg von Luca und der Gegenwart und hin zu Pias Kindheit.
Diese Wende hat mich enttäuscht. Es hat sich ein bisschen so angefühlt, als hätte ich nicht das Buch bekommen, das ich gerne gehabt hätte. Als würde plötzlich eine ganz andere Geschichte erzählt werden, als die, auf die ich mich ursprünglich eingelassen habe.
Sprachlich und stilistisch hat mir der Text gut gefallen. Die kurzen Kapitel lesen sich schnell und spannend. Inhaltlich ist mir der Roman aber nicht rund genug. Pias Geschichte ist eine wichtige Ergänzung, um ihr Handeln als Mutter zu verstehen. Wenn diese Geschichte aber anders in die Kernhandlung eingeflochten und weniger prominent erzählt worden wäre, hätte mir der Roman im Gesamtbild wahrscheinlich mehr zugesagt.

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Veröffentlicht am 09.08.2024

Plötzlich verheiratet

Ehemänner
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Wir schreiben das Jahr 2024. Mittendrin im Tinder-Zeitalter. In ihrem Debütroman "Ehemänner" setzt sich die Autorin Holly Garmazio auf schonungslos ehrliche, kurzweilige und bisweilen urkomische Art und ...


Wir schreiben das Jahr 2024. Mittendrin im Tinder-Zeitalter. In ihrem Debütroman "Ehemänner" setzt sich die Autorin Holly Garmazio auf schonungslos ehrliche, kurzweilige und bisweilen urkomische Art und Weise mit dem modernen Phänomen des Überangebots auf dem Datingmarkt auseinander.
Das Buch startet rasant, das lesende Publikum wird quasi mitten hinein geworden in die erste Konfrontation zwischen Protagonistin Lauren und einem Ehemann, den sie bis dato noch nicht kennt. Schnell stellt sich heraus, der Dachboden hat ihn ausgespuckt. Und er wird nicht der letzte seiner Art sein. Eine schier unendliches Kontingent von Ehemännern gibt sich von nun an auf mysteriöse Weise in Laurens Leben die Klinke in die Hand. Jeder mit seinen individuellen Vorzügen und Makeln. Während der Ehemann ständig wechselt, dreht sich Laurens Alltag stetig weiter. So wird schnell klar, wie groß der Einfluss des Partners auf persönliche Beziehung und die Lebensgestaltung der Protagonistin ist.
Selten habe ich einen so lebensklugen, furiosen und gleichzeitig witzigen Roman gelesen. Die Idee an sich ist eigentlich nicht neu. Das Konzept erinnert mich stark an Matt Haigs "Die Mitternachtsbibliothek", einen der großen Bestseller der letzten Jahre. Die Idee der unbegrenzten Möglichkeiten ist ähnlich. Da sind diese verschiedensten Lebenswege, die sich auf einmal parallel vor den Protagonistinnen auftun. Die Umsetzung gefällt mir bei Holly Garmazio sogar noch besser.
Der Text hält eine gute Balance zwischen komödiantisch und ernst. Er weiß zu unterhalten und verpasst es gleichzeitig nicht zum Nachdenken anzuregen.
Eine große Leseempfehlung!

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