Starke Figuren, die leider durch zu viele Worte erdrückt werden
Erinnerung und LügeMauduit ist ein Ort, der sich tief in das Gedächtnis einer jungen Wissenschaftlerin eingebrannt hat. Nicht etwa, weil er so wunderschön und heimelig ist, sondern, weil er Erinnerungen mit sich bringt, ...
Mauduit ist ein Ort, der sich tief in das Gedächtnis einer jungen Wissenschaftlerin eingebrannt hat. Nicht etwa, weil er so wunderschön und heimelig ist, sondern, weil er Erinnerungen mit sich bringt, die tiefe Narben auf der Seele hinterlassen haben. Doch statt dem vorgeblichen Zweck ihrer Reise nachzugehen, lernt die Wissenschaftlerin die Vergangenheit des Ortes auf ganz andere Art und Weise kennen. Denn Lottie, Hüterin des alten Herrenhauses, gewährt der Wissenschaftlerin nicht nur Unterschlupf, sie lässt sie auch unter die Decke aus Geschichten und Legenden schlüpfen, die sich nicht nur in den alten Gemäuern verstecken....
Anne-Marie Garat hat eine ganz besondere Gabe, denn sie spinnt mit Worten ein Netz, dass ihre Leser:innen regelrecht einfängt und sie erst loslässt, wenn der letzte Buchstabe gelesen ist. Zwischen den Seiten ist eine magische Stimmung, die alles verzaubert, was sich in der Nähe des Buches befindet. Das Ächzen von altem Gebälk, das Knistern der Holzscheite im Kamin und das Flackern der Flammen ist deutlich zu hören, wenn sich nicht nur die Wissenschaftlerin in die Gesellschaft der alten Lottie begibt, sondern die Lesenden lassen sich bereitwillig auf einem gemütlichen Kissen zu Füßen der Erzählerin nieder und lauschen gebannt ihren Worten.
Aber genau diese Erzählungen sind es, die auch ein Manko in diesem Buch darstellen. Garat hat ein Faible für sogenannte Tatzelwurmsätze, die scheinbar endlos sind und sich zeilenweise aus dem Füllhorn ihrer Feder ergießen. Es sind mitunter so viele Informationen darin enthalten, die es den Lesenden nicht einfach machen, diese alle auf einen Blick zu erfassen und zu verarbeiten. Oftmals muss ein Satz mehrmals gelesen werden, um den Inhalt komplett zu verstehen und zu verarbeiten. Der Schreibstil ist hypnotisierend und poetisch zugleich, kommt aber nicht immer direkt auf den Punkt, sodass oftmals die Konzentration flöten geht.
Und das ist sehr schade, denn die Autorin hat mit ihren beiden Hauptfiguren zwei außergewöhnliche Charaktere entwickelt, die starke Signale aussenden und die Leser:innen regelrecht anziehen wie ein Magnet. Die Macht des geschriebenen und gesprochenen Wortes, das mal faszinierend, mal verstörend sein kann, wird von der Autorin als sehr lebendiges Werkzeug eingesetzt und so gelingt es ihr, das Auseinandersetzen mit der Familiengeschichte und den Ereignissen der Vergangenheit der Protas auf die Lesenden zu übertragen.
Garat macht Geschichte erlebbar, auch wenn sie manchmal die Kurve verpasst an der sie abbiegen müsste, um den Faden nicht zu verlieren.. Düster, ansprechend, geheimnisvoll und manchmal schwer zu lesen - ein Buch, das zeigt, wie Erinnerungen manchmal zu einer neuen Wahrheit verschmelzen, um das Gewesene leichter zu ertragen.