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Veröffentlicht am 20.10.2024

»Die Wahrheit sagen: Bisher hatte das nie ernsthafte Probleme aufgeworfen.«

Die Mandarins von Paris
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»Die Wahrheit sagen: Bisher hatte das nie ernsthafte Probleme aufgeworfen.«

Wir befinden uns im Paris der Nachkriegszeit. Eigentlich ein Grund aufzuatmen. Eigentlich. Henri Perron, Herausgeber der Zeitung ...

»Die Wahrheit sagen: Bisher hatte das nie ernsthafte Probleme aufgeworfen.«

Wir befinden uns im Paris der Nachkriegszeit. Eigentlich ein Grund aufzuatmen. Eigentlich. Henri Perron, Herausgeber der Zeitung Espoir, welche unabhängig von politischen Ansichten berichtet und dafür von unterschiedlichen Lagern geschätzt wird, muss sich nun entscheiden: Bleibt er seiner Linie treu oder hilft er der linken Gruppierung der SRL, die sich vom Kommunismus abgrenzt, zu Ansehen? Ins Leben gerufen wurde diese u.a. durch seinen Freund Robert Dubreuilh, der Henris Zeitung gerne zum politischen Sprachrohr der SRL ausbauen würde.
Wäre da nicht noch seine Frau Paule, die ihn eher krankhaft verehrt, als liebt.

Ein zweiter Handlungsstrang widmet sich Anne, Roberts Frau, der ihre Suche nach sich selbst und einem unabhängigen, selbstbestimmten Leben begleitet. Gleichermaßen wird auch das Leben, besonders das sich in Affären verlierende Liebesleben, der gemeinsamen Tochter Nadine beschrieben.

Die zwei Erzählperspektiven bieten teils subjektive, überschneidende Einblicke derselben Situation aus unterschiedlichen Blickwinkeln und veranschaulichen die Uneindeutigkeit gewisser Ansichten.
Darüber hinaus ist es nicht ausschließlich ein höchst politischer Roman, der sich den französischen Intellektuellen – Mandarins genannt – der Nachkriegszeit sowie den Kriegsverbrechen widmet, sondern ist auch stets gesellschaftskritisch angelegt. Rollenbilder geraten ins Wanken, partnerschaftliche Abhängigkeiten sowie die Rolle der Frau werden hinterfragt und nicht zuletzt überdecken moralische Fragen diese tausend Seiten.

Ein Roman, der, trotz seiner siebzig Jahre, besonders mit Augenmerk auf die Zerspaltung der Linken, höchst aktuell ist.
Die gute Lesbarkeit, welche keinesfalls trocken ist, verdanken wir in erster Linie der großartigen Autorin sowie den beiden Übersetzerinnen Claudia Marquardt und Amelie Thoma.
Wer sich für Politik und umfangreiche, gut geschriebene Klassiker interessiert, für den wird das Buch sicherlich ebenfalls eine Bereicherung mit Lesegenuss sein!

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Veröffentlicht am 13.10.2024

Reflexion eines Attentats

Knife
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»Was den Rest anging - mir mein altes Leben zurückzuholen -, so wusste ich, das würde noch warten müssen.«

Für Salman Rushdie dauerte der Moment eine halbe Ewigkeit, doch es vergingen lediglich Sekunden. ...

»Was den Rest anging - mir mein altes Leben zurückzuholen -, so wusste ich, das würde noch warten müssen.«

Für Salman Rushdie dauerte der Moment eine halbe Ewigkeit, doch es vergingen lediglich Sekunden. Wenige Augenblicke, nach denen nichts mehr war, wie zuvor:
Es sollte eine friedliche Diskussion über die Gewährleistung von Sicherheit für Autoren werden und endete in einem brutalen Angriff. An diesem Tag, dem 12. August 2022, waren sichtlich nicht genügend Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden.
Der Schriftsteller sah den 24-jährigen Angreifer vom Publikum schnurstracks auf die Bühne, auf ihn zurennen und 27 Sekunden sowie etwa 15 Stiche später wusste er nicht einmal, ob er überleben würde.
Der Schock dieser blanken Gewalt saß tief, bei allen Anwesenden. Achtzehn Tage verbrachte Rushdie auf der Intensivstation, um die schlimmsten Verletzungen im gröbsten auszukurieren und sich seines Zustandes bewusst zu werden.
Doch für Rushdie kam dieser Angriff nicht gänzlich unerwartet, viel eher überraschend. Er offenbart, dass er schon davor öfters von verschiedensten Attacken gegen ihn geträumt hat.

Was macht dieses Attentat mit einem?
Wird es danach jemals wieder so sein wie zuvor?
Kann es das überhaupt oder lebt man nun in ständiger Angst, dass sich dies wiederholen und der Mordversuch beim nächsten Mal gelingen könnte?
Warum wählte er den intimen Angriff mit dem Messer, anstelle einer Schusswaffe?

Diesen und noch weiteren Fragen widmet sich der Autor auf eine persönliche, über das Ereignis sowie sein Leben reflektierende Weise, stets den Blick der Zukunft zugewandt. Neben Schilderungen der Zeit vor und insbesondere nach diesem Tag, lässt Rushdie die Lesenden am Prozess seiner Genesung teilnehmen. Auch fiktive Gespräche mit dem Attentäter, das Kennenlernen mit seiner Frau Eliza und das erneute Aufsuchen der Chautauqua Institution, dem Ort des Geschehens, werden geschildert.
Rushdie erzählt eine der gravierendsten Szenen aus seinem Leben, teils als bewegendes autobiografisches Erlebnis und teils als distanzierter Entfernung.

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Veröffentlicht am 06.10.2024

„Ein Werk, das Zustimmung verdient; meine hat es.“

Arnes Nachlaß
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»Nehmt ihn wie einen Bruder auf und stellt ihm keine Fragen, irgendwann wird er schon von selbst sprechen wollen.«

Eines Abends – ein langer Monat des Wartens war verstrichen –, beginnt Hans, von seinen ...

»Nehmt ihn wie einen Bruder auf und stellt ihm keine Fragen, irgendwann wird er schon von selbst sprechen wollen.«

Eines Abends – ein langer Monat des Wartens war verstrichen –, beginnt Hans, von seinen Eltern dazu aufgefordert, dass es nun doch mal Zeit sei, den Nachlass von Arne, mit dem er in letzter Zeit sein Zimmer teilte, zusammenzupacken. Diese Aufgabe fällt ihm nicht leicht, ganz im Gegenteil. Immer wieder verharrt er bei bestimmten Gegenständen, welche Auslöser sind, um in Erinnerung zu schwelgen – an eine Zeit der Gemeinsamkeit.
Dies zum Anlass nehmend erzählt Hans rückblickend und etappenweise dessen Geschichte:
Ein trauriges Schicksal umgibt den zwölfjährigen Arne Hellmer, welcher als Einziger gerettet werden konnte. So kam es, dass Hans‘ Vater Harald den Sohn seines Jugendfreundes aufnahm.

In einer etwas altmodischen, vom Autor gewohnten und von dessen Lesern geliebten, wunderschönen Sprache wird Arnes Geschichte – eine Suche nach Anerkennung und Zugehörigkeit – erzählt.
Um sich den Roman besser erschließen zu können, wird dieser vierzehnte Band der Hamburger Ausgabe um einen umfangreichen Kommentar von Maren Ermisch ergänzt. Im Zuge dessen werden nicht nur unbekannte Wörter im Stellenkommentar erschlossen, sondern neben unterschiedlichen Formen der Rezeption auch Referenzen zu weiteren Werken von Lenz und darüberhinaus anderen Autoren analysiert. Dadurch zeigen sich bspw. Ähnlichkeiten zu Thomas Manns „Tonio Kröger“, schließlich werden beide Protagonisten vom Bedürfnis nach Anerkennung geleitet.
Besonders interessant ist die von Ermisch chronologisch geschilderte Entstehung von „Arnes Nachlaß“, anhand der ersten zwei Fassungen, welche, neben drei gestrichenen Kapiteln, ebenfalls im Buch abgedruckt sind.

Manche Bücher von Lenz – dieser Roman zählt dazu – müssen langsam gelesen werden, um deren melancholische, emotionale und leise daherkommende Atmosphäre entfalten zu können.

Zuletzt bleibt mir nicht mehr, als den Worten des Lektors Helmut Wiemken beizupflichten:
„Ein Werk, das Zustimmung verdient; meine hat es.“

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Veröffentlicht am 02.10.2024

Leider nicht mein Fall

Ein anderes Leben
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Es ist die Beerdigung ihres Vaters, die Mutter ist bereits verstorben. Anders als ihre beiden älteren Schwestern, hat sie nun beide Elternteile verloren und steht alleine da. Über den ganzen Roman hinweg ...

Es ist die Beerdigung ihres Vaters, die Mutter ist bereits verstorben. Anders als ihre beiden älteren Schwestern, hat sie nun beide Elternteile verloren und steht alleine da. Über den ganzen Roman hinweg ist die Beerdigung des Vaters Bow als grundlegende Rahmenhandlung anzusehen.
Dieses Ereignis zum Anlass nehmend lässt die Protagonistin, zugleich die jüngste Tochter, ihr Leben von der Kindheit ausgehend Revue passieren und beleuchtet dabei besonders die stets ambivalente Beziehung zu ihrer Mutter. Diese hielt nicht viel von Konventionen und heiratete nacheinander ihre drei Studienfreunde, wobei ein jeweiliges Kind natürlich nicht fehlen durfte. Nur mit Bow, ihrem letzten Ehemann, blieb sie länger zusammen und übernahm mit ihm überwiegend die Erziehung ihrer drei Töchter. Doch als sich die Pubertät der Protagonistin ankündigt und diese sich gegen ihre Eltern auflehnt, möchte Hanna ihr Leben auf die bisherige Art nicht mehr so weiterführen – schon lange fühlt sie sich im Alltag gefangen. Sie zieht die Reißleine, sucht sich eine eigene Wohnung und kümmert sich in erster Linie um sich selbst. Hanna und ihre Tochter hatten es nicht leicht miteinander und doch liebten sie sich.

Sanft, als würden andererseits Beziehungsgeflechte zerbrechen, erzählt die Schauspielerin Caroline Peters in ihrem Debütroman von Menschen, die sich auf eine gewisse Art und Weise selbst verfehlen und zu spät die richtigen Fragen stellen.

Auch wenn dies alles einen emotionalen Roman verspricht, konnte er mich nicht überzeugen. Für mich blieben die Figuren, trotz ihrer Detailtreue, welchen man der Autorin, ebenso wie den klaren Stil lassen muss, oberflächlich und ließen mich nicht wirklich in die Geschichte eintauchen. Meines Erachtens will der Roman zu viel und wechselt teils zu stark zwischen unterschiedlichen Schwerpunkten.
Trotz allem kann man nicht sagen, dass das Buch nicht tief genug ging, eventuell war sogar das mein Problem damit. Es gab zu viele Details, insbesondere zu den drei Ehen, welchen in diesem Ausmaß nicht notwendig gewesen wären.

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Veröffentlicht am 02.10.2024

»Für manche ist das Glück bloß umständehalber spärlicher gesät.«

Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne
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»Für manche ist das Glück bloß umständehalber spärlicher gesät.«

Wie soll man den Inhalt dieses mehr als vielfältigen Buchs zusammenfassen ohne zu viel zu verraten und den Inhalt regelrecht zu offenbaren? ...

»Für manche ist das Glück bloß umständehalber spärlicher gesät.«

Wie soll man den Inhalt dieses mehr als vielfältigen Buchs zusammenfassen ohne zu viel zu verraten und den Inhalt regelrecht zu offenbaren? Es ist schwierig – fast unmöglich –, schließlich lässt dieser nicht eben wenig Spielraum und gibt nur das Konstrukt vor. Zudem blicken Lesende in vollkommen anders verlaufende Lebensläufe in verschiedensten Situationen.
Versuchen wir es mal so:
Der übergeordnete Handlungsstrang erzählt von vier Jugendlichen, die überlegen, wie es wäre, wenn man seine Zukunft für zehn Minuten „anprobieren“ und falls diese vielversprechend wirkt, sich in diese „einloggen“ könnte. Dabei begegnen uns im weiteren Verlauf unterschiedlichste Momentaufnahmen, die in zukünftiger Hinsicht wegweisend für die erwähnten Figuren sind oder deren eigene Vergangenheit reflektieren.
Stanišićs neues Buch, bestehend aus mehreren einzelnen Erzählungen, die einzeln stehen und sich zugleich zu einem Gesamtkunstwerk verweben, ist ein Spiel mit dem Zufall, Schicksal und vorgegeben Lebensläufen.
Würde man sein Leben ändern, wenn man bereits wüsste, was passieren könnte? Oder sogar Geld investieren, damit es eben diese, gewollte Richtung einschlägt und ein erfüllendes, glückliches Leben mit sich bringt?
Manche Abzweigungen im Leben scheinen irrelevant, andere alternativlos und einige markieren Weggabelungen, die erst im Nachhinein deutlicher sichtbar sind.

Meisterhaft beherrscht Stanišić das Spiel mit der Sprache, irritiert und bricht konventionelle Regeln, schlichtweg um es auszutesten – und es gelingt ihm! Seiner grandiosen Fabulierkunst ist es zu verdanken, dass mich dieses Buch auf amüsante Weise unterhalten und gleichermaßen nachdenklich gestimmt hat.
Nach der Lektüre stehen die lesenden vor der Wahl selbst zu beurteilen, ob diese Geschichten belangloser Natur sind oder schlichtweg großartige Literatur.

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