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Veröffentlicht am 13.09.2024

»Wer immer es ist, den ihr sucht: ich bin es nicht.«

Im Dickicht
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»Wer immer es ist, den ihr sucht: ich bin es nicht.«

Matthias Richters vier „Nachtstücke“ des sog. „Stückeschreibers“, einem fiktiven Alter Ego Bertolt Brechts, sind in den Monaten vor dessen Tod am 14. ...

»Wer immer es ist, den ihr sucht: ich bin es nicht.«

Matthias Richters vier „Nachtstücke“ des sog. „Stückeschreibers“, einem fiktiven Alter Ego Bertolt Brechts, sind in den Monaten vor dessen Tod am 14. August 1956 angesetzt.
Als Lesende treffen wir zuerst auf den „Stückeschreiber“ in der Charité, der sich seinem nahenden Tod bewusst wird. Die folgenden drei „Nachtstücke“ spielen sich überwiegend in Brechts letzter Wohnstätte, der Chausseestraße 125, mit jeweils einem weiteren Hauptgesprächspartner ab.
Dabei wird er u.a. vom Leiter des Aufbau Verlags, Herrn Janka, mit seinen Ansichten des Stalinismus konfrontiert und muss sich mit den Gräueltaten der erst jungen DDR-Diktatur auseinandersetzen.
Auch auf Thomas Mann, welchen er hasserfüllt als Aushängeschild des Bürgertums und des Kapitalismus ansieht, kommen sie zu sprechen. War sein abtrünniger Hass gegen diesen eventuell Neid und eine Art persönliches Eingeständnis, dass seine ganzen Vorwürfe nicht stimmten? Schließlich hatte er nicht mal seine Werke gelesen, aber maßte sich an, darüber zu urteilen.
Dabei schreckt der Autor auch vor unangenehmen Fragen und Brechts Ansichten bezüglich des Kommunismus oder auch Frauen, die teils Widersprüche in sich darstellen, nicht zurück.

Als Lesender stolpert man zuhauf über eingewebte Zitate aus Brechts Werken und bemerkt Matthias Richters Freude am Fabulieren. Das Buch entzaubert das reale Vorbild, hebt ihn von seinem Dichter-Thron und zeigt ihn wie er war: ein Mensch mit unzähligen merkwürdigen, eitlen und teils widerlichen Eigenheiten.
Dabei sind die Vexierspiele dieser fiktiven Gespräche einfach nur grandios!
Schließlich hätten diese genauso stattgefunden haben können, da Brechts Ansichten nicht erfunden, sondern belegt sind.

Wer sich für Brecht interessiert, für den ist das Buch eine große Bereicherung, für alle anderen ist es lohnenswert, sich dem wohl bedeutendsten Dramatiker des letzten Jahrhunderts auf eine ganz persönliche, durchaus fiktive Weise zu nähern.

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Veröffentlicht am 11.09.2024

Ein gelungenes Debüt

Protokoll einer Annäherung
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»Manchmal, sagt er, ist mir die Welt um mich herum wie ein Bild, das ich mir anschaue, oder wie ein Film, von dem ich fasziniert bin, und ich wünsche mir dann, auch Teil davon zu sein, doch ich weiß nicht ...

»Manchmal, sagt er, ist mir die Welt um mich herum wie ein Bild, das ich mir anschaue, oder wie ein Film, von dem ich fasziniert bin, und ich wünsche mir dann, auch Teil davon zu sein, doch ich weiß nicht wie?«

Maries Leben ändert sich plötzlich. Als ein junger Mann namens Robert und sie in der Bibliothek Blicke tauschen und sie ihm einen Zettel mit ihrer Nummer in den Gepäckträger seines Fahrrads wirft, folgen erste Treffen und ein gegenseitiges, langsames Kennenlernen. Eigentlich die perfekte Liebesgeschichte, würden sich nicht ständig belastende Erinnerungen an ihren Ex-Freund K., welcher nach einem erneuten Treffen bereits nach der Beziehung, ihr gegenüber übergriffig wurde. Jetzt hat Marie Schwierigkeiten sich auf Nähe einzulassen und fühlt sich verfolgt, schließlich kann sie nicht vergessen. Als zudem ihre beste Freundin Sara die Stadt verlässt, belastet sie das noch mehr.
Eine besondere Rolle kommt der Ich-Erzählerin zu, die eine teils außenstehende Perspektive einnimmt und sich überraschend mitten im Geschehen wiederfindet.

Leise, sanft und einfühlsam wird der Text von Anne Korth skizzenhaft erzählt. Oftmals werden Eindeutigkeiten bewusst ausgelassen, um sie der Fantasie der Lesenden anzuvertrauen. Dabei beschäftigt sich das Buch in erster Linie mit der Bewältigung von Maries Erlebnissen mit K. und wie sie damit umzugehen versucht, bis diese sie wieder unerwartet einholen.

Leider fehlt diesem Roman eine gewisse Tiefe, welche den oberflächlichen Schilderungen der Figuren Leben eingehaucht hätte. Zwar sind die zahlreichen Dialoge brilliant geschrieben, aber bis auf einige Charakterisierung bleiben die Protagonisten, geschweige denn die wenigen Randfiguren, nur Skizzen ihrer selbst. Doch wahrscheinlich war das genauso gewollt. Schade, schließlich hätte ich gern mehr über die Figuren, ihr Vorleben und besonders ihre Gedanken erfahren.

Nichtsdestotrotz ist der Debütroman von Anne Korth ein gelungenes Buch, auch wenn er mich persönlich nicht über die Maßen begeistern konnte.

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Veröffentlicht am 10.09.2024

»Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?«

Emigrant des Lebens
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»Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?«

Eigentlich hatte Erich Kästner alles, um glücklich zu sein. Er war ein erfolgreicher Autor, beliebt bei Jung und Alt. Eigentlich.
Doch wirklich glücklich konnte ...

»Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?«

Eigentlich hatte Erich Kästner alles, um glücklich zu sein. Er war ein erfolgreicher Autor, beliebt bei Jung und Alt. Eigentlich.
Doch wirklich glücklich konnte er nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr werden, ganz im Gegenteil. Kästner vegetierte in München vor sich hin, ertrank sich im Alkohol und zelebrierte seinen ganz persönlichen Gang vor die Hunde.

Doch warum war Kästner in seinen letzten Lebensjahren so unglücklich?
Schuld daran trug insbesondere sein übermäßiger Alkoholkonsum, wobei dieser eher eine Folge von Vorangegangenem war.
Verantwortlich für seinen Zustand war zuvorderst seine nicht ausgelebte Kindheit, unter seiner besitzergreifenden Mutter, für die er ihr alleiniger Lebensinn war. Dabei erdrückte sie ihren einzigen Sohn mit zu viel Liebe und verwehrte ihm das eigene Lieben zu lernen, woran er sein ganzes Leben litt.
Folglich konnte er keinen Schlussstrich unter die Jahrzehnte andauernde Beziehung zu Luiselotte Enderle setzen, betrog sie ständig mit Affären und belog sie bezüglich seinem Sohn mit der viel jüngeren Friedel Siebert.
Daneben prägten ihn die Jahre der Inneren Emigration nachhaltig. Sein angekündigter großer Roman über das Dritte Reich blieb schließlich ungeschrieben. Zu schwer lastete die Vergangenheit, zu tief waren die Wunden und zu grausam das persönliche Eingestehen, zu welchen Taten Menschen wirklich im Stande waren und immer noch sind.
Kästner hatte alles und war dennoch – anders als seine Romane es auf den ersten Blick vermuten lassen – ein von Kind auf unglücklicher und von der Zeit geprägter Mensch.

Auch wenn der Autor Gregor Eisenhauer für begeisterte Kästner-Leser nicht wirklich etwas Neues zu erzählen weiß, ist sein Buch eine ganz ungewohnte Annäherung an Kästner. Eisenhauer begibt sich auf eine biografische Suche nach Kästners Unglück und verfolgt mehrere mögliche Ansätze, deren Summe Kästners endgültigen Zustand nach sich zog.
Ein grandioses Buch, das bei keinem Kästner-Fan im Bücherregal fehlen darf!

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Veröffentlicht am 08.09.2024

»Was im Buch Plot ist, ist im Leben unser Schicksal.«

Daniel Kehlmann über Leo Perutz
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»Was im Buch Plot ist, ist im Leben unser Schicksal.«

Wer sich mit Daniel Kehlmann beschäftigt weiß, dass dieser eine große Begeisterung für die Werke von Leo Perutz hegt. Wer es noch nicht wusste, wird ...

»Was im Buch Plot ist, ist im Leben unser Schicksal.«

Wer sich mit Daniel Kehlmann beschäftigt weiß, dass dieser eine große Begeisterung für die Werke von Leo Perutz hegt. Wer es noch nicht wusste, wird dessen Begeisterung spätestens nach den ersten Seiten dieses Buchs merken. Darüberhinaus gelingt Kehlmann seine Leidenschaft auf den Leser zu übertragen, sodass dieser alle besprochenen und thematisierten Bücher gerne selbst – am Besten sofort – lesen möchte.
Allein aus diesem Grund lässt sich folgern, dass dieses nur knapp hundert Seiten umfassende Buch seine Wirkung – zumindest bei mir – regelrecht entfalten und mich begeistern konnte. Es wird Zeit, dass ich mich endlich(!) mal dem vielversprechenden Werke von Perutz widme.

Nach einer kurzen Einführung von Volker Weidermann, dem Herausgebers der Reihe „Bücher meines Lebens“, folgen knappe Kapitel über Besonderheiten bei Perutz’ literarischem Schaffen sowie eine Vorstellung dessen Biografie durch den Autoren. Währenddessen brilliert Kehlmanns Stil in diesen ersten Kapiteln!
Durch diese Kapitel erfahren die Lesenden z.B., dass Kafka zeitweise in der selben Versicherungsgesellschaft wie Perutz arbeitete.

Nachdem mehrere Erzählungen und Romane in nur wenige Seiten umfassenden Kapiteln angerissen wurden, widmet sich die gesamte zweite Hälfte des Buchs Perutz’ gemäß Kehlmann „beste[m] Roman“ und „geheimen Meisterwerk[]“: „Nachts unter der steinernen Brücke“. Dieses Buch umfasst vierzehn, auf den ersten Blick voneinander unabhängige Erzählungen, welche sich nach und nach zu einem Gesamtbild fügen.
Bis dato war mir nicht bekannt, dass Kehlmanns Roman „Ruhm“ in Anlehnung an diesen Roman geschrieben wurde und eine darin vorkommende Figur den Namen Leo als Würdigung dessen Kompositionsprinzips und Gesamtwerks trägt.

Ganz egal, ob ihr Leo Perutz bereits kennt oder ihr ihn erst noch entdecken wollt, dieses Buch bietet einen dankbaren Einstieg in sein literarisches Schaffen, das man sicherlich nicht nur einmal zur Hand nimmt.

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Veröffentlicht am 05.09.2024

Eine ganz große Empfehlung!

Freiheitsschock
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Schonungslos, radikal und ehrlich. Diese Wörter treffen den Stil von Kowalczuks Essay, der sich mit der Gesellschaft Ostdeutschlands ab dem Fall der Mauer auseinandersetzt, wohl am Besten.
Dem Begriff ...

Schonungslos, radikal und ehrlich. Diese Wörter treffen den Stil von Kowalczuks Essay, der sich mit der Gesellschaft Ostdeutschlands ab dem Fall der Mauer auseinandersetzt, wohl am Besten.
Dem Begriff „Freiheit“ wird dabei eine tragende Rolle zugeteilt, schließlich ist dieser für ihn kein starrer Zustand, sondern ein fortlaufender Prozess, mit dem sich jede Generation erneut auseinandersetzen muss, um sie zu erhalten.

Bei vielen Menschen aus Ostdeutschland lässt sich nach 1989 eine Überforderung, der sog. titelgebende „Freiheitsschock“, sowie eine Belastung durch Transformation und die dazukommende Verklärung der Vergangenheit erkennen. Darüberhinaus gab es keine Schulung über Demokratie und Freiheit, wie es in der BRD im Sinne der amerikanischen Re-Education stattfand.
So folgert Kowalczuk, dass keine mehrheitlich politische sowie demokratische Zivilgesellschaft entstanden ist, sondern sich die Trägheit autoritärer Vergangenheit widerspiegelt und teils gar als Sehnsuchtszustand fungiert.
Dazu kommt noch der Aspekt, dass nicht wenige Menschen der Auffassung sind, dass wir aktuell in einer Quasi-Diktatur leben und man sich durch die Wahl extremistischer Parteien davon befreien kann.
Anhand konkreter Beispiele macht der Historiker deutlich wie tief Diskriminierungen unterschiedlicher Ausprägung oder Nationalismus in den gesellschaftlichen Strukturen der DDR verankert waren und folglich nicht einfach verschwanden.

Für Dirk Oschmann, Sahra Wagenknecht und insbesondere die gesamte AfD hat er kaum ein gutes Wort übrig. Ebenfalls beäugt er die Umwandlung der SED zur PDS und zur späteren Partei „Die Linke“ als problematisch, schließlich wandelte sich eine Diktaturpartei zu einer demokratischen Partei der Emanzipation und unterstützt in mancher Hinsicht noch immer antiwestliche und prorussische Ansichten.
Dabei blickt er auch auf die Familien der Schauspielerin Sandra Hüller sowie der Schriftstellerin Jenny Erpenbeck und kommentiert deren überwiegend positive Erinnerungen an die DDR kritisch.

Eine ganz große Empfehlung!

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