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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.08.2024

»Bleiben ist tödlich und Fortgehen ist keine Lösung.«

Salzburger Bachmann Edition
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»Bleiben ist tödlich und Fortgehen ist keine Lösung.«

Dieser Band der Salzburger Bachmann Edition enthält sowohl autobiografische Skizzen, Tagebuchnotizen sowie Texte aus bisher gesperrten Teilen des ...

»Bleiben ist tödlich und Fortgehen ist keine Lösung.«

Dieser Band der Salzburger Bachmann Edition enthält sowohl autobiografische Skizzen, Tagebuchnotizen sowie Texte aus bisher gesperrten Teilen des Nachlasses. Da Ingeborg Bachmann keineswegs regelmäßig, sondern eher sporadisch private Erlebnisse und ihr eigenes Empfinden festhielt, sind der ergänzende literaturwissenschaftliche Kommentar sowie der Stellenkommentar bei der Lektüre nicht nur hilf-, sondern allem voran aufschlussreich.

Durch diese hier versammelten persönlichen Texte kommt man Ingeborg Bachmann so nah wie nur selten. Geprägt von den Erlebnissen des Krieges, schwierigen Liebesbeziehungen mit Paul Celan und später Max Frisch befand sie sich in einem umtriebigen Zustand. Sie war stets unterwegs, rastlos, geplagt von Fernweh und dem Gefühl, nie richtig angekommen zu sein und sich zu Hause fühlen zu können.

Das „Neapolitanische Tagebuch“, verfasst zwischen Mitte Februar und Ende September 1956, gibt darüberhinaus Einblicke in ihren Alltag auf Lesereise sowie in das Zusammenleben als Wohn- und Arbeitsgemeinschaft mit dem Komponisten Hans Werner Henze, welches sie doch sehr auf die Probe stellte. Schließlich hing sie gedanklich noch Celan nach und fühlte sich bereits direkt nach der Ankunft nicht wohl dort.
So notierte sie am 15. Februar 1956, bereits in Neapel, folgende kurze Sätze: „Senza casa. Sono senza casa.“ Treffend fassen diese ihren inneren Zustand zusammen, denn übersetzt bedeuten sie: „Ohne Heim. Ich bin ohne ein Zuhause.“

Aber auch ihre Schwierigkeiten beim Schreiben, auf Lesereisen und persönliche Leiden, bzw. Folgen aus all diesem Umständen, wie Schlafmangel oder übermäßiger Alkoholkonsum, werden deutlich.

Wer sich vertiefter mit Ingeborg Bachmann beschäftigen möchte – es lohnt sich sehr! –, dem ist dieser Band, bzw. die Salzburger Bachmann Edition insgesamt, sehr zu empfehlen!

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Veröffentlicht am 04.08.2024

»Ich verstand früh, dass Lesen einen in manchen Momenten retten kann. Dieses Gefühl trage ich noch immer in mir.«

Die Geschichten in uns
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»Ich verstand früh, dass Lesen einen in manchen Momenten retten kann. Dieses Gefühl trage ich noch immer in mir.«

Seitdem ich vor einigen Jahren den Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ gelesen habe, zählt ...

»Ich verstand früh, dass Lesen einen in manchen Momenten retten kann. Dieses Gefühl trage ich noch immer in mir.«

Seitdem ich vor einigen Jahren den Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ gelesen habe, zählt Benedict Wells zu meinen absoluten Lieblingsautoren. Kaum ein anderer kann Emotionen so treffend beschreiben und gleichzeitig bei den Lesenden das Gefühl erwecken, als wären sie mitten in der Geschichte und würden ebenfalls diese Gefühle empfinden. Seine Sätze sind ein Blick ins eigene Ich. Manche berühren einen sanft, andere sind geradezu hart, während seine Sprache stets einen euphancholischen (hierfür unbedingt Hard Land lesen!) Schleier hinterlässt.

Doch sein neues Buch ist kein Roman, sondern eine Mischung aus Autobiografie und Ratgeber, um seines Erachtens möglichst gute Prosatexte zu verfassen.
Seine ehrliche, von Leichtigkeit beflügelte Sprache bietet uns Einblicke in sein bisheriges Leben und zeigt Parallelen zu seinen Werken auf, wie sie bisher noch nicht fassbar waren. Zugleich gibt Wells nicht nur viele Schreibtipps, gespickt mit Anekdoten, sondern öffnet die Türen seiner Werkstatt: Dadurch dürfen wir ihm beim Überarbeiten und Umschreiben zweier Textstellen seiner Romane „Vom Ende der Einsamkeit“ und „Hard Land“ regelrecht über die Schulter schauen und von ihm lernen.

Um die Zusammenhänge jedoch vollkommen erschließen zu können, wäre es von Vorteil, wenn man bereits einige – bestenfalls alle – Bücher von Benedict Wells kennt. Schließlich bezieht er sich, um bestimmte Aspekte anschaulich zu schildern, öfters auf seine eigenen Texte.

Eine große Leseempfehlung, unabhängig davon, ob ihr bereits Wells-Fans seid, selbst gerne Texte schreibt oder einfach mehr über den Autor erfahren wollt.
Wer seine Bücher liest, stößt auf großartige Zitate, die man sich am liebsten alle merken möchte, weswegen ich das Schlusswort übergebe:
»Jahrelang trieb ich in meiner eigenen Wortlosigkeit und hatte keine Ahnung, ob ich mich dabei auf das Ufer zubewegte oder mich von ihm entfernte.«

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Veröffentlicht am 29.07.2024

Die Wiederentdeckung eines tollen Klassikers!

Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens
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»Vielleicht bekommen sie dann Mut, es selbst in die Hand zu nehmen, statt sich von ihren Eltern und der Gesellschaft vorschreiben zu lassen, wie sie leben sollen«

Die junge Agathe Heidling möchte ihr ...

»Vielleicht bekommen sie dann Mut, es selbst in die Hand zu nehmen, statt sich von ihren Eltern und der Gesellschaft vorschreiben zu lassen, wie sie leben sollen«

Die junge Agathe Heidling möchte ihr Leben eigenständig gestalten, ohne Konventionen und Pflichten leben. Doch mit genau diesen Einschränkungen hat sie zu kämpfen. Tag für Tag leidet sie unter den Zwängen ihrer Eltern und der Gesellschaft. So darf sie kaum eigene Entscheidungen treffen, muss sich stetigen Bevormundungen unterwerfen und sich schlichtweg einer Welt fügen, die nicht der ihren entspricht, sondern von Männern dominiert wird. Agathe kämpft dagegen an, rebelliert und verzweifelt, bis sie mehr und mehr zerbricht, alle Lebensfreude verliert und schlussendlich in eine Nervenheilanstalt eingewiesen wird.

Gabriele Reuters Roman ist, aufgrund der Thematik sowie ihrer einprägsamen Sprache, eine Rebellion gegen die vorherrschende Machtsysteme. Dabei verarbeitet sie, wie das Nachwort von Tobias Schwartz verrät, teilweise ihre echten Erlebnisse und erschafft dadurch ein wichtiges Porträt der Gesellschaft und deren konservative Prägung zum Ende des 19. Jahrhunderts.

Oftmals wird der Vergleich mit Fontanes „Effi Briest“ angestellt, doch ähneln sich diese Romane, meiner Ansicht nach, nur bedingt. Schließlich handelt es sich hier nicht um eine unglückliche Ehe und die Flucht in eine Affäre.
Ähnlichkeiten lassen sich aber dennoch erkennen, vor allem in den Schilderungen der gesellschaftlichen Zwänge, insbesondere für Frauen. Dagegen bemerkt man bei Reuter eine direktere Sprache, ohne Beschönigungen, die teilweise mit Wut gefüttert ist.

Ein Klassiker, der – leider –, trotz seiner ehemaligen Bekanntheit, nicht zuletzt von Thomas Mann, Sigmund Freud oder Victor Klemperer geschätzt, in Vergessenheit geraten ist und nun hoffentlich eine Wiederentdeckung mit großer Leserschaft feiert – verdient hätte er es!

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Veröffentlicht am 24.07.2024

Wer Brecht mag, sollte dieses Buch lesen!

Ein Haus, ein Stuhl, ein Auto
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Ein Haus, ein Stuhl, ein Auto – nicht alles davon braucht man zum Leben, doch bequem soll es gemäß Brecht dennoch sein.

Ursula Muschelers Buch ist eine Reise durch das vielfältige Leben von Bertolt Brecht. ...

Ein Haus, ein Stuhl, ein Auto – nicht alles davon braucht man zum Leben, doch bequem soll es gemäß Brecht dennoch sein.

Ursula Muschelers Buch ist eine Reise durch das vielfältige Leben von Bertolt Brecht. Auf seinen Spuren – sämtliche Stationen des Exils angerissen – begleiten wir ihn, seine Frau Helene Weigel sowieso einige seiner Affären von Deutschland ausgehend nach Dänemark, über Schweden und Finnland bis nach Amerika und zurück ins vertraute Berlin.

Nie zuvor wurden die etlichen Wohnstätten Brechts so deutlich auf den Punkt gebracht beschrieben. Stetig geplagt von inneren und äußeren Ansprüchen, der oftmals anzutreffenden Unzufriedenheit und selbstverständlich den Umständen des Exils geschuldet, wurden viele Wohnungen, nicht selten nur für eine kurze Zeit, bezogen – immer auf der Suche nach etwas Besserem.
Dass dabei die Suche nach geeigneten Wohnungen – im Idealfall Häusern – und dem dazu benötigten Mobiliar nicht Aufgabe des Schriftstellers selbst, sondern primär seiner Frau war, konnte man sich denken. Wie sehr er jedoch von seiner Frau abhängig war und diese für sich einnahm, wird in diesem Buch deutlich.
Noch dazu war Brecht kein genügsamer Mensch, sondern, obwohl er sich stets mit Arbeiterklasse sympathisierte, voller eigenwilliger Ansprüche. Neumodische Einrichtungen mochten ihm wenig taugen, zumeist war ihm, im Widerspruch zu seiner politischen Haltung, nur das Beste gut genug.

So sei dieses Buch allen, die sich für Brecht und deutschsprachige Literatur interessieren, sehr ans Herz gelegt! Schließlich bietet es interessante Einblicke in ein interessantes Leben, welche auf so knappe und teils humorvolle Weise nur selten anzutreffen sind.

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Veröffentlicht am 16.07.2024

»Von Davos ging vor mehr als einhundert Jahren alles aus, nach Davos geht es heute zurück.«

Zauberberge
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Da Thomas Manns 1924 erschienener Roman „Der Zauberberg“ dieses Jahr sein hundertjähriges Jubiläum feiert, tun wir gut daran uns diesem Buch zu widmen. Passend dazu bietet Thomas Sparrs Neuerscheinung ...

Da Thomas Manns 1924 erschienener Roman „Der Zauberberg“ dieses Jahr sein hundertjähriges Jubiläum feiert, tun wir gut daran uns diesem Buch zu widmen. Passend dazu bietet Thomas Sparrs Neuerscheinung „Zauberberge“ eine tolle Aufarbeitung der zentralen Themen und wichtiger Motive.

Nach einem knappen Vorwort, zeigt Sparr Einblicke in die zwölf Jahre umfassende Entstehungsgeschichte des Romans, bevor er sich in seinem Alphabet des Zauberbergs wichtigen Thematiken des Romans, je einem Buchstaben des Alphabets zugeordnet, widmet und diese schlaglichtartig beleuchtet. Diese Auseinandersetzung fußt zugleich auf einer akribischen Lektüre sowie auf einer umfangreichen Wissensbasis über das Leben des Nobelpreisträgers. So wird bspw., die Namensgebung der Figuren ins engere Blickfeld genommen, ebenso die Gespräche zwischen Settembrini und Naphta oder das berühmte „Schnee“-Kapitel. Selbstverständlich kommen leidtragende Aspekte wie Liebe, Philosophie, Krankheit, Sterben sowie der einkehrende Tod nicht zu kurz!
Schließlich endet das Buch mit einem Blick in die weltweite und immer noch andauernde, bereits hundert Jahre umspannende Wirkungsgeschichte.

Auf wirklich grandiose Weise schafft es der Autor, allein durch dieses dünne Buch, die Lust am (Wieder-)Lesen des Zauberbergs zu wecken und fasst darüberhinaus nahezu alle Facetten des Romans prägnant zusammen.
Wer sich nun fragt, ob der Zauberberg eine Lektüre wert ist, wird seine Frage mit diesem Text ausreichend – eindeutig bejahend – belegt und begründet sehen!

Somit bleibt meines Erachtens kein besserer Schluss, als folgenden Worten des Autors ausdrücklich zuzustimmen:
»Niemand, der den Zauberberg gelesen hat, vergisst diese Figuren wieder, zuweilen auch das nicht, was sie gesagt haben.«

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