Coming-of-age-Roman mit historischem Hintergrund
Die Kannenbäckerin"Die besondere Aufgabe des Autors ist es, Dinge für den Leser erlebbar zu machen, zu denen er sonst keinen Zugang hätte, seien es Tätigkeiten, Landschaften oder Zeiten - oder alles zusammen."
Dieses selbst ...
"Die besondere Aufgabe des Autors ist es, Dinge für den Leser erlebbar zu machen, zu denen er sonst keinen Zugang hätte, seien es Tätigkeiten, Landschaften oder Zeiten - oder alles zusammen."
Dieses selbst erklärte Ziel hat die Autorin Annette Spratte in ihrem historischen Roman" Die Kannenbäckerin" gelungen umgesetzt. Der Leser wird in das dörfliche Leben im Westerwald während des 30-jährigen Krieges geführt. Während des Lesens hatte ich den Eindruck, dass es sich um einen historischen Coming-of-age-Roman handelt. Man begleitet die Entwicklung von Johanna, die gerade erst ihre ganze Familie durch die Pest verloren hat und sich - als Junge verkleidet - zu ihrem unbekannten Onkel flüchtet, über Jahre hinweg durch verschiedene Schwierigkeiten zur jungen Erwachsene, die klar für ihre Ideale einzustehen vermag.
Besonders gut gefallen hat mir die sorgfältig recherchierte und passend in die Handlungen verwobene Darstellung des zeitgenössischen Berufs des Kannenbäckers. Vom Tonabbau über die Herstellung, Verzierung und den Brand bis zum Verkauf der Töpferware erhält der Leser spannende Einblicke. Die Faszination Johannas für dieses besondere Handwerk lässt sich leicht nachvollziehen. Zudem ist sie mit einem besonderen Talent und Ideenreichtum gesegnet, die ihr gerade zu der damaligen Zeit den Neid und die Missgunst der anderen Kannenbäcker - ausschließlich gestandene Männer - eintragen.
Neben den Auswirkungen des 30-jährigen-Krieges, familiären Verlusten, und Angriffen auf ihre töpferische Arbeit muss Johanna auch mit ihrer eigenen emotionalen und charakterlichen Entwicklung umzugehen lernen. Sie beginnt ihr neues Leben bei ihrem Onkel mit einer großen, alles beeinflussenden Lüge:
"Jetzt musste Johanna sich entscheiden. [...] Junge oder Mädchen? 'Ich heiße Johann Hatterod.'".
Mit diesem schlichten Satz hat Johanna sich zumindest die temporäre Chance erkauft, als Junge ganz andere Freiheiten genießen zu können. Nur so ist es ihr überhaupt möglich von ihrem Onkel die Kunst der Kannenbäcker zu erlernen. Jedoch lebt sie damit in der ständigen Angst vor Entdeckung und mit dem Wissen nie eine eigene Familie haben zu können. Schnell überholen sich die Ereignisse und Johanna sieht sich stets vor neuen Herausforderungen. Sie kommt nicht recht zu Ruhe, wodurch die Handlung an Spannung gewinnt. Johanna entwickelt sich dabei zu einer sympathischen, starken, mutigen und loyalen jungen Frau, mit der man sich in eigenen Punkten identifizieren kann. Ausgesprochen sympathisch ist ihre Einstellung zu Schwierigkeiten, die sie sich allmählich erarbeitet: "Aber man hat immer die Wahl, nicht wahr? Man kann schimpfen oder lachen. Ich für meinen Teil finde, mit Humor lässt sich vieles leichter ertragen."
Annette Spratte gelingt es mit ihrem Schreibstil, Geschichte anschaulich zu machen. Die Landschaften, Ereignisse und Personen werden so bildhaft beschrieben, dass man selbst durch den Westerwald streift, den Ton zwischen den Händen oder die unfassbare Hitze beim Brand des Töperwerks spürt. Aber nicht nur die Lebensumstände, auch die Gedanken und Emotionen werden intensiv und nachvollziehbar beschrieben, so dass man sich ganz in die Handlung einfühlen kann.
Etwas zu kurz kamen für mich ein wenig mehr Hintergründe zum Dreißigjährigen Krieg und an der ein oder anderen Stelle mehr Tiefe und Detailliertheit. Es handelt sich doch mehr um einen Entwicklungsroman vor historischem Hintergrund, als um einen reinen Historienroman.
"Die Kannenbäckerin" von Annette Spratte von Francke-Buch ist ein solider historischer Roman, der sich leicht liest, spannend Wissen über das alte Handwerk der Kannenbäcker vermittelt und eine sympathische Hauptfigur vorstellt. Gern spreche ich eine Leseempfehlung aus. Der Roman eignet sich insbesondere auch für junge "Erst"- Leser historischer Romane.