Der Titel ist Programm
Chaos im Märchenhimmel„...Verzogen!“, schnalzt in diesem Moment die Ratte missbilligend mit ihrer Zunge. „Du hast die Mädchen vollkommen verzogen!“ „Aber ich habe ihnen doch nur Liebe und Zuneigung entgegengebracht. Wie kann ...
„...Verzogen!“, schnalzt in diesem Moment die Ratte missbilligend mit ihrer Zunge. „Du hast die Mädchen vollkommen verzogen!“ „Aber ich habe ihnen doch nur Liebe und Zuneigung entgegengebracht. Wie kann das falsch sein?“...“
Gevatter Tod hat drei Mädchen in seinem Zwischenreich willkommen geheißen: die kleine Meerjungfrau, das Sterntalermädchen und das Mädchen mit den Schwefelhölzern. Die aber haben nichts Besseres zu tun, als sich gegenseitig anzuzicken. Also schickt sie Gevatter Tod mit der Aufgabe auf die Erde, die Seele von Schneewittchen zu holen. Das passt ihnen auch nicht. Sie retten ihr dreimal das Leben. Dabei treffen sie auf drei Wölfe, die gegebenenfalls kurzzeitig zu jungen Männern mutieren. Auch hier geht es nicht ohne Streit und Geschrei.
Die Autorin hat etliche Märchen zu einer neuen Geschichte zusammengefügt. Manchmal ist das Originalmärchen noch zu erkennen, manchmal ist außer den Protagonisten nicht viel übrig. Übrigens: Der Titel des Buches ist Programm und auf jeder Seite erlebbar.
Der Schriftstil ist ausgereift. Neben guten Beschreibungen der Handlungsorte zeigt sich das insbesondere an den vielfältigen Gesprächen. Die können ernsthaft und tiefgründig sein, aber auch nur aus gegenseitigen Beschuldigungen und Gezicke bestehen.
Gevatter Tod sieht eine letzte Möglichkeit, um die Situation in den Griff zu bekommen. Jeweils ein Mädchen wird zusammen mit einem Wolf zu seinen Pokerfreunden geschickt. Bei der guten Fee, dem Sandmännchen und der Zahnfee müssen sie sich beweisen.
Über die weitere Handlung möchte ich mich bedeckt halten. Mir gefallen die vielen humorvollen Stellen. Die gibt es zum Beispiel im Gespräch der Ratte mit Gevatter Tod. Die Ratte sieht nämlich manches realistischer und spitzt das gekonnt zu.
Nebenbei werden im Buch einige philosophische Themen gestreift. Das klingt dann zum Beispiel so:
„...Als Ratte ist man immer eine von vielen und damit ersetzbar. So ist nun einmal das Leben. Es ist grausam und kurz, und wer nicht schwimmen kann, der geht eben unter...“
Sie ist also sehr pragmatisch. Doch zum Thema Tod gibt es unterschiedliche Meinungen. Schicksal öder Zufall? Beides klingt an und wird diskutiert. Dabei geht es auch um den Sinn des Lebens.
„...Der Tod ist weder der Anfang noch das Ende. Er ist vergleichbar mit dem Zustand des Glücks, in dem man das Gefühl hat, alles oder nichts zu sein...2
Beim Treffen mit den Wölfen geht es um eine anderes Problem.
„...Jede Münze hat zwei Seiten, und wer böse und wer gut ist, ist nicht immer eindeutig...“
Wann ist Hilfe sinnvoll, wann nicht? Auch das wird anschaulich vermittelt. Einerseits ist keine Hilfe unwichtig, wie klein sie auch sein mag. Andererseits gilt
.
„...Eine aufgezwungene Hilfe ist keine Hilfe...“
Es gäbe noch viel über die Geschichte zu sagen. Das würde aber den Rahmen dieser Rezension sprengen. Mit enormer Phantasie ist es der Autorin gelungen, spannende und unerwartete Episoden zu gestalten und manche Überraschung in der Hinterhand zu haben. Auch wenn das Gezicke ab und an nervt, es passt perfekt zur Handlung.
Die Geschichte hat mir ausgezeichnet gefallen. Es ist eine gelungene Mischung aus Phantasie, Humor und Philosophie.