Alex lebt in Deutschland, Akio in Abadonien. Beide schreiben Geschichten. Abadonien ist ein karges Fantasieland, in dem ein blutdurstiger Drache sein Unwesen treibt und in dem grausame Blutjäger unschuldige Menschen verfolgen und töten. Die Menschen mit goldenem Blut sind selten und besonders gefährdet, da ihr Blut den Drachen für längere Zeit satt macht. Diese arglosesten und gutherzigsten Einwohner Abadoniens werden von ihren Angehörigen versteckt, um den Bluthäschern zu entgehen. Und dann passiert es doch: Akios kleine Schwester wird von Blutjägern entführt. Gemeinsam mit Silva, deren Bruder ebenfalls gefangen wurde, macht er sich auf den Weg, um seine Schwester zu befreien.
In dem Thema (Blutopfer...) liegt natürlich die Gefahr, dass es irgendwann extrem unappetitlich, sprich blutrünstig, wird. Könnte man vermeiden. Scheint aber nicht beabsichtigt zu sein. Aber genau dort, wo die Handlung zum ersten Mal so richtig zu entgleisen scheint, realisiert man, dass sich hier nicht der wahre Autor verrannt hat, sondern der fiktive Autor der Geschichte in der Geschichte. Und das mit Methode. Und dann nimmt die Geschichte so eine atemberaubende Wendung, dass - naja, irgend so etwas Ähnliches hatte man ja schon erwartet, aber so dann auch wieder nicht... Insgesamt eine sehr schöne, wenn auch gewagte Idee. Irgendwann wird es dann aber ganz schön abgedreht. Die sehr spannende Fragestellung "Wer erschafft eigentlich wen" wird, nachdem sie geschickt eingeführt wurde, etwas zu langatmig ausgewalzt. Kurz darauf befinden wir uns in einem handfesten theologischen Anschauungsunterricht. Auch wenn die Idee sehr faszinierend ist: mir ist das ein bisschen zu doll. Manchmal macht der Autor einfach zu viele Worte. Der Leser sitzt die ganze Zeit im "Freeze"-Zustand dabei und wartet darauf, dass die Handlung weiter geht. Und weiß eigentlich schon, wie. Oder nicht? Ja, und dann geht die Handlung weiter. Und dem Leser geht es ein bisschen wie dem unfreiwillig aufgeklärten Protagonisten; er ist skeptisch geworden, ob er wirklich noch so viel Lust auf die Geschichte hat wie am Anfang.
Wobei die Fragestellung ja schon spannend ist. Was ist wirklich an der Wirklichkeit? Und was ist nur ein Roman, in dem man als hilflose Spielfigur eines Autors hin- und hergeschoben wird? Oder ist das die Wirklichkeit? Aber das Problem dieser Fragestellung liegt in ihrer Konsequenz für die Kunstform Roman. Was bleibt von einem Roman, der sich selbst seziert, noch übrig? - Zunächst einmal Bibelzitate. Die Art und Weise, in der von Zeit zu Zeit Bibelstellen absolut unkonventionell in die Handlung eingeflochten werden, ist teilweise aufsehenerregend, teilweise anrührend, aber manchmal auch sehr grenzwertig. Und auf Dauer, ehrlich gesagt, verliert diese Methode an Faszination und an Schlagkraft. Erst bei der Stillung des Sturmes wird die Sache für mich wieder glaubwürdiger, gibt es wieder diesen Funken mitreißender Spannung. Aber dann kommt schon wieder so ein zum Orakel degradiertes Paulus-Zitat; das finde ich dann schon etwas kühn und beginne leicht mit den Augen zu rollen.
Viele Dialoge wirken leider arg konstruiert. Aber nicht alle. Das Gespräch zwischen Mortum und Alexander zum Beispiel, das seine Parallele in den drei biblischen Versuchungen hat, fand ich außergewöhnlich gut.
Am Schluss hatte mich dann die Geschichte wieder. Obwohl genau das eintrat, was ich vermutet hatte, las ich mit gespannter Neugier und konnte das Buch auch nicht mehr aus der Hand legen. Ich glaube, man muss das biblische Vorbild kennen, um sich an diesem Ende zu freuen. Und wer hätte das gedacht, dass einen nach einer so durchwachsenen Geschichte ein paar Bratwürstchen zu Tränen rühren können? Eine wirklich originelle Idee.
Aber ganz so viele Kübel Blut und an die Wände klatschende Fleischbrocken hätte ich dann auch nicht gebraucht. Und - müssen diese Dracolepide wirklich jedesmal so unappetitlich aufplatzen? Mann. Mir scheint, der Autor wollte mich persönlich für die schlechte Angewohnheit bestrafen, beim Abendbrot zu lesen.
Insgesamt empfinde ich die literarische Qualität als sehr schwankend. Daher nur drei Sterne. Aber diese drei leuchten besonders hell... und, merkwürdig, trotz einer für mich hin und wieder ermüdenden Schreibweise, trotz entsetzlich plakativer Blutlachen und meiner gelegentlichen Genervtheit fühlt es sich gut an, das Buch gelesen zu haben, irgendwie wie ein Segen. Vielleicht liegt es an Stellen wie dieser: "Ich kenne es, den Glauben an das Gute zu verlieren, weil das Böse nach einem greift. Und ich kenne es, die Hoffnung auf das Gute wiederzufinden, wenn ein anderer einem Vertrauen schenkt, wo es nichts zu vertrauen gibt. Und ich weiß, dass das Zweite sich besser anfühlt."
Also - wenn Euch ein wenig Augenrollen und ein paar Blutlachen nicht zu sehr abschrecken - dann empfehle ich Euch, das Buch zu lesen. Außergewöhnlich ist es allemal.